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Der Dramaturgieschreibtisch

War da was?

»Hoffnung«: Was wurde seitdem gesellschaftlich erreicht? Wie sieht die Welt ein Jahr später aus? Oder: Was ist aus der Hoffnung auf Einsicht und Umkehr geworden?

Ein Blick zurück oder wie flüchtig ist das Medium Theater?

Die Spielzeit 2019/2020 stand unter dem Motto »Macht Ohnmacht Ermächtigung« und in der Sparte Schauspiel haben wir sie mit der deutschen Erstaufführung »Hoffnung« nach der Trilogie »Habgier, Angst & Hoffnung« von Stijn Deville in der Alten Feuerwache eröffnet. Zehn Jugendliche von der »Fridays for Future« Bewegung formulierten innerhalb der Inszenierung von Krzysztof Minkowski mutig ihr Anliegen:

Wir sind die Zukunft.
Wir sind die Revolution
und wir fordern sofortige Veränderung.
Wenn ihr nichts mit uns bewegt,
sind wir bald alle tot.
Die Globale Erwärmung führt zum Auftauen der Permafrostböden,
polaren Eiskappen und Gletscher.
Dadurch steigt der Meeresspiegel,
was weltweit Überflutungen und Erosionen verursachen wird.
Malta, Bangladesch, Miami, London, Niederlande,
Barcelona und Venedig
werden unter Wasser verschwinden. Und dann kommen die Wetterextreme:

Dürren, Tornados, Hitzewellen, sintflutartige Regenfälle.
Die Entwicklungsländer werden brennen.
Mehrere Millionen Klimaflüchtlinge werden nach Europa fliehen.
Noch mehr werden sterben.
Tausende von Tier- und Pflanzenarten werden ausgerottet.
Wir stehen kurz vor dem point of no return.
Die Ozeane werden langsam sauer,
genau wie wir.
Warum fresst ihr so viel Fleisch?
Warum kauft ihr jede Woche ein neues T-Shirt?
Warum baut ihr alle einen neuen Plastikkontinent?
Früher war der Fisch in der Verpackung,
heute ist die Verpackung im Fisch.
Warum seid ihr euch zu bequem,
das verdammte Auto mal stehen zu lassen?
Warum trennt ihr euren scheiß Müll nicht?
Warum seid ihr so faul und ignorant?
Ihr liebt doch eure Kinder, warum zerstört ihr ihre Zukunft?
Eure Angst vor Veränderung wird uns alle zu Grunde richten.
Bald sind wir alle tot.

Weitere Informationen unter: https://fridaysforfuture.de

Aktivistin der »Fridays for Future Bewegung« Foto: Martin Kaufhold

Beim erneuten Lesen dieses selbstgeschriebenen Wutchor-Textes der Jugendlichen stelle ich mir die Frage: Was wurde seitdem gesellschaftlich erreicht? Wie sieht die Welt ein Jahr später aus? Oder: Was ist aus der Hoffnung auf Einsicht und Umkehr geworden? Wurden die politischen Ziele erreicht oder nur bequem und politisch entlastend nur weiter in die Zukunft verschoben? Und von welcher Zukunft sprechen wir überhaupt noch?

Die langwährende Klimakrise scheint von der aktuellen Corona-Krise überschattet zu werden. Im Herbst 2020 stecken wir immer noch mitten in einer Pandemie und das Coronavirus SARS-Cov-2 hat uns fest im Griff. Aber der Mehrheit einer immer noch vernunftorientierten Gesellschaft scheint es klar zu sein, dass wir achtsam mit uns und unseren Mitmenschen umgehen müssen, wenn die Ansteckungszahlen nicht weiter nach oben schnellen sollen. Wir versuchen die Abstandsregel einzuhalten und das Tragen einer Mund-und-Nasen-Bedeckung wird langsam zu einer Selbst-verständlichkeit.

Doch was ist aus der Achtsamkeit für unsere Umwelt und der Erde geworden?

Im Rahmen des Vortrages »Zauberwort Nachhaltigkeit – Erkundungen über ein komplexes Leitbild« von Ulrich Grober am 7. Oktober 2019 in der Stiftung Demokratie Saarland. Foto: Horst Busch.

Wollen wir wirklich weiter die wissenschaftlichen Fakten verdrängen und unaufhaltsam auf den »point of no return« zusteuern?

In der Vorbereitung auf das Stück »Eine kurze Chronik des künftigen China« von Pat To Yan, dessen europäische Erstaufführung am 6. November 2020 als nächstes in der Alten Feuerwache ansteht, finde ich in dem klassischen chinesischen Roman »Die Reise in den Westen« ein Gedicht aus den Lehren des Buddhas:

Kampf um Ruhm und Streit um Gunst,
Wann wird dies je enden?
Früh aufstehen, nachts erst ruhen,
Unfrei ist der Mensch!

Es träumt der Maultierreiter
Bereits vom edlen Ross,
Und wer schon Kanzler ist,
Der möchte König sein!

Allein für Kleid und Speise
Vertun sie ihre Müh’n;
Bedenken nicht, dass balde
Der Höllenfürst sie holt.

Für Söhne und für Enkel
Erstreben sie Vermögen,
Keiner aber blickt zurück,
um sich zu besinnen!

Die Beschäftigung mit Literatur, Kunst und Theater kann die Welt nicht retten, aber sie kann dazu beitragen, unser Leben zu reflektieren. Kunst und Theater können dazu beitragen, etwas gegen Verdrängung und Vergesslichkeit zu tun. Theater kann unsere Sinne schärfen. Wir können durch Kunst lernen, genauer hin, statt weg zu schauen. Theater ist und bleibt ein transitorisches Erlebnis. Doch die Nachhaltigkeit eines Theaterbesuchs liegt im Nachhall.

Oft erschließt sich dieser Echo-Raum nicht unmittelbar nach der Vorstellung oder am folgenden Tag, sondern erst wesentlich später. So kommen einem manche Erlebnisse viel später wieder ins Bewusstsein oder schleichen sich in unsern Körper. Erlebtes bleibt erlebt und kann auf lange Zeit unseren Seelenhaushalt bestimmen. Ein Blick zurück bietet die Möglichkeit einer (Wieder-) Besinnung. Wir müssen es nur zulassen.

Horst Busch,
Chefdramaturg