Wie kam es zur Auseinandersetzung mit dem brisanten Thema »Reichsbürger« und wie hat es sich in der gesellschaftlichen Einschätzung verändert?
Neulich erzählte mir eine Person, die im Finanzamt arbeitet, dass es dort mittlerweile Handreichungen für den Umgang mit stadtbekannten Reichsbürgern gibt. Man werde geschult, wie man auf deren Ansagen und Forderungen reagieren müsse; wie man damit umgehen müsse, wenn wieder über Nacht unzählige Seiten mit kruden Aussagen und Ansprüchen per Fax an die Amtsstelle gesendet wurden; und welche Personen als gefährlich einzustufen seien und wie man sich vor ihnen schützen könne.
Als das Stück 2018 entstand, gab es noch keine sonderliche Wahrnehmung des Phänomens »Reichsbürger« in der deutschen Gesellschaft. Ein befreundeter Dramaturg fragte mich damals, ob ich mir sicher sei, darüber einen Theatertext schreiben zu wollen, schließlich handle es sich ja nur um »ein paar Verrückte«. Diese Einschätzung teilten damals viele Menschen in der Bundesrepublik: wenn man denn überhaupt Notiz nahm von den Reichsbürgern, so schaute man doch mehrheitlich augenreibend auf diese seltsam versprengte Bewegung, die sich mit einem Hang zur Verkleidung mal mehr esoterisch, mal mehr militärisch ausnahm.
Zugleich waren dies die Elemente, die mich bei der Suche nach einem Theaterstoff recht schnell zu dieser Bewegung zogen. Zum einen waren die damals auffälligen Gestalten in höchstem Maße theatral: Sie kleideten sich in fantasievolle Uniformen und selbst gemachte Schärpen. Sie zelebrierten seltsame Rituale, die einem Science-Fiction Roman entsprungen schienen, und gaben sich staatsmännisch, obgleich von einer Mietwohnung aus. Zum anderen waren für mich Parallelen zu Hitlers Nazi-Bewegung relativ schnell offenkundig: der Faschismus hatte immer schon einen Hang zur Kostümierung und Ordens-Dekoration. Und auch der esoterische Glaube, war unter den Nazis weit verbreitet, ja Teil der Ideologie.
Kurz: ich fand die Reichsbürger trotz – oder gerade wegen – ihrer skurrilen Art mehr als beunruhigend und war auch besorgt darüber, dass die deutsche Gesellschaft die Bewegung als versprengte Spinner abtat. Auch der Polizistenmord von 2016, bei dem der Reichsbürger Wolfgang Plan im bayrischen Georgensgmünd vier SEK-Beamte verletzten (einen davon tödlich), führte noch zu keinem bundesweiten Umdenken. Es brauchte erst wiederholt gewalttätige Übergriffe, damit die Ansichten der Bundesbürger sich änderten. Und die Einsicht, dass es sich bei den Reichsbürgern eben nicht nur um spinnerte Einzelgänger handelt, sondern teilweise um gut vernetzte Rechtsradikale, die nicht nur vom Staatsstreich träumen, sondern immer wieder besondere Verbindungen zum deutschen Militär aufweisen, um diesen Putsch auch durchzuführen – wie zuletzt die »Gruppe Reuß«, der in diesem Jahr der Prozess gemacht wird.
Wie lustig oder gefährlich ist die krude Ideologie der sogenannten »Reichsbürger« mit all ihren Splittergruppen und wie bist Du auf den schönen Titel gekommen?
Für »Der Reichskanzler von Atlantis« wollte ich eine Textform finden, die diese Entwicklung nachvollzieht: Im ersten Teil ist das Stück die skurrile Zeichnung eines Reichsbürger-Paares, das in den eigenen vier Wänden nach sehr eigenen Gesetzmäßigkeiten lebt und das sehr zum Lachen animieren kann. Im zweiten Teil aber folgt der Umbruch und aus dem, was Spaß gewesen ist, wird bitterer Ernst. Hier folgt auch eine deutlichere Anbindung des Gedankenguts der Reichsbürger an die Nazi-Ideologie und die Rolle der Frau darin.
Trotz aller Leichtigkeit des Textes war mir daran gelegen, dass er immer auf mehreren Ebenen funktioniert: Zum einen ist er Rede der Figuren. Zum anderen ist er aber auch ein Strickwerk aus Verweisen auf Geschichtliches aus dem Faschismus, um die Anbindung der Reichsbürger-Bewegung an die Historie implizit zu erzählen. So ist beispielsweise der Titel eine Referenz auf den esoterischen Glauben vieler Mitglieder der Reichsbürger-Bewegung, dass der arische Mensch vor Urzeiten auf Atlantis heimisch gewesen ist, dieses Eiland jedoch dem Untergang geweiht war und seitdem die Menschheit wieder zurück finden müsse zu ihrer »ursprünglichen Reinheit«. Zugleich verweist der Titel aber auch auf »Der Kaiser von Atlantis« – eine Kammeroper, die 1944 von Inhaftierten im Konzentrationslager Theresienstadt geschrieben wurde.
Bis heute ist die Reichsbürger-Bewegung schwer zu fassen. Zu divers sind die Splittergruppen: Von militanten Rechtsextremen, die sich mit Gewalt vor der BRD-GmbH schützen wollen, bis hin zu esoterischen Aussteigern auf ländlichen Gehöften, die sich nicht »fernsteuern« lassen wollen, ist die Schnittmenge sehr groß.
Wieso schreibst Du für das Theater bzw. welche Chance gibst Du diesem Medium?
Mein Versuch, für das Theater zu schreiben, ist immer ein politischer. Denn ich glaube, wenn an einem Abend Menschen zusammenkommen, um einer Geschichte zu folgen, birgt das automatisch politisches Potential. Das soll aber nicht bedeuten, dass meine Stoffe versuchen, Dinge besser zu wissen als die Zuschauenden. Ich möchte mit meinem Schreiben auch niemanden belehren. Viel mehr möchte ich meinen Wissensvorsprung, der durch lange Recherche entsteht, in eine ästhetische Erfahrung überformen, die im besten Fall unterhält und zum Denken anregt. Wenn das bei mehreren Menschen an einem Abend gelingt, ist für mich der Auftrag des Theaters erfüllt.
Die Fragen stellte Horst Busch.