Am 1. November – Allerheiligen – fiel (erneut) der vorerst letzte Vorhang. Verdis »Il Trovatore« erklang im Großes Haus, ehe sich wieder eine zunehmend bedrückende Stille breitmachte. In ganz Deutschland.
#SangundKlanglos, #ohnekUNStwirdsstill und #AlarmstufeRot kursieren seitdem durch das Internet und die sozialen Medien und sind Zeichen einer Solidaritätsbewegung von Kunst- und Kulturschaffenden, die deutlich machen wollen, wie prekär die Lage ist. Wie fühlt es sich, seinem Beruf, um nicht gar zu sagen, seiner Berufung, nicht mehr nachgehen zu können, nachgehen zu dürfen? Der innere Kampf zwischen Vernunft und Verzweiflung, die Pandemie einzudämmen, aber sichtbar, hörbar und wirksam zu bleiben? Die Debatte um die Kunst ist längst entbrannt.
Mitglieder unseres Hauses wollen tätig werden, laut sein in der Stille. Ihre Gedanken halten sie fest in Form von kurzen Texten, Fotos oder Videos… Einen Teil davon können Sie hier nun sehen.
»Hältst du es aus, mich nicht mehr zu hören?« Klara, cabaret artist, Koeln.
The question is intended rhetorically… but for me it hits a very sensitive nerve. I doubt that I am alone in this… It is a nerve we performers are happy to ignore as far as possible.
Aber ich glaube die Angst, gerade von vielen Kollegen, inklusive von mir selbst, ist, dass die Antwort vielleicht »Ja, ich halte es aus« sein könnte.
Sind wir bereit diese Frage zu stellen? Aber WIRKLICH zu stellen?
Ich komme aus einem Land wo für die meisten Menschen, der Antwort wär »Ja. Das halte ich seit schon laenger aus. Wer seid ihr ueberhaupt?« Valda Wilson, Australierin, Opernsängerin, Mensch.
So schwer es für den Einzelnen zu ertragen sein mag, die Schließung der Theater in diesem Land als Beschränkung und Beschädigung der eigenen Person als Künstler zu empfinden , umso schwerer wiegt die Tatsache, dass nicht nur das Individuum, sondern eine ganze Gesellschaft in ihrem Kern dadurch schwer beschädigt wird. Bernd Geiling, Schauspieler
GEWALT DER STILLE von Werner Bergengrün
Wir sind so sehr verraten,
von jedem Trost entblößt,
in all den wirren Taten
ist nichts, das uns erlöst.
Wir sind des Fingerzeigens,
der plumpen Worte satt,
wir woll’n den Klang des Schweigens,
das uns erschaffen hat.
Gewalt und Gier und Wille
der Lärmenden zerschellt.
O komm, Gewalt der Stille,
und wandle du die Welt.
Juliane Lang, Schauspielerin
Bei allem Verständnis für die Entscheidung, das Bewegungsmuster jedes Bürgers zwecks Gesunderhaltung des Einzelnen einschränken zu müssen, sollte neben der Religions- und Versammlungsfreiheit (s. dazu die geplante Querdenkerdemo in Leipzig mit zu erwartenden 20.000 Teilnehmern!) ebenso der Kunstfreiheit genüge getan und jedem die Wahl gelassen werden, lieber das Theater als Ort der kultivierten politischen sowie gesellschaftlichen Auseinandersetzung aufzusuchen, als zum selben Zweck mit dem Bummelzug nach Leipzig zu fahren, um dort an einer potentiell hochinfektiösen und vermutlich unkultivierteren (wir warten auf die Fernsehbilder) Massenveranstaltung teilzunehmen. Fabian Gröver, Schauspieler
Eine kleine (wahre) Geschichte: Der letzte Abend vor dem Lockdown. Ein letzter Besuch mit natürlich(!) Maske und Sicherheitsabstand in der Stammkneipe. Dort eine Begegnung mit einer französischen Schauspielerin und ihrer Truppe. Sie hätte Mitte Dezember Premiere mit einem freien Projekt. Sie dürfen weiter proben, aber was, wenn sie auch im Dezember nicht spielen dürfen? Dann droht Verschuldung und die Kollegin wird nicht wissen, wie sie ihre Miete bezahlen soll. Ich erzähle von unserer Aktion, zeige Bilder. Bei dem Bild der Puppe ein kleiner Aufschrei: »Diese Puppe habe ich gebaut! Vor Jahren…« Ich sage begeistert: »Wie schön! Deine Puppe spielt aktuell in unserem Stück >Eine kurze Chronik des künftigen Chinas< mit! Wir haben sie in den Untiefen des Theaterfundus gefunden.« Ich würde ihr so gerne eine Karte für die Premiere schenken, damit sie ihre Puppe und unseren sehr aktuelle, dystopischen Theaterabend sehen kann. Die Premiere wäre heute. Sie wird (erstmal) nicht stattfinden. Verena Bukal, Schauspielerin
Unsere Kunst ist für viele Menschen gerade jetzt, Medizin für die Seele.
Der Mensch ist mehr als sein Körper und gerade die Musik kann Trost in dieser Zeit geben.
Das zu verbieten, Aufnahmen sind mit einem life gespielten Konzert leider nicht zu vergleichen, ist ein Angriff auf die Gesundheit.
Die Depressionen nehmen zu dieser Jahreszeit wieder enorm zu und für viele Menschen, die darunter leiden, ist gerade der Besuch von Konzerten und auch von Museen ein Lichtblick.
Kunst ist nicht verzichtbares Beiwerk, sondern macht den Menschen aus.
Es existiert seit Anbeginn keine menschliche Gemeinschaft ohne Kunst. Günter Schraml, Solo-Klarinettist des Saarländischen Staatsorchesters
© Fotos: Benjamin Jupé.