Und wieder liegt eine ereignisreiche (Spiel-)Zeit hinter uns. Auch in diesem Jahr stapelten sich die Bücher, Stücke, Libretti, Noten, Aufsätze, Zeitschriften und Zeitungen, die Liste unserer Lesezeichen im Browser wurde länger, Briefe, Postkarten, Postings … Das Lesen ist des Dramaturgen, ja was eigentlich? Die Grundlage des Berufes, ja. Aber Lesen kann und ist so viel mehr. Es ist das Eröffnen von Welten. Anderer Welten. Neuerer. Besserer. Manchmal auch Schlechterer. Das Eröffnen von Utopin. Dystopien. Ähnlich, aber doch ganz anders als das Theater, lädt das Lesen ein, neue Denk- und Spielräume zu betrachten, zu durchschreiten, zu beobachten, vielleicht sogar zu verändern.
Lesen verbindet, es verbindet uns als Gesellschaft, es gibt Anlass zum Diskurs, zur Diskussion, zum gemeinsamen Reden, Streiten, Lachen oder vielleicht auch Weinen. Und so habe ich auch in diesem Jahr meine Kolleginnen und Kollegen gefragt, was sich so auf ihrem Bücherstapel sammelt.
Den Anfang macht Chefdramaturg Horst Busch:
LUSTPRINZIP
Roman von Rebekka Kricheldorf
Als Theatergänger*in kennt man Sie. In Saarbrücken konnte man von ihr u.a. »Werwolf« oder »Der große Gatsby« auf der Bühne erleben. 2021 hat Rebekka Kricheldorf ihren ersten Roman geschrieben. Wer ihn noch nicht gelesen hat, kann sich auf eine rasante Reise in das Berlin der Neunziger Jahre freuen. Wahrhaftig, klug und wie immer witzig geschrieben. So lassen sich die Abgründe des Lebens ertragen.
Schauspieler Sébastien Jacobi meint zum Spielzeitmotto:
ANDERS – IN WELCHER WELT?
Wie Walter Benjamin richtig bemerkt: Um unser jetziges Jahrhundert zu verstehen, müssen wir das Vorherige genauer betrachten… Tauchen wir also in die 70er, 80er, 90er des letzten Jahrhunderts ein:
Und so empfiehlt er …
Ingrid Caven, Ein Gespräch mit Ute Cohen
»Chaos? Hinhören Singen«
Wer sich in unserer entzauberten Welt noch für die Poesie des Drecks interessiert – hier zu finden: in den Gedankenwelten der als Ingrid Schmidt in Saarbrücken geborenen großartigen Ingrid Caven.
Der Empfehlung Horst Buschs schließt er sich ebenfalls an:
Rebekka Kricheldorf: »LUSTPRINZIP«
Auch dies für Alle, die einer Zeit der Verausgabung in Sehnsucht, des Exzesses und des glamourösen Scheiterns hinterher trauern. Beatgeneration goes 90er, als Berlin noch damit prahlte »arm aber sexy« zu sein.
Von Rebekka Kricheldorf, die nicht nur schon einmal die Poetik Dozentur in Saarbrücken inne hatte, sondern auch die Autorin der am Saarländischen Staatstheater aufgeführten Stücke »Werwolf« (2018/19) und »Der Große Gatsby« (2021/22) ist, hat ihren ersten Roman geschrieben.
… zum Abtauchen in die philosophische Welt der 90er Jahre empfiehlt er …
Byung-Chul Han
»Infokratie. Digitalisierung und die Krise der Demokratie«
Wer das Thema der postfaktischen Informationsgesellschaft und dem Verlust des Pathos der Wahrheit auf hohem philosophischen Niveau, aber dennoch lesbar, vertiefen möchte- dem sei Byung-Chul Han empfohlen!
Ballettdramaturg und Compagnie-Manager Klaus Kieser empfiehlt in ungewissen Zeiten ein Plädoyer eben genau dafür:
Anne Dufourmantelle: »Lob des Risikos. Ein Plädoyer für das Ungewisse«
Nicht mehr ganz neu, doch in unserer bewegten Gegenwart nach wie vor lesenswert. 2011 im französischen Original und 2018 auf deutsch erschienen, verbindet die Autorin »auf vornehmste Art philosophisches Denken mit gesellschaftlicher Realität« (Süddeutsche Zeitung).
Luca Pauer, Leiterin des Jungen Staatstheaters und der Theaterpädagogin sowie Leiterin der sparte4, ergeht es so, wie vielen von uns, wenn der Bücherstapel wächst und wächst, die Zeit aber leider nicht mehr wird:
Meine Sommerlektüre ist »Stillleben« von Antonia Baum. Ehrlich gesagt liegt es schon seit Oktober 2021 auf meinem Schreibtisch. Es war die Initialzündung für unser neues Projekt »Oh Mama!« in der sparte4. Rebekka David wird Regie führen und ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit, auf Interviews, die wir mit Menschen aus Saarbrücken dafür führen werden und neue Perspektiven auf dieses Thema.
Maria Zakharine ist Souffleuse im Schauspiel, das Leben gehört auch für Sie zum Arbeitsalltag. Aber nicht nur. Ihr Literaturtipp ist ein richtiger Klassiker:
»Doktor Shiwago«, Teil 13 (1956) von Boris Pasternak ist eines der großartigsten Werke aus der russischen Literatur; ich interpretiere es natürlich in Bezug auf unser Spielzeitmotto und nicht zuletzt bewundere ich, wie aktuell dieser Roman heute immer noch ist.
Hier ist das wohl eindrücklichste Zitat daraus:
»Das größte Unglück, die Wurzel alles späteren Übels war der Verlust des Glaubens an den Wert der eigenen Meinung. Man ging davon aus, daß die Zeit, in der man den Eingebungen des sittlichen Gespürs folgte, vorüber sei, daß man jetzt mit der Stimme der Allgemeinheit zu singen und nach fremden, allen aufgezwungenen Vorstellungen zu leben habe. In wachsendem Maße begann die Herrschaft der Phrase, anfangs der monarchistischen, später der revolutionären Phrase. Diese Verirrung der Gesellschaft war allumfassend und ansteckend. Alles geriet unter ihren Einfluß. Auch unser Hauswesen hielt dem Verhängnis nicht stand. Es geriet ins Wanken. Statt der natürlichen Lebendigkeit, die stets bei uns geherrscht hatte, drang ein Teilchen der idiotischen Deklamiersucht auch in unsere Gespräche, es war ein zur Schau gestelltes, obligatorisches Herumklügeln über obligatorische Welthemmen…«
Claudia Reisinger ist Leiterin des Künstlerischen Betriebsbüros und Disponentin Schauspiel. Auf ihrem Bücherstapel liegen diesen Sommer drei Werke ganz weit oben:
»Die Geschichtensammlerin« von Jessica Kasper Kramer:
Ein Mädchen erhebt ihre Stimme, um die zu retten, die man zum Schweigen bringen will … Ein mitreißender und zugleich poetischer Roman für alle Leser von »Die Bücherdiebin« und »Der Schatten des Windes«.
»Das Gefährlichste, was man in unserem Land tun konnte, war: zu schreiben.«
Ileana sammelt Geschichten. Manche sind Märchen, andere handeln von der Vergangenheit, und die gefährlichsten erzählen die Wahrheit. Wie die Gedichte von Ileanas Onkel Andrei. Doch die Wahrheit kann tödlich sein im kommunistischen Rumänien des Jahres 1989, wo Lebensmittel, Strom oder warmes Wasser knapp sind und die Menschen in ständiger Angst leben. Als Andrei verschwindet, ist die ganze Familie in Gefahr. Ileanas Geschichtensammlung wird von ihrem Vater vernichtet, sie selbst zu den Großeltern aufs Land geschickt. Doch die Securitate folgt ihr bis in die Wälder der Karpaten. Nun braucht Ileana eine Geschichte, die Mörder aufhalten kann …
»Wo man im Meer nicht mehr stehen kann« von Fabio Genovesi
Der 6jährige Fabio hat es nicht leicht: Seine »10 Großväter«, die vielen unverheirateten Brüder seines Opas, reißen sich nur darum, ihn zu den kuriosesten Unternehmungen mitzunehmen. Erst in der Schule merkt Fabio, dass man als Kind auch mit Gleichaltrige spielen kann – doch da ist seine Rolle als Außenseiter schon vorprogrammiert. Die Kindheit am (und über weite Teile auch im) Meer ist für den Jungen ein ebenso großes Abenteuer wie die Entdeckung des Lesens und Schreibens. Und als sein Vater nach einem tragischen Unfall regungslos im Krankenhaus liegt, sind es die selbst verfassten Texte des inzwischen 12jährigen, die bei seinem Vater eine Reaktion auslösen. »Wo man im Meer nicht mehr stehen kann« ist eine virtuos erzählte Familiengeschichte voller liebenswert-schrulliger Figuren und sommerlicher Italien-Atmosphäre. Mit seinen autobiografischen Zügen ist der Roman gleichzeitig eine Liebeserklärung an die (wortwörtlich lebensrettende) Kraft des Schreibens und der Fantasie.
Vielleicht nicht so unbedingt ein Sommer-Lesebuch….. aber soo schön:
»Marianengraben« von Jasmin Schreiber
»Ein Buch, das Geborgenheit bietet und Hoffnung schenkt« meint Yasmina Banaszczuk.
Paula braucht nicht viel zum Leben: ihre Wohnung, ein bisschen Geld für Essen und ihren kleinen Bruder Tim, den sie mehr liebt als alles auf der Welt. Doch dann geschieht ein schrecklicher Unfall, der sie in eine tiefe Depression stürzt. Erst die Begegnung mit Helmut, einem schrulligen alten Herrn, erweckt wieder Lebenswillen in ihr. Und schließlich begibt Paula sich zusammen mit Helmut auf eine abenteuerliche Reise, die sie beide zu sich selbst zurückbringt – auf die eine oder andere Weise
Und im Hinblick auf die Lesungen in der kommenden Spielzeit:
Dörte Hansen und Christian Berkel …
Bei Ballettdirektor Stijn Celis geht es diesen Sommer etwas punkiger zu mit »Helene Hegemann über Patti Smith, Christoph Schlingensief, Anarchie und Tradition«:
Der Funke, der die Gegenwart abfackelt.
Helene Hegemann trifft Patti Smith zum ersten Mal in einer Mehrzweckhalle in Wien, die als Probebühne für Christoph Schlingensiefs »Area 7« dient. Eine Begegnung, die der damals Dreizehnjährigen im weitesten Sinne das Leben rettet.
Gabriele Kops ist Verwaltungsangestellte am Saarländischen Staatstheater. Zwei ihrer Herzensbücher handeln von Freundschaft, Lebenslinien, skurillen Träumen und Geheimnissen:
Ich habe in letzter Zeit ein wunderschönes Buch gelesen.
Es ist schon alt aber immer aktuell:
»Gegenüber« von Erika Pluhar
Es handelt von der ungewöhnlichen Freundschaft zweier Frauen, von Lebenslinien und der Einsamkeit im Alter.
Einsamkeit in Zeiten von Corona sicherlich ein großes Thema.
Ich schätze den Schreibstil und die liebevolle Sprache von Erika Pluhar.
Einer meiner Lieblingsautoren ist Haruki Murakami.
Ein Buch von ihm: »Tanz mit dem Schafsmann«
Die Bücher des japanischen Autors lesen sich immer wie skurrile Träume. Die Handlung: eine verführerische Geschichte in einem geheimnisvollen Hotel.
Mehr wird nicht verraten.
Christoph Foss, Leiter der Dekorationsabteilung am Saarländischen Staatstheater, empfiehlt eine literarische Reise an die Küste Kolumbiens:
»Kogi ― Wie ein Naturvolk unsere moderne Welt inspiriert« von Lucas Buchholz
Botschaften aus dem Herzen der Welt
Fast 6.000 m ragen die Berge der Sierra Nevada de Santa Marta empor, direkt an der Küste Kolumbiens. Hier leben die Kogi, heutige Vertreter einer über 4000 Jahre alten Hochkultur. Nach Jahrhunderten der Abgeschiedenheit, wenden sie sich jetzt mit ihrem Wissen an die Menschheit. Ihre Worte können unsere moderne Gesellschaft inspirieren. Und sie können uns bei vielen unserer Herausforderungen unterstützen: den ökologischen, gesellschaftlichen und individuellen – und zwar auf verblüffende Weise!
Christiane Ast ist Souffleuse im Schauspiel und empfiehlt drei ganz unterschiedliche Literatur-Welten:
»Monschau«
Roman von Steffen Kopetzky
Ein Buch über den Ausbruch einer Pockenepidemie in den 60ger Jahren in Deutschland/ Monschau/ Eifel.
Es handelt sich um eine wahre Begebenheit: die ersten Symptome/ Krankheitsausbrüche, deren Vertuschung durch die Kommunalpolitik; die engagierte Arbeit einiger Mediziner und der ehrenamtliche Einsatz von Teilen der Bevölkerung, allerdings in Romanform. Es ist überhaupt nicht trocken zu lesen, sondern ich konnte das Buch, einmal angefangen, nicht mehr weglegen.
»Abschied vom Frieden«
Roman von F.C. Weißkopf
Das letzte Jahr vor dem ersten Weltkrieg: der Protagonist lebt in Prag, damals noch K&K, erlebt, erleidet die Liebesgeschichte seines Lebens, und ringsum dräut sich das Gewitter zusammen, das schließlich in das Attentat von Sarajevo mündet.
Damit endet die persönliche Geschichte der Liaison des Protagonisten mit seiner jungen Geliebten sowie die friedliche Koexistenz des Vielvölkerreiches Österreich/ Ungarn.
»Die kleine Stadt«
Roman von Heinrich Mann
Schon aussortiert, genau wie das vorhergehende Buch, ist dieser Roman wieder auf mich zugekommen. Nun lese ich ihn, bin also mittendrin, und weiß nur, dass ich schon Heinrich Mann’s
»Die Jagd nach Liebe« sowie »Professor Unrat“« (Vorlage für den Film »Der blaue Engel« mit Marlene Dietrich) verschlungen habe.
In eine italienische Kleinstadt bricht die »große Welt« ein, es erscheint eine Theatertruppe. Und ihre Protagonisten, im doppelten Sinne, bringen die Provinzhonoratioren sowie die Kleinstadtbevölkerung in Unruhe. Der »junge Held«, von den Frauen begehrt, die »junge Liebende«, ein chaotisch anmutendes, gar nicht angesagtem weiblichen Erscheinungbild entsprechendes Wesen, emanzipiert und damit die Männer überfordernd oder provozierend oder begeisternd.
Sommerzeit ist aber gewiss nicht nur Lesezeit. Und so gibt es gleich zwei musikalische Tipps:
Alexander Reschke, Betriebsdirektor und Chefdisponent, hat es diesen Sommer zurück in die 80er geholt – if I only could be running up that hill …
Dank Netflix und der 4. Staffel von »Stranger things« ist der Song »Running up that hill« von Kate Bush aus dem Jahr 1985 aktuell wieder überall zu hören.
Mein Tip für diesen Sommer das dazugehörige Album »Hounds of Love« das im September 1985 erschienen ist.
Keine Musik für den Sofortverzehr und den Nebenbeigenuss.
Wer die Möglichkeit hat, sollte auf jeden Fall die Vinyl Version der CD oder Streaming Fassung vorziehen.
Mein Highlight neben der schon erwähnten Single »Running up that hill«und der zweiten Auskopplung »Cloudbusting« von der man sich auch das Video ansehen sollte, ist der vorletzte Song der B-Seite »Hello Earth«.
Auch Theaterpädagogin Anna Arnould-Chilloux hat einen Hörgenuss als Tipp:
Ich hätte ein Konzert, das ich sehr fesselnd und verzaubernd finde.
Um Leichtigkeit bei warmem Wetter zu finden: Ein Konzert von Hania Rani: https://youtu.be/sp3B97N67Cw
Zurück zur Literatur folgt nun wieder ein zeitloser Klassiker, dieses Mal von Maxine Theobald, die in dieser Spielzeit ihr FSJ-Kultur in der Dramaturgie des Saarländischen Staatstheaters absolvierte:
Jane Austen – Emma
»Emma« ist ein Roman der bekannten Schrifstellerin Jane Austen, welcher 1815 erstmals erschienen ist. Das Buch handelt von einer wohlhabenden, hübschen und intelligenten jungen Frau, namens Emma Woodhouse, die – und da ist sie sich der festen Überzeugung – sehr gut abschätzen kann, wer mit wem den Bund der Ehe eingehen sollte. Statt sich um ihr eigenes Liebesleben zu kümmern, versucht sie, ihre Freundin Harriet Smith bestmöglich zu verheiraten, doch dies lässt Missverständnisse und Liebeskummer aufkommen. Aber wer weiß… vielleicht findet Emma am Ende doch noch ihr Glück.
Ihre zweite Empfehlung hat auch Musikdramaturgin Anna Maria Jurisch während einer Zugfahrt verschlungen. Es geht um »Alte Sorten« von Ewald Arenz. Maxine Theobald schreibt dazu:
»Alte Sorten« – ein Roman von Ewald Arenz – handelt von zwei Frauen, Sally und Liss, die unterschiedlicher gar nicht sein könnten, aber ähnliche Vergangenheiten teilen. Die junge Sally – gerade in ihrer Abiturphase – entflieht ihrem alltäglichen Leben, das aus Vorurteilen, Erwartungen, Pflichten und Erwachsenen besteht, und möchte ihre Ruhe haben. Auf dem Land begegnet sie Liss, einer starken, aber sehr verschlossenen Frau, die auf einem Bauernhof lebt. Sofort merkt Sally, dass Liss nicht wie andere Erwachsene ist. Sie übernachtet bei Liss, doch aus Stunden wurden Tage und aus Tage wurden Wochen. Für Sally ist Liss ein großes Geheimnis, denn ihr wird klar, dass sie das Haus nicht immer alleine bewohnt hat und ihr vieles verschweigt. Während sie zusammen die Hofarbeit erledigen und über die alten Birnensorten in Liss Garten reden, deren intensiven Geschmack Sally so gerne mag, erfahren die beiden gegenseitig von ihren Verletzungen, die ihnen zugefügt wurden.
Anna Maria Jurisch findet außerdem:
»Alte Sorten« ist ein Buch, das ich zufällig für meine letzte längere Zugreise gekauft und in einem Rutsch durchgelesen habe. Sehr klar, sehr bewegend, sehr poetisch und ein kleines bisschen die Sehnsucht nach endlosen (Spät-) Sommertagen befeuernd. Wer Gartenarbeit liebt, wird das Buch wahrscheinlich schätzen!
Aber auch andere Welten, in die es sich einzutauchen lohnt, kann Anna Maria Jurisch empfehlen:
Judith N. Shklar, »Über Ungerechtigkeit«
Keine klassische Sommerlektüre, aber wahnsinnig spannend, augenöffnend – Was bedeutet Schicksal und was bedeutet Veränderlichkeit? Wie viel Einfluss haben unsere Entscheidungen auf das, was in unseren Leben passiert? Eine faszinierende Betrachtung, die unsere fragile Gegenwart rahmt – auch wenn das Buch bereits aus den 1920er Jahren stammt.
Joan Didion, »Das Jahr magischen Denkens«
Die Kraft der Sehnsucht und die Kraft von Hoffnung – Joan Didions Essays sind immer lesenswert, aber dieses Buch ist kein Reisebericht, keine gesellschaftspolitische Analyse, sondern eine sehr intime Betrachtung von Zusammensein, Familien und Lebensperspektiven. Keine leichte Kost, aber inspirierend.
Gewandmeisterin Martina Lauer empfiehlt für einen wunderschönen Lese-Sommer die Begegnung mit dem Wasser:
Delia Owens‘ »Der Gesang der Flusskrebse«
… und:
Benjamin Myers‘ »Offene See«
In Valda Wilsons Buchempfehlung geht es um die wohl grundsätzlichsten Welten, nämlich die von Gut und Böse:
Einfach nur ein sehr persönlicher Tipp:
Neil Gaiman, »Good Omens« (»Ein gutes Omen«). Am besten auf Englisch lesen!
Schauspieler Bernd Geiling hat gleich zwei Leseempfehlungen:
Richard Powers »Die Wurzeln des Lebens«
Die Zerstörung der Natur und damit der Lebensgrundlagen der Menschen auf diesem Planeten schreitet unaufhaltsam voran.
Eine Gruppe ganz unterschiedlicher Individuen findet zusammen und beschließt zu handeln, aktiv zu werden, geht in den Widerstand.
Und zahlt einen hohen Preis…
… und:
Hanya Yanagihara »Ein wenig Leben«
Selten hat mich ein Buch beim Lesen so erschüttert wie dieses.
Die Geschichte einer Gruppe von vier Männern, die in lebenslanger Freundschaft und Liebe miteinander verbunden sind, obwohl einer von ihnen, getrieben von seinen inneren Dämonen, sich immer wieder in Dunkelheit, Schmerz und Selbstzerstörung begibt.
Verena Bukal ist Schauspielerin und liest ihre Bücher gerne an ganz unterschiedlichen Orten. Und empfiehlt deswegen:
Park4night
Eine App, um überall Campingplätze oder (kostenlose) Stellplätze zu finden. Preise, Informationen und Fotos inbegriffen. Sie ist gratis, außer man bucht die Pro-Version 😉 Viel Spaß damit!
Judith Fecher arbeitet in der Ausstattungsabteilung und mag es gerne spannend. Also hat sie zwei Empfehlungen für Fans des Nervenkitzels:
Ich lese am liebsten Psycho-Thriller, aber mich nervt an manchen Autoren, dass sie anscheinend der Meinung sind, je brutaler und ekliger der Mord (bzw die detaillierte Beschreibung davon), desto spannender wird das Buch. Meistens ist dem nicht so und deshalb liebe ich Bücher, die eher die psychologischen Aspekte in den Fokus nehmen und dadurch eine bedrohliche Spannung aufbauen.
»Klima« von David Klass
Ein selbsternannter Umwelt-Terrorist sprengt Ziele in die Luft, die die Umwelt zerstören und nimmt dabei auch den Tod von Unschuldigen in Kauf.
Das Buch ist sehr spannend geschrieben und man bekommt einen Einblick in die Psyche des Täters, der als liebender Familienvater und Umweltaktivist beschrieben wird. Man ertappt sich beim Lesen dabei, mit dem Terroristen zu sympathisieren und stellt sich zwangsläufig die Frage, wie weit man gehen darf, um ein höheres Ziel zu erreichen.
»Todesmarsch« von Stephen King
1979 veröffentlicht unter dem Pseudonym Richard Bachmann
Früher war ich ein begeisterter Stephen-King-Leser. Er hat wirklich tolle spannende Bücher geschrieben. Aber dieses ist ein bisschen anders: subtiler, psychologischer, sein bestes Buch meiner Meinung nach.
Ja, der alte Schinken ist schon über 40 Jahre alt, aber die Geschichte absolut lesenswert.
In einem Amerika der Zukunft unter einer herrschenden Militärdiktatur brechen jedes Jahr 100 Jugendliche zu einem makabren „Todesmarsch“ auf, einem Wettbewerb, den 99 von ihnen nicht überleben werden. Dem Sieger winkt lebenslanger Luxus. Der Marsch geht so lange, bis nur noch ein Läufer übrig ist. Wer zu langsam ist oder sich nicht an die Regeln hält, wird erschossen. Der Leser wird förmlich hineingezogen in diese düstere Geschichte, in die Psyche der jungen Läufer, in Freundschaften die entstehen, obgleich im Angersicht des Todes, in ihre Hoffnungen und Verzweiflung.
Es gibt noch ein Buch von »Richard Bachmann«, kurz danach geschrieben. Es heißt »Menschenjagd« und greift ein ähnliches Thema auf, was aber meiner Meinung nach die Qualität und die Spannung von „Todesmarsch“ nicht mehr erreicht.
Auch Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb findet man nicht selten mit einem Buch in der Hand. Für den diesjährigen Lese-Sommer empfiehlt sie:
»RADIKALE ZÄRTLICHKEIT« von Seyda Kurt
Der politische Aspekt von Beziehung, Liebesbeziehung oder Beziehung, die einen intimen Austausch beinhaltet, habe ich nicht immer vor Augen. Schon gar nicht, wenn ich diese Beziehung Jahrzehnte kenne. Dass diese über den rein privaten Wert auch einen gesellschaftskonstituierenden hat, ist ein Gedanke, den man gar nicht oft genug ins Bewußtsein holen kann. Und wenn das so geschmeidig gelingt wie im Fall von Şeyda Kurt, ist das eine schöne Reise, die einen wieder eine utopische Kraft spüren lässt. Es hat auch nicht unwesentlich mit der Arbeit an BERENIKE von Jean Racine zutun…
… und:
WIE SPÄTER IHRE KINDER von Nicolas Mathieu
Dieser Autor kann nahbare Figuren beschreiben, deren Leben holzschnittartig erfasst werden und so reich wirken, im skizzierten. Die gesamte Stadt hat man vor Augen, die Hitze im Körper, plötzlich. Dann diese Jugend, diese Begegnungssehnsucht, dieses Abhängen, dieses Perspektivensuchen. Ganz sinnlicher Sozialrealismus. Und wer es nicht schafft, dem wird es nächste Spielzeit auch auf der Bühne der Alten Feuerwache erzählt (Psst!: Premiere ist am 23.3.23)!
Sänger Algirdas Drevinskas mag es humoristisch und empfiehlt:
»Abraham kann nichts dafür« von Ephraim Kishon
… eine Satire witziger als die andere. Viel Spaß beim Lachen!
Dem Lesetipp von Schauspieler Fabian Gröver kann sich eigentlich keiner entziehen:
»Eine kurze Geschichte der Menschheit« von Yuval Noah Harari
Warum ich das Buch empfehle?
Wir Homo sapiens blicken auf ein lange (Erfolgs-)geschichte zurück,
die uns sowohl an die Spitze der Nahrungskette als auch in die gottgleiche Position versetzt hat,
über Wohl und Wehe dieses Planeten entscheiden zu können/zu müssen.
Aber sind wir überhaupt clever genug, das nicht zu verbocken?
»Dieses Buch lässt Hirne wachsen.«, schreibt der Kritiker des Magazins »ZEIT Wissen«.
Insofern sollte jeder Homo sapiens es gelesen haben.
Martin Hennecke, Schlagwerker im Orchester des Saarländischen Staatstheaters, hat einen klangvollen Tipp in eigener Sache:
»In welcher Welt leben wir gerade, und was können wir daraus machen?«
Das ist eine Frage, die meine Kollegen von Percussion Under Construction und mich während des ersten Lockdowns der Pandemie sehr beschäftigt hat. Was passiert gerade? Können wir diese Zwangspause irgendwie sinnvoll nutzen? Können wir uns künstlerisch mit der Situation auseinandersetzen und verschiedene Perspektiven einnehmen und beleuchten? Kann daraus möglicherweise ein positives Narrativ entstehen? Können wir – untereinander als Ensemble und auch mit unseren Freund*innen aus der ganzen Welt – trotz Isolation zusammen musizieren? Herausgekommen ist unser erstes Album »Locked Down?«, welches mittlerweile in vier Kategorien für den Opus Klassik nominiert ist, und auch im Post- (oder Zwischen-?) Coronasommer nichts von seiner Magie eingebüßt hat.
Orchestermanager Alfred Korn kann gleichermaßen privat wie beruflich eine besondere Empfehlung aussprechen für alle Schostakowitsch-Interessierten und die, die es noch werden wollen:
»Dmitri Schostakowitsch. Briefe an Iwan Sollertinski« herausgegeben von Dmitri Sollertinski und Ljudmila Kownazkaja. Aus dem Russischen von Ursula Keller.
In diesem Zusammenhang empfehle ich wärmstes Schostakowitsch-Aufnahmen mit Michail und / oder Vladimir Jurowski. Zu den Referenzaufnahme zählen sicherlich die unter der Leitung von Gennadi Roshdestwenskij…
Auch Meike Koch, Theaterpädagogin Musiktheater und Konzert & Koordinatorin Theater und Schule, hat einen einen Tipp für alle, die ihren musikalischen Horizont erweitern möchten:
Podcast »Klassik für Klugscheißer« von BR Klassik: Zugegeben, ein provokanter Titel, aber jede Woche wieder sauber recherchiert und unterhaltsam präsentiert. Laury und Ulli informieren uns mit ihrer lockeren und lustigen Art über klassische Musikgeschichte. Sollte man betrunken komponieren? Wie macht man am besten Schluss (musikalisch gesehen, natürlich)? Und welche Strukturen verhindern Diversität in den Orchestern?
Regelmäßig begrüßen die beiden spannende Gäste und erstellen zu jeder Podcast-Folge eine passende Playlist mit Musiktiteln. Eine absolute Hörempfehlung, auch für alle, die noch keine Klassik-Klugscheißer sind, sondern es noch werden wollen.
Aber auch einen Buchtipp hat sie auf Lager:
»Die Erde der Zukunft« von Eric Holthaus
Die Klimakrise ist nur eines von vielen schlimmen Themen, die wir momentan jeden Tag über die Medien aufnehmen und verarbeiten müssen. Wegschauen ist keine Option, Hinschauen aber oft schmerzhaft und verzweifelnd. Wie wäre es aber, einen optimistischen Blick in die Zukunft zu werfen? Eric Holthaus nimmt uns mit in das Jahr 2050 und erklärt, wie wir die Klimakrise verhindern und es uns gelingt, den Kollaps unserer Ökosysteme abzuwenden. Dabei zeigt er uns Szenarien, die Hoffnung machen.
»Es ist eines der schönsten Bücher, das ich je gelesen habe«, mit diesen Worten überreichte mir meine Kollegin Anna Maria Jurisch »Herzzeit«. Ein Buch, was den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan wiedergibt. Und damit ist es ein bewegendes Zeugnis zweier Menschen, die sich liebten und sich gegenseitig verletzten, die einander brauchten und doch miteinander nicht leben konnten. Und was soll ich sagen, meine Kollegin hatte Recht …
In den Spielzeitferien geht es für viele von uns nach Hause. Aber was bedeutet das eigentlich, »Zuhause«? Ein Ort? Ein Mensch? Ein Hund? Was macht uns aus, wo gehören wir hin? »Über eine Sehnsucht und die vielleicht wichtigste Suche unseres Lebens« schreibt Daniel Schreiber in seinem essayistischen Roman:
Wir wünschen Ihnen einen schönen Lese-Sommer, viel Freude beim Entdecken neuer (literarischer) Welten. Vielleicht finden Sie ja in der einen oder anderen ein neues Zuhause. Oder eben die Welt, die Sie gerade brauchen.
Frederike Krüger,
Dramaturgin für Musiktheater und Konzert