Kategorien
Der Dramaturgieschreibtisch Theaterblog

DER GROSSKOMPLEX MUTTERSCHAFT UND FRAUSEIN

Von nicht auslebbaren Zuschreibungen und echten Wünschen

Zumindest die Beschäftigung mit Mutterschaft sollte eine respektvolle öffentliche sein, die ein kollektives Bewusstsein über den sensiblen Umgang mit dem Großkomplex „Frau und Reproduktion“ schafft. Dass dies nicht der Fall ist, weiß jede Frau. Reproduktion, weibliche Lust, Rollenerwartungen, ökonomische Realität, Biologie – erschlagend dröhnen die Diskurse, folgen Zuschreibungen, nicht selten einhergehend mit Ausgrenzungen und resultierender Überforderung diesen Anforderungen „Frau sein zu müssen“. Hier durchzublicken, zu schauen, was den Komplex Frausein & Mutterschaft ausmacht und welche neuen Betrachtungen möglich sind, das wär’s. Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb spricht mit der Leiterin des Jungen Staatstheaters Luca Pauer, die dazu – innerhalb des Inszenierungsprojekts OH, MAMA! von Regisseurin Rebekka David – mit dem Bürger*innenensemble, dem Ensemble4, arbeitet.

Ein Kind reift in einer einzelnen Gebärmutter heran, aber in der gesellschaftlichen Realität gibt es seit jeher eine Übereinkunft, dass dieser individuelle Fakt eigentlich kollektiv behandelt wird und damit rechtmäßiger Gegenstand politischer Verhandlungen ist. Die äußeren Erwartungen einer Gesellschaft von den inneren, persönlichen Einstellungen der Mutter oder Eltern getrennt zu betrachten, ist in dieser wechselseitigen, sich bedingenden Dynamik unmöglich.

So oder so ähnlich sagt es Gaia in Rebekka Davids Rechercheprojekt und die Figur Aphrodite folgt mit folgender Aussage: „ich wollte, wollte wirklich, aber hätte nicht mit Klarheit sagen können, wie freiwillig ich wollte.“ Um dieses Ausloten der verschiedenen Positionen „der“ Frau in Bezug auf Mutterschaft (auch Nicht-Mutterschaft, auch Weder-Noch-Kategorisierung) geht es in der Arbeit OH, MAMA!.

Die Arbeitsweise von David ist eine unterhaltsame Mischung aus dokumentarischer Recherche im Öffentlichen wie Privaten, gepaart mit einer fiktionalen Ebene ihrer Figuren – in diesem Fall mit diversen Göttinnen der Antike. Mit dabei nebst dem Schauspielensemble aus Verena Bukal, Silvio Kretschmer, Johanna Lemke und Hannah Schutsch ist das Bürger*innenensemble Ensemble4 um Leiterin Luca Pauer. Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb befragt sie zu ihrer Motivation und ihrem Angang und wie die vertretenen Saarländerinnen über das Thema reden.

Du bist quasi die Initiatorin der Projektidee: was hat dich wann schon dazu bewegt dieses Thema theatral bearbeiten zu wollen?

Diese Frage bringt mich jetzt in einen Zwiespalt. Natürlich war es wahrscheinlich meine eigene Mutterschaft, die mir das Thema der Vereinbarkeit mit Kunst förmlich auf die Nase gebunden hat. Daneben gibt es aber auch ganz viele Bewegungen in der „Szene“, die spannend für mich waren in Bezug auf meine berufliche Aufgabe, Themen aus der Gesellschaft auf die Bühne zu bringen. Die Initiative „Mehr Mütter für die Kunst“ wurde 2018 ins Leben gerufen, es folgte die Gründung der „Bühnenmütter“. Es wurden Fragen gestellt: Fragen, die auch Kunstinstitutionen in die Pflicht nehmen Menschen mit Kindern zu fördern.

Sind die Forderungen auch über die Kunstinstitutionen hinaus auf andere Bereiche der Gesellschaft übertragbar?

Absolut. Nehmen wir nur als Beispiel dieses Zitat aus dem Manifest „Mehr Mütter für die Kunst“, das mich auch heute noch beschäftigt – „Kunst-“ ließen sich hier auch durchaus ersetzen:

„WOLLEN WIR IN EINER GESELLSCHAFT LEBEN, DIE FRAUEN IN DER KUNSTPRODUKTION IHRER MUTTERSCHAFT WEGEN DISQUALIFIZIERT?

WOLLEN WIR AUF DIE KÜNSTLERISCHEN ERZEUGNISSE JENER FRAUEN, DIE SICH DURCH IHRE MUTTERSCHAFT EIN WEITERES ERFAHRUNGSFELD ZUGÄNGLICH GEMACHT HABEN, VERZICHTEN?

IST DIE KUNSTWELT HEUTE NACH WIE VOR DERART MÄNNLICH DOMINERT? AKZEPTIEREN WIR DAS?

UND: WIE KÖNNTEN DIE FORDERUNGEN DER BETRACHTER*INNEN AN DIE SELEKTIONSMECHANISMEN INNERHALB DES KUNSTBETRIEBS LAUTEN?“

(www.mehrmütterfürdiekunst.net)

                                                                                                                

Wo stehen wir deiner Meinung nach heute?

Ich habe keine Ahnung… Es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun und der Redebedarf innerhalb der Produktion ist immens. Vielleicht machen wir mit unserer Arbeit zumindest einen Schritt in Richtung einer größeren Sichtbarkeit des Themas.

Wie wird das Ensemble4 diese Arbeit begleiten?

Normalerweise arbeitet das Ensemble4 mit mir auf der Bühne. Wenn sie nicht gerade als Bürger*innenchor im Schauspiel eingesetzt werden, erarbeiten wir eigene Stücke in der sparte4 oder Alten Feuerwache. Diesmal ist es etwas anders. Auf der Bühne stehen professionelle Spieler*innen, die mit Rebekka David zusammen ein Stück erarbeiten. Die Texte schreibt Rebekka David und extrahiert dafür feministische Literatur und Interviews mit Müttern, Nicht-Mütter und jenen, die Weder-noch sein wollen. Und hier komme ich ins Spiel. Die Perspektive auf dieses Thema in der Saarbrücker Stadtgesellschaft zu suchen und aufzuzeichnen ist meine Aufgabe. Ich suche Initiativen, die bereits engagiert sind auf diesem Gebiet. Ich suche Menschen, die möglichst unterschiedliche Standpunkte aufweisen: Mütter, die zuhause bleiben, die voll arbeiten; Eltern, die ein Kind adoptiert haben; queere Frauen, die ihre Familie gezielt planen müssen; Familien in gewollter und nicht-gewollter Kinderlosigkeit, usw.

Ich zeichne Videos mit ihnen auf und versuche während des Probenprozesses immer wieder mit ihnen ins Gespräch zu kommen über den aktuellen Stand. Das Produkt des Ensemble4 wäre auch eine Aufzeichnung aller Forderungen der Beteiligten, aller Perspektiven auf das Thema. So könnte es einen Ausblick geben auf das, was werden könnte. Hier, vor Ort. Und auch in Deutschland.

Gibt es schon eine bestimmte Richtung, eine Tendenz in den Aussagen, eine Beobachtung aus dem Ensemble4 heraus, die du teilen magst?

Dieses Thema interessiert alle auf eine sehr emotionale Art. Wenn man nicht über die eigene Mutterschaft spricht, dann kommt man ganz schnell ins Reflektieren über „die gute Mutter“ und wie die Beziehung zur eigenen Mutter war. Es geht jeden an und früher oder später hat man damit sehr persönlich zu tun. Vor allem als Frau sieht man sich mit dieser Entscheidung konfrontiert, da die Möglichkeit Kinder zu bekommen zeitlich begrenzt ist. Ich habe selten so viele wirklich intime Gespräche mit Unbekannten geführt. Man ist sofort in Verbindung und manchmal habe ich auch das Gefühl, dass endlich die Dämme brechen, dass die meisten darauf gewartet haben, endlich mal reden zu dürfen, endlich tiefe Zusammenhänge herzustellen. Das ist wunderbar. Ich bin sehr dankbar, dass ich in diesem Moment die Zuhörerin sein darf. Das ist auch etwas, das ich an Rebekka David so wahnsinnig beeindruckend finde: Sie lässt im Prozess diesen Raum der persönlichen Befindlichkeit und setzt es genial in einen theatralen Kontext um. Dass Rebekka David auch das Thema Mutterschaft in der Schublade hatte, war ein riesen Glück für mich. Jetzt gilt es, sich Forderungen zu erspielen, mit theatralen Mitteln, durch das Ensemble4; Forderungen, die Frauen in der Gesellschaft ein erweiteres Weiblichkeits-Spektrum und weniger Zuschreibung ermöglichen.

Wer sich aus dem Saarland angesprochen fühlt, sich dem Projekt anzuschließen, sei herzlich eingeladen sich zu melden – Luca Pauer, l.pauer@staatstheater.saarland.

OH, MAMA!

Manchmal sitze ich zuhause und google meine Kinder

Schauspiel von Rebekka David und Ensemble / In Zusammenarbeit mit dem Ensemble4Ab dem 21. Januar 2023 in der sparte4, www.sparte4.de

Kategorien
Der Dramaturgieschreibtisch

Botschaften, die auf der Straße liegen II.

Zum Nicht-Frauentag am 17. März 2021
(auch noch übermorgen gültig)

Heute ist kein Frauentag und morgen auch nicht. Und auch gestern war er es nicht. Er wird wiederkehren, sicher, nur Geduld. Aber, tja, ich habe ihn schlichtweg verpasst. Ein Tag im internationalen Kalendarium, der einfach zu schnell vorbeigeht. Unsere Geschlechtlichkeit hingegen bleibt 365 Tage im Jahr unsere Identität. Also, meistens ist sie folglich da. Manchmal für die Anderen sichtbarer als für eine selbst. Und bestimmender, determinierender als eine meint.

Ich hatte ein längeres Gespräch mit einem Mann neulich. Er steht mir nah und so war ich doppelt verwundert über eine fehlende Erfahrung in seinem Leben: nämlich, dass die Einschätzung und Behandlung durch Andere, zumal wenn sexualisiert, das eigene Handeln zuweilen lähmt oder zumindest nicht unbeeinflusst lässt. Ist es, weil er als Mann anders sozialisiert ist? Oder weil er ein anderer Mensch ist? Sind meine internationalen Freundinnen und ich denn gleich?

Dies schreibe ich, ohne aktuell unter Umständen zu leiden – es ist kein Lamento. Und auch keine Anklage. Eher ein Bericht vom empathischen Perspektivenplausch am Küchentisch. Und ein Plädoyer für gegenseitige Sensibilisierung. Feministisch Frau oder Mann zu sein – proaktiv Projektionen aufklärend, im vollen Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten und diese qua Selbstermächtigung auslebend – es verlangt vielen Frauen und Männern aller Altersklassen tagtäglich viel Kraft und Fokus ab. Irgendwie ist heute doch Frauentag. Und morgen auch. Ein Wort zum 8. März – ohne Schlussgedanken.

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin