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Theaterblog

Interview zu »Das Kind der Seehundfrau«

Regisseurin Katharina Molitor und Ausstatterin Faveola Kett sprachen über den besonderen Märchenstoff mit Dramaturg Benjamin Wäntig.

Die Kinderoper »Das Kind der Seehundfrau« um einen kleinen Sohn eines Fischers und einer zur Frau gewordenen Seehündin entführt die jungen Zuschauer*innen in arktische Gefilde. Wie die Landschaft ist auch diese Geschichte der Inuit rau, archaisch, aber auch gerade dadurch faszinierend: An einer kargen Bucht wohnt ein Mann, ganz allein, nur mit dem Meer, dem Eis und den Fischen. Eines Tages trifft er auf eine wunderschöne Frau und verliebt sich gleich in sie. Es ist eine Seehundfrau – nur ohne Fell, das sie sich ausgezogen und das er ihr heimlich weggenommen hat. Doch dann stellt er ihr die Frage: »Willst du mich heiraten?« Die Seehundfrau willigt ein, unter der Bedingung, dass er ihr nach sieben Jahren ihr Seehundfell zurückgibt und sie wieder ins Meer zurückkehren kann. Er stimmt zu und sie erleben die schönsten Jahre, die größte Liebe, die glücklichste Zeit mit ihrem Sohn Oruk. Doch schon bald kommt dessen siebter Geburtstag immer näher und seiner Mutter geht es immer schlechter …

Regisseurin Katharina Molitor und Ausstatterin Faveola Kett sprachen über den besonderen Märchenstoff mit Dramaturg Benjamin Wäntig.

BW: Wie bringt ihr das Feeling des hohen Nordens auf die Bühne?

FK: Wenn man den Raum betritt, findet man sich vor einer Landschaft aus Eisschollen wieder, die im Wasser treiben. Zusätzlich wird das Gefühl durch die limitierte Farbpalette des Bühnenbilds als auch des Kostümbilds verstärkt, welche sich nur aus Weiß-Tönen, Silber und schwarzen Konturen zusammensetzt. Und zuletzt vermitteln kuschelige Felle einerseits das Bedürfnis, sich zu wärmen und einzukuscheln, als auch die raue Wildnis, in der die Inuit leben.

Nicolas Bertholet, Carmen Seibel Foto©Astrid Karger

KM: Zusätzlich zur Notwendigkeit wärmender Stoffe kommt auch je nach Situation auch durch das Spiel der Darstellenden mit Frieren und Frösteln in manchen Momenten. Gleichzeitig ist es wichtig zu betonen, dass wir keinen Realismus aufkommen lassen wollen, und so spielen sie z. B. auch barfuß.

BW: Was unterscheidet das Inuit-Märchen von der Seehundfrau von mitteleuropäischen Märchen etwa der Brüder Grimm?

FK: Es ist sehr viel vielschichtiger und spricht viele wichtige Themen an, die einen auch als Erwachsener zum Nachdenken bringen.

KM: Es hat seine Wurzeln ganz eindeutig in einem von einer noch engeren Verbindung zur Natur geprägten Kulturkreis. Humanistische und/oder christliche Wertvorstellungen sucht man vergebens. Anders als bei den Brüdern Grimm, die häufig den im Kern archaischen Geschichten eine moralisierende Ebene beigefügt haben, gibt es keinen christlich-monotheistisch geprägten »Überwurf« im »Kind der Seehundfrau«.

Die fundamentale, existentielle Abhängigkeit von der Natur, dem Meer, den Seehunden und die gleichzeitige Notwendigkeit, die Tiere des Meeres zu jagen, zu töten und für das menschliche Leben auch zu verwerten, stellt in seiner Rohheit einen entscheidenden Hintergrund der Geschichten dar. Hier geht auch die Frage: Wie viel darf ich der Natur nehmen, wann muss ich meine Begierden begrenzen? Auch das Körperbild ist ein erfrischend direktes, unverstelltes. Wärme (auch die des menschlichen Körpers), gesunde Formen, genug »Fleisch« am Leib sind ganz klar Ideale und in einer so kalten Lebenswelt unvoreingenommen positiv bewertet. Von monotheistischer, patriarchaler Prüderie ist nichts in dieser Geschichte zu finden. Und natürlich: Das Meer, nicht der Grimm’sche Wald, ist als Bezugsraum, als Lebenswelt, aber auch als Jenseits-/Todesraum ständig anwesend und zentral in den Geschichten. Genauso die Tiere: Statt Rehen und Wölfen spielen Robben, Wale und Fische zentrale Rollen.

BW: Welche Rolle spielt die Musik im Stück? Wie klingt es?

FK: Die Musik ist die Sprache der Seehundfrau. Das Singen und die verschiedenen Laute sind ihre Art, sich auszudrücken und ihr Schicksal und ihre Sehnsucht zu artikulieren.

KM: Die Musik stellt primär eine Klangkulisse zur Verfügung, die der Geschichte Atmosphäre und ungewöhnliche Klänge zur Seite stellt. Gleichzeitig sind Musik und vor allem auch der Gesang auch ein Mittel, der »anderen« Sprache der Natur, dem Klang des Meeres, des Eises und nicht zuletzt dem Robben-Gesang (als nordische Variante des Sirenengesangs) Ausdruck zu verleihen. Das Element des Trommelns verleiht der Geschichte außerdem Züge eines schamanistischen Rituals.