Lust, zu singen und spielen wie unsere Protagonisten im Familienstück »Der Zauberer von Oz«? Kein Problem! Hier stehen die Noten und Liedtexte für alle großen und kleinen Hobby-Sängerinnen, -Sänger und Musizierenden bereit.
Viel Spaß!
Der Zauberer von Oz: Liedtexte und Noten zum Mitsingen und -spielen
»Ich liebe es. Ich liebe es, ich liebe es, ich liebe es. Ich liebe es. Meine Mutter liebte es und jetzt liebe ich es.«
Frühmorgens am See: Voller Vorfreude beginnt Anglerin1 ihren Tag. Da taucht Anglerin2 auf. Ungewöhnlich, unhöflich, fast unheimlich, denn eigentlich angelt es sich doch am besten allein. Aber schnell merkt Anglerin1: Anglerin2 ist ebenfalls ein waschechter Profi! Beide angeln schon ihr Leben lang an genau diesem See, nur an verschiedenen Angelplätzen. Und sie haben sogar denselben Lieblingsköder! Sie plaudern über das beste Equipment und ihre Mütter und Großmütter – selbstverständlich auch leidenschaftliche Anglerinnen, die ihr Wissen seit Generationen an ihre Töchter tradieren. Und das Fischen ist nicht nur Passion, es dient dem Lebensunterhalt der Familie! Nicht lange, und die beiden offenbaren sich sorgsam gehütete Geheimnisse. Anglerin2 hat seit einem Jahr nichts mehr gefangen, und Anglerin1 erfährt, dass Angelregel Nummer 3, an die sie ihr gesamtes Leben geglaubt (»Keine Profi-Anglerin darf mehr als 55 Kilo wiegen.«), ja die sogar ihr ganzes Leben bestimmt hat, eine Lüge ist. Eine Lüge ihrer Mutter und Großmutter. Beide sind erschüttert in ihren Anglerinnen-Grundfesten.
»Sollten Sie heute noch fangen, dann ist alles ganz wunderbar und die Limitierung Ihrer Lizenz verfällt. Wenn nicht, tragen Sie leider offiziell nichts Relevantes zu unserer Gesellschaft bei und Sie wissen, was Ihnen dann blüht?«
Und dann gibt es da auch noch den Bootshausverleiher. Der ist unheimlich mitteilsam und stört die beiden permanent. Doch damit nicht genug! Er hetzt den beiden Anglerinnen die Fischereiaufsicht auf den Hals. Und die sagt klipp und klar: Entweder die Anglerinnen fangen heute noch was, oder sie verlieren ihre Angellizenz. Womit der Bootshausverleiher allerdings nicht gerechnet hat: Die Fischereiaufsicht hält nicht nur Auflagen für die Anglerinnen parat, auch er selbst kriegt Butter bei die Fische – er muss sein Haus abbauen, es ist zu nah am Wasser gebaut. Zu allem Übel zieht nun auch noch ein Sturm auf… Gelingt es den beiden Angelrinnen, einen Fisch zu landen? Am besten sogar einen Urzeitfisch?!
»Wie schade, dass mein Lebensziel nicht der glücklichste Tag ist, sondern der URZEITFISCH.«
Was als harmlose Angel-Plauderei mit kleinen, feinen Fangfragen beginnt, lässt bald in die tiefsten Tiefen der See(le) blicken. Bleibt man immer Kind seiner Eltern? Wie kann man sich von den Wünschen und Prägungen durch Erziehung und Umwelt, von einem »Das haben wir schon immer so gemacht!« lossagen? Wie geht man trotz (Versagens-)Ängsten seinen eigenen Weg? Welche Traditionen und Geschichten lohnen sich zu bewahren, und von welchen kann man sich getrost verabschieden? Wie gehen Frauen miteinander um, wenn es um persönliche und berufliche Selbstverwirklichung geht? Wie dem Erwartungsdruck entgegentreten, den die Gesellschaft an Frauen richtet – erwerbstätig zu sein und gleichzeitig Mutter, und darüber natürlich auch noch stets glücklich? Und am besten mit Idealgewicht.
Der Text von Noëlle Haeseling steckt voller Symbole und Doppelbödigkeiten, die Regisseurin Theresa Thomasberger in ihrer Inszenierung fein auslotet. Irgendetwas ist anders, merkwürdig, fast unheimlich an diesem Kosmos der Anglerinnen, der auf den ersten Blick so harmlos scheint. Es sind nicht nur die umgekehrten Vorzeichen der binären Geschlechterwelt, mit denen absurd und äußerst humorvoll jongliert wird – es sind die Figuren, hinter deren arglosem Geplauder immer noch etwas mehr steckt. Jede*r hat ein Geheimnis, das unter der Wasseroberfläche des Sees, unter dem Nebel, schlummert. Das Geheimnisvolle, Traumhafte à la David Lynch und »Twin Peaks« waren nicht nur für die Kostüme von Mirjam Schaal, sondern auch für die Musik von Oskar Mayböck große Inspiration. Das Bühnenbild (ebenfalls von Mirjam Schaal): Zwei vereinzelte Steine für zwei vereinzelte Anglerinnen, dazu ein Bootshaus, in dem sich der Bootshausverleiher nahezu verbarrikadiert – Sozialkontakte, der Umgang mit dem Gegenüber, scheinen die Protagonisten zu überfordern.
»Es kommt gar nicht auf die richtigen Gedanken beim Warten an. Es kommt darauf an, ob im See noch Fische sind oder nicht.«
Die beiden Anglerinnen warten. Warten auf Fisch. Der Fang des Urzeitfisches, »sehr gruselig und sehr mysteriös«, ist es dann auch, der das Leben an Land endgültig ins Wanken bringt. Als Verkörperung von Geschichte und Tradition kommt er aus der Tiefe des Sees und macht die tiefen Ängste, Sehnsüchte und Zweifel der Figuren sichtbar. Anglerin1 sieht sich mit einer Lüge konfrontiert, die sie an allem zweifeln lässt, aber schließlich eine Weiterentwicklung ermöglicht. Anglerin2 ist die Freude am Angeln vergangen, weil alles immer Sinn und Zweck haben muss. Versagensängste blockieren sie – sie kann sich nicht befreien vom Erwartungsdruck ihrer Familie, den besten Fang zu landen. Doch wie lange lohnt es sich zu warten? Wann muss man akzeptieren, dass man nicht erreicht, was man sich vorgenommen hat?
»Mein Vater zum Beispiel war Lyriker, mit Fangen, Auswerfen, Warten, Betäuben und ähnlichen Kompetenzen hatte er nichts am Hut.«
Entstanden ist das Stück, weil Haeseling auffiel, dass Männer an Theatern öfters »einen kleinen lustigen Abend über irgendein cooles Hobby machten«, während von als weiblich gelesenen Personen erwartet wird, sich mit explizit feministischen Themen auseinanderzusetzen. Um sich davon zu befreien und auch als Frau über »geilen Scheiß« schreiben zu können, »der einfach Spaß macht«, fiel die Wahl auf die Verbindung von Frauen und dem für Haeseling urmännlichen Hobby Angeln. Und diese Anlage offenbart viel Potenzial, um die binären Geschlechterrollen auseinanderzunehmen: Hier sind die Frauen die Brotverdienerinnen. Man wünscht sich eine Tochter als Angel-Kumpanin und ist traurig über die Geburt eines Sohnes. Und allein schon die Geburt ist nicht der schönste Tag des Lebens, weil er mit zu vielen Schmerzen verbunden ist. Der erste Knoten gerät zum Initiationsritus wie die erste Menstruation – wegen dem frau sich vor dem Vater schämt. Der Vater überhaupt, er erscheint hier als »nie so besonders kompetent«, mit Angeln kennt er sich gar nicht aus, deswegen sucht man auch keinen Rat bei ihm. Auch der Bootshausverleiher versteht nichts vom Angeln und ist »ein wenig zu einfach gestrickt«. Er trägt sein Herz auf der Zunge, und sein Haus ist »zu nah am Wasser gebaut«, wie er selbst. Brauchen Boote (Männer) überhaupt ein schützendes Haus (Patriarchat), wenn es in ihrer Natur liegt, ihr Leben lang mit Wasser (Personen m/f/d) in Berührung zu sein? Auf jeden Fall muss er es abbauen, und dieser Abbau steht vielleicht für die zentrale Frage des Stücks in Bezug auf heutige Gender-Diskussionen: Muss man erst alles abreißen, damit etwas Neues entstehen kann? Und nicht nur im Umgang zwischen Mann und Frau oder zwischen Anglerin1 und Anglerin 2, auch allgemeingültig steht die Frage: Wie kann frau/man ein Miteinander ohne ein Gegeneinander gestalten?
In der zweiten Herbstferienwoche konnte man im Großen Haus immer mal wieder einen Blick auf viele Jugendliche erhaschen, die im Theater unterwegs waren. Es handelte sich dabei um 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer (TN), die sowohl aus Deutschland als auch Frankreich angereist waren, um drei Tage mit unseren Theaterpädagoginnen Anna Arnould-Chilloux, Lea-Marie Albert und Meike Koch zu verbringen. Im Fokus stand dabei die deutsch-französische Begegnung der Jugendlichen, sowie die Erarbeitung einer Abschlusspräsentation für die Eltern. Über die Ereignisse der drei Tage haben die Theaterpädagoginnen Tagebuch geführt:
Montag, 21. Oktober 2024:
09:00 Uhr: Ankommen, Kennenlernen und Spiele
Fokus: Die Namen der anderen lernen mithilfe von deutsch-französischen Rhythmus-Spielen (»Ich bin Anna, Hallo Anna, wer bist du?« – »je suis Meike, Salut Meike, qui es tu?«) und einem Zombie, der nur durch Namenskenntnis von seinen Opfern ablässt.
Highlight: Die TN haben Spaß, aber sind noch etwas schüchtern. Man kennt sich noch nicht richtig.
11:00 Uhr: Führung durch das Theater.
Fokus: Alle Fragen der TN werden beantwortet und sie lernen das Haus hinter den Kulissen kennen und welche vielfältigen Berufe es hier gibt.
Highlight: Die Entdeckung der Waffenkammer!
12:00 Uhr: Mittagspause mit kleiner Herausforderung
Fokus: Stärkung für den Rest des Tages mit kleiner sprachlicher Herausforderung in der Theater- Kantine
Highlight: Die französischen Jugendlichen bestellen ihr Essen in der Kantine auf Deutsch.
12:45 Uhr: Warm-up nach der Mittagspause
Fokus: Wir holen draußen kurz Luft, machen ein Foto vor dem Staatstheater und eine energetische Laola-Runde auf dem Theaterplatz.
13:00 Uhr: Bewegung!
Fokus: Raumlauf mit viel Musik und vielen Emotionen. Außerdem eine Spiegelübung in Zweiergruppen als deutsch-französisches Paar.
Highlight: Die TN lernen die Emotionen auch in der anderen Sprache. Wie sagt man »Freude« auf Französisch? Was bedeutet »Curiosité« oder »Colère«?
14:00 Uhr: Schauspiel: Die Kunst des Non-Verbalen Theaters
Fokus: Durch Mimik und Gestik entwickeln die Gruppen SzenenHighlight: Langsam nähert man sich an und es entwickeln sich Freundschaften in den kleinen Gruppen
Dienstag, 22. Oktober 2024
9:00 Uhr: Ankommen und den Weg selbst finden
Fokus: Und? Findet ihr den Weg zur »salle de répétitions« im Labyrinth des Theaters? »Probebühne?«
09:30 Uhr: Sprachanimation – eine sprachliche und körperliche Aufwärmung und Zip-Zap-Spoing
Fokus: Spielen in deutscher und französischer Sprache: Hast du gut geschlafen? Wenn ja bleib sitzen, wenn nein bewege dich nicht, wenn »solala« tausch schnell den Platz mit dem Nachbarn!
Und jetzt einmal auf Französisch: »As-tu bien dormis? Oui? Non? Bof bof«?
Nach einem energischen Klopfen auf den Rücken des Nachbarn im Kreis verwandelt sich das Zip-Zap-Spoing Aufwärmspiel plötzlich in ein Theater-Vokabel-Lernspiel: Bühne, scène, Publikum, Rideaux de Théâtre, und mehr…
Highlight: Lächeln und Lachen bei den TN
10:00 Uhr: Probe mit Modenschau
Fokus: Erste Szenenentwicklungen für unsere Abschlusspräsentation. Mit einer emotionalen Modenschau werden viele Emotionen des gestrigen Tages noch einmal hervorgeholt und mit Mimik und Gestik auf die Bühne gebracht.
Highlight: Der Catwalk einiger TN ist sehr eindrucksvoll!
11:00 Uhr: Schauspieltraining in Eigenregie
Fokus: In Kleingruppen entwickeln die TN kleine non-verbale Szenen. Die Vorgabe ist dabei ein roter Faden, eine Dramaturgie – Fil rouge.
Highlight: Die TN erzählen abwechselnd auf Deutsch und auf Französisch ihre Ideen, ergänzen sich und helfen sich beim Übersetzen. »Wir könnten einen Charakter haben, der herumläuft und alle Emotionen in den Szenen ändert!«
»Quelqu‘ un qui porte malchance? Cela pourrait etre une histoire de famille.« Eine Familiengeschichte, erstmal die Eltern laufen mit ihrem Hund, dann die Onkel und Tante spielen Karte usw.«
12:00 Uhr: Mittagspause in der Kantine
Highlight: Die Essensbestellung auf Deutsch geht schon viel leichter von der Hand als noch am Vortag!
12:45 Uhr: Vokabelzeit
Fokus: Welche Wörter brauchen wir in beiden Sprachen, um zusammen kommunizieren zu können? Alle Wörter werden an eine Wand geklebt, damit man sie sich jederzeit anschauen kann.
Highlight: Die interessierten Blicke auf unsere bunte Vokabeltafel.
13:30 Uhr: Emotion und Instrumente, ein künstlerisches Potpourri mit Saxophon, E-Gitarre, Ukulele, Akustik-Gitarre und Klavier.
Fokus: Welche Emotionen kann ich durch mein Instrument darstellen? Wie klingt »Trauer« auf dem Saxophon? Oder »verliebt« mit der Ukulele? Die anderen TN reagieren mit der Spiegelübung mit Bewegungen und Mimik auf die Musik.
Highlight: Die TN improvisieren auf ihren Instrumenten und versuchen die Emotionen durch ihre Musik zu vermitteln.
Mittwoch, 23. Oktober 2024
9:00 Uhr: Endgültige Szenenerfassung für die Abschlusspräsentation
Fokus: Wir puzzeln ein Stück zusammen und inszenieren. Wir möchten so viel aus dem Workshop wie möglich in unser Stück einbauen.
Highlight: Alle dürfen Vorschläge machen, was sie gerne in der Präsentation zeigen möchten. Man merkt auch, dass die Sprachbarriere in den letzten Tagen sehr abgenommen hat und man sich auf Anhieb gut versteht!
Eine deutsche und eine französische TN kommen sogar zu Anna und fragen: »Wie sagt man veux tu t’asseoir à coté de moi à la répétition? – Möchtest du dich während der Probe neben mich setzen?«
10:00 Uhr: Probenbesuch beim Ballett »Romeo und Julia«
Fokus: Kennenlernen eines professionellen Probeablaufs und ein ein erster Einblick in unsere große Ballett-Premiere.
Highlight: Alle TN sitzen bunt gemischt im ersten Rang und beobachten gebannt das Orchester im Orchester-Graben (»Fosse d’orchestre«) und die Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne.
12:20 Uhr: Mittagspause in der Kantine
Highlight: Die TN wissen nun wie das geht und bestellen ihr Essen ganz auf Deutsch ohne Hilfe. Die Kollegen des Theaters fragen, wer diese ganzen Kinder sind? Wir antworten stolz: Das ist unsere Herbstferienwerkstatt!
12: 45 Uhr: Fragerunde mit Klaus Kieser, Dramaturg von Romeo und Julia
Fokus: Nach dem Probenbesuch dürfen die TN alle Fragen stellen, die ihnen auf der Seele brennen:
– Wie lange dauert eine Probe?
– Wie viele Tänzer tanzen insgesamt mit?
– Wie werden die Kostüme aussehen?
Highlight: Ganz viele interessierte Fragen, die wir sogar irgendwann abbrechen müssen, damit noch Zeit zum Proben für unsere Abschlusspräsentation bleibt!
13:30 Uhr: Generalprobe!
Fokus: Noch einmal alles durchspielen bevor es gleich ernst wird.
Highlight: Alle TN sind wahnsinnig konzentriert und fokussiert.
14:00 Uhr: Toi toi toi – wir spielen unser erarbeitetes Ergebnis vor den Eltern und Geschwistern im Mittelfoyer vor.
Highlight: Standbild am Ende der Präsentation: eine kollektive Umarmung
Danach sind alle in heller Aufruhr, es gibt tosenden Applaus. Nach einem kleinen Abschiedsritual («Schubidu») beenden wir unsere dreitägige Herbstferienwerkstatt.
In den Gesichtern kann man ganz viel Freude, aber auch ein bisschen Traurigkeit, weil es jetzt vorbei ist, erkennen. Und dieses Mal sind die Emotionen nicht gespielt, sondern echt!
Zu hören sind französische und deutsche Abschiedsworte.
Eine französische TN redet mit uns nur noch auf Deutsch (»Danke, das war toll!«). Ein deutscher TN zeigt und erklärt seine E-Gitarre noch einmal auf Französisch.
Die Eltern bedanken sich: »Es hat meiner Tochter gut gefallen – Können wir sie fest in eurer Theatergruppe anmelden? «
Biensur que nous le referons! Kommt zu unserem neuen Theaterclub! Der deutsch-französischen Jugendclub!
Durch die großzügige Unterstützung der ODDO BHF Stiftung wurde die Theaterpädagogik des Saarländischen Staatstheaters um eine Projektstelle „Koordination deutsch-französische Projekte“ in der Spielzeit 2024/2025 erweitert.
Kleists »Der zerbrochne Krug« gilt neben Lessings »Minna von Barnhelm« als eines der ersten deutschen Lustspiele. In dem was Eve in diesem Stück widerfährt, könnte man aber auch von einer frühen #MeToo-Geschichte sprechen. Wie geht’s du als Regisseurin mit diesen unterschiedlichen Facetten der Geschichte um?
Mir ist wichtig, dass beide Anteile, die komischen und die tragischen, ihren Raum in der Inszenierung finden. Das funktioniert für mich über die Figuren und das Spiel. Richter Adam ist eine komische Figur, der sich mit halbgaren Ausreden und dreisten Lügen durch den Prozess laviert. Darin erfüllt sich der Komödienanteil des Stückes. Der Machtmissbrauch, den er betreibt, zeigt sich aber in den Leidtragenden, insbesondere in der Figur der Eve, auch in seinen tragischen Aspekten. In den Momenten, in denen Eve spricht, entfaltet sich der tragische Aspekt und sie vermag es, die Stimmung in diesen Momenten komplett zu drehen. Die Komik auf Seiten der Figur des Adam ist dann auch keine ungebrochen komische, der von ihm gezinkte Prozess entfaltet neben aller Komik auch eine ungeheure Brutalität.
Am Tag der Präsidentschaftswahlen in den USA haben wir unsere erste Hauptprobe. Würde Kleist in der heutigen Zeit eine Komödie über Donald Trump statt über einen Dorfrichter Adam schreiben um von Machtmissbrauch und Sexismus zu erzählen?
Das tolle an dem Text von Kleist ist seine überzeitliche Aktualität. Die Mechanismen des Machtmissbrauchs sind erschreckend aktuell. Es braucht hier nicht einmal eine explizite Erwähnung von gegenwärtigen Widergängern eines Richter Adam, wie Trump oder Harvey Weinstein. Das Prinzip, sich unter dem Deckmantel der eigenen Funktion persönliche Vorteile zu verschaffen, ist und bleibt dasselbe. Ich denke, diese Parallele werden die Zuschaueden ohne explizite Aktualisierung ziehen.
Neben dem ungeheuren Sprachwitz benutz Kleist auch besondere Stilmittel in den brillant geführten Dialogen der bizarren Gerichtsverhandlung. Was bedeutet für dich das Für-sich-Sprechen der Figur Adam?
Für mich ist dieses offene Für-sich-Sprechen Ausdruck von zweierlei: zum einen offenbart es ein gewisses Maß fehlender Impulskontrolle und zum anderen zeigt es die ungeheure Hybris einer Person, die daran gewöhnt ist aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung mit Allem davonzukommen. Es zeigt auch, dass immer zwei Seiten dazu gehören, wie viel Macht jemand hat: Zum einen ist es die machtausübende Person und zum anderen sind es aber auch diejenigen, die diese Macht unwidersprochen walten lassen.
Du hast dir von deiner Ausstatterin Julia Nußbaumer ein scheinbar einfaches wie lustiges und sinnstiftendes Bühnenbild entwerfen lassen, denn in Kleists Kriminalkomödie geht es nicht nur für Dorfrichter Adam ums Ganze. Wie surreal willst du das Bild verstanden wissen?
Für mich ist das Bühnenbild eine abstrakte Übersetzung der von Kleist beschriebenen verlotterten Amtsstube, in der Stroh und Hühner neben Wein und Würsten gleichberechtigt neben Gerichtsprotokollen existieren. Horst Busch
Benjamin Wäntig Wie bereitest du dich auf eine Uraufführung vor, deren Musik noch niemand gehört hat?
Stefan Neubert Der größte Unterschied ist, dass es keinerlei Aufführungstradition gibt, geschweige denn Aufnahmen. Dadurch kann man sich viel frischer an ein Stück annähern. Wo sind die dramatischen Höhepunkte? Wie sind die einzelnen Teile gewichtet? Das Kennerlernen und Verstehen der Struktur ist ein spannender Prozess. Für mich waren die Leitmotive ein großer Baustein dabei. Holsts Umgang damit ist einzigartig. Es gibt natürlich auch Leitmotive bei anderen Komponisten, aber bei Holst durchziehen sie fast jeden Takt, überlagern sich. Wenn man die Charaktere dieser Motive begreift, ergeben sich daraus organisch die Temporelationen. Dabei ist außerdem wichtig, dass die Musik nah an der Sprache ist. Wenn man den Gesangsstimmen mit dem natürlichen Sprechrhythmus folgt, ergeben sich Rückschlüsse für Tempo und Rubato.
BW Vokal-, insbesondere Chorwerke machen ja auch einen Großteil von Holsts Œuvre aus.
SN Gerade die Chorpassagen sind hochinteressant, besonders die Stellen, die aus dem Off klingen. Dazu zählen die Stimmen der Erde als vierstimmiger Frauenchor, die mit kühnen Harmonien eine mystische Atmosphäre verströmen und nach typischem Holst klingen.
BW Noch zwei Beobachtungen zu Holsts Leitmotiven: Einerseits sind sie häufig relativ kurz, aber Holst gelingt es trotzdem, aus ihnen größere Teile und Zwischenspiele zu entwickeln, ihnen geradezu sinfonische Dimensionen zu verleihen. Andererseits entwickelt er Motive aus anderen heraus, schafft also auf diese Art musikalisch-dramaturgische Zusammenhänge im Stück.
SN Sinfonischen Charakter erhalten die Leitmotive durch ihre Harmonisierung und Instrumentierung. Das Vorspiel zum 2. Akt besteht nur aus dem dreitaktigen Motiv der Treue von Sita und Rama, das vom Hornquartett in die übrigen Blech- und Holzbläser wandert. Dazu wird es harmonisch immer komplexer: von einfachem Dur hin zu einer Folge von schwebenden Septakkorden. Im 3. Akt erscheint das Treuethema wiederum in veränderter Form, wenn Rama von Sita als Gefangener spricht. Nun steht es in Moll mit einer dissonanten Basslinie dazu und nimmt so die Bedrohung des Treueversprechens am Ende musikalisch voraus.
Holsts Leitmotive stehen also nicht einfach eins zu eins für eine Figur oder ein Gefühl, sondern sie sind in permanenter Entwicklung – ein Verfahren, dass in dieser Komplexität nur wenigen Komponisten in der Nachfolge Wagners gelungen ist.
BW Welche Vorbilder hörst du sonst in der Partitur heraus? Auch wenn Holst selbst das Werk im Nachhinein als »wagnerianisches Gebell« abgetan haben soll, finde ich, dass sich dieser Vergleich am Ende gar nicht so sehr aufdrängt.
SN Für mich auch nicht. Holst hat hier weitgehend einen eigenen Stil gefunden, auch wenn er ihn später weit über das spätromantische Idiom hinaus entwickelt hat. Manche verminderten oder halbverminderten Akkorde oder große Ausbrüche erinnern etwas an Wagner. Ein größeres Vorbild, vor allem in Bezug auf die changierende Harmonik, sehe ich aber etwa bei Richard Strauss.
BW Wobei mich die musikalische Klammer von »Sita« an »Tristan und Isolde« erinnert: Während man in letzterem – vereinfacht gesagt – fünf Stunden auf die richtige Auflösung des rätselhaften Tristanakkords wartet, liegt auch »Sita« eine übergeordnete Kadenz von Des nach C zugrunde, die als kosmologische Idee von Anfang bis Ende über dem ganzen Stück steht.
SN So wichtig Wagner für Holsts strukturelle Überlegungen sicher gewesen ist, so ist doch Holsts musikalisches Idiom ganz anders und eigen. Man findet immer wieder etwas, das ich nur unspezifisch als britischen Klang bezeichnen kann: fanfarenartige Blechbläsersätze und eine gewisse Noblesse à la Elgar oder auch Vaughan Williams, mit dem Holst ja in engem Austausch stand. Anderes erinnert mich an Debussy, etwa die vielen leisen Stellen mit feinen dynamischen Abstufungen zwischen zwei- und dreifachem Pianissimo oder auch der häufig stark aufgefächerte Streichersatz. Holst scheut aber auch nicht die große Operngeste, sodass an den melodiösen Höhepunkten Puccini durchscheint. Es ist insgesamt eine Musik zum Genießen, die immer klangvoll, melodienreich und durch ihre Instrumentierung und Harmonik sehr farbig ist.
BW Bei aller kompositorischer Reife handelt es sich ja um ein frühes Stück im Œuvre des Komponisten. Was weist für dich auf den späteren Holst voraus?
SN Immer wieder finden sich solche Stellen. Am Ende des 2. Akts bei Ravanas Beschwörung der Finsternis tauchen stark dissonante Orgelpunkte in den Posaunen auf, die schon deutlich nach »The Planets«, vor allem »Mars«, klingen. Genauso das Intermezzo im 3. Akt, das konsequent in einem schwankenden 5/4-Takt geschrieben ist und so den offenen Ausgang der Situation der Angriffssituation in Musik fasst.
Die modernste Stelle des ganzen Stücks ist wenig später im 3. Akt, wo zum rhythmischen Hämmern des Brückenbaus verschiedene Motive geschichtet werden: das Lied der Holzfäller aus dem Off, Ravanas Beschwörung, Sitas Sonnengruß – alles gleichzeitig übereinander montiert.
BW Noch eine spekulative Frage: Warum hat Holst »Sita« liegengelassen, nachdem die Oper den ersehnten Wettbewerbspreis verfehlt hatte?
SN Ich kann mir vorstellen, dass eine solche Enttäuschung jemanden dazu veranlassen kann, radikal mit etwas Vorherigem abzuschließen, um sich auf Neues zu konzentrieren. Obwohl ich »Sita« für sehr originell und keineswegs epigonenhaft halte: Holst hat sich im Folgenden auf der Suche nach seinem individuellen Stil immer mehr von den Vorbildern der Romantik gelöst und mit anderen Formen und vor allem auch kleineren Besetzungen experimentiert. Nur in wenigen Werken wie »The Planets« hat er auf große Orchesterbesetzungen zurückgegriffen. Auf diesem Weg ist »Sita« eine wichtige Etappe: Die Oper hat es aber verdient, nicht nur als bloße Zwischenstufe betrachtet zu werden, sondern als spannendes Werk mit eigenen (Klang-)Qualitäten.
In »Von Fischen und Frauen« treffen sich zwei Frauen zufällig beim Angeln und kommen ins Gespräch. Der Untertitel lautet »Kleines, extrem harmloses Drama übers Angeln«. Dabei verhandeln die beiden eigentlich extrem un-harmlose, komplexe Themen wie Selbstverwirklichung oder Transgenerationalität, verpackt in scheinbar belangloses Plaudern beim Angeln. Wie kam’s zu dieser Kombination?
Es kam dazu, weil mir auffiel, dass an verschiedenen Theatern Männer einen lustigen kleinen Abend über irgendein cooles Hobby machten. »So einen Abend wollten wir einfach schon immer mal machen«, hieß es dann. Ich habe da ein starkes Ungleichgewicht empfunden, dass an uns als weiblich gelesene Personen die Erwartung besteht, dass wir uns mit explizit feministischen Themen auseinandersetzen müssen. Diese kleinen Hobby-Abende habe ich irgendwie als Provokation empfunden, obwohl sie sicher nicht so gemeint sind. Es hat nur eben gezeigt, welche Freiheiten wir uns manchmal nicht nehmen können. Natürlich will ich auch als Frau über »geilen Scheiß« schreiben, der einfach Spaß macht. Ich habe mir dann das Angeln ausgesucht, das stand für mich für ein ur-männliches Hobby. Beim Schreiben wurde dann schnell klar, dass bereits in dieser Anlage und Umkehrung automatisch so viele geschlechtsspezifische Themen sichtbar werden. Im entspannten Plauderton große Themen zu verhandeln fand ich ein interessantes Spannungsfeld. Das habe ich im Untertitel versucht einzufangen. Mir gefiel die Kombination aus extrem und harmlos, weil sich das für mich normalerweise kaum vereinbaren lässt. Vielleicht könnte man die Beschreibung als Modus für das Stück sehen.
Bei deinem dramatischen Erstling »Ich, Akira. Monologstück für einen Hund mit einer Frage«, den du zusammen mit Leo Meier geschrieben hast, spricht ein Hund. Und in »Von Fischen und Frauen« kommt ein Urzeitfisch zu Wort. Was können Tiere ausdrücken, wozu Menschen nicht in der Lage sind?
In diesem konkreten Fall wartet eine Anglerin ja bereits ihr Leben lang darauf, diesen URZEITFISCH zu fangen, es wird den ganzen Tag über ihn gesprochen. Da fand ich es nur fair, ihn einmal selbst zu Wort kommen zu lassen. Was dieser dann zu sagen hat, ist eigentlich wieder recht »menschlich«. Das Schöne ist ja, dass aus der Perspektive der Schreibenden erstmal alle Figuren in der Lage sind, alles auszudrücken. Dass es da überhaupt keine Grenzen gibt, und alles denkbar ist, ist das Tolle am Theater! Außerdem sind Tiere in der Literatur ja oftmals sehr symbolträchtig oder wir projizieren viel in sie hinein. Damit zu spielen finde ich einen lustvollen Vorgang. Wenn solche Figuren im Theater vorkommen, ist in jedem Fall die Fantasie der Schauspieler*innen besonders gefragt. Ich hoffe, dass das Spaß macht!
Deine Figuren sprechen oft direkt mit dem Publikum – suchen sie Verbündete?
Als Schauspielerin waren für mich die besten Momente immer die, in denen ich in direkten Kontakt mit dem Publikum treten, es ansprechen konnte. Ich mag das immer sehr, wenn der Umstand nicht ignoriert wird, dass ein zuhörendes und zusehendes Publikum in diesem Moment real anwesend ist. Das ist für mich immer noch ein super magisches Setting und eine Konzentration, die es so sonst selten gibt. Diese Verbindung kann man ruhig stärken und etwas »Beziehungsarbeit« leisten, auch wenn es »nur« durch die Figuren geschieht.
Du hast selbst Schauspiel studiert, wie beeinflusst dich deine Arbeit als Schauspielerin beim Schreiben?
Das beeinflusst mich immer und überall. Ich denke oft zuerst über einen Spielanlass nach und entwickle davon ausgehend die Szenen. Lese natürlich selber ganz oft laut, gebe die unfertigen Texte meinen Kolleg*innen und merke dann manchmal schon, was gestrichen werden muss, einfach weil es beim laut Aussprechen nicht »flowt« oder keinen Spaß macht. Ich gehe also mehr mit einer Spieldynamik los als mit einem Thema, und beides findet dann im Prozess hoffentlich zusammen.