Fritz (*1938) und Peter (*1942) Rüdell sind Teil der Geschichte des Saarländischen Staatstheaters.
Als Peter Rüdell den Blog Beitrag »Blättern in historischen Fotografien« las, nahm er Kontakt zur Autorin Simone Kranz auf, denn auch er und sein Bruder Fritz besitzen eine große Anzahl von historischen Fotografien und Dokumenten, die das Staatstheater betreffen.
Ihr Vater Otto Rüdell war von 1938-72 (mit Unterbrechung) Hausmeister am Saarländischen Staatstheater und bewohnte mit seiner Familie die ehemaligen Hausmeisterwohnung im Souterrain des Theaters. FSJlerin Lara Sofie Happ und Simone Kranz sprachen mit den beiden Brüdern, die im Theater aufwuchsen.
Sie lebten im Keller des Theaters?
F. Rüdell: In den Bauvorschriften der Zeit stand, dass die Wohnung des Hausmeisters nicht höher als im Erdgeschoss liegen durfte. Platz wäre ja da gewesen. Unsere Mutter hätte sich immer gewünscht, besser zu wohnen.
P. Rüdell: Wir hatten diesen Lichtgraben, wie er heute immer noch existiert. Da waren dann die Ratten drin und wir hatten einige Male Hochwasser in der Wohnung. 1955 standen wir acht Stunden lang da und haben das Wasser mit Putzlumpen aufgesogen, in einen Eimer gedreht, rausgetragen, in den nächsten Gully geschüttet, aber das Wasser hat sich immer wieder durch den Fußboden gedrückt. Das erste große Hochwasser war 1947. Es wurde auch von Treibgut ausgelöst, das sich an der Alten Brücke ansammelte und nicht beseitigt werden konnte. Da gibt es übrigens auch noch Hochwasserbilder. Unser Vater hat viel gesammelt und fotografiert, auch wenn das damals verboten war. Kriegsschäden durfte man als Privatperson nicht fotografieren. Er hat sie trotzdem aufgenommen. Da gibt es die privaten Bilder meines Vaters und die offiziellen Bilder, die aus Berlin veranlasst wurden.
F. Rüdell: Wenn von Kriegsschäden die Rede ist, muss man zwei Dinge unterscheiden. Der erste große Angriff war ja schon 1942. Und dann kam der Angriff vom 5. Oktober 1944, als das Theater zu großen Teilen in Schutt und Asche gelegt wurde. Unser Vater war damals beim Militär, aber wir anderen saßen sozusagen unter der Pförtnerloge, in einem kleinen Raum, genannt das Papierkämmerchen, und haben dort ausgeharrt. Anschließend stellte sich heraus, dass eine Tür weiter, auch im Kellergeschoss, eine 12 Zentner Bombe lag, ein Blindgänger, der nicht losgegangen war. Davon gibt es auch ein Foto von der Bergung, sehr unscharf, ein garantiert verbotenes Bild. An der Saarseite, in der Mauer zur Saar, gab es einen Bunker, eigentlich nur ein Splitterschutz, in dem wir mit unserer Mutter und Mitarbeitern des Theaters bei Luftangriffen oft Schutz gesucht haben. Die Männer haben auf einer »Luftangriffskarte« Skat gespielt und ein Sender hat gemeldet, in welchem Planquadrat schon feindliche Flieger sind. Irgendwann ist nach dem Krieg dieses Ding beseitigt worden.
Haben Sie viel von den politischen Einflüssen am Theater mitbekommen?
F. Rüdell: Nein, wir waren ja noch Kinder. Aber wir haben sowohl von unseren Eltern als auch von unserer älteren Schwester viele Dinge gehört. Dazu muss man sagen, es war wohl an jedem anderen Theater auch so, dass die NSDAP die Kultur vereinnahmt hat.
P. Rüdell: Wo ihr gerade das Skatspielen angesprochen habt: Die Schauspielerin Brigitte Dryander war gebürtige Saarbrückerin und eine Skatspielerin, wie man sie selten antrifft. Sie saß in der Kantine zwischen ihren Auftritten, und hat mit jedem, Bühnenmeister, Tontechniker, egal wer es war, »Skat gekloppt«, wie es hier im Saarland heißt. Und wenn dann der Durchruf vom Inspizienten kam: »Frau Dryander zum Auftritt«, dann hat sie schnell ihre Karte auf den Tisch geknallt und ist auf die Bühne gegangen. Sie soll das einmal mit »Ich muss rauf, ich muss mich umbringen lassen«, kommentiert haben.
F. Rüdell: Oder ein anderer Satz von ihr war: »Wenn ich tot bin, komme ich wieder«. Und nach ihrem Auftritt ist sie wieder in die Kantine gekommen, hat haargenau an der gleichen Stelle ihre Karten aufgenommen und weitergespielt.
P. Rüdell: Wir haben oft Statisterie gemacht, und so vieles mitbekommen, was das Publikum nicht mitkriegt. Z.B. bei Schillers »Räubern« stürzen in einer Szene die Räuber in den Raum, wo sich Franz Moor mittels einer Gardinenschnur umgebracht hat, und da kommt der Satz von Karl Moor: »Wer von euch hat mich hierhergelockt?« Und da sagt der für seine Sprüche berühmte Günther Stutz (eigentlich Sprecher am Saarländischen Rundfunk und als Gast einer der Räuber) zu seinem Nachbarn: »Wescht du, wer das war?«
P. Rüdell: Die Bühne war für uns Alltag. Wenn bei einer Inszenierung Kinder oder Jugendliche gebraucht wurden, haben sie immer uns gefragt. Einmal wurde in der Saarbrücker Zeitung, bei der Besprechung von »Land in Sicht« (1953), die »herausragende Leistung des kleinen Peter Rüdell, der sich mit Lebendigkeit und Sicherheit auf der Bühne bewegt«, hervorgehoben. Wobei das ja für uns im Prinzip keine Leistung war, die Bühne war ja Teil unserer Wohnung. Wir haben uns auf der Bühne bewegt, wie hinter der Bühne, das war für uns einfach nichts Besonderes mehr.
F. Rüdell: Und wenn Kinderrollen gebraucht wurden, wurde nicht gecastet wie heute. Wenn es mit dem Alter gepasst hat, hieß es: »Dann nimm doch dem Rüdell seine«. Wir haben nichts gekostet, waren immer da, immer greifbar.