Lieber Raimund, mittlerweile spielst Du »Die Leiden des jungen Werther« schon im siebten Jahr in Saarbrücken. Was bedeutet Dir diese Produktion?
Die Arbeit ist bereits 2014 entstanden und ich schätze, dass ich bald 100 Vorstellungen gespielt habe, soviel wie von keinem anderen Stück. Vor jeder Vorstellung gehe ich für mich einmal durch den Text. Ich habe diese Worte also schon unzählige Male gesprochen und es bereitet mir immer noch große Freude. Wenn ich dann eine Vorstellung spiele, versuche ich jedes Mal aufs Neue, kleine Nuancen im Text anders zu erspielen und die Gedanken auf unterschiedlichem Wege zu greifen. Die Tatsache, dass ich bereits so viele Vorstellungen gespielt habe, gibt mir die Freiheit, dabei spielerisch etwas zu wagen, ohne genau zu wissen, wohin es mich an diesem Abend treibt. Ich kann mich darauf verlassen wieder auf Spur zu kommen, wenn ich mal aus der Kurve fliegen sollte. Und dennoch ärgere ich mich jedes Mal, wenn mir eine Passage verrutscht. Das ist in diesen Momenten aber eher eine Frage fehlender Konzentration, als des zu hohen Risikos – das zahlt sich meist aus!
Der Regisseur Maik Priebe hat diese Inszenierung schon am Theater Magdeburg mit Dir erarbeitet. Was hat sich für Dich von der Spielstätte in Magdeburg im Vergleich zur Alten Feuerwache in Saarbrücken verändert?
Ich habe das Stück in Magdeburg in drei recht verschiedenen Spielstätten gespielt, auf einigen Gastspielen und hier in Saarbrücken, neben der Feuerwache und der sparte4 auch schon einmal auf der Vorbühne im Staatstheater. Der Abend hat sich immer gut anpassen können. Ursprünglich wurde er für ein Foyer konzipiert und war mit ungefähr 60 Plätzen auf einer kleinen Tribüne eine ziemlich intime Angelegenheit. Das ändert sich natürlich, wenn der Saal größer wird. Und dennoch habe ich das Gefühl, dass sich auch die kleinen, schwebenden Momente in einem großen Raum gut einlösen, vor allem, weil sich zum Ende hin die formalen Mittel der Inszenierung so auf die Sprache und die Emotion fokussieren.
Du kannst die Vorstellung »Die Leiden des jungen Werther« auch in Englischer Sprache spielen. Wie kam es dazu?
Grund dafür ist ein Gastspiel in der Ukraine gewesen. Das war 2015. Ich spreche weder Ukrainisch, noch Russisch, aber wir wollten den Abend möglichst vielen Zuschauern zugänglich machen. Ich habe dann vorgeschlagen, es auf Englisch zu spielen. Ich hatte das Stück zu diesem Zeitpunkt schon oft auf Deutsch gespielt und fühlte mich allgemein im Englischen recht sicher, weil ich mal Austauschschüler in England war (die Hybris eines jungen Schauspielers). Der Werther ist natürlich auch ins Englische übersetzt und die Textfassung ließ sich leicht übertragen. Wir mussten die Textstellen ja nur in der Übersetzung wiederfinden. Für das eine oder andere Extempore, das nicht von Goethe stammt, habe ich selbst nach Entsprechungen gesucht. Das Auswendiglernen mit Unterstützung von Muttersprachlern war dann eine Fleißarbeit. Bei einem zweiten Gastspiel in der Ukraine, diesmal in Saporischschja, habe ich aber auf Deutsch gespielt, wieder mit Ukrainischen bzw. Russischen Übertiteln. Ich würde mich sehr freuen, wieder dort spielen zu können.
Der Regisseur Maik Priebe, der mittlerweile Schauspieldirektor in Neustrelitz und Neubrandenburg ist, hat Dich mit dieser Produktion eingeladen. Wie ist es für Dich mit dieser Arbeit auf Gastspiel-Reise zu gehen?
Ein Gastspiel ist immer eine besondere Sache. Die Gegebenheiten sind einem fremd und es gibt wahrscheinlich ein paar Unwägbarkeiten auszuräumen, meist in sehr begrenzter Zeit. Das ist eine schöne Herausforderung. Außerdem kennen einen die Zuschauer nicht. Ich bin ja nun schon eine ganze Weile hier und wer, wie viele unserer Zuschauer*innen, regelmäßig kommt, wird kaum an meiner Nase vorbeigekommen sein. Es gibt hier für mich eine gewisse Aura des Vertrauten, wenn ich das mal etwas schwammig formulieren darf. Aber der vollkommen unvoreingenommene Publikumsblick, der mich beim nächsten Gastspiel erwarten wird, hat auch einen großen Reiz. Außerdem freue ich mich, dass Maik Priebe mich an seine neue Wirkungsstätte eingeladen hat, denn ich fühle mich ihm, heute wie damals, freundschaftlich verbunden.
Die Fragen stellte Horst Busch, Chefdramaturg