Kategorien
Theaterblog

Wie ein Thriller

BW Was hat dich daran gereizt, dieses Stück zu inszenieren und zu choreographieren?

DV Für die Premiere der Produktion in Düsseldorf inmitten der Pandemie im Herbst 2021 haben wir ganz pragmatisch Stücke gesucht, die mit einer kleinen Besetzung auskommen. Deshalb haben wir das Stück dort auch in einer kleineren Orchesterfassung gespielt. Nichtsdestotrotz hat mich dieses Stück schon länger fasziniert, weil es wie ein gruseliger Thriller ist. Es passt gut in eine Zeit, in der von Kriminalgeschichten und True-Crime-Podcasts eine große Anziehungskraft ausgeht.

Bei der intensiveren Beschäftigung ist mir aufgefallen, wie stark das Libretto die Psychologie der Figuren betont. Das entspricht sehr meinem Zugang zum Regieführen, nämlich eine Welt aus den Figuren, aber auch aus ihren Widersprüchen zu erschaffen. Dabei kam die Idee auf, die Räume, die sich hinter den sieben Türen in der Burg befinden, nicht nur – wie im Libretto vorgesehen – über Lichtstrahlen zu erzählen, sondern ihnen eine »Seele« zu geben: durch die in der Burg gefangenen Seelen. Erst am Ende stellt sich heraus, dass die drei Tänzerinnen, deren Rollen zunächst geheimnisvoll bleiben, Blaubarts Gefangene sind.

BW Die Oper nimmt zwei Strömungen ihrer Entstehungszeit auf: die Psychoanalyse, also der Beschäftigung mit der Psyche eines bestimmten Menschen, und den Symbolismus, der von Konkretem abstrahiert. Was bedeuten die Türen vor diesem Hintergrund?

DV Die Türen stehen natürlich für Blaubarts dunkles Seelenleben, in das Judith Licht und Wärme zu bringen versucht. Aber en détail ist das gar nicht so klar, analog zur komplexen menschlichen Psyche. Sie sind in unseren Augen nicht einfach biographische Stationen Blaubarts, sie folgen keinem stringenten Programm. Wir sind daher schnell zu dem Schluss gekommen, dass jede Tür einer eigenen Logik gehorcht – Blaubart zeigt etwa bereits im Libretto manche bereitwillig vor, andere nicht. Wir haben versucht, die Essenz aus jedem Moment des Stücks herauszuziehen. Der Kontext des ganzen Stücks ergab sich dann aus den einzelnen Momenten heraus und nicht umgekehrt.

BW Wir sehen eine Paarbeziehung, die permanent zwischen Anziehung und Abstoßung changiert. Was treibt Blaubart und Judith an?

DV Eine besondere Herausforderung, vor allem natürlich für die Sängerin, ist Judiths erster Auftritt zu Beginn, denn wir wissen wenig über ihre Motivation, sich mit Blaubart einzulassen. Wir erfahren, dass sie zuvor einen Lebensplan hatte und heiraten sollte. Offenbar war ihr das nicht spannend genug, sodass sie mit Blaubart durchbrennt auf der Suche nach Intensität, wie es unser Bühnenbildner Markus Meyer treffend gesehen hat. Eine Art Angstlust fesselt sie an Blaubart, denn sie kennt die Gerüchte um ihn. Auch er selbst spricht das an und beruft sich damit im Stück auf das alte Blaubart-Märchen, demzufolge er seine drei ersten Frauen umgebracht hat – was bei Bartók ja anders ist: Hier versucht er sie zu »sammeln«, zu konservieren. Mit diesem Hinweis lässt er sie die Gefahr spüren und so beginnt ein Spiel aus Verlockung und Risiko.

Andererseits denke ich, dass Blaubart tatsächlich auf der Suche nach der wahren Liebe ist. Bei zu viel Nähe allerdings kehrt sich das um. Er hat offensichtlich eine Art Persönlichkeitsstörung, die ihn zum Täter macht, der die Frauen fängt und festhält: in einem Zustand zwischen Leben und Tod. Das finale Bild von Eis und Kälte haben wir in Anspielung auf die Kryotechnologie gewählt, die durch Einfrieren versucht, ein Leben zu bewahren und bis in bessere Zeiten zu verlängern.

BW Judith könnte ja im Prinzip jederzeit gehen, wenn sie wollte. Wie siehst du ihr Verhalten in dieser Situation?

DV Lange konnte ich nicht nachvollziehen, warum sich Judith am Ende freiwillig in die Reihe der gefangenen Frauen einreiht. Sie gibt schließlich beim Machtpoker auf, ist völlig gebrochen und machtlos. Sie scheint sich ihm so sehr ausgeliefert zu haben, dass sie nicht mehr wegkommt.

Gerade das ist ein häufiger Widerspruch, wenn es um das Verhalten in toxischen Beziehungen geht: Menschen sehen keinen Ausweg, obwohl sie vernünftigerweise einfach die Koffer packen und die Beziehung beenden sollten. Stattdessen sind sie psychisch gefangen. Ab der Tür, hinter der sich der Garten befindet, geht es auch Judith so, weil Blaubart die Oberhand gewonnen hat. Am Anfang hat man das Gefühl, dass Judith die Seelenreise steuert; er vermittelt ihr dieses Gefühl, indem er sich selbst kleinredet. Damit entlockt er ihr immer stärkere Liebesbekundungen und macht sie umso abhängiger.

BW Wenn es sich um ein inneres Gefängnis handelt, wofür dann steht die Burg?

DV Die Burg ist eines der vielen Symbole, die das Stück aufruft. Für mich war es interessanter, von der Burg als konkretem Raum zu abstrahieren, um einen Seelenraum darzustellen. Im Stück wird das Gemäuer kaum beschrieben, es wird eher auf die ständige Dunkelheit hingewiesen. So wirkt die Burg auf Judith wie ein großes Geheimnis.

Neu ist in der Version, die wir hier für Saarbrücken erarbeitet haben, dass sich die Burg durch ein Tänzerkollektiv manifestiert. Man könnte die Tänzer als allegorische Gestalten bezeichnen, die keine konkrete Aufgabe im realistischen Sinn erfüllen, sondern analog zur Idee der Burg als Nicht-Ort abstrakte Wesen sind. Sie lassen die Ungreifbarkeit der Seelenzustände Gestalt werden.

BW Bartóks Musik ist eine Opernmusik, die sich sehr eng aus der ungarischen Sprache speist. Wie choreographiert man eine solche Musik?

DV Zunächst freue ich mich, in Saarbrücken endlich Bartóks große Originalbesetzung im Orchestergraben zu hören. Seine Musik erzählt, teils auch mit sehr spielerischen, fast folkloristischen Motiven, was unter der Oberfläche des Texts passiert. Außerdem schafft sie einen großen Gesamtbogen: Es gibt keine Unterteilung in Szenen, alles ist beständig im Fluss. Selbst Anfang und Ende der Oper markieren keine Zäsuren, sondern wirken, als hätte die Musik längst begonnen bzw. würde sich weiter fortsetzen. Ein geniales Stück!

Als Choreograph gibt es verschiedene Wege, Musik zu begegnen: Man kann die Musik in ihrer Struktur und Form im Tanz visualisieren, ihre Stimmung in tänzerische Bilder überführen oder ihr etwas ganz Eigenes, Komplementäres entgegensetzen. Ich habe in diesem Stück mit allen drei Wegen gespielt. Es gibt sehr konkrete Momente, in denen man die Musik zu sehen glaubt bzw. ihre Atmosphäre unmittelbar umgesetzt wird. Daneben existieren auch Passagen wie die des Tränensees hinter der sechsten Tür, in der sehr ruhige Musik auf hektische, schnelle Bewegungen der Tänzer stößt, die die latente Unruhe, aber auch Trauer der Szene zum Ausdruck bringen. Ebenfalls in der Choreographie wollte ich mir so die Freiheit bewahren, die Besonderheit eines jeden Moments ohne ein starres System darzustellen.

Kategorien
Auf ein Wort

AUF EIN WORT: SEBASTIAN HANNAK

Sebastian Hannak gehört zu den profiliertesten deutschen Bühnenbildnern seiner Generation. Nach dem Studium im Fach Bühnen- und Kostümbild an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, zu dem ein Aufenthalt bei David Hockney gehörte, hat er an zahlreichen Theatern im In- und Ausland gearbeitet. Für seine Raumbühne »Heterotopia« im Opernhaus von Halle erhielt er 2017 den Theaterpreis »Der Faust«. Er kreiert gleichermaßen für Oper, Schauspiel und Ballett. Am Saarländischen Staatstheater hat er bislang mehrere Male gearbeitet: Er schuf das Bühnenbild für Bertolt Brechts »Leben des Galilei« (2015), für Richard Straussʼ Oper »Salome« (2018) und im Ballett für Stijn Celisʼ Choreographien »Shunkin« (2018), »Prometheus« (2019), »Sound & Vision« (2020), »Winterreise« (2021) und »Der Nussknacker« (2021). In Kürze hat Giacomo Puccinis Oper »Turandot« in Jakob Peters-Messer Inszenierung Premiere – und Sebastian Hannak gestaltet wieder die Bühne. Kompaniemanager Saarländisches Staatsballett und Dramaturg Klaus Kieser traf ihn zum Gespräch.

Bühnenbildner Sebastian Hannak

K.K.: Du arbeitest gleichermaßen für Ballett, Oper und Schauspiel.Wie unterscheidet sich die Arbeit für die drei Sparten?

S.H.: Ein grundsätzlicher Unterschied rührt aus den verschiedenen Erzählstrukturen her. Im Ballett erzählt man eine Geschichte mit tanzenden Körpern, daraus ergibt sich bildnerisch erst mal eine große Freiheit. Hier kann man Räume musikalisch und choreographisch erfinden. In der Oper sind die Räume zunächst von der Handlung vorgegeben, da es schon eine fertige musikalische Erzählabfolge gibt. Der Raum verhält sich also strukturell zu dem, was das Libretto und die Musik vorgibt.

Richard Strauss‘ »Salome« 2018 am SST: Michael Baba (Herodes), Pauliina Linnosaari (Salome), Judith Braun (Herodias) | Foto: Martin Kaufhold

Man kann sich im Ballett also auf andere Dinge konzentrieren. Wenn man zum Beispiel die Geschichte in eine eigene Örtlichkeit verlegt, wie etwa in »Prometheus«: Stijn Celis und ich nahmen uns die Freiheit zu sagen, dass wir bildnerisch eine Geschichte vom Dunkel zum Licht erzählen. Auch im Schauspiel steht zuerst der vorhandene Plot, etwa eine unmögliche Liebe, eine Revolution oder ein Mord, weniger eine abstrakte Entwicklung. Auch im Musiktheater wäre die Herangehensweise wie bei »Prometheus« eine Randerscheinung, da weniger Uraufführungen produziert werden als Repertoirevorstellungen. Im Ballett kann man gemeinsam andere Narrationen aufmachen, die man von einer Art Nullpunkt aus kreiert.

Saarländisches Staatsballett in »Prometheus« | Foto: Bettina Stöß

K.K.: Wie war das im Fall des Balletts »Der Nussknacker«?

Hatten wir bei »Prometheus« die Möglichkeit, von einer Idee auszugehen, war es im »Nussknacker« schon mal eine definierte Örtlichkeit, das Wohnzimmer der Familie Stahlbaum. Aber innerhalb des »Nussknackers« gibt es eine Reise in eine Phantasiewelt. Hier haben wir eine sichtbare Verwandlung des Raums als Mittel gewählt, die das Publikum auf diese Reise mitnimmt, auf eine Veränderung der herkömmlichen Realität.

»Der Nussknacker«: Montana Dalton, Nicola Strada und Ensemble | Foto: Ursula Kaufmann

Mir gefällt es, wenn Verwandlungen visuell nachvollziehbar sind: Am Anfang sieht man ein großbürgerliches Wohnzimmer, das sich zu einer abstrakten Welt weitet, die erkennbar mit dem Ausgangspunkt zu tun hat und doch deutlich eine Phantasiereise ist. Solche Momente finde ich toll, weil man das Publikum aus den Augen der Protagonisten heraus an dieser Verwandlung teilhaben lassen kann. Ich sehe Marie und wie sich aus ihrer kindlichen Phantasie heraus etwas verändert. Und dank der Unterstützung durch eine großartige Musik entfaltet das eine ganz eigene Wirkung, fast als wäre es das normalste der Welt, dass sich Wände bewegen und neue Räume entstehen.

»Sound & Vision«: Alexander Andison, Micaela Serrano Romano, Shawn Throop | Foto: Bettina Stöß

K.K.: Und dann gibt es bei der Arbeit fürs Ballett doch wohl auch ganz praktische Erfordernisse?

S.H.: Ja. Das Bühnenbild für ein Ballett ist immer Gefäß für die Tänzer, die die Choreographie zum Leben erwecken – und der Tanzboden ist dabei das A und O des Ganzen. Er muss weich genug sein, nicht wellig, nicht zu klebrig, nicht zu rutschig. Der Raum muss an bestimmten Stellen Auftrittsmöglichkeiten haben, und in allen Räumen muss natürlich immer Platz für den Tanz sein.

Kategorien
Hinter dem Vorhang

Sound & Vision

Bevor Stijn Celis mit der Choreographie seines neuen Balletts »Sound & Vision« begann, hatte er die Ensemblemitglieder nach ihren Erfahrungen und Eindrücken während der Lockdown-Zeit von März bis Mai 2020 befragt. Aus den Antworten entstand ein Text, der im Stück nach dem ersten Song (»Letʼs Dance« von David Bowie) zu sechst gesprochen wird:

What do 16 square metres mean for you? To me, it does not matter how big the space is around me, what matters is how big the space is in my spirit and imagination. 4 by 4 metres may feel limited yet it can also feel eternal. Before Corona my approach to dance was mostly physical and sometimes intellectual. Today it is mostly intellectual and sometimes physical.

During Corona I heard my neighbours having sex – and they probably did the same. I discovered that a broom can stand alone in balance. I had time to virtually re-establish some far-away friendships. For my birthday, my dad sent me a package from Japan, and we both thought that it would take at least a month to get here because of the situation. It arrived within a week. On my birthday, I received gifts and cookies delivered through my window using a rope.

What was the hardest thing during the Corona crisis for you? To wear a mask? Weekly grocery shopping? Not knowing where the »finish« line is? One night I slept 15 hours, I ate pizza four days in a row. (I had four pizzas in a row.)

I painted my catʼs nails blue. I actually spent a good amount of time during lockdown with reading. Noverreʼs »Lettres sur la danse« and Kandinsky, »Punkt und Linie zu Fläche«. For me they are complimentary. Two art-making models with opposite principles but with the same aim.

Klaus Kieser,
Kompaniemanager Saarländisches Staatsballett und Dramaturg