Die Meisterin des Geschichtenerzählens Cornelia Funke beschwört mit dem modernen Advents-Klassiker HINTER VERZAUBERTEN FENSTERN den Glauben an eine Welt hinter den Dingen auf schönste Weise: durch Neugierde und Vorstellungskraft. Im folgenden Interview geben Regie und Schauspielende Einblicke in ihre Gedanken zur Geschichte – und was Theater mit dem Leben zutun hat.
Katharina Schmidt, du hast als Regisseurin dieses Theatertextes deine Idee dieser Geschichte auf die Bühne gebracht – was ist für dich denn diese Kalenderwelt?
KS: Im Gegensatz zu Ollis Schokokalender ist Julias Papierkalender ja zunächst sehr unscheinbar. Je mehr Julia sich aber für die Bilder zu interessieren beginnt, desto mehr beginnen die Bilder auch zu „leben“. Da wo die Schokolade schon längst aufgegessen ist, fängt ihr Abenteuer erst an. Die Kalenderwelt entblättert und entfaltet sich Stück für Stück und glänzt dann umso mehr. Sie steht für die Freiheit der Gedanken, die Fantasie und die Möglichkeit sich frei ausdrücken zu können, ohne Schranken und Grenzen.
Die Phantasie funktioniert also wie ein Schlüssel…?!
KS: Ja, sie ist eine große Kraft. Dass man mit dem Reindenken in Bilder und Situationen ganze Welten zum Leben erwecken kann, ist doch sehr besonders!
Solveig Eger und Salih Yarisli, was ist euch für eure Figuren besonders wichtig?
SE: Ganz klar ihre Fähigkeit eine Wirklichkeit zu träumen. Julia glaubt fest an die Welt, die sie in ihrer Phantasie erschafft und glaubt damit auch gleichzeitig sehr an sich selbst.
SY: Die Geschwisterbeziehung ist aber auch sehr zentral im Stück. Erzählt wird eine typische Hassliebe zwischen Bruder und Schwester – im Laufe der Geschichte merken beide aber, dass man nur zusammen vieles erreichen kann. Und durch Zusammenhalt entsteht richtige Freundschaft.
Die Reise in den Kalender ist also auch eine Reise zu sich selbst?
SE: In der Kalenderwelt erschafft sie sich Aufgaben, die es zu bewältigen gilt und wird somit zu einer kleinen Heldin.
SY: Durch diese magische Welt blicken Julia und Olli ja auch mit anderen Augen auf ihr Leben, ihre Familie, ihr wirkliches Haus. Das ist ein bisschen so wie Theater schauen (oder -machen): es zeigt den Alltag des Menschen – all unsere Bedürfnisse. Auch starke Gefühle, Streit und Konflikte. Und es zeigt Lösungen mit all dem umzugehen.
SE: Im Stück ist eine solche Lösung zum Beispiel, wie sie ihrem Wunsch nachgeht gebraucht zu werden und eine Bedeutung, einen Wert im eigenen Leben zu suchen. Das verstehe ich sehr gut, genauso ihren Wunsch eine Welt zu erhalten, die in ihrer Existenz bedroht ist. Das hat irgendwie auch etwas von der Revolte der jüngeren Generationen in unserer Welt.
KS: Diesen eben erwähnten Schlüssel, der die Phantasie ist, kann man gar nicht genug schätzen! Das heißt, durch Vorstellungsgabe öffnen sich konkret und in Bildern gesprochen immer mehr neue Türen, Fenster und damit Möglichkeiten. Mit Neugierde, was wohl hinter den Dingen – und im Falle von Julia hinter den Fenstern – stecken könnte, beginnt das Abenteuer! Entdeckergeist hat auch viel mit Theater zu tun…
Aha, ihr meint also alle Theater und Leben gehören irgendwie zusammen?
KS: Ganz eng sogar. Wir nehmen Geschichten, Situationen und Themen aus dem Leben, der Gesellschaft auf, filtern und kanalisieren sie, um sie dann letztendlich mit unseren Mitteln auf der Bühne zu erzählen. Auf diese Weise kann Theater auch wieder auf unser Leben zurückwirken – wie das Kalenderfenster, das immer wie ein Spaziergang wirkt und Julia Kraft gibt wieder frisch in ihre Welt, auf ihre Familie, zu blicken. In „hinter verzauberten Fenstern“ denkt Julia kleine Dinge wirklich groß, z.B. das Modellflugzeug, das sie in diese andere Welt zieht und zum Fliegen bringt. Vielleicht können Kinder und auch Erwachsene mit unserer Geschichte ermutigt werden, auch in ihrer Welt, ihrem Alltag groß, fantasievoll und visionär zu denken, denn ich glaube, nur so können wir unsere Welt verändern und verbessern.
Noch mehr Botschaften bitte!
SE: Im Theater lernt man Menschen, deren Handeln und die Motive dahinter zu begreifen. Somit ist das Theater für mich ein Ort, der Menschen näher zusammenbringen kann, wie unterschiedlich sie auch sein mögen.
SY: Entdeckt also die Menschen, das Leben, die Welt! Und verliert nie die Neugierde!
Das Gespräch führte Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb.