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Auf ein Wort Im Gespräch mit … Theaterblog

Fragen an ULRICHSundGROSCHEN

In eurem Stück »Der lange Weg zum Wissen« geht es um Apollo 11 und die erste bemannte Mondlandung von 1969. Was interessiert euch an diesem Stoff?

Wir sind zwei dreißigjährige Frauen. Das bedeutet, dass wir mit diesem Ereignis, dass wir da ausgewählt haben, über etwas sprechen, was wir selbst nicht miterlebt haben. Wir greifen auf Erinnerungen zurück, die nicht unsere sind. Die Mondlandung ist ein historisches Ereignis und emotional sehr aufgeladen. Menschen, die wir kennen, die älter sind als wir, erzählen uns davon, wie sie die Mondlandung erlebt haben. Das hat uns interessiert und bildet schon den Kern der Frage, die uns überhaupt zum Schreiben dieses Stücks gebracht hat: Wie konstituiert sich Wissen?
Gerade die Mondlandung ist ja ein Ereignis, bei dem jeder auf der Welt hundertprozentig Mensch sein darf, auch die, denen man das sonst vielleicht abspricht, denn es heißt ja: Wir waren auf dem Mond. Der Mensch ist dazu in der Lage! Und die Freude und das Staunen darüber darf von allen Menschen auf der Welt geteilt werden. Das ist natürlich total zu hinterfragen, schließlich war die Mondlandung Teil der Dynamik des Kalten Kriegs aus Wettrüsten, Drohgebärden und vorgetäuschter Stärke. Aber uns hat interessiert, welche Rolle das kollektive Gedächtnis einnimmt, bei der Bereitstellung von Wissen.

Ihr geht das Thema sehr phantasievoll und spielerisch an. Die Astronauten sind fast kindliche Wesen, die mit ihrem eigenen Gehirn sprechen und versuchen, sich nicht von ihren Ängsten überrollen zu lassen. Gleichzeitig sind in den Text wissenschaftliche Erkenntnisse und Fakten eingeflochten.

Jaja, wir sind neugierige Frauen. Wir versuchen, uns selbst immerzu in Verbindung zu bringen mit dem Wissen, der Welt und dem Theater.

Foto@Timotheé Deliah Spiegelbach

Den Mythos der Mondlandung verbindet man vor allem mit dem Astronauten Neil Armstrong, der als erster Mensch den Mond betreten hat. Die Namen der beiden anderen Astronauten gerieten in Vergessenheit. Im Hintergrund der Mission agierten Personen, deren Namen heute kaum geläufig sind. Wird eurer Meinung nach das Narrativ, das zu Ereignissen im kollektiven Gedächtnis abgespeichert wird, gesellschaftlich gesteuert? 

Der Ausdruck „gesellschaftlich gesteuert“ ist etwas heimtückisch. Da vermutet man ja direkt eine Verschwörungstheorie oder -Praxis. Aber wir sind ja die Gesellschaft, auch. Wir sind eine Masse von kleinen Menschen mit fehlerhaften Gedächtnissen.
Und leider ist es so, dass sich das Wissen über Epochen und Ereignisse verengt, und bestimmte Ereignisse an einzelnen Personen festgemacht wird. Ein Narrativ entspringt ja aus einer Geschichte. Und beim weiter Erzählen der Geschichte gehen oft leider einige Details verloren. Stille Post sozusagen. Das ist natürlich ärgerlich, wenn man auf die sogenannte Wahrheit aus ist, aber zunächst steckt da kein böser, kleiner Mensch mit einer großen, bösen Absicht dahinter. Wir finden aber: Narrative hinterfragen ist eh eine gute Sache, wir hinterfragen im »Langen Weg zum Wissen«  aber nicht unbedingt das historische Narrativ, sondern das Narrativ im Zusammenhang von Glücklichsein und Fortschritt.
Es geht auch um das Vergessen, das ein natürlicher Prozess ist, den man natürlich trotzdem verfluchen und bedauern kann. Aber das Wissen geht ja nicht verloren, nur der Zugang zu den Informationen, der Weg zum Wissen bricht ab oder geht verschüttet. Aber früher oder später kommt irgendein Kamel und frisst das Gras herunter, das über die Sache gewachsen ist. In der Hinsicht hat das kollektive Gedächtnis auch utopisches Potenzial.

Ihr nennt euch »Kollektiv für angewandte Literatur«.  Was kann man sich darunter vorstellen?

Zwei Frauen, die ihre Gehirne aneinander reiben, daraus entstehen Texte und die streuen wir uns auf die Hände und daraus machen diese Hände dann was auf Papier Oft tragen wir das dann ins Theater, manchmal vertonen wir sie oder machen aus ihnen Film. Auf jeden Fall wenden wir es an, denn Literatur, und das wissen viele nicht, kann man wunderbar ANWENDEN.
Bald wollen wir sie auf Servietten drucken für Serviettentechnik.

Wie schreibt man gemeinsam Texte?

Man nehme zwei Frauen, die ganz viel reden. Und die in ihrem endlosen Diskurs dann an einen Punkt kommen, an dem sie absolut nicht mehr weiterkommen. Die dann nach Hause gehen müssen, in die Tasten hauen müssen, um diesen toten Punkt einzukreisen wie einen Punkt, der tot ist. Und dann findet man da Krümel in diesem toten Punkt und aus dem entsteht ein Kunststoffstab zum Hochsprungshochleistungssport.

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Einblicke in den Kommunen-Kochtopf

Gemeinsam Kochen und Essen – zentral für jede Gemeinschaft. In der Inszenierung »Die Kommune« (nach dem gleichnamigen Film von Thomas Vinterberg), die noch bis zum 15. Juli in der Alten Feuerwache zu sehen ist, geht es um eine Kommune, in der natürlich auch gekocht und gegessen wird. Das Besondere dabei ist, dass Schauspieler Fabian Gröver während der abendlichen Vorstellung in der Rolle des Steffen, live Suppe kocht. Hier einige Einblicke in den Kommunen-Kochtopf.

Sobald Steffen (Fabian Gröver) in die Kommune aufgenommen wird, beginnt er seine Kochutensilien aufzubauen. Raimund Widra und Anna Jörgens helfen ihm beim Kartoffelschälen. Foto. Martin Kaufhold

Fabian, du kochst während der Inszenierung „Die Kommune“ eine Suppe, die dann pünktlich zum Ende der Vorstellung fertig sein muss, damit die Schauspieler sie im Schlussbild gemeinsam essen können. Wie kriegst du das hin?

Das steht und fällt natürlich zuerst einmal mit der Auswahl des Rezepts. Ich habe mich bewusst für eine Suppe entschieden, die am Ende der Garzeit püriert serviert wird, da ein ‚al dente‘-Gericht dauerhafte Präsenz am Herd und ein komplexeres Timing erfordert hätte. Bei unserer Kartoffelsuppe kommt es auf 10-20 min extra Garzeit nicht an, weil am Ende eh alles durch den Stabmixer geht. Dankenswerterweise helfen mir zu Stückbeginn auch noch zwei Kolleg*innen beim Schälen der Zutaten, sonst wäre ich vor Zeitdruck vermutlich nach der ersten Szene bereits schweißgebadet.

Kurz vor dem Pürieren fügt Fabian Gröver noch ein Stück Butter in die Suppe. Foto. Martin Kaufhold

Verwendest du jeden Abend dasselbe Rezept oder haben die Kommunarden einen abwechslungsreichen Speiseplan?

Das Rezept ist immer dasselbe. Einerseits um die Requisitenabteilung, die die Lebensmitteleinkäufe erledigt, nicht immer mit neuen Aufgaben loszuschicken und andererseits auch mir, der ja nicht nur kochen, sondern auch spielen muss, eine gewisse Routine zu ermöglichen. Bisher haben sich die Kolleg*innen noch nicht über den eintönigen Speiseplan beschwert, aber wer weiß…
Zum Glück spielen wir an diesem Haus nicht „en suite“, sonst hätte ich mir bei 30 oder mehr aufeinanderfolgenden Vorstellungen wohl Alternativen überlegen müssen.

 Kannst du dich noch auf deine Rolle konzentrieren, wenn du nebenher kochst?

Ja, das geht schon, aber bis die Suppe erst einmal angesetzt ist, ist es doch eine Herausforderung. Dialogen folgen, als Figur mitdenken und zeitgleich Zwiebeln und Kartoffeln schneiden…das hatten wir auf der Schauspielschule nicht.

Bernd Geiling als Ole (rechts) darf entscheiden: Wer aus dem Publikum bekommt heute den Publikumsteller? Foto. Martin Kaufhold

Am Ende des Abends bekommt eine Person aus dem Publikum auch einen Teller Suppe. Was muss man tun, wenn man in diesen Genuss kommen will?

Am besten einen Platz in der ersten oder zweiten Reihe ergattern und dem Kollegen Bernd Geiling (alias „Ole“), der die Suppe ausliefert, hungrig in die Augen starren. Offensives Heranwinken dürfte aber auch zum Erfolg führen.
Kochen und essen ist für dich persönlich?

Das sind für mich zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich persönlich koche lieber, als dass ich esse. Kochen ist irgendwie sinnlicher, erweitert meinen Horizont.
Der Verzehr kommt mir dagegen immer fürchterlich profan vor. Anders ist es, wenn man z.B. für Freunde kocht, denn im Idealfall spiegelt sich mein „Aha-Erlebnis“ beim Zubereiten dann in den Gesichtern der Essenden wider. Klappt aber nicht immer…da habe ich dann Pizza bestellt.

Kurz vor Ende der Vorstellung…scheint zu schmecken! Foto. Martin Kaufhold

Wer die Kommunen-Suppe nachkochen möchte, findet das Rezept unter: Kartoffelsuppe mit Sauerkraut und Laugenchips in: Tim Mälzer: Neue Heimat, Kochbuch, Mosaik Verlag ISBN: 978-3-442-39338-1

Das Gespräch wurde von Simone Kranz geführt.

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»DIE SANFTE BEKLEMMUNG DAZU ZU GEHÖREN«

Die Produktion »Wie später ihre Kinder« hat Schauspiel-Hospitantin Christina Schmidt zum Nachdenken über Zugehörigkeit angeregt und was das eigentlich mit dem Menschsein zu tun hat.

Von Christina Schmidt

Wir alle kennen das unbestimmte Gefühl einer Zugehörigkeit zu einer Region, einem Ort, einem Haus. Ob wir dem gegenüber positiv oder negativ eingestellt sind, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Oftmals verbinden wir eine große Sehnsucht nach etwas mit dem Gefühl der Zugehörigkeit und die nicht seltene Rückkehr dorthin ist ein Versuch diese Sehnsucht zu stillen.

Doch wie genau lässt sich dieses unbestimmte Gefühl erklären? Und wie nutzt es der französische Bestseller-Autor Nicolas Mathieu in seinem Roman, zu welchen Schlüssen kommt er?

Der französische Autor Nicolas Mathieu erzählt in seinem Roman »Wie später ihre Kinder«, dessen deutschsprachige Erstaufführung unter der Regie von Leyla-Claire Rabih seit dem 25. März 2023 in der Alten Feuerwache zu sehen ist, von genau diesem Gefühl. Was macht es mit Jugendlichen, wie gehen sie damit um?

Er erzählt die Geschichten des 14-jährigen Anthony, sein Erwachsenwerden in der von der Montanindustrie geprägten französischen Provinz sowie die von Hacine, Kind von marokkanischen Einwanderern, der versucht in dem Land heimisch zu werden, das ihn, wie so viele andere, außen vor lässt.

Die Leben der beiden Jungen kreuzen sich im Laufe der vier erzählten Sommer immer wieder. Es geht um Rache und das Erwachsenwerden, das einem Selbstfindung und Zurechtfindung abverlangt, in einer Welt, in der die Vergangenheit über allem schwebt. In der die Sehnsucht nach einer Vergangenheit, in der die Hochöfen des Tals noch qualmten und die Väter noch Aussicht auf Arbeit und gute Jobchancen hatten. Väter, die nicht in einer abgehängten und vergessenen Region lebten. Hacine versucht, als erfolgreicher Drogenboss groß raus zu kommen und Anthony flüchtet sich nach seinem Schulabschluss ins Militär. Die Hoffnung auf Veränderung und Verbesserung des Lebens, im Vergleich zu dem ihrer Väter, ist groß.

Anerkennung als menschliches Grundbedürfnis

Die Frage der Zughörigkeit ist ein roter Faden, der sich durch den gesamten Roman und auch durch den gesamten Theaterabend zieht. Der Wunsch nach Anerkennung und Zugehörigkeit  zeigt sich in der Geschichte auf verschiedene Weise: einerseits die Einwanderung und das Zurechtfinden in einer neuen Kultur, ohne seine eigene Kultur und seine Wurzeln dabei zu verlieren und andererseits das Streben nach einem bürgerlichen, anerkannten Leben in einem eigenen Haus mit sicherem Job. Außerdem das tief in der französischen Gesellschaft verwurzelte Streben nach elitärer Anerkennung und in diesem Fall vor allem die Abgrenzung von einer Bergarbeiter-Kultur, in der Solidarität und Kumpelwesen vorrangig waren. Ich habe mich gefragt, was das denn eigentlich ganz ursprünglich ist und wie sich Zugehörigkeit definieren lässt. Wissenschaftlich gesehen, gibt es mehrere Arten von Zugehörigkeit. Vor allem in den Human- und Geisteswissenschaften sind sie vertreten. Man kann etwa einem sogenannten Kollegial-Organ, beispielsweise einem Verein, zugehörig sein. Auch das Teil-Sein in einer sozialen Gruppe oder einer Sozialkategorie, wie etwa einer Berufsgruppe, gehören dazu. Aber vor allem das Gefühl sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen und darin sozialen Rückhalt und Bestätigung zu finden, beschreibt die Art von Zugehörigkeit, mit der sich der Roman beschäftigt, am besten. Sie ist vor allem eines: identitätsstiftend.

Das Lexikon der Psychologie beschreibt Zugehörigkeit sogar als »menschliches Grundbedürfnis«, also etwas, ohne das ein Mensch gar nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen leben kann.

Kann man Zugehörigkeit steuern?

Vor allem in dem Alter in dem sich die Jugendlichen in »Wie später ihre Kinder« befinden, stellt man sich viele Fragen zur eigenen Identität und ist tendenziell viel damit beschäftigt sich selbst kennenzulernen. In dieser Zeit hinterfragen viele eben auch ihre Herkunft. Anthony und Hacine sind beide – aus unterschiedlichen Gründen – nicht zufrieden mit ihrer Zugehörigkeit. Vor allem Anthony will von Anfang an nur weg. Bei Hacine hat man als Leser und/oder Zuschauer fast schon das Gefühl, dass er sich in gewisser Weise mit allem abgefunden hat. Ihn belastet vor allem das Gefühl einer beinahe schon doppelten Zugehörigkeit. Sowohl in Marokko, als auch in Frankreich fühlt er sich nie vollkommen angenommen. Er schafft es jedoch, in Frankreich wirklich Fuß zu fassen und sich ein Leben aufzubauen. Nicht vollkommen uneingeschränkt, aber trotzdem ein zufriedenstellender Alltag in einem konsistenten Umfeld. Grund dafür ist nicht zuletzt seine französische Freundin Coralie, die ihm einen anderen Lebensentwurf aufzeigt.

Anthony hingegen ist von dem Wunsch besessen, loszukommen und seine Herkunft abzuschütteln. Nach diversen Fehlstarts sowohl beim Militär, als auch in der Liebe zu der – gesellschaftlich scheinbar unerreichbaren – Steph, kehrt er zurück: in seine Stadt und in sein altes Leben. Der Wunsch, seinen Vater zu übertrumpfen, besser und erfolgreicher zu sein, scheitert. Die Zeitarbeit wird ihm, wie vielen anderen, zur finanziell abhängig machenden Alltagsdiktatur. Das Leben seines Vaters immer im Hinterkopf, muss Anthony –  genau wie Hacine – erkennen dass es für ihn nicht möglich ist, seine Zugehörigkeit abzulegen und eine neue zu finden.

Die Beantwortung der Frage, ob man Zugehörigkeit steuern kann ist also gar nicht so einfach.

Mathieus Geschichte zeigt klar, dass es für die Protagonisten nicht möglich ist, ihrer Lebenswelt und -realität komplett zu entfliehen. Gelebtes bleibt Teil ihres Weges, wenngleich sie es schaffen mit ihrer Vergangenheit zu leben, ohne sich von vormaligen Urteilen und Fehlern leiten zu lassen. Mathieu beschrieb das Lebensgefühl seiner Protagonisten in einem Interview als »verbauten Horizont«. Doch am Ende des Theaterabends scheint er freier zu sein, als die Alltagshelden es wahrnehmen – Zugehörigkeit hin oder her.

Über die Autorin dieses Artikels: Christina Schmidt (20) ist Studentin der Theaterwissenschaft und Germanistik an der JGU Mainz und hat in ihrer Dramaturgiehospitanz sowohl die Proben begleitet, als auch in der Dramaturgie mitgearbeitet. Ihre Aufgaben changierten von Bühneeinrichtung über Fassung aktualisieren bis hin zum Blogbeitrag.

Die letzten Vorstellungstermine: 17.5., 23.6., jeweils 19.30 Uhr, Alte Feuerwache 

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Schonungslose und entlarvende Musik

Vor der Premiere von Johann Strauss’ »Die Fledermaus« sprach Benjamin Wäntig mit Regisseur Aron Stiehl.

Aron Stiehl, Intendant des Stadttheaters Klagenfurt, ist für das Saarbrücker Publikum kein Unbekannter, er setzte bereits Erich Wolfgang Korngolds »Die tote Stadt« und Franz Lehárs »Die lustige Witwe« erfolgreich in Szene. Nun widmet er sich der »Königin der Operetten«.

Was bedeutet es für dich, Operette zu inszenieren?

Gute Operette muss natürlich in erster Linie unterhalten, aber ich merke bei jeder erneuten Beschäftigung mehr und mehr, wie sie mit Abgründen zu tun hat und wie einem dabei das Lachen auch im Hals stecken bleibt. Gerade in der heutigen Zeit, in der jeder auf seine Wahrheit pocht, sehen wir, dass absolute Wahrheiten – und da muss sich jeder an die eigene Nase fassen – nicht existieren. In der »Fledermaus« steckt letztendlich dieselbe Message wie in Verdis letzter Oper »Falstaff«, ebenfalls einer Komödie: »Tutto nel mondo è burla! Tutti gabbati!« – »Alles auf der Welt ist Scherz! Wir sind alle Betrogene!« Man muss über sich selbst lachen können, man muss einen ironischen Blick auf sich selbst werfen können.

Szene aus »Die Fledermaus«
Szene aus »Die Fledermaus« (Foto: Martin Kaufhold)

Wie steht es mit dieser Fähigkeit zur Selbsterkenntnis beim Personal der »Fledermaus«?

Gabriel von Eisenstein, der Protagonist, kann das nicht. Er ist ein Spießbürger, der sich für Weiß-Gott-Wen und anständig hält und seine festen Wahrheiten hat. Aber seine Ehe ist eine bürgerliche Fassade, hintenherum gehen er – wie auch seine Frau Rosalinde – auf geheime Partys wie die von Orlofsky und betrügen sich gegenseitig. Als Eisenstein scheinbar seine achttägige Haftstrafe antritt, spielen sie sich wortreich Abschiedsschmerz vor, während er weiß, dass er auf das Fest geht, und sie schon ihren Tenor erwartet – wie verlogen. Auch von der Musik wird diese Falschheit und Doppelbödigkeit unverhohlen herausgestellt. Nach pseudotragischen Tönen bricht im Terzett aus dem 1. Akt aus den Figuren plötzlich ein spritziger Polka-Rhythmus hervor. Die Musik von Johann Strauss ist sehr schonungslos und entlarvend, manchmal geradezu böse und immer sehr präzise.

Alles dreht sich in der »Fledermaus« also um Schein und Sein. Auf dem Fest im 2. Akt spielen sich alle eine andere Identität vor: Eisenstein, Rosaline, auch der Gefängnisdirektor. Nur Prinz Orlofsky ist echt.

Was steckt hinter diesem ominösen russischen Prinzen, der in der Operette als Hosenrolle angelegt ist, also von einem Mezzosopran gesungen wird?

In unserer Inszenierung changiert diese Figur zwischen Mann und Frau, angelehnt an die Berliner Kultfigur Chantal und ihr »House of Shame«. An Berliner Clubs wie dem »Berghain«, die für ihre Freiheiten, für ihre Authentizität legendär geworden sind, konnte man ja beobachten, wie sie immer touristischer wurden. Leute kamen zum Teil nicht mehr, um ihre Grenzen zu überschreiten, sondern nur, um sagen zu können: Ich war da.

Und so ergeht es Eisenstein auf besagter Party bei Orlofsky: Er trifft eine weltoffene Gemeinschaft, in der alle Standesunterschiede aufgehoben sind – weshalb das Stubenmädchen Adele in einer Robe ihrer Chefin ungestört Teil sein kann. Eisenstein, der Spießbürger, kann damit aber gar nicht umgehen und hat wohl auch etwas Angst davor, vor allem vor der queeren Seite von Orlofsky.

Worum geht es bei diesem Fest? Im Handlungsverlauf dient es ja eigentlich nur dazu, dass Eisenstein hauptsächlich von seinem Freund Falke, aber eigentlich von allen anderen auch, hereingelegt wird …

Sene aus »Die Fledermaus«
(Foto: Martin Kaufhold)

Neben dieser Operettenintrige und der Tatsache, dass alle Partygäste Eisenstein loswerden wollen, weil er wegen seiner bürgerlichen Scheuklappen nicht dazu passt, geht es um etwas, was man vermutlich schon im 19. Jahrhundert in Festen gesucht hat: Taumel und Rausch. Im Verlauf dieses Festes, in dem auch die anfangs musikalisch strenge Form sich immer mehr auflöst, kommt es zu einer allgemeinen Verbrüderung, zum einen transzendenten Moment der Kommunion: Alle sind so besoffen, dass sie zur Erkenntnis gelangen: Wir gehören zusammen, im Hier und Jetzt und denken nicht an morgen. Selbst Eisenstein, der sich zunächst sträubende Spießbürger, gibt sich dem ganz hin und entdeckt eine für ihn neue Welt. Doch danach kommt wie im echten Leben der Absturz und der Kater.

Szene aus »Die Fledermaus«
Szene aus »Die Fledermaus«

Die Inszenierung ist eine Koproduktion mit dem Theater Bonn, die Produktion entstand dort 2020. Wie blickst du heute, zweieinhalb Jahre später, darauf?

Wenige Tage nach der Premiere kam es zur pandemiebedingten Schließung aller Theater, ja zu Grenzschließungen etc., was zuvor undenkbar war. Nun können wir dankbar sein, dass das Publikum zurückkommt. So ist in der Zwischenzeit eine Menge passiert, was natürlich auch meinen Blick auf so ein Stück verändert hat.

Im Wesentlichen wird die Inszenierung bei solchen Koproduktionen unverändert neueinstudiert. Ich begreife das Regiebuch von damals aber nicht als Vorlage, die es sklavisch zu kopieren gilt. Es ist wichtig, dass alle neuen Darsteller*innen sich ihre Rollen ganz zu eigen machen und ihre eigenen Farben hineinbringen. Das ist hier in Saarbrücken auch allen wunderbar gelungen!

Das Gespräch führte Benjamin Wäntig.

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PHANTASIE FUNKTIONIERT WIE EIN SCHLÜSSEL

Die Meisterin des Geschichtenerzählens Cornelia Funke beschwört mit dem modernen Advents-Klassiker HINTER VERZAUBERTEN FENSTERN den Glauben an eine Welt hinter den Dingen auf schönste Weise: durch Neugierde und Vorstellungskraft. Im folgenden Interview geben Regie und Schauspielende Einblicke in ihre Gedanken zur Geschichte – und was Theater mit dem Leben zutun hat.

Katharina Schmidt, du hast als Regisseurin dieses Theatertextes deine Idee dieser Geschichte auf die Bühne gebracht – was ist für dich denn diese Kalenderwelt?

KS: Im Gegensatz zu Ollis Schokokalender ist Julias Papierkalender ja zunächst sehr unscheinbar. Je mehr Julia sich aber für die Bilder zu interessieren beginnt, desto mehr beginnen die Bilder auch zu „leben“. Da wo die Schokolade schon längst aufgegessen ist, fängt ihr Abenteuer erst an. Die Kalenderwelt entblättert und entfaltet sich Stück für Stück und glänzt dann umso mehr. Sie steht für die Freiheit der Gedanken, die Fantasie und die Möglichkeit sich frei ausdrücken zu können, ohne Schranken und Grenzen.

Die Phantasie funktioniert also wie ein Schlüssel…?!

KS: Ja, sie ist eine große Kraft. Dass man mit dem Reindenken in Bilder und Situationen ganze Welten zum Leben erwecken kann, ist doch sehr besonders!

Solveig Eger und Salih Yarisli, was ist euch für eure Figuren besonders wichtig?

SE: Ganz klar ihre Fähigkeit eine Wirklichkeit zu träumen. Julia glaubt fest an die Welt, die sie in ihrer Phantasie erschafft und glaubt damit auch gleichzeitig sehr an sich selbst.

SY: Die Geschwisterbeziehung ist aber auch sehr zentral im Stück. Erzählt wird eine typische Hassliebe zwischen Bruder und Schwester – im Laufe der Geschichte merken beide aber, dass man nur zusammen vieles erreichen kann. Und durch Zusammenhalt entsteht richtige Freundschaft.

Die Reise in den Kalender ist also auch eine Reise zu sich selbst?

SE: In der Kalenderwelt erschafft sie sich Aufgaben, die es zu bewältigen gilt und wird somit zu einer kleinen Heldin.

SY: Durch diese magische Welt blicken Julia und Olli ja auch mit anderen Augen auf ihr Leben, ihre Familie, ihr wirkliches Haus. Das ist ein bisschen so wie Theater schauen (oder -machen): es zeigt den Alltag des Menschen – all unsere Bedürfnisse. Auch starke Gefühle, Streit und Konflikte. Und es zeigt Lösungen mit all dem umzugehen.

SE: Im Stück ist eine solche Lösung zum Beispiel, wie sie ihrem Wunsch nachgeht gebraucht zu werden und eine Bedeutung, einen Wert im eigenen Leben zu suchen. Das verstehe ich sehr gut, genauso ihren Wunsch eine Welt zu erhalten, die in ihrer Existenz bedroht ist. Das hat irgendwie auch etwas von der Revolte der jüngeren Generationen in unserer Welt.

KS: Diesen eben erwähnten Schlüssel, der die Phantasie ist, kann man gar nicht genug schätzen! Das heißt, durch Vorstellungsgabe öffnen sich konkret und in Bildern gesprochen immer mehr neue Türen, Fenster und damit Möglichkeiten. Mit Neugierde, was wohl hinter den Dingen – und im Falle von Julia hinter den Fenstern – stecken könnte, beginnt das Abenteuer! Entdeckergeist hat auch viel mit Theater zu tun…

Aha, ihr meint also alle Theater und Leben gehören irgendwie zusammen?

KS: Ganz eng sogar. Wir nehmen Geschichten, Situationen und Themen aus dem Leben, der Gesellschaft auf, filtern und kanalisieren sie, um sie dann letztendlich mit unseren Mitteln auf der Bühne zu erzählen. Auf diese Weise kann Theater auch wieder auf unser Leben zurückwirken – wie das Kalenderfenster, das immer wie ein Spaziergang wirkt und Julia Kraft gibt wieder frisch in ihre Welt, auf ihre Familie, zu blicken. In „hinter verzauberten Fenstern“ denkt Julia kleine Dinge wirklich groß, z.B. das Modellflugzeug, das sie in diese andere Welt zieht und zum Fliegen bringt. Vielleicht können Kinder und auch Erwachsene mit unserer Geschichte ermutigt werden, auch in ihrer Welt, ihrem Alltag groß, fantasievoll und visionär zu denken, denn ich glaube, nur so können wir unsere Welt verändern und verbessern.

Noch mehr Botschaften bitte!

SE: Im Theater lernt man Menschen, deren Handeln und die Motive dahinter zu begreifen. Somit ist das Theater für mich ein Ort, der Menschen näher zusammenbringen kann, wie unterschiedlich sie auch sein mögen.

SY: Entdeckt also die Menschen, das Leben, die Welt! Und verliert nie die Neugierde!

Das Gespräch führte Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb.

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WER BIN ICH UND WENN JA, WARUM?

Weitere Videos dieser Reihe finden Sie auf dem YouTube-Kanal des Jungen Staatstheaters.