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Theaterblog

Wir sind alle eine Bettwurst.

Rosa von Praunheims Kultfilm von 1971 als Musical: »Die Bettwurst«, der Dauerbrenner der sparte4, geht in die dritte Spielzeit.

Zusammen ist man weniger allein

Es war in Kiel am Kai, da begegnen Luzi und Dietmar sich. Sie zeigt ihm die Stadt, beim Tanztee wird geschwoft, man beschnuppert sich, kommt sich näher im Schrebergarten, wie eine Liebe beginnt eben! Sie beschließen: Jetzt fängt ein neues Leben an. Und zwar gemeinsam, nicht mehr allein. Dietmar zieht bei Luzi ein, wird in die Geheimnisse des Staubsaugens eingeweiht, beim Weihnachtsfest liegt die berühmte Bettwurst (eine Nackenrolle, natürlich!) unter dem Baum und verloben tut man sich auch noch! Voller Enthusiasmus tanzen und singen Luzi, Dietmar und ihr Chor durch die Freuden des kleinbürgerlichen Liebesglücks, tanzen in die Liebe hinein. Alles könnte so schön sein, wären da nicht Dietmars kleinkriminelle Komplizen, die Luzi entführen.

Mehr ist mehr

1971 ist er erschienen, Rosa von Praunheims Film »Die Bettwurst«, und avancierte schnell zum Kultfilm. Nicht zuletzt wegen seiner Hauptdarsteller*innen, beides Laien: von Praunheims Tante Luzi Kryn und Dietmar Kracht, den von Praunheim in der Berliner Stricherszene »entdeckte«. Schonungslos exaltiert und höchst amüsant reiht sich »Die Bettwurst« in von Praunheims Filmästhetik im »Camp«-Stil ein. »Camp« ist die Liebe zur Übertreibung, die richtige Mischung aus Phantastik, Leidenschaftlichkeit und Naivität. »Camp« ist Leben als Theater, ist Parodie und Selbstparodie, immer gepaart mit Eigenliebe. »Es ist gut, weil es schrecklich ist …« (1) schreibt Susan Sontag 1964 in ihren Essay Anmerkungen zu ›Camp‹. Vermeintlich lächerlich, dilettantisch und eine Zurschaustellung des Banalen, zeichnet »Die Bettwurst« ein selbstironisch-scharfes und zugleich liebevoll-verspieltes Bild einer Liebesbeziehung.
Im Herbst 2022 kam das Musical in der Bar jeder Vernunft in Berlin zur Uraufführung. Inszeniert hat Rosa von Praunheim selbst, als Hommage an seinen Film, und an seine immer etwas zu laute, immer etwas zu schrille Tante »Luzi Superstar« und ihre unbeirrbare Selbstliebe.

Hemmungslose Hingabe

Da ist Luzi, Sekretärin in der Gerichtsmedizin, lebenslustig, in bunten Kleidern und einer Wohnung mit noch bunteren Tapeten. Den zweiten Weltkrieg und große Armut hat sie erlebt, bis sie aus Polen mit ihrer Mutter nach Kiel gekommen ist. Und da ist Dietmar – homosexuell, die Jugend im Erziehungsheim verbracht –, der seine kleinkriminelle Vergangenheit und Berlin hinter sich lassen will. Das Leben ist ein Abenteuer. Beide passen nicht so richtig rein in die Gesellschaft, und ins heteronormative Bild einer kleinbürgerlichen Partnerschaft passen sie schon gar nicht. Beide sind sie irgendwie auf der Flucht und auf der Suche nach Liebe und Glück, auf der Suche nach einem Platz – und finden ihn beieinander.
Und auf einmal gibt es Aussicht auf Verbundenheit. Ich habe ein Recht auf Liebe. Das übermäßige Streben nach Harmonie vereint, das Trennende wird ignoriert. Aus Not, aber auch aus Sehnsucht, denn: Zusammen ist man weniger allein. Zweckgemeinschaft im positivsten Sinne. Wir heilen alle Wunden nur mit Liebe. Behütet und beobachtet von ihrem Chor, Schicksalsgöttinnen gleich, malen Luzi und Dietmar mit großer Freude und noch größerer Hingabe über den Rand sämtlicher Klischee-Schablonen einer Paarbeziehung – und stoßen dabei auf ihre ganz eigene Art von Verbindung.
Die Bettwurst war ein Traum. Ein Traum von Akzeptanz: Lass das Gegenüber sein, wie es ist, ob schrill, ob bunt, ob laut, ob leise – wir sind alle eine Bettwurst. Egal wie und egal wen: Lieben ist erlaubt. Am besten fängt man gleich bei sich selbst an, denn was gibt’s Schöneres, als sich selbst zu lieben. Und so treffen sich Luzi und Dietmar im Himmel wieder, feiern sich und das Leben und ihre Liebe.

Gesa Oetting

(1) Anmerkungen zu ›Camp‹ in Susan Sontag: Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen, Frankfurt, 1982.