Musikdramaturgin Renate Liedtke im Gespräch mit Paul Zoller zum Bühnenbild »Macbeth Underworld«.
R. L.:»Macbeth Underworld«. Was ist da anders als bei der Shakespearschen Vorlage?
P. Z.: Das Interessante an der Konzeption der Autoren ist, dass das ganze Stück zeitlich ineinandergeschoben ist. Es gibt viele Szenen, die wie im Original bei Shakespeare in einer zeitlichen Chronologie sind, andere werden überlagert und dann werden zeitliche Abläufe ineinander geschoben und verschiedene Shakespearsche Figuren werden von einer Person dargestellt. Das ist nicht sofort transparent erkennbar. Es bleibt immer etwas diffus in den Äußerungen der Protagonisten, so dass ein Gefühl von Ungreifbarkeit entsteht, irgendwie so eine Art Vorbewusstes. Es geht um das Stück an sich. Es hat so viele Ebenen, dass die Aufführung selbst, also die Darstellung von dem Abend, genauso Thema ist, wie die Geschichte »Macbeth« von Shakespeare und ebenso das Reflektieren darüber. Und das Ganze dann als Musikwerk, so dass Zeit per se zu einem Thema wird.
R.L.: Wie hast du dich bei der Vorbereitung an das Werk herangetastet, hat dich die Musik inspiriert?
P. Z.: Ich habe zuerst den Text gelesen, und ganz ehrlich, ich habe erst einmal nicht verstanden, worum es ging. Dann habe ich die Musik gehört. Je mehr ich mich dem Werk genähert habe und je öfter ich die Musik – auch mit Lorenzo zusammen – durchgegangen und gehört habe, desto großartiger fand ich das Stück. Die Zeit als Thema wird plastisch, durch die clusterartige Musikausdehnung hört man nicht nur den Fortgang der Zeit, sondern auch den »Stillstand«. Und das ist jenseits einer Repetition, es ist, so empfinde ich das, wie das Sprechen über Tod. Nicht, was ist nach dem Tod, sondern der Gedanke, was ist das eigentlich, wenn alles stehen bleibt. Das habe ich dann erst während der Proben entdecken können, als es von den Sängern verkörpert wurde, die ja trotzdem gleichzeitig die Geschichte in »Fragmenten« oder »Andeutungen« von Anfang bis Ende erzählen und das gibt wahrscheinlich dem Komponisten die Grundlage, anhand von Musik über Musik zu sprechen, es gibt da eben noch so etwas wie eine Meta-Ebene. Man denkt bei so etwas immer nach oben, man denkt »über« etwas nach, man denkt über und dann nennen die Autoren es aber »Underworld« und dadurch entsteht schon wieder so eine Verdrehung, die in dem Stück per se als Metapher oder als Begrifflichkeit immer vorhanden ist.
R. L.: Genau, diese »Unterwelt« steht für etwas, was aus den Fugen geraten ist, es ist open-time, es gibt kein Zeitgefühlt dafür und eigentlich stecken die Protagonisten in so einer Vorhölle, der sie gern entkommen würden. Sie würden die Situation gern beenden, …
P. Z.: … und dadurch entsteht auch Humor, man sieht die Protagonisten, wie sie das Stück spielen und darüber singen, dass sie es immer wieder spielen müssen. Das sind aber nicht die Sänger, die diese Anzahl von Aufführungen machen, sondern das ist diese Komposition und auch diese Figur des Macbeth und das heißt, der nächste Sänger / Darsteller muss wieder da durch gehen, es ist diese Figur, die ewig erhalten bleibt. Das finde ich interessant als Behauptung, Underworld – das ist eine unterschwellige Bewegung, die immer da ist, so wie Kultur eben funktioniert. Der Shakespeare wird immer und immer wieder aufgeführt werden und dadurch ist er Teil unseres kulturellen Bewusstseins. Das ist so etwas wie der Grund, auf dem wir bauen. Underworld ist nicht nur das Geisterhafte, sondern es ist noch einmal eine ganz eigene Begrifflichkeit, sozusagen der Unterbau. Aber trotzdem ist die Oper atmosphärisch wie ein Geisterstück.
R. L.: Das hast Du auch in Deinem Bühnenbild aufgenommen, das Geisterhafte …
P. Z.: Ja, das ist aber auch gefährlich, weil das Bühnenbild extrem dekorativ ist. Es hat keine Klarheit, es hat keinen Raum, es hat auch keinen konkreten Anhaltspunkt, es sind nur Reste, die die Bühne ausmachen, etwas, was abgenutzt ist. Es ist eindeutig kaputt, es ist verbraucht. Wir hatten mal – in einer Art Hilflosigkeit, was dieser Underground denn als Raum sein soll – gesagt, es ist eins zu eins so wie unterm Gulli. Da ist alles, was mal weggeflossen ist. Natürlich bleibt dort immer wieder etwas hängen und das ist wie im Unterbewusstsein, es besteht aus Fetzen von Resten von Realität. Und so soll das Bühnenbild auch wirken. Man wird nie erkennen, was es genau ist. Es gibt so etwas wie ein Bett, es gibt so etwas Ähnliches wie Architekturreste, und es gibt ein Gitter, wo Reste von Müll hängen. Der Auftritt ist ein Rohr, ein schwarzes Loch, aus dem die Figuren ausgespuckt werden. Und ansonsten besteht die Bühne nur aus Resten, welche von unendlich vielen »Macbeth«-Aufführungen »im Gulli« hängen blieben.
R. L.: Auch, wenn du jetzt sagst, alles ist die Ansammlung des seelischen Mülls der beiden aus den Jahrhunderten, hat die Bühne – so sah ich es auf der Probe –trotzdem etwas sehr Sinnliches und sogar sehr Schönes.
P. Z.: Ja, das ist jetzt die Hoffnung, dass dieser Verwandlungsakt, den das Theater schaffen kann, funktioniert. Aber das ist genau wie bei diesen Figuren, die ja jedes Mal mit einer großen Unlust das Stück wieder und wieder spielen müssen, es dann aber dennoch mit einer großen Lust tun. Das ist ambivalent. Und mit dieser Umdrehung, welche die Hexen am Anfang des Stückes aussprechen, wurde in alles reingedacht. Ich glaube sogar, in die Musik.
R. L.: In den technischen Angaben von dir hatte ich gelesen, der Raum müsse atmen …
P. Z.: Ja, da ist so ein Moment, wo das Bett wirklich »atmet« und eine Sängerin der Hexen, Valda Wilson, musste, als sie dies das erste Mal sah, lachen …
R. L.: Du hast also ganz bewusst auch Komisches eingebaut. Man soll nicht nur schockiert aus der Oper herausgehen, sondern auch amüsiert …
P. Z.: Ja, das ist ganz prinzipiell von Lorenzo und auch von Katharina Gault, die die Kostüme entworfen hat, so gedacht. Die Szene mit den Hexen ist geradezu showartig …
R. L.: Die haben Tutu an und tanzen …
P. Z.: Ja, es wird immer wieder alles gebrochen und ich bin total aufgeregt, ob am Schluss alles so aufgeht. Es ist unkalkulierbar.
R. L.: Ich jedenfalls bin total beeindruckt von dem, was ich bisher gesehen habe. Wie kriegt man nur solche Ideen …
P.Z.: Ja, nun das Stück ist so. Aber da ist noch etwas, was durchaus interessant ist, zu erwähnen. Die Arbeit mit Lorenzo ist wahnsinnig spannend und aufregend, weil auch er immer ein Risiko eingeht – mit der Konzeption und mit seiner Arbeit. Man mag manchmal zwischendurch das Gefühl haben, es stürzt ab, es funktioniert gar nicht, und zwar nicht technisch oder handwerklich, sondern von dem, was an Gedanken da ist, sein Kopf ist wirklich eine große Kathedrale, und das Ganze will er ja reflektiert sehen auf der Bühne. Wenn man dann nur die einzelnen Fragmente sieht, denkt man – wirklich, was wird das? Und dann im Kontext wird es genial, große Kunst.
Vielen Dank für das Gespräch und hoffen wir, dass »Macbeth Underworld« bald die Bühne und das Publikum erobern kann.