Mit »Aida« inszenierst du deine erste Oper von Verdi. Wie hast du dich Stoff und Werk genähert?
Schon bevor »Aida« konkret auf meinem Schreibtisch lag, hat mich das Stück sehr interessiert. Zum einen durch meine persönliche Verbindung zu Ägypten, wo ich bereits zwei Mal inszeniert habe. Zunächst haben mich, sehr die Beziehungen Ägyptens mit Europa beschäftigt. Zum anderen wird auf inhaltlicher Ebene ein Konflikt zweier Staaten verhandelt, ein mächtiges Imperium gegen eine kleinere Nation. Das hat gegenwärtig eine ziemliche Brisanz.
Wie inszenierst du diesen Konflikt?
Der Krieg zwischen den zwei Staaten ist die Basis, auf der die Liebesgeschichte zwischen Aida und Radamès erst erzählt werden kann. Was macht diese Liebe unmöglich? Der Kriegszustand besteht schon, bevor die Handlung einsetzt. Wenn man im Text der Ursache des Krieges auf die Spur kommen will, stößt man immer auf den Nil: der heilige Nil, die Nilufer, die Verteidigung des Nils. Es geht vermutlich nicht einmal mehr um Territorien, aber um die Hoheit am Wasser. Ich lese das als eine notwendige Verteidigung des Flusses als der Lebensader eines Landes, das zum Großteil aus Wüste besteht. Dass mit der Bedrohung des Flusses die Existenz auf dem Spiel steht, das schien mir wahnsinnig relevant. Konflikte um den Nil haben sich bis heute massiv zugespitzt und werden sich auch in Zukunft möglicherweise verschärfen, jüngst durch den Bau des GERD-Staudamms in Äthiopien. Wasser ist eine existenzielle Ressource. Wie viel Wasser braucht ein rasant wachsendes Land, um die Bevölkerung zu ernähren, Landwirtschaft und Industrie zu betreiben und Elektrizität zu erzeugen? Einerseits hat in Kairo jetzt schon jeder Haushalt mehrere Stunden täglich keinen Strom zur Verfügung. Andererseits baut Ägypten mitten in der Wüste eine neue Hauptstadt, die komplett auf künstliche Bewässerung angewiesen ist, ein immens teures Projekt für eine Elite.
Ein absurdes Unternehmen. Ohne Wasser würde das System kollabieren.
Wenn der Nil kein Wasser mehr führt, dann wird ein Leben in Ägypten kaum noch möglich sein. Das wäre ein dystopisches, vor-apokalyptisches Szenario. In unserer unmittelbaren Gegenwart, in der wir uns mit Kriegen auseinandersetzen müssen, sind diese Fragen alles andere als abstrakt: Darf ich mich militärisch verteidigen, wenn meine Lebensader bedroht ist, wenn ich angegriffen werde? Ist es legitim, dass Amonasro in Ägypten einfällt, um seine Tochter und die äthiopischen Sklaven zu befreien? Krieg abzulehnen ist richtig, aber leider ist die Situation 2024 komplexer. Gäbe es das Recht auf Verteidigung, wenn das Wasser abgedreht wird? Wem das Wasser eines Flusses gehört, lässt sich nicht eindeutig beantworten.
In der Oper wird immer wieder der heilige Boden, das Vaterland besungen. Wie gehst du mit dem Patriotismus und Nationalismus um?
Krieg funktioniert vor allem in der Abgrenzung einer Gruppe gegen eine andere. Patriotismus und Nationalgefühl verstärken diese Abgrenzung und suggerieren Zugehörigkeit, ein absurdes Phänomen. Jede Nation setzt seine eigene Narration dafür auf. Und dabei sind die wirklichen Kriegsgründe oft gar nicht mehr klar nachvollziehbar. Und wie so ein »Apparat« im Kriegszustand anspringt, das versuche ich im »Guerra«-Bild im ersten Akt darzustellen: Dinge werden vernichtet, auf der Landkarte wird mal eben eine Grenze neu gezogen. Der Bote stirbt kurz nach seiner Ankunft und kann nicht mehr befragt werden. Die Informationen, die uns Verdi und sein Librettist Ghislanzoni geben, sind vage. Wir wissen weder, wer angefangen hat, noch wie lange der Krieg schon andauert, noch ob der Botenbericht stimmt. Es ist undurchschaubar. Und diese Ambivalenz verbindet sich sehr gut mit unserer Gegenwart, in der andere Berichterstattungen, Verkürzungen, kulturelle Prägungen schnell zu anderen vermeintlichen Wahrheiten führen.
Was für eine Gesellschaft zeigst du?
Wir haben uns bewusst dafür entschieden, fast alles Militärische auszuklammern, weil es mir vielmehr darum geht, zu zeigen, wie sich eine Bevölkerung dazu verhält, wie ein Volk seinen Sieg feiert. Und wie sich eine Notsituation durch plötzlichen Wohlstand für die unterschiedlichen sozialen Gruppen verändert. Und davon erzähle ich anhand der Verfügbarkeit bzw. Nicht-Verfügbarkeit von Wasser. Eigentlich sind alle Protagonist*innen zerrissen zwischen Herrschen und Privatinteressen, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und ihrem persönlichen Begehren. Und in dieser Ambivalenz kann man ihr Verhalten auch nachvollziehen. Ich kann Amonasro verstehen, der seine Tochter aus der Gefangenschaft befreien will, sie aber auch an ihre Verantwortung für ihr Land erinnert. Natürlich instrumentalisiert er sie, aber sie ist eben nicht nur Privatperson, sondern muss auch ihrer Aufgabe als Königstochter gerecht werden.
Bleibt in dieser Situation Raum für Intimität?
Eigentlich recht wenig. Das ist hochspannend bei Verdi. Die Trompeten sind ja fast »Leitmotiv« bzw. Signal dafür, wie sehr die Figuren in Machtstrukturen verstrickt sind. Mindestens drei Mal stören sie das intime Gespräch: Im Terzett im 1. Akt, bevor Aida, Amneris und Radamès dazu kommen, die Situation aufzudecken, dann im 2. Akt, als Amneris herausgefunden hat, dass Aida die Rivalin ist, aber bevor sie den Konflikt austragen können, kündigen die Fanfaren die Triumphfeier an. Als Aida nur noch im Tod einen Ausweg sieht, bricht der Triumphmarsch über sie herein. Und hier schafft Verdi einen Moment des maximalen Kontrastes, wenn das zarte, extrem auf die Sopranstimme fokussierte Gebet von dem Lärmen der Siegesfeier überrollt wird.
Gerade der Kontrast zwischen dem Monumentalen und dem Intimen, großer Oper und Kammerspiel bestimmt »Aida«. Wie verbindet sich das mit der Geschichte des Wassers?
Die Triumphfeier ist eine Parallelsituation, in der sich das Private und das Politische treffen. Amneris benutzt dieses Fest, um ihren eigenen, privaten Triumph über Aida auszuspielen. Das Wasser ist zurückerobert, die Sklavin muss im Staube sitzen. Der Kampf um die Ressource Wasser findet eben auch in einem großen staatlichen Rahmen statt genauso wie in einem privaten. Wie viel steht dem Einzelnen zu? Warum darf Amneris Trinkwasser für ihr Badevergnügen verschwenden, während andere mit einer unzureichenden Menge an verdrecktem Wasser auskommen müssen? Die politische Erzählung zieht sich immer ins Private. Was den Konflikt zwischen zwei Staaten ausmacht, findet sich letztendlich auch zwischen zwei Menschen wieder. Amonasro sagt den entscheidenden Satz: »Heute sind wir die Leidtragenden, aber morgen könnte es euch treffen.« Und das ist eine kollektive Warnung.
Welche ästhetische Setzung findest du für diese Welt?
Wir zeigen ja weder das alte, noch das unmittelbar gegenwärtige Ägypten, sondern vielmehr eine fiktive, dystopische Welt, in der heutige Krisen zugespitzt und Kriege um Wasser Realität geworden sind. Eine Vorahnung vielleicht, wie es in einigen Jahren auch in Europa aussehen könnte: Hitzewellen, Dürren, ausgetrocknete Flussbette, Mangel. In Bühne und Kostüm verbinden verschiedene Ideen, Epochen, auch reale, historische Momente, wie die 2500-Jahr-Feier des Schahs von Persien, einem Höhepunkt der Dekadenz, die teuerste Party der Welt inmitten der Wüste. Der Klimawandel und unser Umgang mit Ressourcen sind wahrscheinlich Kern der ganzen Inszenierung. Wasser ist so wertvoll und knapp geworden, weil die Menschheit in den letzten hundert Jahren so massiv in den Kreislauf der Natur eingegriffen hat und immer weiter eingreift. Und die Konsequenzen der aus dem Gleichgewicht gebrachten Natur sehen wir gerade überall – in Indien, in Ägypten oder auch an der Saar.