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Theaterblog

IM KREISLAUF

Benjamin Wäntig Drei denkbar unterschiedliche Stücke an einem Abend – was sind die Herausforderungen bei der Erarbeitung, wenn man gleich drei Genres zu bedienen hat?

Wolfgang Nägele Eine der größten Herausforderungen war es für mich, zwischen den drei Stücken komplett umswitchen zu müssen und mit den Darsteller*innen, die mehrere Rollen in unterschiedlichen Stücken übernehmen, ebenso unterschiedliche Figurenprofile zu erarbeiten. Denn durch die Nebeneinanderstellung der Stücke müssen die Unterschiede der Genres umso deutlicher sichtbar sein: »Il tabarro« ist im Wesentlichen ein psychologisches Kammerstück mit drei Personen, »Suor Angelica« – zumindest in der zweiten Hälfte – quasi eine Soloperformance, »Gianni Schicchi« dagegen funktioniert als großes Ensemblestück, das sich durch Slapstick, Konstellationen vieler Figuren und Reaktionen aufeinander auszeichnet.

BW Trotz aller Unterschiede: Worin liegt für euch die Verbindung zwischen den drei »Trittico«-Einaktern? Wie geht ihr mit diesem besonderen Aufbau um?

Lisa Däßler Wir haben für die drei Stücke eine gemeinsame ästhetische Klammer gesucht. Das hatte zunächst auch pragmatische Gründe: Um nur eine Pause zu benötigen, müssen wir schnell von einem Bild ins andere wechseln können. So haben wir die Setzung getroffen, dass die drei Räume aus denselben Elementen bestehen, die in allen drei Stücken neu zusammengesetzt wiederkehren.

WN Die Stücke spielen in unterschiedlichen sozialen Schichten, teilen aber eine gemeinsame Welt. In »Gianni Schicchi«, das in der höchsten Klasse angesiedelt ist, sehen wir eine Inneneinrichtung, deren Bestandteile in »Tabarro« von Schrottsammlern aufgelesen werden, die den Wohlstandsmüll der Oberschicht verwerten. Die Stücke stehen so in einer Art Kreislaufbeziehung zueinander. Das haben wir auch durch kleine Verweise in den Stücken auf die jeweils anderen verstärkt. Beispielsweise tritt die Figur der Frugola, eine der Lumpensammlerinnen aus »Tabarro« noch einmal am Ende von »Gianni Schicchi« auf, wo sie die Objekte einpackt, die sie schon am Anfang gezeigt hat. Umgekehrt schleichen Rinuccio und Lauretta aus »Schicchi« als Amanti schon einmal kurz durch das »Tabarro«-Bild.

LD In unserer Bühnenwelt wird das Moment des Irdischen betont, selbst in dem eigentlich weltabgewandten Klosterbild. Wir befinden uns vielleicht nicht in einem streng logischen Kreislauf, aber alle Figuren dieser Welt müssen mit denselben Ressourcen umgehen.

BW Seht ihr auch thematische Verbindungslinien, die sich durch die Stücke ziehen?

WN Ja, ein gemeinsames Thema aller drei Stücke ist etwa die Leerstelle, die ein Verstorbener bei den Hinterbliebenen hinterlässt: Bei »Tabarro« und »Suor Angelica« ist es ein totes Kind, bei Gianni Schicchi ein gestorbener alter Verwandter. Die drei Stücken werfen jeweils entsprechend ihrer Genres ein anderes Schlaglicht auf dieses Thema.

LD Immer wieder wird daneben die Sehnsucht nach einer anderen Welt thematisiert: Giorgetta sehnt sich nach einem anderen, freieren Leben in Paris, das ihr weder ihr Mann Michele, noch ihr Geliebter Luigi ermöglichen können; die Nonnen sehnen sich nach der Außenwelt; die gierigen Verwandten in »Gianni Schicchi« sind nie zufrieden mit dem, was sie haben, sondern wollen immer noch mehr.

Der Mantel | Angelos Samartzis (Luigi) und Ingegjerd Bagøien Moe (Giorgetta) | Foto: Martin Kaufhold

WN Man könnte zusammenfassen: Es »menschelt« sehr in allen diesen drei Stücken. Wir sehen vielschichtige, berührende Figuren, die Puccini auch gerade in ihren Unzulänglichkeiten sehr genau gezeichnet hat.

BW Puccinis Opernästhetik ist stark dem Realismus verpflichtet, etwa strotzen seine Libretti vor detaillierten Regieanweisungen und kleinteiligen Aktionen. Empfindet ihr das bei der szenischen Umsetzung als ein Korsett, eine künstlerische Einschränkung?

WN Es stimmt, dass man weniger Freiheiten hat als bei anderen Komponisten. Ich finde es jedoch spannend, angesichts der Dichte an vorgegebenen Parametern eigene Lösungen zu finden. Wenn jemand »Reich mir die Flasche« singt, muss man sich bewusst entscheiden und begründen, wenn man szenisch etwas anderes macht. Die Herausforderung Puccini anzunehmen, heißt, sich an seinen Vorstellungen abzuarbeiten.

LD Ich habe versucht, zweigleisig zu fahren: auf der einen Seite Räume zu schaffen, die realistisch für Puccinis Spielsituationen funktionieren, auf der anderen Seite aber auf einer abstrakteren Ebene die erwähnte ästhetische Verklammerung ermöglichen.

Gianni Schicchi | links: Peter Schöne (Gianni Schicchi); rechts: Ensemble | Foto: Martin Kaufhold

Irina Spreckelmeyer Während sich das Bühnenbild mit dem Verlauf der drei Stücke kontinuierlich verändert, wollte ich im Kostümbild klar drei verschiedene Welten erzählen, die in diese Räume getragen werden. Ich sehe sie aber nicht realistisch im engeren Sinn, denn sie haben eine eigene Künstlichkeit oder ästhetische Überzeichnung. Die Arbeiterkluft in »Tabarro« ist keine realistische Milieustudie, zitiert höchstens ein paar konkrete Elemente; auch die Schickeria-Outfits à la Gucci in »Gianni Schicchi« zitieren nur einzelne Stücke und Stoffe. Daneben kommen analog zum Kreislaufgedanken im Bühnenbild bestimmte Elemente immer wieder vor, wie etwa die rote Strumpfhose.

BW Auch dein Nonnenhabit hat ja nicht die Kleidung eines konkreten Ordens zum Vorbild …

IS An dieser Klosterwelt interessiert uns vor allem die Vorstellung von Eingesperrtsein, von Enge, von Bestrafung. Die Kostüme der Nonnen sind eine vereinheitlichende Uniform, gleichzeitig aber auch körperbetont – anders als reale Ordenskleider – und bringen so doch Individualität zum Ausdruck. Darunter verborgen tragen sie rote Strümpfe als Zeichen ihrer geheimen Sehnsüchte. Außerdem war uns für den Orden die Ausstellung von Hierarchie wichtig.

Schwester Angelica | Valda Wilson (Suor Angelica) | Foto: Martin Kaufhold

WN Ich misstraue ja der vermeintlichen Idylle dieses Klosters, die Puccini anfangs in so liebliche und zärtliche Töne setzt. Dass dreimal im Jahr hereinscheinende Sonnenstrahlen und Johannisbeeren den Höhepunkt im Klosterleben darstellen, sagt viel über Verdrängung und Sublimierung der eigenen Wünsche der Nonnen aus. In diesem Kloster gibt es ein starkes System der Überwachung, die Nonnen sind ohne Privatsphäre zusammengesperrt – nicht unbedingt ein positiv konnotierter Ort. Und so verhalten sie sich auch: In dem Moment, als Angelica die Todesnachricht ihres Kindes empfängt, findet keine Solidarität seitens der anderen Schwestern statt; niemand fängt sie in ihrer Trauer auf.

LD Wir haben lange über das Finale von »Suor Angelica« mit Angelicas Wundererscheinung nachgedacht, die bei uns gerade nicht sichtbar in äußeren Zeichen, sondern nur in ihrem Kopf stattfindet, dadurch aber umso härter und eindringlicher wirkt.

BW Nach dem einheitlichen Nonnenorden tritt in »Schicchi« eine vielköpfige Verwandtschaft auf, deren Mitglieder in der rasanten Komödie schnell austauschbar wirken können. Wie gewinnen sie individuellere Züge?

IS Eine Verwandtschaft setzt sich ja immer aus verschiedenen Typen und Charakteren zusammen. Das Libretto enthält in diesem Fall nicht nur allgemeine Charakterisierungen bereit, sondern sogar konkrete Altersangaben. Mit diesen Informationen und dem, was unsere Darsteller*innen mitbringen, habe ich versucht, möglichst unterschiedliche, überzeichnete Figuren zu kreieren – eine breite Form von »Bekleidungslandschaft«, damit man alle klar voneinander unterscheiden kann. Gleichzeitig sind viele Details wie Zitas übergroße Brille oder Marcos extravagante Frisur auch Spielangebote, die unsere Darsteller*innen toll nutzen.

WN Wir haben auch viel über Biografien der Figuren gesprochen, die über das eigentliche Stück hinausgehen. Gerade die zwei Paare Ciesca–Marco und Nella–Gherardo können etwas indifferent geraten. Erstere sind bei uns ein neureiches Yuppie-Paar aus der Kleinstadt, letztere ungleicher: Sie baut einen Erwartungsdruck auf, dem er nicht gerecht werden kann. An solchen Geschichten im Hintergrund zu arbeiten, hat uns allen viel Spaß gemacht.

Gianni Schicchi | Doris Lamprecht (Zita); Algirdas Drevinskas (Gherardo); Peter Schöne (Gianni Schicchi); Bettina Maria Bauer (Nella); Carmen Seibel (La Ciesca) und Max Dollinger (Marco) | Foto: Martin Kaufhold

BW Wir haben zwei Stücke über den Tod, den die Figuren nicht verarbeiten können, die Komödie aber endet mit einem Generationenwechsel und der Aussicht auf eine Zukunft. Auch der Puccini von 1918 stand künstlerisch zwischen diesen zwei Polen: der großen Tradition der italienischen Gesangsoper und dem nostalgischen Bewusstsein darüber, dass die an ein Ende gelangt war, und der Bewunderung der längst aufgekommenen Moderne. In »Il trittico« finden wir beides …

LD Dass Puccini am Ende sogar die vierte Wand einreißt, indem er Schicchi seinen Schlussmonolog ans Publikum richten lässt und so das Spiel als solches entlarvt, ist für seine Zeit tatsächlich etwas Besonderes.

WN Einerseits kam Puccini aus seiner Tradition nicht heraus, wollte es auch nicht unbedingt, aber versuchte trotzdem einen künstlerischen Spagat: Der Einbau von Alltagsgeräuschen oder auch das ironische Selbstzitat aus »La Bohème« in »Tabarro« sind deutliche Zeichen, dass er sich der allgemeinen und künstlerischen Umwälzungen seiner Zeit bewusst war und sich künstlerisch immer weiterentwickeln wollte.