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Erinnerungen aus dem deutsch-französischen Herbstferienworkshop 2024

In der zweiten Herbstferienwoche konnte man im Großen Haus immer mal wieder einen Blick auf viele Jugendliche erhaschen, die im Theater unterwegs waren. Es handelte sich dabei um 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer (TN), die sowohl aus Deutschland als auch Frankreich angereist waren, um drei Tage mit unseren Theaterpädagoginnen Anna Arnould-Chilloux, Lea-Marie Albert und Meike Koch zu verbringen. Im Fokus stand dabei die deutsch-französische Begegnung der Jugendlichen, sowie die Erarbeitung einer Abschlusspräsentation für die Eltern.
Über die Ereignisse der drei Tage haben die Theaterpädagoginnen Tagebuch geführt:




Montag, 21. Oktober 2024:

09:00 Uhr: Ankommen, Kennenlernen und Spiele

Fokus: Die Namen der anderen lernen mithilfe von deutsch-französischen Rhythmus-Spielen (»Ich bin Anna, Hallo Anna, wer bist du?« – »je suis Meike, Salut Meike, qui es tu?«) und einem Zombie, der nur durch Namenskenntnis von seinen Opfern ablässt.

Highlight: Die TN haben Spaß, aber sind noch etwas schüchtern. Man kennt sich noch nicht richtig.

11:00 Uhr: Führung durch das Theater.

Fokus: Alle Fragen der TN werden beantwortet und sie lernen das Haus hinter den Kulissen kennen und welche vielfältigen Berufe es hier gibt.

Highlight: Die Entdeckung der Waffenkammer! 

12:00 Uhr: Mittagspause mit kleiner Herausforderung

Fokus: Stärkung für den Rest des Tages mit kleiner sprachlicher Herausforderung in der Theater- Kantine

Highlight: Die französischen Jugendlichen bestellen ihr Essen in der Kantine auf Deutsch.

12:45 Uhr: Warm-up nach der Mittagspause

Fokus: Wir holen draußen kurz Luft, machen ein Foto vor dem Staatstheater und eine energetische Laola-Runde auf dem Theaterplatz.

13:00 Uhr: Bewegung!

Fokus: Raumlauf mit viel Musik und vielen Emotionen. Außerdem eine Spiegelübung in Zweiergruppen als deutsch-französisches Paar.

Highlight: Die TN lernen die Emotionen auch in der anderen Sprache. Wie sagt man »Freude« auf Französisch? Was bedeutet »Curiosité« oder »Colère«?

14:00 Uhr: Schauspiel: Die Kunst des Non-Verbalen Theaters

Fokus: Durch Mimik und Gestik entwickeln die Gruppen SzenenHighlight: Langsam nähert man sich an und es entwickeln sich Freundschaften in den kleinen Gruppen

Dienstag, 22. Oktober 2024

9:00 Uhr: Ankommen und den Weg selbst finden

Fokus: Und? Findet ihr den Weg zur »salle de répétitions« im Labyrinth des Theaters?  »Probebühne?«

09:30 Uhr: Sprachanimation – eine sprachliche und körperliche Aufwärmung und Zip-Zap-Spoing

Fokus: Spielen in deutscher und französischer Sprache: Hast du gut geschlafen? Wenn ja bleib sitzen, wenn nein bewege dich nicht, wenn »solala« tausch schnell den Platz mit dem Nachbarn!

Und jetzt einmal auf Französisch: »As-tu bien dormis? Oui? Non? Bof bof«?

Nach einem energischen Klopfen auf den Rücken des Nachbarn im Kreis verwandelt sich das Zip-Zap-Spoing Aufwärmspiel plötzlich in ein Theater-Vokabel-Lernspiel: Bühne, scène, Publikum, Rideaux de Théâtre, und mehr…

Highlight: Lächeln und Lachen bei den TN

10:00 Uhr: Probe mit Modenschau

Fokus: Erste Szenenentwicklungen für unsere Abschlusspräsentation. Mit einer emotionalen Modenschau werden viele Emotionen des gestrigen Tages noch einmal hervorgeholt und mit Mimik und Gestik auf die Bühne gebracht.

Highlight: Der Catwalk einiger TN ist sehr eindrucksvoll!

11:00 Uhr: Schauspieltraining in Eigenregie

Fokus: In Kleingruppen entwickeln die TN kleine non-verbale Szenen. Die Vorgabe ist dabei ein roter Faden, eine Dramaturgie – Fil rouge.

Highlight: Die TN erzählen abwechselnd auf Deutsch und auf Französisch ihre Ideen, ergänzen sich und helfen sich beim Übersetzen. »Wir könnten einen Charakter haben, der herumläuft und alle Emotionen in den Szenen ändert!«

»Quelqu‘ un qui porte malchance? Cela pourrait etre une histoire de famille.« Eine Familiengeschichte, erstmal die Eltern laufen mit ihrem Hund, dann die Onkel und Tante spielen Karte usw.«

12:00 Uhr: Mittagspause in der Kantine

Highlight: Die Essensbestellung auf Deutsch geht schon viel leichter von der Hand als noch am Vortag!

12:45 Uhr: Vokabelzeit

Fokus: Welche Wörter brauchen wir in beiden Sprachen, um zusammen kommunizieren zu können? Alle Wörter werden an eine Wand geklebt, damit man sie sich jederzeit anschauen kann.

Highlight: Die interessierten Blicke auf unsere bunte Vokabeltafel.

13:30 Uhr: Emotion und Instrumente, ein künstlerisches Potpourri mit Saxophon, E-Gitarre, Ukulele, Akustik-Gitarre und Klavier.

Fokus: Welche Emotionen kann ich durch mein Instrument darstellen? Wie klingt »Trauer« auf dem Saxophon? Oder »verliebt« mit der Ukulele? Die anderen TN reagieren mit der Spiegelübung mit Bewegungen und Mimik auf die Musik.

Highlight: Die TN improvisieren auf ihren Instrumenten und versuchen die Emotionen durch ihre Musik zu vermitteln.

Mittwoch, 23. Oktober 2024

9:00 Uhr: Endgültige Szenenerfassung für die Abschlusspräsentation

Fokus: Wir puzzeln ein Stück zusammen und inszenieren. Wir möchten so viel aus dem Workshop wie möglich in unser Stück einbauen.

Highlight: Alle dürfen Vorschläge machen, was sie gerne in der Präsentation zeigen möchten. Man merkt auch, dass die Sprachbarriere in den letzten Tagen sehr abgenommen hat und man sich auf Anhieb gut versteht!

Eine deutsche und eine französische TN kommen sogar zu Anna und fragen: »Wie sagt man veux tu t’asseoir à coté de moi à la répétition? – Möchtest du dich während der Probe neben mich setzen?«

10:00 Uhr: Probenbesuch beim Ballett »Romeo und Julia«

Fokus: Kennenlernen eines professionellen Probeablaufs und ein ein erster Einblick in unsere große Ballett-Premiere.

Highlight: Alle TN sitzen bunt gemischt im ersten Rang und beobachten gebannt das Orchester im Orchester-Graben (»Fosse d’orchestre«) und die Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne.

12:20 Uhr: Mittagspause in der Kantine

Highlight: Die TN wissen nun wie das geht und bestellen ihr Essen ganz auf Deutsch ohne Hilfe. Die Kollegen des Theaters fragen, wer diese ganzen Kinder sind? Wir antworten stolz: Das ist unsere Herbstferienwerkstatt!

12: 45 Uhr: Fragerunde mit Klaus Kieser, Dramaturg von Romeo und Julia

Fokus: Nach dem Probenbesuch dürfen die TN alle Fragen stellen, die ihnen auf der Seele brennen:

– Wie lange dauert eine Probe?

– Wie viele Tänzer tanzen insgesamt mit?

– Wie werden die Kostüme aussehen?

Highlight: Ganz viele interessierte Fragen, die wir sogar irgendwann abbrechen müssen, damit noch Zeit zum Proben für unsere Abschlusspräsentation bleibt!

13:30 Uhr: Generalprobe!

Fokus: Noch einmal alles durchspielen bevor es gleich ernst wird.

Highlight: Alle TN sind wahnsinnig konzentriert und fokussiert.

14:00 Uhr: Toi toi toi – wir spielen unser erarbeitetes Ergebnis vor den Eltern und Geschwistern im Mittelfoyer vor.

Highlight: Standbild am Ende der Präsentation: eine kollektive Umarmung

Danach sind alle in heller Aufruhr, es gibt tosenden Applaus. Nach einem kleinen Abschiedsritual («Schubidu») beenden wir unsere dreitägige Herbstferienwerkstatt.

In den Gesichtern kann man ganz viel Freude, aber auch ein bisschen Traurigkeit, weil es jetzt vorbei ist, erkennen. Und dieses Mal sind die Emotionen nicht gespielt, sondern echt!

Zu hören sind französische und deutsche Abschiedsworte.

Eine französische TN redet mit uns nur noch auf Deutsch (»Danke, das war toll!«). Ein deutscher TN zeigt und erklärt seine E-Gitarre noch einmal auf Französisch.

Die Eltern bedanken sich: »Es hat meiner Tochter gut gefallen – Können wir sie fest in eurer Theatergruppe anmelden? «

Biensur que nous le referons! Kommt zu unserem neuen Theaterclub! Der deutsch-französischen Jugendclub!

Durch die großzügige Unterstützung der ODDO BHF Stiftung wurde die Theaterpädagogik des Saarländischen Staatstheaters um eine Projektstelle „Koordination deutsch-französische Projekte“ in der Spielzeit 2024/2025 erweitert.

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Fragen an Pia Richter

Kleists  »Der zerbrochne Krug« gilt neben Lessings »Minna von Barnhelm« als eines der ersten deutschen Lustspiele. In dem was Eve in diesem Stück widerfährt, könnte man aber auch von einer frühen #MeToo-Geschichte sprechen. Wie geht’s du als Regisseurin mit diesen unterschiedlichen Facetten der Geschichte um?

Mir ist wichtig, dass beide Anteile, die komischen und die tragischen, ihren Raum in der Inszenierung finden. Das funktioniert für mich über die Figuren und das Spiel. Richter Adam ist eine komische Figur, der sich mit halbgaren Ausreden und dreisten Lügen durch den Prozess laviert. Darin erfüllt sich der Komödienanteil des Stückes. Der Machtmissbrauch, den er betreibt, zeigt sich aber in den Leidtragenden, insbesondere in der Figur der Eve, auch in seinen tragischen Aspekten. In den Momenten, in denen Eve spricht, entfaltet sich der tragische Aspekt und sie vermag es, die Stimmung in diesen Momenten komplett zu drehen. Die Komik auf Seiten der Figur des Adam ist dann auch keine ungebrochen komische, der von ihm gezinkte Prozess entfaltet neben aller Komik auch eine ungeheure Brutalität.

Foto: Martin Sigmund

Am Tag der Präsidentschaftswahlen in den USA haben wir unsere erste Hauptprobe. Würde Kleist in der heutigen Zeit eine Komödie über Donald Trump statt über einen Dorfrichter Adam schreiben um von Machtmissbrauch und Sexismus zu erzählen?

Das tolle an dem Text von Kleist ist seine überzeitliche Aktualität. Die Mechanismen des Machtmissbrauchs sind erschreckend aktuell. Es braucht hier nicht einmal eine explizite Erwähnung von gegenwärtigen Widergängern eines Richter Adam, wie Trump oder Harvey Weinstein. Das Prinzip, sich unter dem Deckmantel der eigenen Funktion persönliche Vorteile zu verschaffen, ist und bleibt dasselbe. Ich denke, diese Parallele werden die Zuschaueden ohne explizite Aktualisierung ziehen.

Der zerbrochne Krug
Foto: Martin Sigmund

Neben dem ungeheuren Sprachwitz benutz Kleist auch besondere Stilmittel in den brillant geführten Dialogen der bizarren Gerichtsverhandlung. Was bedeutet für dich das Für-sich-Sprechen der Figur Adam?

Für mich ist dieses offene Für-sich-Sprechen Ausdruck von zweierlei: zum einen offenbart es ein gewisses Maß fehlender Impulskontrolle und zum anderen zeigt es die ungeheure Hybris einer Person, die daran gewöhnt ist aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung mit Allem davonzukommen. Es zeigt auch, dass immer zwei Seiten dazu gehören, wie viel Macht jemand hat: Zum einen ist es die machtausübende Person und zum anderen sind es aber auch diejenigen, die diese Macht unwidersprochen walten lassen.

Der zerbrochne Krug
Foto: Martin Sigmund

Du hast dir von deiner Ausstatterin Julia Nußbaumer ein scheinbar einfaches wie lustiges und sinnstiftendes Bühnenbild entwerfen lassen, denn in Kleists Kriminalkomödie geht es nicht nur für Dorfrichter Adam ums Ganze. Wie surreal willst du das Bild verstanden wissen?

Für mich ist das Bühnenbild eine abstrakte Übersetzung der von Kleist beschriebenen verlotterten Amtsstube, in der Stroh und Hühner neben Wein und Würsten gleichberechtigt neben Gerichtsprotokollen existieren. Horst Busch

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ZUM SPIELEN: Zauberer von OZ – Memory

Unser Familienstück »Der Zauberer von Oz«  hat euch verzaubert, doch Ihr habt noch nicht genug? Hier findet Ihr unser zauberhaftes Memory, entworfen und gestaltet von unserer FSJlerin Jule Sophie Sattler! Einfach die PDF 2x ausdrucken, auf Pappe kleben, ausschneiden und los geht`s!

Foto: Martin Kaufhold

Hier klicken und Memory-Vorlage öffnen:

>>> Das verzauberte Memory

Viel Spaß !

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Zum Mitsingen!

Lust, zu singen und spielen wie unsere Protagonisten im Familienstück  »Der Zauberer von Oz«? Kein Problem! Hier stehen die Noten und Liedtexte für alle großen und kleinen Hobby-Sängerinnen, -Sänger und Musizierenden bereit.

Viel Spaß!

Der Zauberer von Oz | Foto: Honkphoto

Der Zauberer von Oz: Liedtexte und Noten zum Mitsingen und -spielen

Lied der Hexe

Lied der Vogelscheuche

Lied des Blechmanns

Lied des Löwen

Lied des Zauberers

Lied von Dorothy

Der Zauberer von Oz | Foto: Honkphoto
Der Zauberer von Oz | Foto: Honkphoto
Der Zauberer von Oz | Foto: Honkphoto
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Mystische Klangwelten

Benjamin Wäntig Wie bereitest du dich auf eine Uraufführung vor, deren Musik noch niemand gehört hat?

Stefan Neubert Der größte Unterschied ist, dass es keinerlei Aufführungstradition gibt, geschweige denn Aufnahmen. Dadurch kann man sich viel frischer an ein Stück annähern. Wo sind die dramatischen Höhepunkte? Wie sind die einzelnen Teile gewichtet? Das Kennerlernen und Verstehen der Struktur ist ein spannender Prozess. Für mich waren die Leitmotive ein großer Baustein dabei. Holsts Umgang damit ist einzigartig. Es gibt natürlich auch Leitmotive bei anderen Komponisten, aber bei Holst durchziehen sie fast jeden Takt, überlagern sich. Wenn man die Charaktere dieser Motive begreift, ergeben sich daraus organisch die Temporelationen. Dabei ist außerdem wichtig, dass die Musik nah an der Sprache ist. Wenn man den Gesangsstimmen mit dem natürlichen Sprechrhythmus folgt, ergeben sich Rückschlüsse für Tempo und Rubato.

Original Manuskriptseite zur Oper »Sita« | Foto: Holst Foundation/British Library, London

BW Vokal-, insbesondere Chorwerke machen ja auch einen Großteil von Holsts Œuvre aus.

SN Gerade die Chorpassagen sind hochinteressant, besonders die Stellen, die aus dem Off klingen. Dazu zählen die Stimmen der Erde als vierstimmiger Frauenchor, die mit kühnen Harmonien eine mystische Atmosphäre verströmen und nach typischem Holst klingen.

BW Noch zwei Beobachtungen zu Holsts Leitmotiven: Einerseits sind sie häufig relativ kurz, aber Holst gelingt es trotzdem, aus ihnen größere Teile und Zwischenspiele zu entwickeln, ihnen geradezu sinfonische Dimensionen zu verleihen. Andererseits entwickelt er Motive aus anderen heraus, schafft also auf diese Art musikalisch-dramaturgische Zusammenhänge im Stück.

SN Sinfonischen Charakter erhalten die Leitmotive durch ihre Harmonisierung und Instrumentierung. Das Vorspiel zum 2. Akt besteht nur aus dem dreitaktigen Motiv der Treue von Sita und Rama, das vom Hornquartett in die übrigen Blech- und Holzbläser wandert. Dazu wird es harmonisch immer komplexer: von einfachem Dur hin zu einer Folge von schwebenden Septakkorden. Im 3. Akt erscheint das Treuethema wiederum in veränderter Form, wenn Rama von Sita als Gefangener spricht. Nun steht es in Moll mit einer dissonanten Basslinie dazu und nimmt so die Bedrohung des Treueversprechens am Ende musikalisch voraus.

Holsts Leitmotive stehen also nicht einfach eins zu eins für eine Figur oder ein Gefühl, sondern sie sind in permanenter Entwicklung – ein Verfahren, dass in dieser Komplexität nur wenigen Komponisten in der Nachfolge Wagners gelungen ist.

BW Welche Vorbilder hörst du sonst in der Partitur heraus? Auch wenn Holst selbst das Werk im Nachhinein als »wagnerianisches Gebell« abgetan haben soll, finde ich, dass sich dieser Vergleich am Ende gar nicht so sehr aufdrängt.

SN Für mich auch nicht. Holst hat hier weitgehend einen eigenen Stil gefunden, auch wenn er ihn später weit über das spätromantische Idiom hinaus entwickelt hat. Manche verminderten oder halbverminderten Akkorde oder große Ausbrüche erinnern etwas an Wagner. Ein größeres Vorbild, vor allem in Bezug auf die changierende Harmonik, sehe ich aber etwa bei Richard Strauss.

BW Wobei mich die musikalische Klammer von »Sita« an »Tristan und Isolde« erinnert: Während man in letzterem – vereinfacht gesagt – fünf Stunden auf die richtige Auflösung des rätselhaften Tristanakkords wartet, liegt auch »Sita« eine übergeordnete Kadenz von Des nach C zugrunde, die als kosmologische Idee von Anfang bis Ende über dem ganzen Stück steht.

SN So wichtig Wagner für Holsts strukturelle Überlegungen sicher gewesen ist, so ist doch Holsts musikalisches Idiom ganz anders und eigen. Man findet immer wieder etwas, das ich nur unspezifisch als britischen Klang bezeichnen kann: fanfarenartige Blechbläsersätze und eine gewisse Noblesse à la Elgar oder auch Vaughan Williams, mit dem Holst ja in engem Austausch stand. Anderes erinnert mich an Debussy, etwa die vielen leisen Stellen mit feinen dynamischen Abstufungen zwischen zwei- und dreifachem Pianissimo oder auch der häufig stark aufgefächerte Streichersatz. Holst scheut aber auch nicht die große Operngeste, sodass an den melodiösen Höhepunkten Puccini durchscheint. Es ist insgesamt eine Musik zum Genießen, die immer klangvoll, melodienreich und durch ihre Instrumentierung und Harmonik sehr farbig ist.

BW Bei aller kompositorischer Reife handelt es sich ja um ein frühes Stück im Œuvre des Komponisten. Was weist für dich auf den späteren Holst voraus?

SN Immer wieder finden sich solche Stellen. Am Ende des 2. Akts bei Ravanas Beschwörung der Finsternis tauchen stark dissonante Orgelpunkte in den Posaunen auf, die schon deutlich nach »The Planets«, vor allem »Mars«, klingen. Genauso das Intermezzo im 3. Akt, das konsequent in einem schwankenden 5/4-Takt geschrieben ist und so den offenen Ausgang der Situation der Angriffssituation in Musik fasst.

Die modernste Stelle des ganzen Stücks ist wenig später im 3. Akt, wo zum rhythmischen Hämmern des Brückenbaus verschiedene Motive geschichtet werden: das Lied der Holzfäller aus dem Off, Ravanas Beschwörung, Sitas Sonnengruß – alles gleichzeitig übereinander montiert.

BW Noch eine spekulative Frage: Warum hat Holst »Sita« liegengelassen, nachdem die Oper den ersehnten Wettbewerbspreis verfehlt hatte?

SN Ich kann mir vorstellen, dass eine solche Enttäuschung jemanden dazu veranlassen kann, radikal mit etwas Vorherigem abzuschließen, um sich auf Neues zu konzentrieren. Obwohl ich »Sita« für sehr originell und keineswegs epigonenhaft halte: Holst hat sich im Folgenden auf der Suche nach seinem individuellen Stil immer mehr von den Vorbildern der Romantik gelöst und mit anderen Formen und vor allem auch kleineren Besetzungen experimentiert. Nur in wenigen Werken wie »The Planets« hat er auf große Orchesterbesetzungen zurückgegriffen. Auf diesem Weg ist »Sita« eine wichtige Etappe: Die Oper hat es aber verdient, nicht nur als bloße Zwischenstufe betrachtet zu werden, sondern als spannendes Werk mit eigenen (Klang-)Qualitäten.

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»Von Mensch zu Monster – handgemacht«

Die Monster in unseren Köpfen

Über die Jahrhunderte veränderten sich Bild und Bedeutung eines »monstrum« (lat.) stetig – bis heute bleibt das »Monster« eine Bezeichnung mit zwei Gesichtern, ist sowohl negativ als auch positiv konnotiert. Verwendet zur Umschreibung von Fehlbildungen, Hybridwesen bis zu Menschen bzw. Wesen, die gegen Natur und Gesetz handeln, wird der Begriff »Monster« je nach Religion, Vorstellung und Kultur anders interpretiert: Einige Hybridwesen wie Einhörner oder Feen gelten als ein märchenhaftes Fabelwesen, die Unschuld und Schönheit verkörpern. Menschen und Tiere mit Fehlbildungen werden in manchen Religionen und Kulturen als Auserwählte oder Reinkarnation der Götter gesehen. »Du bist ein Monster« können wir zu Menschen sagen, deren Stärke uns übernatürlich vorkommt, oder zu Menschen, die böse im Sinne unserer Wert- und Normvorstellungen sind. Bei Nacht werden Gegenstände in unserem Zimmer zu Monstern, die bei näherer Betrachtung lediglich die Schatten der Äste oder die langen Gardinen waren. Alles kann zum Monster werden, solange wir es für eines halten.

Gwynplaine (Jan Hutter) Foto: © Martin Sigmund

»L’Homme qui rit« von Victor Hugo

Der Autor Victor Hugo (1802-1885) gilt als einer der berühmtesten Autoren Frankreichs. Bekannt für »Der Glöckner von Notre-Dame« (1831), »Les Misérables« (1862) und »L’Homme qui rit« (1869) und viele weitere literarische Werke, gleichen sich die Protagonisten seiner Werke: von der Gesellschaft abgestoßene oder als »Monster« bezeichnete Figuren, die zum Nachdenken anregen.
Das im Saarländischen Staatstheater aufgeführte Stück »Der Mann, der lacht« entstand frei nach Hugos Roman »L`Homme qui rit«, in dem der Autor die sozialen Gegensätze im England des 17. Jahrhunderts kritisiert. Der von Ursus aufgenommene Gwynplaine, durch eine Operation entstellt, wird durch sein fratzenhaftes Lachen zum Spektakel der Jahrmärkte.

Die Verfilmung von 1928: Inspiration für den »Joker«

Der amerikanische Stummfilm »The Man who laughs« aus dem Jahr 1928 des deutschen Regisseurs Paul Leni ist eine Adaption von Victor Hugos historischem Roman. In der Verfilmung entstand der Look, der zu Batmans Nemesis, dem »Joker« inspirierte und seine Darstellung prägte. Der Maskenbildner Jack Pierce, bekannt für die berühmte Maske und das Maskenbild in »Frankenstein« (1931), war auch zuständig für das »ewige Lachen« von Conrad Veidt,der Gwynplaine im Stummfilm spielte. Pierce nutzte eine Vorrichtung, die sein Lachen fixierte, und gab ihm rote Lippen. Im Film in schwarz-weiß gaben diese Lippen ihm einen Look mit Wiedererkennungswert. Sein Lachen prägte sich in die Köpfe der Zuschauenden ein und war 1940 die grundlegende Idee für das Aussehen des ersten »Joker« im US-Comic »Batman #1« (1940). Der Name bezieht sich auf den Joker der bekannten Kartenspiele wie Rommé und Canasta mit dem abgebildeten Hofnarren. Über die Jahre hinweg gab es unterschiedlichste Interpretationen seines Looks, doch Veidts Lachen bleibt bis heute unvergesslich.

Das ewige Lachen auf der Bühne

»À la Gwynplaine« bezeichnet Königin Anna bei Hugo und im Stück die Operation, die die »Comprachicos« an Gwynplaine vollzogen haben und die ihn für immer zu einer Witzfigur der Gesellschaft machte. Das Stück erinnert uns daran, hinter das Aussehen der Menschen zu sehen und daran, wer die wahren »Gaukler« sind: Figuren wie Königin Anna täuschen die Menschen mit ihren Tricks, um zu bekommen, was sie wollen. Sie geben vor, etwas zu sein, das sie nicht sind, täuschen andere, um ihr Vertrauen zu gewinnen.

Moodboard von Kostümbilderin Jennifer Hörr für das »ewige Lachen« der Saarbrücker Inszenierung

Sabrina Neukirch stellte die Maske nach den Vorstellungen der Kostümbildnerin Jennifer Hörr her. Inspiration hierfür waren unter anderem die Grillz von Lady Gaga sowie der Protagonist Willy Wonka aus »Charlie und die Schokoladenfabrik« nach Tim Burton. Sabrina ist gelernte Damenschneiderin und bildete sich in Kursen zur Hutmacherin weiter.

Grillz – ein Schmuck, der normalerweise auf den Zähnen liegt – sind im Theater wenig praktisch: Sie würden die spielende Person am Sprechen hindern und ihre Spielweise beeinträchtigen. Anders als in Filmen, in denen mehrere Pausen gemacht werden können, muss die spielende Person im Theater ständig beweglich bleiben. Die Maske von Gwynplaine ist nicht nur deswegen außerhalb seines Mundes: Es macht sein Lächeln bewusst skurril, abschreckend und furchteinflößend. Sein fratzenhaftes Lachen wirkt, egal, was er tut, wie ein permanenter Fremdkörper und grenzt ihn auffällig von den anderen, von der Gesellschaft ab. Sein Lachen ist ständig unter Spannung – egal, was er fühlt, er bleibt der lachende Mann.

Der Prozess der Herstellung der Maske dauerte drei Stunden. Die aus Plastik und Keramik bestehenden Zähne der Maske stammen aus der Requisite – sie wurden aus einem alten Zahnarztbestand an das Theater gespendet. Die einzelnen Zähne wurden auf einem Draht aufgefädelt und danach auf ein Trägermaterial aus hitzeverformbarem Material namens Worbla gedrückt. Unterlegscheiben, Schrauben und Muttern stabilisieren die Maske an den äußeren Punkten. Immer wieder wird die Maske an den Schauspieler Jan Hutter, der Gwynplaine spielt, angepasst. Um die Maske tragbar zu machen, wurde sie auf einen Metallbügel, wie man ihn vom Zahnarzt kennt, angebracht. Das ewige Lachen für die Bühne ist fertiggestellt und bereit für die Premiere!

Der Text stammt von Jule Sattler, die im August ihr FSJ in der Dramaturgie begonnen hat, in Zusammenarbeit mit der Produktionsdramaturgin Gesa Oetting.