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Drei sportliche Komödien

Ein Telefon, das nie aus der Hand gelegt wird und somit eine wesentliche Frage verhindert. Ein Beziehungsstreit, der nach entdeckter Untreue tödlich endet, dann jedoch eine zweite Chance bekommt. Und ein Schwergewichtsboxer, der in allen erdenklichen privaten Peinlichkeiten gezeigt und dessen einfältige Persönlichkeit trotzdem – oder gerade deshalb – mit nationalen Ehren gefeiert wird. Wie verbindet deine Inszenierung diese drei Opernminiaturen von Menotti, Hindemith und Křenek?

Der Gedanke, die drei Opern miteinander zu verbinden, obwohl sie auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun haben, stand bei mir von Anfang an im Raum. Inspiriert vom letzten Stück über den Boxer kam ich auf die Idee, die gesamte Handlung in einem Fitness-Studio spielen zu lassen. In der Vorbereitung der Inszenierung nahm dieser Gedanke immer mehr Gestalt an. Und es zeigte sich, dass die Stücke so tatsächlich gut zu verknüpfen waren. Ich entdeckte dann auch immer mehr Parallelen innerhalb der Stücke, die ich dann inszenatorisch mit dem Gesangsensemble herausarbeitete.

Der Titel »Studio Amore« drängte sich auf, da es in jedem Stück um irgendeine Art von Liebeshändel geht, um elastische und weniger flexible Paarbeziehungen, könnte man sagen. Aus Ottokar, einer stummen Nebenfigur im »Schwergewicht«, wird bei uns ein Charakter, der durch alle drei Werke hindurch geht. Sie ist der gute Geist des Studios, bei ihr laufen alle Fäden zusammen, sie kennt alle offenen und geheimen Liebesgeschichten. Sie nimmt Anteil, leitet unmerklich die Geschicke und hat auch ihre Amouren. Auf dem Höhepunkt von »Hin und zurück« greift sie dann auch singend aktiv in die Handlung ein, indem sie als Dea ex macchina das Geschehen rückwärts dreht.

Auch im Bühnenbild folgen wir diesem verbindenden Ansatz. Alles spielt in einem Raum, dieselben Requisiten wandern von einem Stück zum nächsten, lediglich die Perspektiven verändern sich durch unterschiedliche Positionen des Mobiliars. Sogar Bewegungsmuster werden aufgegriffen und wiederholt. Eigentlich kennen sich in diesem Studio alle, turnen zusammen und die drei Stücke sind jeweils drei »Exercises« ein- und derselben Sache, nur unterschiedlich temperiert.

Die drei Komödien, darunter die wahrscheinlich kürzeste Oper aller Zeiten, kann man der sogenannten Zeitoper zuordnen, ein Genre, das in den 1920er Jahren, wie der Name schon sagt, Zeit- und Alltagsphänomene moderner Menschen kritisch-satirisch verhandelt, aber auch technische Veränderungen, neue Medien und populäre Musik aufgreift. Kannst du den drei Einaktern heute noch so etwas wie Zeitgenossenschaft abgewinnen?

Wir es haben es in der Oper ja meistens mit alten Stoffen zu tun, und die Aufgabe für uns Theatermacher besteht immer darin, nachzuforschen, was die Stücke uns heute noch sagen. Menottis »Telephone« ist ein gutes Beispiel. 1947 uraufgeführt, war damals die Situation des Telefonierens zu Hause noch recht neu. Da gab es natürlich viel Motivation, sich mit kritischem Witz damit auseinanderzusetzen. Heute ist die Situation eine andere. Ein Leben ohne Telefon ist nicht mehr vorstellbar, das Festnetz zu Hause spielt so gut wie keine Rolle mehr. Da muss man natürlich nicht lange nach Äquivalenten in unserer Zeit suchen. Der Umgang mit Handys, das ständige Posten von Nachrichten und Befindlichkeiten, die Selbstbespiegelung in den Sozialen Medien, der soziale Druck, ständig kommunizieren zu müssen – das alles sind gesellschaftliche Themen von heute, die sich gut auf das Stück übertragen lassen. Die Nichtwahrnehmung des Gegenübers, das etwas sehr Wichtiges kommunizieren möchte, funktioniert sowohl mit dem Schnur- als auch dem Mobiltelefon. Nur ist die Situation heute noch viel brisanter als Mitte des 20. Jahrhunderts. Wir alle wissen um Fluch und Segen dieses kleinen Apparats. Insofern ist das Stück fast visionär!   

Was bietet der Abend musikalisch?

Auch wenn es sich um Fingerübungen der drei Komponisten handelt, haben wir es hier musikalisch mit spannenden Experimenten mit hohem Kunstanspruch zu tun. Es sind Konversationsstücke, eigentlich der Operette, dem Boulevardtheater und dem Kino abgeschaut. Menottis Musik ist wahrscheinlich die gefälligste, lyrischste von den dreien. Darin gibt es kleine Arien, die teilweise den Gestus einer hochdramatischen Oper imitieren. Dazu hat Menotti das Klingeln des Telefons, das Wählen, das Warten am anderen Ende der Leitung etc. wunderbar in Musik gesetzt. Hindemiths Musik ist wesentlich vertrackter und funktioniert weniger psychologisch. Die Charaktere sind in diesem Sinne eigentlich viel skizzenhafter angelegt. Hindemith hat sich die Idee des Zurückspulens der Handlung und der Musik beim Film abgeschaut. Allerdings findet das nicht von Ton zu Ton statt, sondern ganz geschickt von einem formalen Abschnitt zum nächsten. Křenek spielt sehr stark auf Tempo – wie es sich für eine gute Komödie gehört. Seine Musik ist ganz stark von Tanzmusik der Zeit und dem Jazz beeinflusst. Was alle eint, ist das Zitieren von unterschiedlichen Stilen und Reminiszenzen an die Operngeschichte (Mozart!), was sehr schön zu dem Beziehungsmix passt.

Worin liegen für dich Herausforderung und Vergnügen, mit angehenden Sänger*innen zu arbeiten – und dann noch Komödie zu machen?

Obwohl ich schon seit über 25 Jahren mit jungen Sänger*innen arbeite, ist es jedes Mal auf Neue eine besondere Herausforderung, da die meisten Beteiligten kaum szenische Erfahrung mitbringen. In unserer Produktion kommen Student*innen aus ganz unterschiedlichen Semestern zusammen, einige sind erst vor kurzem nach Deutschland gekommen. Genau das macht die Sache spannend. Es ist unendlich schön mitzuerleben, wie die jungen Künstler*innen sich von Probe zu Probe immer mehr öffnen können, sich in ihre Rolle hineinbegeben und eine so lebendige Spielfreude versprühen, die einfach mitreißend ist. Der Weg dorthin ist lang und arbeitsreich, man muss viel Vertrauen aufbauen, aber die Mühe lohnt sich. Wir haben es hier noch mit einer besonderen Challenge zu tun: Nichts ist so schwer wie die scheinbar so leichte Komödie. Letztendlich ist das vergleichbar mit einer sportlichen Technik: Man muss sie verstehen, lernen, üben, das richtige Timing finden und weiterüben. Aber das tun wir ja sowieso immer 🙂  

Die Fragen stellte Stephanie Schulze.

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Eine Spielzeit voller Sehnsüchte – Rückschau und Ausblick

»Mein deutsches Lieblingswort ist Sehnsucht. Ich habe noch kein Wort, das eine wirklich gute Übersetzung wäre, in einer anderen Sprache gefunden. Denn in dem Sehnen ist im Deutschen auch die Sucht nach dem Sehnen und die Lust daran.« Cornelia Funke ist es, die in einem der vielen Kurzvideos in den Tiefen der sozialen Medien diesen Satz mit der Welt teilt. Sie ist nicht die einzige, die eine Faszination gegenüber diesem vom Duden als »inniges, schmerzliches Verlangen nach jemandem, etwas [Entbehrtem, Fernem]« definierten Gefühl empfindet – kein Wunder also, dass es zum Motto der Spielzeit 2023/24 im Saarländischen Staatstheater geworden ist. Ein ganzes Jahr mit Werken zu dem Thema zu füllen ist hierbei keineswegs zum Problem geworden, im Gegenteil: Man könnte vermutlich eine Vielzahl an Spielzeiten mit Stücken füllen, die sich der Sehnsucht widmen. Für welche hat sich also die Schauspielsparte des Saarländischen Staatstheaters entschieden und welche Formen von Sehnsucht wurden bereits aufgegriffen? Um sich dieser Frage zu widmen, wird es Zeit, mal Bilanz zu ziehen und zurückzuschauen auf die erste Hälfte der Spielzeit.

Eröffnet wurde die Spielzeit mit #Peep!, einer Pop-Revue von Mona Sabaschus in der alten Feuerwache, in welcher ungeliebte, von der Müllpresse bedrohte Spielzeuge gleich einige der elementarsten Sehnsüchte überhaupt auspacken: Sie sehnen sich danach, aus ihrem bisherigen Dasein auszubrechen und geliebt zu werden. Dass dieser Wunsch beinahe jedem Menschen früher oder später begegnet, zeigt auch die große Menge an Popsongs, die sich mit ihm auseinandersetzen und die die Protagonist*innen von #Peep! sich zur Verständigung zunutze machen.

»Peep« | Foto: Martin Kaufhold

Ein Kontrastprogramm gegenüber diesem Stück ist Tennessee Williams Endstation Sehnsucht, welches das zentrale Thema der Spielzeit bereits im Titel trägt. Hier spielt Sehnsucht in Form von sexueller Begierde eine ganz andere Rolle und wirkt nicht nur deshalb auf einmal viel weniger verlockend. Führen Sehnsüchte und Begierden nicht auch zu den Abgründen, die Williams in seinem Klassiker so meisterlich aufdeckt? Ist Blanches (Sehn)sucht nach minderjährigen Liebhabern nicht Resultat ihrer Sehnsüchte nach Luxus, unbeschwertem Leben und, wie sie selbst sagt, »Zauber«? Gleichzeitig scheint Stella, die leugnet, sich nach einem besseren Leben zu sehnen, in einem langfristig unglücklich machenden Leben gefangen zu sein und könnte womöglich ein wenig mehr Sehnsucht gebrauchen, um sich von Armut, ihrem brutalen Umfeld und ihrer Rolle im Haushalt loszulösen.

»Endstation Sehnsucht« | Foto: Martin Sigmund

Kommen wir zu einer anderen Form von Sehnsucht, die beispielsweise in Goethes berühmten Faust einen hohen Stellenwert hat: der Sehnsucht nach Wissen und Erkenntnis. In der Spartenproduktion Der lange Weg zum Wissen wird mit dieser Sehnsucht aber gänzlich anders umgegangen als in der Gelehrtentragödie: Nach der Vorstellung bleibt das Gefühl zurück, dass es gar nicht so schlimm ist, als Individuum nicht alles zu wissen. Tragischer ist, was Neil Armstrong im Prozess des gemeinsamen Philosophierens, der das Stück trägt, in den Raum wirft: „Wenn all das Wissen gewusst wird: Wieso machen wir dann [als Menschheit] noch Fehler?“ Sehnsucht nach Perfektion also? Nein, vielmehr Sehnsucht nach einem friedlichen und glücklichen Zusammenleben, in welchem jeder Platz hat.

»Der lange Weg zum Wissen« | Foto: Martin Kaufho

In Das Bildnis des Dorian Gray muss man nicht lange nach den Sehnsüchten des Protagonisten suchen: Dorian verspürt die Sehnsucht nach ewig währender Jugendlichkeit und Schönheit. Diese Sehnsucht wird jedoch nicht zum Motivation stiftenden Antriebsmittel, wie sie es manchmal sein kann, sondern führt zu Verderben, Tod und Unglück. Gewissermaßen also ein kritischer Blick auf die umstrittene Empfindung – oder zumindest auf einen überdimensionalen Stellenwert ihrer.

»Das Bildnis des Dorian Gray« | Foto: Martin Kaufhold

Wie Der lange Weg zum Wissen, fand auch die Uraufführung von Jakob Noltes Die Glücklichen und die Traurigen in der kleinsten Spielstätte des SST, der sparte4 statt. Mit einem herausstechenden Einsatz videographischer und technischer Elemente, erzählt die Inszenierung dieses Stückes die Geschichte eines Dorfes, das zum Zweck der deutschen Finanzenrettung komplett an eine ausländische Investorin verkauft wird. Es schlummert also vermutlich in jeder Figur eine Sehnsucht nach Selbstbestimmung und politischem Mitspracherecht. Interessanterweise drücken die auf der Bühne stattfindenden Dialoge aber hauptsächlich etwas anderes aus: die Sehnsucht nach Normalität und vertrauten Gewohnheiten in einer neuen und deshalb beängstigenden Situation. Besonders im Hinblick auf Covid-19 erscheint es mir, als ob unsere Sensibilität dahingehend viel größer geworden ist, während das menschliche Bedürfnis nach Tradition und Einteilung in bereits bekannte Muster gleichzeitig alarmierend ist und auch immer wieder als Quelle gesellschaftlicher Krisen identifiziert werden kann. Stichwort: »Das haben wir doch schon immer so gemacht!«

»Die Glücklichen und die Traurigen« | Foto: Martin Kaufhold

So wie wir (leider) auch schon immer eine Gesellschaft waren, die sich schwer tut, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Zeit des Nationalsozialismus größtenteils totgeschwiegen. Genau darauf weist Phillip Preuss´ Inszenierung von Wolfgang Borcherts Kriegsheimkehrerdrama Draußen vor der Tür hin. Auch hier also: Sehnsucht nach einer Normalität, wie sie vor dem Krieg geherrscht hat. Gegenübergestellt wird die Sehnsucht von Protagonist Beckmann, nach seiner Rückkehr aus sibirischer Kriegsgefangenschaft von der Gesellschaft aufgefangen zu werden und seine Traumata hinter sich lassen zu können. Ebenfalls maßgeblich in diesem – sicher nicht leichten, aber umso interessanteren – Theaterstück: Todessehnsucht.

»Draußen vor der Tür« | Foto: Martin Kaufhold

Das Thema Krieg behandelt auch ein ganz besonderes Projekt in der sparte4: Freiheit. Bei dieser Kooperation eines ukrainischen Regisseurs mit einer deutschen Regisseurin, bekommen 10 Jugendliche, die größtenteils ukrainischer Herkunft sind und ihre Heimat durch den russischen Angriffskrieg verlassen mussten, die Chance, ihre Sehnsüchte mit der Welt zu teilen. Sie erzählen von ihrem Verständnis von Freiheit und auch das Heimweh, das eine ganz besondere Form der Sehnsucht darstellt, wird thematisiert. 

»Freiheit« | Foto: Martin Kaufhold

Wenden wir uns einem scheinbar schönen Thema zu: Dem Lottogewinn! Doch auch dieses vermeintliche Glück, welches Die lieben Eltern aufgreift, birgt erstaunlich viel Tiefgang und Eskalationspotenzial. Und Sehnsüchte? Jede Menge. Angefangen bei der Sehnsucht, die Welt zu verbessern über die Sehnsucht nach dem Ausbruch aus dem eigenen Alltag bis hin zur Sehnsucht nach einem eigenen Golfplatz, Luxusautos und »Koks und Nutten«. Ironie pur!

»Die lieben Eltern« | Foto: Astrid Karger

Es wird Zeit für einen Ausblick auf die restliche Spielzeit. Was erwartet uns? Falls Sie nun eine so detaillierte Beschreibung der kommenden Stücke erwarten, wie ich sie versucht habe, zu den bereits laufenden Stücken zu formulieren, muss ich Sie leider enttäuschen. Schließlich kann ich nur mutmaßen, von welchem Blickwinkel aus die Regisseur*innen ihre Stücke angehen werden und welche Sehnsüchte sie im zugrunde liegenden Stoff als besonders hervorstechend empfinden. Trotzdem versuche ich ein paar Prognosen anzustellen:

Die Stückentwicklung von The end, my friend (Premiere am 22. März in der Alten Feuerwache) beschäftigt sich mit apokalyptischen Narrativen und dem gesellschaftlichen sowie kulturellen Umgang mit ihnen. Hier sehe ich großes Potential zur Beschäftigung mit der Sehnsucht nach Sicherheit – die von einer möglichen Apokalypse schließlich massiv bedroht wird. Gleichzeitig glaube ich, dass die Figuren im Angesicht einer Katastrophe auch die Sehnsucht verspüren könnten, ihr Leben in der letzten Zeit, die ihnen verbleibt, noch bewusst zu genießen. Andere könnten sich danach sehnen, als der-/diejenige, der eine mögliche Gefahr abgewendet hat, im Mittelpunkt zu stehen. Und vielleicht verspürt ja auch jemand die Sehnsucht danach, dass die Welt tatsächlich zugrunde geht?

Bei der Komödie Arsen und Spitzenhäubchen (Premiere am 23. März im Großen Haus) wird es schon etwas schwerer, den Anknüpfungspunkt zum Spielzeitmotto zu finden. Es könnten Sehnsüchte nach guten Taten oder auch nach der Erlösung eine Rolle spielen. Im Spielzeitheft spricht Schauspieldirektor Christoph Mehler, der die Regie dieser Produktion übernimmt, zudem von seiner Sehnsucht nach einem »vibrierenden Erlebnisraum« – in einen solchen gehören Komödien ebenso wie Tragödien.

Wenn wir schon bei den Sehnsüchten von unseren Regisseur*innen sind: Die Bakchen (Premiere am 28. März in der Sparte 4) kann hoffentlich seinen Teil dazu beitragen, die Sehnsucht junger Menschen, irgendwann als Regisseur*innen zu arbeiten, zu stillen. Es handelt sich bei dieser Produktion nämlich um eine Kooperation mit Regiestudierenden der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt, die sich einem der populärsten der griechischen Antikendramen widmen.

Die Sehnsüchte von noch jüngeren Menschen werden zum Mittelpunkt der diesjährigen Produktion des Jungen Ensembles des SST unter der Leitung von Luca Pauer. In Zitronenblühn (Premiere am 6. April in der Alten Feuerwache) wird somit den Sehnsüchten einer jungen Generation gelauscht, die leider zu oft belächelt und nicht ernst genommen wird.

In der Sparte 4 wurde als letztes Stück der Spielzeit Der Reichskanzler von Atlantis von Björn SC Deigner (Premiere am 01. Juni in der Sparte 4) gewählt. Dieses Stück beschäftigt sich mit dem Phänomen der Reichsbürger und somit… vielleicht mit der Sehnsucht nach Abschottung? Der Sehnsucht nach Macht? Sehnsucht nach Kontrolle? Sicherlich wird die Produktion einen Einblick in die Sehnsüchte erlauben, die ein Reichsbürger so verbirgt…

Zuletzt noch die Uraufführung von Philipp Löhles Firnis (Premiere am 07. Juni in der Alten Feuerwache): Ich glaube, die Sehnsucht nach Grenzüberschreitung und eventuell auch die Frage »Wann schadet die Erfüllung der Sehnsucht des einen Menschen einem anderen Menschen?« können hier eine Rolle spielen.

Jederzeit bereit, mich vom Gegenteil meiner Prognosen überzeugen zu lassen, freue ich mich nun auf die zweite Hälfte einer Spielzeit voller Sehnsüchte und kann Ihnen nur noch eines mit auf den Weg geben: Ihre Sehnsucht nach einem vielseitigen Programm wird sicherlich gestillt.

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Andriy May und Ulrike Janssen übers Freisein

Andriy, was ist Freiheit für dich?
Andriy May: Frei zu sein bedeutet für mich, man selbst zu sein und seinen eigenen Weg zu gehen.

Ulrike, du hast bereits mit Andriy gearbeitet. Was berührt dich am meisten in eurer Zusammenarbeit?
Ulrike Janssen: Die Arbeit mit Andriy war von Anfang an und ist natürlich immer noch vom Kriegsgeschehen in der Ukraine geprägt, das mir dadurch näher gerückt ist – mit allem, was damit zusammenhängt. Das betrifft auch die Situation der nach Deutschland geflohenen Menschen. Der Krieg hört für sie ja nicht deswegen plötzlich auf. Wie kann man sein Leben planen, leben, wenn man nicht weiß, wann und wie und ob man wieder zurückkann?
(Wobei das nicht mein einziger Berührungspunkt mit dieser Situation war; wir hatten bereits privat für ein halbes Jahr eine ukrainische Familie bei uns aufgenommen.)
Nach unserer ersten gemeinsamen Produktion hat Andriy mich zu einem Theaterfestival nach Lviv eingeladen. Mein erster Besuch in der Ukraine. Die Begegnung und Arbeit mit den Menschen dort hat mich stark beeindruckt.
In die Zusammenarbeit mit Andriy fließt immer die unmittelbar umgebende und erfahrene Wirklichkeit mit ein. Das kann manchmal auch schmerzhaft sein. Das Leben ist der Grund für die künstlerische Arbeit. Wenn das nicht gegeben ist, braucht man gar nicht weiterzumachen. Diese Position schätze ich sehr.

Warum arbeitest du in dieser Produktion mit jungen Menschen?
Andriy May: Das ist das Mindeste, was ich für die Zukunft der Jugend tun kann – ihnen die Möglichkeit zu geben, gehört zu werden. Hier liegt auch meine Verantwortung für die Zukunft und der Wunsch, jungen Menschen dabei zu helfen, sich selbst zu entdecken, von jedem Teilnehmer und jeder Teilnehmerin zu hören, was sie wirklich wollen und vielleicht zu spüren, wer man ist und in welcher Welt man lebt. Und natürlich ist dies meine Chance junge Menschen zu unterstützen.
Ulrike Janssen: Ich halte es für äußerst wichtig zu hören, was junge Menschen zu sagen haben und ihnen dafür eine Bühne zu bieten. Sie sind auch unsere Zukunft. Sie sind ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft, die unter starker Segmentierung leidet (finde ich). Gerade deshalb ist es toll, dass dieses Projekt auf der Bühne des Staatstheaters Saarbrücken stattfinden kann und hoffentlich ein größeres Publikum erreicht. Und das führt – hoffentlich – auch zu einer anderen Theatererfahrung.

Was sind die größten Herausforderungen bei der Arbeit?
Andriy May: Lernen zuzuhören und den Menschen nicht zu sagen, was sie tun sollen: Es war ein herausfordernder Prozess, aber ich denke, wir haben es gut hinbekommen. Wir sind unserer eigenen Freiheit ein Stück näher gekommen, indem wir die Grenzen der Freiheit erkannt haben, vor denen wir stehen.
Ulrike Janssen: Wir haben in drei Sprachen gearbeitet: Die ukrainischen Jugendlichen sprechen untereinander in ihrer Sprache und auch Andriy hat mit ihnen Ukrainisch geredet. Andriy und ich wiederum sprechen miteinander Englisch; und mit den deutschen Jugendlichen habe ich Deutsch gesprochen. Die Ukrainer waren hier deutlich in der Mehrzahl – das machte es für mich oft schwer bzw. unmöglich zu verfolgen, was genau gerade in der Gruppe passiert, was für die Arbeit aber natürlich sehr wichtig ist. Sprache, die Hürden der Sprache und auch das Erlebnis, wie unfrei es macht, wenn man die Sprache nicht versteht … genau das, was wiederum die ukrainischen Jugendlichen in ihrer ersten Zeit in Deutschland erfahren haben. Und was mit unserem Thema ja verknüpft ist. Die beiden rein deutschsprachigen Teilnehmerinnen haben hier auch oft viel Geduld aufgebracht. Wir haben uns deshalb auch sehr früh entschieden, in der Performance genauso damit umzugehen – also keine Untertitel, sondern immer wieder das Einfordern von Übersetzung auf der Bühne und die Arbeit in zwei Sprachen.

Was habt ihr von den Teilnehmenden Neues gelernt?
Andriy May: Da das Projekt langfristig angelegt war, was sich auf jeden Fall positiv auswirkte, konnten sich die Teilnehmer nach und nach öffnen und lernen, einander und uns zu vertrauen. Jeder der zehn Teilnehmer ist eine ganze Welt, in die man nicht immer hineinkommt. Wir haben viel gelacht, manchmal geweint, wir hatten stressige Momente bei der Arbeit, aber das heißt auch, dass wir eine erfüllte Zeit hatten und dabei immer versucht haben, uns Zeit zu lassen. Zu lernen sich selbst und anderen zu vertrauen, seine Gedanken zu formulieren und auszudrücken, mutig zu sein – das sind für mich wichtige Schritte in Richtung Freiheit.
Kostiantyn, Yurii, Oleksandra, Arina, Sofiia, Mariia, Liv, Anastasia, Alona, Lavinia – das sind zehn verschiedene Lebensgeschichten, die sich untereinander und Ulrike und mich bereichert haben.
Das Wichtigste, wovon ich überzeugt war und was ich gelernt habe, ist Freiheit. Jeder unserer Teilnehmer hat sie und unser Ensemble hat dem Publikum etwas zum Thema Freiheit zu sagen! Vielen Dank an das Saarländische Staatstheater für diese Möglichkeit.
Ulrike Janssen: Da gäbe es jetzt sehr viel zu erzählen … es sind zehn verschiedene Charaktere mit ihren eigenen Geschichten, Erfahrungen … von jedem Einzelnen und jeder Einzelnen kann ich da sehr viel lernen.
Wenn ich etwas Allgemeines sagen sollte: Diese Art intensiver Begegnung mit Jugendlichen ist extrem bereichernd, weil man als „Erwachsene“ vieles – gern – vergessen und verdrängt hat, das einen in dieser Lebensphase beschäftigt und auch geprägt hat. Manches nehmen sie scheinbar viel gelassener hin, was wir vielleicht schlimm finden, und umgekehrt. Speziell die ukrainischen Jugendlichen haben teilweise äußerst verstörende Dinge erlebt. Mit welcher Kraft diese Jugendlichen versuchen, sich ihre Jugend nicht wegnehmen zu lassen – auf die sie ein Recht haben -, sondern ihr Teenagerleben zu leben, mit allem, was dazugehört, das beeindruckt mich. Davon möchte ich mir gern eine Scheibe abschneiden.

Andriy May ist Regisseur, Schauspieler und Theaterfestivaldirektor. 1976 wurde er in Cherson, Ukraine, geboren. Nach dem Abitur studierte er an der Technischen Universität Finanzen. Zu dieser Zeit war er als Schauspieler und Model tätig. Im Jahr 2001 gründete er das New Drama Theatre Studio, wo er sich mit der Produktion neuer dramatischer Texte beschäftigte.
2003 nahm er ein Studium an der Ivan Karpenko-Kary National University of Theatre, Cinema and Television in Kyiw auf, wo er sich auf Theaterregie spezialisierte, und setzte nach seinem Abschluss sein Studium im Rahmen des internationalen Masterprogramms an der Moscow Art Theatre School-Studio in Moskau fort. Während seines Studiums absolvierte er ein Praktikum in London am Royal Court Theatre.
Im Jahr 2008 gründete er in Cherson das Vsevolod-Meyerhold-Zentrum und das Lyutyi-Theaterfestival und begann seine Arbeit im Bereich des dokumentarischen und ortsspezifischen Theaters. Im Jahr 2011 erhielt er einen Master-Abschluss in Theaterwissenschaften. Im selben Jahr organisiert er zusammen mit seinen Kollegen in Kiew den Schauspielwettbewerb Contemporary Play Week und das Documentary Theatre Festival.
2014 wurde er Mitglied des Internationalen Forums Teathertreffen und des Oxford University New Play Forum. Von 2013 bis 2016 war er Regisseur und Schauspieler am Nationaltheater Ivan Franko in Kyiw. Im Jahr 2018 erhielt er ein Stipendium an der Kunstakademie Schloss Solitude.
Seit 2020 ist er Direktor des Mykola-Kulisch-Theaters in Cherson und hat rund 50 Vorstellungen in verschiedenen Theatern und Ländern inszeniert.
Ende März 2022 verließ er das von russischen Truppen besetzte Cherson mit seiner Mutter und seinem 7-jährigen Sohn in Richtung Deutschland, wo er 2022 Aufführungen und Projekte am Kölner Schauspielhaus, am Hans Otto Theater Potsdam und am Theater der Keller realisierte.

Ulrike Janssen studierte Germanistik, Philosophie und Französisch in Köln und promovierte 2001. Seitdem arbeitete sie frei als Autorin und Regisseurin von Hörstücken, meist an der Schnittstelle zwischen Feature und Hörspiel, u.a. für WDR, SWR, DLF und DLF Kultur. 2014 entstand die erste Arbeit für das Theater. Ihre Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Kölner Theaterpreis 2017 und dem Karl-Sczuka-Preis für avancierte Radiokunst 2019.
Sie ist Teil des Kollektivs TheaterBlackBoxKöln und seit der Spielzeit 2018/19 auch Dramaturgin am Theater der Keller.

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Das Ensemble der Freiheit

Die Spielerinnen und Spieler der Produktion stellen sich vor.

Alona Lut

Alona Lut, 12 Jahre alt
geboren in Kramatorsk, Ukraine
wohnt jetzt in Saarbrücken, Deutschland

Wo fühlst du dich zuhause? Wo ist deine Heimat?
In unserem Haus oder mit Freunden fühle ich mich zuhause. Meine Heimat ist dort wo meine Familie ist.

Was hast du Neues gelernt?
Ich habe gelernt, dass Freiheit für jeden etwas anderes bedeutet und ich habe noch eine weitere Sprache gelernt.

Hattest du eine Erkenntnis?
Ich habe verstanden, dass man vorsichtig mit Wünschen sein sollte, denn ich wollte ins Ausland reisen und jetzt musste ich nach Deutschland aufgrund des Krieges.

Was ist für dich schwierig im Moment?
Für mich ist es im Moment schwierig zu lernen, aufgrund der fremden Sprache.

Bist du frei?
Ja, ich fühle mich frei, aber mehr mit Freunden als zuhause.

Anastasia Kovalchuk

Anastasia Kovalchuk, 14 Jahre alt
geboren in Luzk, Ukraine
wohnt jetzt in Saarbrücken, Deutschland

Wo fühlst du dich zuhause? Wo ist deine Heimat?
Mir geht es gut in Saarbrücken.

Was hast du Neues gelernt?
Ich habe viel über Dokumentartheater gelernt.

Was ist für dich schwierig im Moment?
Für mich ist im Moment nichts zu schwer.

Bist du frei?
Nein, ich bin nicht frei.

Was habt ihr alle gemeinsam?
Ich denke, der Wunsch, etwas zu tun und sich zu beweisen.

Arina Kryvosheieva

Arina Kryvosheieva , 14 Jahre alt
geboren in Kyiv, Ukraine
wohnt jetzt in Saarbrücken, Deutschland

Wo fühlst du dich zuhause? Wo ist deine Heimat?
Ich fühle mich in der Ukraine zuhause. Meine Heimat ist auch Ukraine.

Was hast du Neues gelernt?
Ich habe gut Deutsch gelernt und dass die Auffassung von Freiheit für jeden individuell ist. Dabei habe ich habe viele neue Leute kennengelernt.

Hattest du eine Erkenntnis?
Ich bin mir jetzt sicher, dass ich im Theaterbereich arbeiten möchte und dieses Hobby nicht aufgeben werde. Ich hoffe auch, dass es nicht nur ein Hobby bleibt, sondern zu etwas mehr wird.

Was ist für dich schwierig im Moment?
Im Alltag finde ich es schwierig, deutsche Freunde zu finden, und im Theaterprojekt ist es herausfordernd, mit allen Leuten eine gute Kommunikation zu finden.

Bist du frei?
In Deutschland fühle ich mich jetzt besser als zuvor, aber ich kann noch nicht alles sagen. Jetzt geht es mir wirklich besser, und natürlich fühle ich mich gut bei meinen Freunden und meiner Familie.

Kostiantyn Maslov

Kostiantyn Maslov, 15 Jahre alt
geboren in Charkiw, Ukraine
wohnt jetzt in Saarbrücken, Deutschland

Wo fühlst du dich zuhause? Wo ist deine Heimat?
Ich fühle mich hier zuhause. Meine Heimat ist die Ukraine und meine Heimatstadt ist Lugansk.

Was hast du Neues gelernt?
Man kann jemandem, der einem nahe steht, nicht vertrauen. Man muss sich auf die Arbeit konzentrieren und versuchen zu ignorieren.  Ich habe gelernt, dass der Schein trügen kann.

Was ist für dich momentan schwierig im Theaterprojekt?
Im Moment ist es für mich schwierig, ein freundliches Team zu bilden und die Situationen loszulassen, die mir vor nicht allzu langer Zeit passiert sind.

Bist du frei?
Ich habe Freiheit, die ich gerne mit meiner Familie und meinen Freunden teilen möchte.

Lavinia Brutty

Lavinia Brutty, 16 Jahre alt
geboren in Püttlingen, Deutschland
wohnt jetzt in Köllerbach, Deutschland

Wo fühlst du dich zuhause? Wo ist deine Heimat?
Ich fühle mich bei meiner Mutter zuhause. Meine Heimat ist in Köllerbach.

Was hast du Neues gelernt?
Ich habe gelernt, sich trotz unterschiedlicher Muttersprache mit anderen zu verständigen.

Bist du frei?
Ja, ich bin vielerlei Hinsicht frei.

Was habt ihr alle gemeinsam?
Wir haben gemeinsam, dass wir gerne Schneeballschlacht machen und wir wollen alle frei entscheiden können was wir tun wollen.

Liv Colling

Liv Colling, 18 Jahre alt
geboren in Püttlingen, Deutschland
wohnt jetzt in Karlbrunn, Deutschland

Wo fühlst du dich zuhause? Wo ist deine Heimat?
Hier, im Saarland.

Hattest du eine Erkenntnis?
Dass sich viele geöffnet haben vor allen anderen Teilnehmenden fand ich interessant und inspirierend.

Was ist für dich schwierig im Moment?
Momentan habe ich viel Stress, da ich zu vielen Interessen gleichzeitig nachgehen möchte. Das ist zwar schön, aber auch anstrengend.

Bist du frei?
Ja und nein. Ich glaube nicht, dass jemals ein Mensch komplett frei sein kann, also nein, allerdings bin ich in diesem Rahmen des Möglichen frei, daher auch ja.

Was habt ihr alle gemeinsam?
Wir sind alle unterschiedlich und sind trotzdem oder gerade deshalb eine wundervolle Gruppe geworden!

Mariia Klymenko

Mariia Klymenko, 12 Jahre alt
geboren in Kyiv, Ukraine
wohnt jetzt in Ottweiler, Deutschland

Wo fühlst du dich zuhause? Wo ist deine Heimat?
Ich fühle mich in der Ukraine zuhause. Mein Heimatland ist die Ukraine.

Was hast du Neues gelernt?
Ich habe viele neue Wörter auf Deutsch gelernt und viel neues Wissen erworben.

Was ist für dich schwierig im Moment?
Für mich ist es momentan schwierig, Deutsch zu lernen.

Bist du frei?
50/50

Oleksandra Chernetska

Oleksandra Chernetska, 14 Jahre alt
geboren in Melitopol, Ukraine
wohnt jetzt in Saarbrücken, Deutschland

Wo fühlst du dich zuhause? Wo ist deine Heimat?
Ich fühle mich in Deutschland zuhause. Meine Heimat ist aber trotzdem die Ukraine.

Was hast du Neues gelernt?
Ich habe hier viele neue Leute kennengelernt und jetzt habe ich coole Freunde. Dabei habe ich auch gelernt, wie man zum Beispiel richtig dramatische Geschichten erzählt. Allgemein ist Dokumentartheater etwas Neues für mich.

Hattest du eine Erkenntnis?
Ich hatte die Erkenntnis, dass ich jetzt zu 100% sicher bin, dass ich in der Theaterbranche arbeiten möchte.

Was ist für dich schwierig im Moment?
Im Moment gibt es in dem Theaterprojekt eigentlich nichts Schwieriges. Im Alltag auch nicht.

Bist du frei?
Ich bin frei, besonders erlebe ich Freiheit im Theater und mit meinen Freunden.

Was habt ihr alle gemeinsam?
Wir haben ein gemeinsames Ziel und teilen die Liebe zum Theater.

Sofiia Drobush

Sofiia Drobush, 12 Jahre alt
geboren in Riwne, Ukraine
wohnt jetzt in Saarbrücken, Deutschland

Wo fühlst du dich zuhause? Wo ist deine Heimat?
Ich fühle mich in der Ukraine zuhause. Meine Heimat ist die Ukraine.

Was hast du Neues gelernt?
Ich habe gelernt, dass das Leben unvorhersehbar ist.

Hattest du eine Erkenntnis?
Es ist wichtig, die Zeit zu schätzen.

Was ist für dich schwierig im Moment?
In dem Theaterprojekt gibt es nichts Schwieriges. Im Alltag nur das Lernen.

Bist du frei?
Ja, ich fühle mich frei und entspannt in Deutschland.

Was habt ihr alle gemeinsam?
Gemeinsam haben wir, dass jeder Freiheit erlangen will.

Yurii Voitovych (re.)

Yurii Voitovych, 14 Jahre alt
geboren in Kryschopil, Ukraine
wohnt jetzt in Sulzbach, Deutschland

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Mit Brünnhilde im Sängerolymp

Dem Saarbrücker Publikum bereits bestens durch ihre intensiven Darstellungen der Turandot und Isolde bekannt ist Aile Asszonyi. Nachdem die Sopranistin jüngst große Erfolge an der Oper Frankfurt und bei den Bayreuther Festspielen feiern konnte, kehrt sie nun für ein wichtiges Debüt zurück nach Saarbrücken.

Schon 2021/2022 begeisterte Aile Asszonyi mit einem Wagner-Rollendebüt: der Isolde im »Tristan«: »Ihr großer, voll tönender Sopran bringt alle Voraussetzungen für diese wohl anspruchsvollste Partie mit. Eine leuchtende, aufblühende Höhe, die nötigen tieferen Register, saubere Diktion und das erforderliche Volumen«, so Peter Sommereggers Fazit auf klassik-begeistert.de.

Du gibst dein Brünnhilde-Debüt, nicht nur in der »Walküre«, sondern auch in den folgenden Teilen. Was bedeutet diese Rolle für dich?
Aile Asszonyi:
Alle drei Brünnhilden sind natürlich ein riesiges Unternehmen, schon allein wegen der Dimensionen. Die Rolle gehört ganz klar zum Sängerolymp. Durch die pandemiebedingte Verschiebung der »Ring«-Produktion warte ich schon seit vier Jahren darauf, dass es endlich losgeht!

Was sind die musikalischen Herausforderungen der »Walküren«-Brünnhilde?
Aile Asszonyi:
Vor allem, dass der erste Auftritt mit den berüchtigten, sehr hohen »Hojotoho«-Rufen beginnt (die jeder kennt), während der Rest der Rolle im mittleren Register liegt. Außerdem hat Brünnhilde ihre längste und intensivste Szene erst ganz am Ende, während sie zuvor nicht so viel am Stück singt und eher andere Figuren stützt. Zum Beispiel Sieglinde, die für mich die emotionalsten Passagen hat.

Wagner im Genlabor: Freust du dich auf das ungewöhnliche Setting?
Aile Asszonyi:
Durch das »Rheingold « wusste ich ja schon, welche ästhetische Welt mich erwartet. Ich lasse mich gern auf verschiedene Regiekonzepte ein. Für Brünnhilde brauche ich keinen geflügelten Helm. Ich bin gespannt, welche Wege unsere gemeinsame Reise bis zum 11. Februar noch nimmt!
Benjamin Wäntig

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Aus dem Leben eines Kriegsgefangenen – Journal einer FSJlerin

Es ist der 21. November 1947, als »Draußen vor der Tür« seine Uraufführung feiert, jedoch ohne den vermeintlich wichtigsten Zuschauer: Wolfgang Borchert, Autor des Dramas, ist einen Tag zuvor verstorben. Schwerwiegende Verletzungen und Folgen von Gelbsucht und anderen Krankheiten aus seiner Zeit als Soldat und Inhaftierter setzen seinem Leben ein Ende. Kein Wunder also, dass man als Zuschauer*in von dem »Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will« überwältigt von dem Schmerz sein kann, den Protagonist Beckmann, ein Heimkehrer aus sibirischer Kriegsgefangenschaft nach dem zweiten Weltkrieg, auf der Bühne zum Ausdruck bringt. Schließlich musste Borchert nicht lange suchen, um herauszufinden, wie dieser sich wohl anfühlt, hatte er ihn doch selbst erleben müssen.

Nach mehrmaligen Probenbesuchen bei der Erarbeitung des Dramas unter Phillip Preuss´ Regie, will auch ich besser wissen, warum einige Kriegsgefangene erst Mitte der 1950er Jahre in ihre Heimat zurückkehren durften und welche Erfahrungen sie machen mussten. Wieso also dauerte es nach dem Zweiten Weltkrieg so lange, bis alle Gefangenen in ihre Heimat entlassen wurden? Eigentlich sahen die Haager Landeskriegsordnung sowie die Genfer Kriegsgefangenenkonvention eine zügige Heimkehr aller Kriegsgefangenen nach Kriegsende vor.

Allerdings hatten die Alliierten auf der Konferenz von Jalta einen Einsatz deutscher Kriegsgefangener zu Reparationszwecken beschlossen, womit eine sofortige Rückkehr ausgeschlossen war. Zudem wollte die sowjetische Regierung die Haager und Genfer Beschlüsse nicht einhalten, da sich auch die deutsche Wehrmacht diesen Abkommen verweigert hatte. 1947 stimmte die Sowjetunion dennoch dem alliierten Beschluss zu, bis Ende 1948 alle Kriegsgefangenen zu repatriieren, also in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. Ausgeschlossen von dieser Regelung waren jedoch von der sowjetischen Regierung verurteilte Kriegsgefangene.

Zerstörtes Mittelfoyer des Theaters. Foto: Archiv P. Rüdell

Einer, der mit dem Schicksal einer langjährigen Kriegsgefangenschaft geschlagen war, ist Hans Kampmann, der mit 21 Jahren inhaftiert wurde. Auf seine Geschichte bin ich in einem Begleitbuch eines ARD-Dreiteilers von Rüdiger Overmans gestoßen, der fünf Wehrmachtssoldaten und ihre Zeit in Kriegsgefangenschaft porträtiert. 

»Wenn man nachts austreten musste und dann wiederkam, war der eigene Schlafplatz von den Nachbarn zur Rechten und Linken belegt. Dann machten wir es, wie man es in Ferkelställen beobachten kann: Wir legten uns oben drauf, und irgendwann sank man nach unten auf seinen Stammplatz zurück. In der ersten Zeit der Gefangenschaft erlebte ich einige Male, dass ein Kamerad morgens nicht mehr von der Pritsche aufstand.«

Tote waren leider insbesondere in den Lagern der UdSSR keine Seltenheit. Bis heute ist ungeklärt, wie viele Menschen in ihnen inhaftiert waren und wie groß der Anteil von Todesfällen unter ihnen war. Schätzungen reichen von einem Sechstel bis hin zu zwei Dritteln. Die zu verrichtende Arbeit der Häftlinge war dabei nur ein Teil des Problems. Kampmann genoss in dieser Hinsicht sogar zunächst das Privileg, als ehemaliger Offizier nur leichte Lagerarbeiten verrichten zu müssen. Der eisigen Kälte und dem Hunger konnte jedoch auch er nicht entgehen.

»Vor uns war kein Tier, keine Pflanze sicher. Ob es ein Igel war oder ein Mops, alles ging durch unsere Mägen.«

Insbesondere bei der Verteilung der wenigen Rationen Brot, die jedem Häftling zustanden, waren Neid und Streit an der Tagesordnung. Kampmann erlebte, wie sich die Gefangenen Verfahren zur möglichst gerechten Aufteilung ausdachten, verschiedenste Arten von Waagen zu bauen versuchten und penibel auf Birkenrinde festhielten, wer welchen Teil vom Brot bekommen hatte.

Kraft gab den Häftlingen oft nur die ungewisse Hoffnung, irgendwann in die Heimat zurückkehren zu dürfen. Kontakt zu ihren Angehörigen herzustellen, war den sowjetischen Gefangenen jedoch kaum möglich, weshalb sie teils zu riskanten Mitteln griffen, um ihre Entlassung zu beschleunigen und sich auf den Nachhauseweg machen zu können:

»Es gab auch welche, die sich bewusst krank machen wollten. Man hatte ja über die Zeit hinweg beobachten können, dass nur die Kranken nach Hause kamen. Sie aßen zum Beispiel viel Salz und kleisterten sich dadurch die Magenwände aus; die Magenzotten verdauten in dem Falle nichts mehr. So verhungerten sie langsam. Andere schluckten Streichholzköpfe, also Schwefel. Oft erreichten sie damit das genaue Gegenteil: Anstatt nach Hause zu fahren, fuhr man sie auf den Friedhof. Die Beerdigungen waren, vornehm gesagt, rustikal. Die Toten ließ man nackt in eine Grube gleiten, denn die Bekleidung war ja noch wertvoll. Die konnte am Tag drauf schon jemand anderes gut gebrauchen.«

Besonders ein Satz aus Hans Kampmanns Erinnerungen ist mir nach meiner Recherche im Gedächtnis geblieben. Er schreibt:

»Meine Jugend wurde mir gestohlen.«

Doch hat Kampmann nicht als Offizier selbst jungen Männern auf der gegenüberliegenden Seite des Schützengrabens „die Jugend gestohlen“? Menschen, um die zuhause gebangt wurde, verwundet oder sogar getötet? Vielleicht wissentlich die Augen vor dem Holocaust verschlossen und ein Regime unterstützt, das unbegreiflich viel Leid in die Welt gebracht hat? Hierrüber ist in Kampmanns Erinnerungen nichts zu lesen.

Zerstörter Rang des Theaters. Foto: Archiv P. Rüdell

Was also nehme ich hauptsächlich aus meiner Recherche zu »Draußen vor der Tür« mit? Dass nichts einfach nur schwarz oder weiß ist. Und dass das Thema Kriegsgefangenschaft viel zu umfangreich für einen einzigen Artikel zu sein scheint. Da es vermutlich nicht nur bei mir ziemliche Wissenslücken offenbart und dringend mehr aufgearbeitet werden müsste, abschließend noch ein paar Lektüretipps:

Rüdiger Overmans in Zusammenarbeit mit Ulrike Goeken-Haidl: »Soldaten hinter Stacheldraht – Deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs«, Propyläen Verlag by Econ Ullstein Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2000 (Anmerkung: Alle Zitate aus diesem Artikel von Hans Kampmann entstammen dieser Quelle.)

Spiegel Geschichte: Ausgabe 3/2022 »Kriegsgefangenschaft. Die vergessenen Soldaten des Zweiten Weltkriegs – wie das Trauma bis heute nachwirkt«, SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG, Hamburg 2022

Christian Streit: »Keine Kameraden – Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945«, Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH, Bonn 1997

Gordon Burgess: »Wolfgang Borchert: Ich glaube an mein Glück – Eine Biographie«, Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2007