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Theaterblog

Eine Oper zwischen Erinnern und Vergessen

Jacques Offenbach und sein Librettist Jules Barbier basierten »Les contes d’Hoffmann« auf mehreren Erzählungen des extravaganten deutschen Romantikers E. T. A. Hoffmann, Autor von Phantastik und Schauer-Literatur. In der Oper tritt der Autor Hoffmann selbst als Protagonist auf. Es ist eine Geschichte über das Geschichtenerzählen – eine metatextuelle Form, in der die Geschichte einen kritischen Kommentar zu sich selbst abgibt.

Während Hoffmann sich an seine vergangene Liebesbeziehung mit Stella erinnert, fragt er sich nach den möglichen Gründen, warum diese Romanze zu Ende ging. Seine Erinnerungen sind widersprüchlich – weniger von Fakten und Ereignissen bestimmt, sondern eher ein Strudel von Assoziationen und Eindrücken. Durch das Erzählen versucht Hoffmann, dem emotionalen Chaos in seinem Herzen und Verstand einen Sinn zu geben – ähnlich wie bei einer Psychotherapie.

Szenenfoto Hoffmanns Erzählungen @ GöteborgsOperan/Lennart Sjöberg

Offenbachs Oper funktioniert wie ein Kaleidoskop. Elemente aus den Erzählungen Hoffmanns reflektieren sich gegenseitig wie in einem Spiegel. Dieses Prinzip gilt sowohl für den Text als auch für die wiederkehrenden musikalischen Muster der Komposition.

Jede Spiegelung offenbart einen weiteren Aspekt derselben Erinnerung – die von Hoffmanns Beziehung zu Stella. Stella ist Olympia ist Antonia ist Giulietta ist eine Frau und drei Frauen zugleich. Es war Offenbachs Wunsch, dass alle diese Rollen von einer Sopranistin gesungen werden. Tatsächlich offenbart jede Seite von Stella jedoch eine andere Wahrheit über Hoffmann selbst.

In seinen Erinnerungen begegnet Hoffmann sich selbst als junger idealistischer Mann in der Geschichte von Olympia, dann als männlicher Schriftsteller, der sich durch das künstlerische Talent seiner der Sängerin Antonia bedroht fühlt, und als desillusionierter Mann neben der gefährlich verführerischen Giulietta.

Szenenfotos Hoffmanns Erzählungen | Foto: GöteborgsOperan/Lennart Sjöberg

Hoffmanns Erzählkunst ist ein kreativer Prozess, um seine Persönlichkeit zu enthüllen. Wir begegnen drei verschiedenen Hoffmanns – drei Überlagerungen, die Hoffmann zum Geschichtenerzähler machen. Jeder Akt hat eine ähnliche Grundstruktur, die von Märchen inspiriert ist – es gibt eine Prinzessin (Stella, Olympia, Antonia, Giulietta), einen Torwächter (Lindorf, Coppélius, Dr. Miracle, Dapertutto) und einen Prinzen auf seiner Mission, die Prinzessin zu retten (Hoffmann).

Hoffmann wandelt durch die Landschaft seiner Erinnerungen wie durch ein Filmset seines Lebens. Es ist keine lineare Erzählung, sondern eine endlose Spirale, der er folgt. Seine Erinnerungen sind von Nostalgie, Bedauern und Hoffnungen geprägt.

Die Perspektive auf die Geschichte ist keine objektive, sondern ganz subjektiv durch den Impuls der Erinnerung gefärbt. In diesem Prozess versucht Hoffmann, sich von seiner obsessiven Liebe zu Stella zu befreien. Seine Befreiung besteht darin, seine Obsession zu erkennen und ihr eine Form zu geben – die der Geschichten, die er erzählt.