Die Rauhnächte am Staatstheater – Hexen in »Macbeth Underworld«.
Die sogenannten Rauhnächte sind die Nächte zwischen den Zeiten, also die Nächte vom 21. Dezember bis zum Dreikönigstag. Zeit und Raum existieren nicht. In dieser Zeit sieht man, was verheimlicht wurde, was böse und hinterhältig war und anderen geschadet hatte. Die Tore in die Unterwelt stehen in jenen Nächten offen. Aus dem Schattenreich zeigen sich unerlöste Seelen, teils blutüberströmt irren sie umher, um Erlösung zu finden. Hexen reiten durch die Nacht, sie kündigen verschlüsselte Wahrheiten an.
Man kann fast sagen, die Rauhnächte werden derzeit am Staatstheater leibhaftig zelebriert. Auf der Probebühne treiben die Weird-Sisters in Dusapins Oper »Macbeth Underworld« ihr Unwesen.
Schon bei der Übersetzung hatte ich Schwierigkeiten: »Zauberschwester«, »Unheimliche Schwestern«, »Seltsame Schwestern«, »Eigensinnige Schwestern«? Nun, es sind die Hexen aus William Shakespeares »Macbeth«, dem Drama, dessen titeltragender Name in englischen Theaterkreisen nicht ausgesprochen werden darf, weil ein rätselhafter Fluch auf dem »Schottischen Stück« lastet. Großes Unglück, Bühnenunfälle und ja, auch Pandemien sollen bei Nennung des Werkes ausbrechen. Nun, dieses Stück trägt ganz gewiss keine Schuld an der derzeitigen Weltsituation.
Frankreichs wahrscheinlich bekanntester zeitgenössischer Komponist, Pascal Dusapin, und sein kongenialer Librettist Frèdéric Boyer haben es als Vorlage für ihre Oper »Macbeth Underworld« ausgewählt und eine Spiegelgeschichte geschrieben.
Das sich liebende Paar Macbeth und seine Lady sind in der Unterwelt gestrandet, vor der Pforte zur Hölle. Sie sind gezwungen, ihre Untaten wieder und wieder zu wiederholen und können dieser Zeitschleife nicht entrinnen. Und die Hexen, sich als Ungeziefer durch den Seelenmüll der beiden wühlend, weben die Schicksalsfäden.
Nichts vermochte den mutigen Krieger Macbeth im realen Leben zu erschrecken, aber die Mächte, die offenbar aus einer anderen Welt kommen, jagen ihm Furcht ein. Nostalgisch blickt er auf die heidnische Vergangenheit zurück, in der der Mensch, einmal tot, den Anstand besaß, tot zu bleiben – von wegen Auferstehung, von wegen Christentum.
Shakespeare wollte mit seinem »Macbeth« König James I. als Dank für die Ehrung seiner Theatertruppe mit dem Titel »The King’s Men« ein besonders für den König zugeschnittenes Stück zukommen lassen, so hat er die Bedeutung der Hexen gegenüber der Vorlage des Chronisten Raphael Holinshed noch forciert.
James I. war nämlich sehr empfänglich für Okkultismus und hatte sogar 1597 ein Buch »Dämonologie« veröffentlicht. Ihn muss die Uraufführung von »Macbeth«, vermutlich im August 1606 in Hampton Court, sehr gefallen haben.
Hoffentlich kommen wir wohlbehalten durch die Rauhnächte und können unser Publikum mit der Deutschen Erstaufführung von »Macbeth Underworld« auch begeistern. Regisseur Lorenzo Fioroni, das Saarbrücker Publikum hat bestimmt seine grandiose Inszenierung von Martins »der Sturm« – auch nach Shakespeare – noch im Gedächtnis, und sein Team arbeiten mit dem Sängerensemble auch in den Rauhnächten fieberhaft daran.
Renate Liedtke,
Musikdramaturgin