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Theaterblog

»Gute unbekannte Musik kann nur bereichernd sein.«

Das erste Kammerkonzert der diesjährigen Spielzeit am 2. Oktober im Rathausfestsaal war gleich in zweifacher Hinsicht etwas Besonderes: Zunächst war das Max-Bruch-Trio, bestehend aus Jörg Lieser, Marlene Simmendinger und Grigor Asmaryan, zu Gast, welches mit einer eher außergewöhnlichen Besetzung aus Klavier, Klarinette und Fagott hervorsticht. Zudem enthielt das Programm Werke von gleich zwei unbekannten Komponisten: Robert Kahn (1865 – 1951) sowie dessen Schüler Günter Raphael (1903 – 1960).

Was die beiden Komponisten vereint, ist nicht nur ihre mangelnde Bekanntheit selbst unter Musikliebhabern, sondern auch ihre jüdische Herkunft und ein von Antisemitismus und Emigration im Nationalsozialismus geprägter geschichtlicher Hintergrund. Von Günter Raphael waren gleich zwei Werke Teil des Abends: das Trio op. 70, eigentlich für Klavier, Klarinette und Cello, und die »Entensonatine«. Von Raphaels Lehrmeister Kahn bildete das Trio in g-Moll op. 45 Teil des Programms.

Günter Raphael                Foto: Ernst Hoenisch

Im Interview mit dem Klarinettisten Jörg Lieser, erzählt dieser von seiner Leidenschaft für gute Musik, vom Aufstöbern von Noten und seinem Wunsch danach, der Welt Zugang zu großartigen Stücken zu gewähren, die nie die verdiente Aufmerksamkeit erlangen konnten.

Jörg Lieser            Foto: Astrid Karger

Lenke Nagy: Wie sind Sie und das Max-Bruch-Trio auf die beiden jüdischen Komponisten gestoßen und was fasziniert Sie an ihren Kompositionen?

Jörg Lieser: Das Kahn-Trio kannte ich schon seit längerem vom Hören in der originalen Besetzung mit Cello und wollte es immer mal spielen.

Die Werke für Klarinette von Günter Raphael sind auf einer CD sehr gelungen und schön eingespielt von Dirk Schultheis.

Ich habe dann die Stücke dem Trio vorgeschlagen.

LN: Und wie kam Ihnen die Idee, diese Werke miteinander zu kombinieren? Schließlich ist es auch ein gewisses Wagnis, dem Publikum gleich zwei unbekannte Komponisten vorzustellen.

JL: Unser Trio existiert ja schon eine ganze Weile und ist auch keine gewöhnliche Instrumentenkombination. Das heißt, irgendwann hat man die bekanntesten Stücke, die in dieser Zusammenstellung möglich sind, alle schon mal gespielt. Wenn man dann – wie wir – dennoch gerne zusammen weitermusizieren möchte, dann muss man auf die Suche gehen nach ungewöhnlicheren Werken, die einen begeistern.

Bei Raphael ist es auch die Rhythmik, die mich – manchmal ostinatohaft oder jazzig – einfach mitnimmt und die Tonalität, die etwas an Hindemith erinnert, der auch, obwohl namhafter, zu selten gespielt wird.

Als ich dann bei weiteren Recherchen auch noch erkannte, dass es sich um Lehrer und Schüler (Kahn/Raphael) handelte, war klar, dass ich die beiden Trios gerne kombinieren wollte.

Robert Kahn                    Foto: Steffen Fahl

LN: Stimmt es, dass es die Noten von Raphaels Trio gar nicht mehr zu kaufen gibt? Wo liegt Ihrer Meinung nach der Grund dafür und wie konnten Sie an das Notenmaterial gelangen?

JL: Ich habe mehrere Notenhändler kontaktiert. Keiner hatte mehr ein Exemplar und es kam immer die Nachricht: Es wird vom Verlag nicht mehr gedruckt.

Das kann für mich nur ein wirtschaftlicher Grund sein. Das Stück ist zu unbekannt, es wird also nicht nachgefragt und nach der künstlerischen Ausgrenzung im Nationalsozialismus noch ein zweites Mal vergessen!

Ich habe daraufhin den Kollegen Schultheis kontaktiert und er besorgte mir umgehend die PDF-Dateien aus dem WDR-Archiv. Die Noten wurden dort eingescannt im Zuge der CD-Aufnahme. Er ist Klarinettist im WRD Funkhausorchester.

LN: Würden Sie sich wünschen, dass bei musisch-kulturellen Veranstaltungen mehr Augenmerk auf die Wahl von Werken unbekannter Komponisten gelegt wird?

JL: Ich bin tatsächlich immer auf der Suche nach Literatur abseits der Standardwerke, für mich selber, aber auch insbesondere für meine unterrichtende Tätigkeit.

Gute unbekannte Musik kann nur bereichernd sein und muss gewagt werden.

LN: Haben Sie einen persönlichen Bezug zum Thema Judentum und Antisemitismus?

JL: Nein. Ich fand zunächst einfach nur die Musik gut und spielenswert. Erst danach lernte ich die persönlichen Umstände der Komponisten kennen.

LN: Wie war das Feedback auf Ihre Zusammenstellung des Programms?

JL: Sehr gut! Das ist ja das Schöne bei den Kammerkonzerten, dass man sein Programm selbst zusammenstellen kann. Ich achte dann immer auf einen roten Faden, in diesem Fall eben durch die Lehrer-Schüler-Beziehung und das Judentum. Diesmal war das Publikum besonders begeistert und hat sich gefreut, neue Werke kennenzulernen. Meine Frau, die fast jedes meiner Programme gehört hat, fand dieses bisher am gelungensten. Jörg Lieser lacht.  Das wir uns da als Trio so steigern konnten, ist natürlich toll zu hören.

LN: Vielen Dank für das Gespräch!

Der verdiente Schlussapplaus                                      Foto:©Astrid Karger