Kategorien
Aus dem Probenalltag Hinter dem Vorhang

UNTER DER ERDE

Eine Burg, ein Schauspieler und ein stummer Kollege, der aber ein heller Kerl ist

Zwischen Keller und Tropfsteinhöhle. Ziemlich gut eigentlich für ein Theaterstück, in dem es ums Alleinsein geht, ums Erinnern, ums Ausgraben der eigenen Jugendzeit mit all ihren übergroßen Emotionen und den Entscheidungen, die man nicht getroffen hat. Perfekt für Sibylle Bergs Monolog PAUL ODER IM FRÜHLING GING DIE ERDE UNTER.

Es ist ein besonderer Ort: 14 Meter unter dem Saarbrücker Schlossplatz liegt seit Jahrhunderten eine unterirdische Burg. Um dorthin zu kommen, gehe ich durch den biskuitrollenartigen Eingang des Historischen Museums Saar, steige Treppen hinunter und stehe in einer anderen Welt. Um mich herum die mächtigen Mauern des Burggrabens, alles bedeckt von rötlichem Staub. Der Geruch irgendwo zwischen Keller und Tropfsteinhöhle. Ziemlich gut eigentlich für ein Theaterstück, in dem es ums Alleinsein geht, ums Erinnern, ums Ausgraben der eigenen Jugendzeit mit all ihren übergroßen Emotionen und den Entscheidungen, die man nicht getroffen hat. Perfekt für Sibylle Bergs Monolog PAUL ODER IM FRÜHLING GING DIE ERDE UNTER.

Es fällt kein Sonnenlicht in diese rotbraune Welt, dafür haben sich unter den Lampen am Boden kleine grüne Gärten entwickelt. Inspiriert von den Miniaturpflanzen denken Dramaturg Horst Busch, Bühnenbildner Matthias Kowall und ich darüber nach, wie das Bühnenbild aussehen könnte: sehr viele Hängepflanzen an den Steinwänden zum Beispiel, um die eigenen Erinnerungen aus- und einzugraben? Oder vielleicht lieber einzelne Teddybären, um die Reise in die Kindheit zu erzählen? Am Ende entscheiden wir: Der Raum selbst ist Bühnenbild genug.

Die Wände mit ihren unterschiedlichen Strukturen, die eine aus Quadern mit flacher Oberfläche, die andere mit riesigen Bögen bis unter die Decke, zwischen die man sich schmiegen kann, die Rückwand unregelmäßig, dafür mit Notausgangsschild. Ich untersuche zusammen mit dem Schauspieler Bernd Geiling, der Paul spielt, wie wir alles was wir zum Spielen brauchen in diesem Raum finden können: Die Steckdose für den imaginären Staubsauger, den Safe in der Wand, selbst den See, an dessen Ufer Paul sein Zelt aufschlägt. Als einziges Requisit entscheiden wir uns für einen tragbaren Scheinwerfer. In der Probenarbeit taufen wir ihn „Scheini“ und probieren aus, wie Bernd dieses technische Gerät zu seinem Kompagnon machen kann. Scheini wird in der Inszenierung nach und nach zu Pauls Begleiter und Ansprechperson in schwierigen Lebenslagen, z.B. wenn Paul sich wundert, dass Menschen nicht mehr alt werden wollen und selbst Eltern heute gerne „Ab Cracks“ hätten. Auch Maxine Theobald schließt ihn ins Herz, obwohl sie ihn als Abendspielleiterin zu jeder Vorstellung über mehrere Treppen an unseren Spielort tragen muss.

Der Scheinwerfer sorgt allerdings auch dafür, dass uns Museumsbesucher, die während unserer Proben immer mal wieder durch die Burg spazieren, fragen, welchen Film wir denn drehen. Dann grinsen wir und erzählen von Sibylle Berg, Paul und unseren zwei wichtigsten Nebendarstellern: Scheini und dem unterirdischen Burggraben.

Lucia Reichard, Regisseurin

Kategorien
Aus dem Probenalltag

NUR EINE BRIEFMARKE

Manchmal passieren Dinge, die einem einen Schauer über den Rücken jagen und Gänsehaut verursachen. Es war nur eine Briefmarke. Sie tauchte während einer Probe zu »Marguerite« auf der Probebühne 1 auf. Geprobt wurde, wie Pierrot aufgegriffen und seine Tasche mit den Lebensmitteln untersucht und ausgeschüttet wurde. Es war eine normale Lederaktentasche, welche die Requisite aus ihrem Fundus zur Verfügung gestellt hatte. Da tauchte sie auf, eine violette Marke, nicht abgestempelt, Deutsches Reich mit Hitlers Konterfei.

Jeder, der sie sah, fühlte sich denkbar unwohl und bekam eine Gänsehaut. Es war wie ein Zoom in eine Zeit, mit der man das Schlimmste verbindet und die man nie wieder erleben möchte. Manche Zufälle sind denkbar merkwürdig, diese Marke gerade in diesem Stück. Möge vielen unwohl werden, bei dem Gedanken an die Greueltaten und mögen sie dennoch im Gedächtnis der Welt bleiben, damit so etwas nie wieder geschieht.

Renate Liedtke,
Dramaturgin für Musiktheater und Konzert