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Im Gespräch mit … Theaterblog

PHANTASIE FUNKTIONIERT WIE EIN SCHLÜSSEL

Die Meisterin des Geschichtenerzählens Cornelia Funke beschwört mit dem modernen Advents-Klassiker HINTER VERZAUBERTEN FENSTERN den Glauben an eine Welt hinter den Dingen auf schönste Weise: durch Neugierde und Vorstellungskraft. Im folgenden Interview geben Regie und Schauspielende Einblicke in ihre Gedanken zur Geschichte – und was Theater mit dem Leben zutun hat.

Katharina Schmidt, du hast als Regisseurin dieses Theatertextes deine Idee dieser Geschichte auf die Bühne gebracht – was ist für dich denn diese Kalenderwelt?

KS: Im Gegensatz zu Ollis Schokokalender ist Julias Papierkalender ja zunächst sehr unscheinbar. Je mehr Julia sich aber für die Bilder zu interessieren beginnt, desto mehr beginnen die Bilder auch zu „leben“. Da wo die Schokolade schon längst aufgegessen ist, fängt ihr Abenteuer erst an. Die Kalenderwelt entblättert und entfaltet sich Stück für Stück und glänzt dann umso mehr. Sie steht für die Freiheit der Gedanken, die Fantasie und die Möglichkeit sich frei ausdrücken zu können, ohne Schranken und Grenzen.

Die Phantasie funktioniert also wie ein Schlüssel…?!

KS: Ja, sie ist eine große Kraft. Dass man mit dem Reindenken in Bilder und Situationen ganze Welten zum Leben erwecken kann, ist doch sehr besonders!

Solveig Eger und Salih Yarisli, was ist euch für eure Figuren besonders wichtig?

SE: Ganz klar ihre Fähigkeit eine Wirklichkeit zu träumen. Julia glaubt fest an die Welt, die sie in ihrer Phantasie erschafft und glaubt damit auch gleichzeitig sehr an sich selbst.

SY: Die Geschwisterbeziehung ist aber auch sehr zentral im Stück. Erzählt wird eine typische Hassliebe zwischen Bruder und Schwester – im Laufe der Geschichte merken beide aber, dass man nur zusammen vieles erreichen kann. Und durch Zusammenhalt entsteht richtige Freundschaft.

Die Reise in den Kalender ist also auch eine Reise zu sich selbst?

SE: In der Kalenderwelt erschafft sie sich Aufgaben, die es zu bewältigen gilt und wird somit zu einer kleinen Heldin.

SY: Durch diese magische Welt blicken Julia und Olli ja auch mit anderen Augen auf ihr Leben, ihre Familie, ihr wirkliches Haus. Das ist ein bisschen so wie Theater schauen (oder -machen): es zeigt den Alltag des Menschen – all unsere Bedürfnisse. Auch starke Gefühle, Streit und Konflikte. Und es zeigt Lösungen mit all dem umzugehen.

SE: Im Stück ist eine solche Lösung zum Beispiel, wie sie ihrem Wunsch nachgeht gebraucht zu werden und eine Bedeutung, einen Wert im eigenen Leben zu suchen. Das verstehe ich sehr gut, genauso ihren Wunsch eine Welt zu erhalten, die in ihrer Existenz bedroht ist. Das hat irgendwie auch etwas von der Revolte der jüngeren Generationen in unserer Welt.

KS: Diesen eben erwähnten Schlüssel, der die Phantasie ist, kann man gar nicht genug schätzen! Das heißt, durch Vorstellungsgabe öffnen sich konkret und in Bildern gesprochen immer mehr neue Türen, Fenster und damit Möglichkeiten. Mit Neugierde, was wohl hinter den Dingen – und im Falle von Julia hinter den Fenstern – stecken könnte, beginnt das Abenteuer! Entdeckergeist hat auch viel mit Theater zu tun…

Aha, ihr meint also alle Theater und Leben gehören irgendwie zusammen?

KS: Ganz eng sogar. Wir nehmen Geschichten, Situationen und Themen aus dem Leben, der Gesellschaft auf, filtern und kanalisieren sie, um sie dann letztendlich mit unseren Mitteln auf der Bühne zu erzählen. Auf diese Weise kann Theater auch wieder auf unser Leben zurückwirken – wie das Kalenderfenster, das immer wie ein Spaziergang wirkt und Julia Kraft gibt wieder frisch in ihre Welt, auf ihre Familie, zu blicken. In „hinter verzauberten Fenstern“ denkt Julia kleine Dinge wirklich groß, z.B. das Modellflugzeug, das sie in diese andere Welt zieht und zum Fliegen bringt. Vielleicht können Kinder und auch Erwachsene mit unserer Geschichte ermutigt werden, auch in ihrer Welt, ihrem Alltag groß, fantasievoll und visionär zu denken, denn ich glaube, nur so können wir unsere Welt verändern und verbessern.

Noch mehr Botschaften bitte!

SE: Im Theater lernt man Menschen, deren Handeln und die Motive dahinter zu begreifen. Somit ist das Theater für mich ein Ort, der Menschen näher zusammenbringen kann, wie unterschiedlich sie auch sein mögen.

SY: Entdeckt also die Menschen, das Leben, die Welt! Und verliert nie die Neugierde!

Das Gespräch führte Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb.

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Auf ein Wort Theaterblog

Realität wird dekonstruiert und neu zusammengesetzt

Yannick Meisberger ist Mitarbeiter des Adolf-Bender-Zentrums für Demokratie und Menschenrechte in St. Wendel. Aus Anlass der Uraufführung von »Ich, Akira« sprach Simone Kranz mit ihm über die Entstehung von Verschwörungserzählungen. Am Mittwoch den 5. Oktober wird es vor der Vorstellung »Ich, Akira« um 19 Uhr einen Vortrag von Yannick Meisberger zum Thema »Fake News, Hate Speech und Verschwörungserzählungen« in der sparte4 geben. Der Eintritt zum Vortrag ist frei.

Collage des Regieteams (Lea Jansen, Lorenz Nolting, Martha Szymkowiak) zu »Ich, Akira«.

Laut einer Statistik des Bundeskriminalamtes stieg die Anzahl der politisch motivierten Straftaten im Kontext der Covid-19-Pandemie in Deutschland von 3559 in 2020 um 159% auf 9201 Fälle in 2021. Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?

Die Proteste gegen Politik und die Corona-Hygieneschutz-Maßnahmen brachten in den letzten zweieinhalb Jahren bundesweit viele Menschen auf die Straße. Menschen machten ihren Ängsten und Sorgen ― auch existentieller Art ― Luft und mobilisierten sich bis zuletzt zu Tausenden in vielen deutschen Städten. Die Demonstrationen und Kundgebungsveranstaltungen waren geprägt von Teilnehmer:innen unterschiedlichster Hintergründe und Szenen.
So sammelten sich von Menschen der bürgerlichen Mitte über Esoteriker:innen, Verschwörungsideolog:innen, rechtspopulistischen und -extremen Personen und Initiativen verschiedenste Motive auf der Straße. Dabei ist der Anstieg politisch motivierter Straftaten aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen.
Zunächst brachten Menschen auf diese Veranstaltungen vermehrt Symbole und Parolen, die antisemitische und volksverhetzende Inhalte propagierten oder auch den Holocaust verharmlosten oder gar leugneten. Hier wurden von kritischen Beobachter:innen der Demos vermehrt Strafanzeige gestellt auf Grundlage des §130 StGB. Ebenso potenzierten sich diese und ähnliche Straftaten auch im Internet.
Des Weiteren häuften sich in den letzten beiden Jahren die Angriffe auf staatliche Institutionen durch Feind:innen der Demokratie. Politisch motivierte Sachbeschädigungen, Beleidigungen im Netz (aber auch offline) und Angriffe auf Polizei oder Journalist:innen sind seit 2020 bei den Corona-Protesten allgegenwärtig.

Attila Hildmann wurde zunächst als Star der veganen Kochszene berühmt, bevor er sich ab 2020 an Demonstrationen des Querdenker-Milieus und der Corona-Leugner Szene beteiligte. Dabei kam es auch zu der im Stück zitierten Äußerung »Hitler war ein Segen im Vergleich zur Kommunistin Merkel, denn sie plant mit Gates einen globalen Völkermord von sieben Milliarden Menschen.« (Quelle: YouTube, Videotitel: Attila Hildmann verteidigt Hitler, greift Bundeskanzlerin und die Grünen auf seiner Kundgebung an, hochgeladen von: Jüdisches Forum, Link: https://www.youtube.com/watch?v=_lRFjPrwVFA ).
Ist diese Verquickung von Historie und politischen Vorgängen heute, typisch für die Thesen von Verschwörungserzählungen?

Collage von Thorsten Köhler zu »Ich, Akira«

Die Thesen der Verschwörungsideolog:innen sind keine neuen und auch wenig bis überhaupt nicht modern in ihren Inhalten. Sogenannte »Verschwörungserzählungen« erzählen seit Jahrhunderten altbekannte Inhalte weiter. In der extremen Rechten hält sich seit vielen Jahrzehnten die Verschwörungserzählung des »großen Austausches«, in dem behauptet wird, dass die Europäer:innen durch arabische Menschen ausgetauscht werden sollen – ein angeblicher Plan der »Elite«. Allein dieses Beispiel zeigt, wie sehr die Rechtsextreme mit Angst und Panik »arbeitet«, um politisch Stimmung zu machen. Verschwörungserzählungen beinhalten nicht zuletzt Narrative von »die da oben« gegen »uns hier unten«. Somit wird ein dichotomes Weltbild generiert und Menschen werden in Gut und Böse aufgeteilt.
Verschwörungsglaubende vermuten sich natürlich immer in der Gruppe der Guten und Aufgeweckten und sehen hinter allem staatlichem die Verschwörung gegen das Volk. Attila Hildmann ist ein spannendes und ebenso gefährliches Beispiel, wie sich Menschen radikalisieren und somit keine Gegenrede mehr zulassen wollen und können. In Krisenzeiten berufen sich Menschen nicht selten dann auch noch auf Zeiten in denen es »dem eigenen Volk« vermeintlich besser ging. Somit ist der Bezug Hildmanns auf den Nationalsozialismus mitunter zu erklären.

Inzwischen liegt ein Haftbefehl wegen Volksverhetzung, Beleidigung, Bedrohung und öffentlicher Aufforderung zu Straftaten gegen Attila Hildmann vor, der nicht vollstreckt werden kann, weil er sich in die Türkei abgesetzt hat und als türkischer Staatsbürger nicht ausgeliefert wird. Trotzdem ist er noch im Netz, vor allem über den Messenger Dienst Telegram aktiv. Kann man dagegen nicht vorgehen?

Telegram ist ein Messenger, der sehr strenge Datenschutzrichtlinien einhält und somit keine Informationen an Strafverfolgungsbehörden regulär rausgibt. Das macht Telegram zwar nicht zu einem rechtsfreien Ort, allerdings ist es für Polizei und Staatsanwaltschaft mehr als herausfordernd Straftäter:innen ausfindig zu machen.

Am 8. September 2021 wurde in Idar-Oberstein ein 20-jähriger Tankstellenmitarbeiter von einem 49-jährigen Mann erschossen, weil er ihn aufgefordert hatte, seine Maske korrekt zu tragen. Zu seiner Tat befragt, äußerte der Angeklagte im Prozess, er habe » er habe ein Zeichen setzen« müssen. Ähnlich hat sich auch der Andres Breivik geäußert, der in Norwegen 2011, 77 Menschen aus rechtsradikalen Motiven heraus, tötete. Woher kommt dieser Wahn?

Wie zuvor schon erwähnt, fühlen sich Verschwörungsglaubende in ihrer Krise der Gruppe der Guten und Auferweckten zugehörig. Sie vermuten die Verschwörung ausgehend von Staat und »Elite«, meinen damit nicht zuletzt eine angebliche jüdische Weltverschwörung. Je nachdem wie tief sich Menschen in die Maschinerie der Verschwörungserzählungen hineinsteigern, entwickelt sich einerseits eine Art Verfolgungswahn und andererseits die Idee aktiv werden zu müssen, wenn man sich in die Ecke getrieben fühlt. Das »Zeichen setzen wolle« richtet sich dann an den Staat. Verschwörungserzählungen funktionieren mitunter so, dass sie Menschen vermeintlich leichte Erklärungsansätze für hochkomplexe (soziale) Zusammenhänge bieten, in Momenten in denen Menschen auf Sinn- und Identitätssuche sind. So wird eine Realität dekonstruiert und eigene Wahrheiten zu einer neuen Wirklichkeit zusammengebaut. Daher klingen Verschwörungserzählungen auch nicht selten so wirr und wahnhaft.

Graphik von Eric Schwarz zu »Ich, Akira«

Im Stück erzählt Akira davon, dass es nicht nur ihm als Hund unmöglich sei, mit seinem Herrchen, einem Verschwörungstheoretiker zu sprechen, sondern dass Menschen oft keine gemeinsame Sprache mehr hätten, wenn einer von ihnen Anhänger von Verschwörungstheorien sei. Ist das auch ihre Beobachtung? Kann man Anhänger:innen von Verschwörungserzählungen in Gesprächen überzeugen?

Pauschal kann man das schwer beantworten. Grundsätzlich wird es schwieriger mit Menschen im Gespräch zu bleiben, wenn sie wirre und wahnhafte Gedanken und Ideen glauben und verbreiten. Wenn das Gespräch aber erstmal abgerissen ist, wird es natürlich nicht einfacher vor allem lieb gewonnene Menschen weiterhin in seiner Nähe zu halten.
Es kommt auch darauf an, wie sehr sich Personen in diese Verschwörungserzählungen verstricken und was sie noch zulassen. Mit manchen kommt man vielleicht an den Punkt, an dem man solche Gespräche nicht weiterführen möchte und sich eine Verbindung somit verflüchtigt. Mit anderen ist die Verbindung so stark oder stark genug, um miteinander diskutieren zu können. In Diskussionen muss es immer ums überzeugen wollen und überzeugen lassen gehen. Wenn das auf der Grundlage von Fakten und Empathie geschieht, ist noch nicht alles verloren.

Mehr Infos zum Stück und den Vorstellungsterminen unter:

https://www.staatstheater.saarland/stuecke/schauspiel/detail/ich-akira

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Hinter dem Vorhang Theaterblog

KLARHEIT IN DER UNKLARHEIT

Einsichten einer Dramaturgiehospitantin, die den Probenprozess von BERENIKE begleitet hat

Es gibt offensichtlich einige Fragen, die ich mir im Probenprozess zur Tragödie BERENIKE von Jean Racine gestellt habe: Wer ist eigentlich diese Berenike und welche Ziele hat sie? Wie heutig ist die Figur? Welche Rolle spielt die Politik in ihrem Leben?
Der Text, 1670 uraufgeführt, spielt im Jahr 79 nach Christus. Titus (Jan Hutter) ist gerade römischer Kaiser geworden und ist mit Berenike verlobt. Da gibt es aber auch Antiochus (Sébastien Jacobi), ein Freund von beiden aus Judäa, der Berenike seit Jahren liebt. Beim Versuch, Antworten auf diese vielen Fragen zu finden, habe ich mit Laura Trapp (Schauspielerin der Berenike) und Alice Buddeberg (Regisseurin) gesprochen.

Schon bei meiner ersten Probe ist mir aufgefallen, dass es im Text keineswegs nur um eine tiefe Liebe geht, die durch äußere (und innere?) Umstände nicht in einem Happy End enden kann. Es geht vor allem auch darum, dass Frauen – egal in welchem Zeitalter – zu oft in Zwänge gebracht werden.
Dabei ist es irrelevant, ob diese Zwänge von Mitmenschen, Partner*innen oder äußeren Einflüssen begünstigt werden. In Berenikes Fall wird nie klar sein unter welchen Umständen und aus welchen Gründen sie – und auch Antiochus – nach Rom gekommen sind. Bei Racine ist die Liebe zu Titus der Grund, doch wir können uns nicht sicher sein, dass er das auch wirklich war. Doch wie damit umgehen? Sich der Menge beugen, die sie als Nicht-Römerin nie akzeptieren wird und ihren Weggang fordert? Einen Kompromiss finden? Der großen Liebe entsagen und mit dem zweitbesten gehen, der sie auch liebt? Einfach gehen – allein und ohne sichtbaren Plan? Im Stück werden verschiedene Optionen durchdacht und geplant.

Was interessiert uns aber an der Person Berenike? Erstmal vor allem der Konflikt in den sie im Krieg gerät: unter welchen Umständen und mit welchen Gründen kommt Berenike nach Rom? Welchen politischen Zwängen ist sie aufgrund des Krieges unterworfen? Ganz klar ist für Alice Buddeberg, dass sie in einer kaputten, kriegerischen Welt lebt, in der sie nicht anerkannt wird und die Beteiligten sich dann in Privatismen begeben, die natürlich vom Außen geprägt sind. Titus´ Vertrauter Paulinus (Fabian Gröver) vertritt die Menge des römischen Volkes, deren Ansichten und/oder seine eigenen Interessen.

Wie also eine so alte und doch so aktuelle Figur darstellen?

Laut Laura Trapp helfen vor allem die Kostüme mit Korsett und Pumphosen dabei den erhabenen, königlichen Aspekt darzustellen – nicht gerade etwas, was man heute häufig privat erlebt. Spannend ist auch, dass alle Schauspieler*innen das gleiche Grundkostüm tragen (Kostüm und Bühne Sandra Rosenstiel), was alle Genderfragen äußerlich irrelevant werden lässt. Ganz klar ist für sie aber auch, dass die Beziehungsgespräche, die im Stück geführt werden, auch heute noch so geführt werden. Die Sprache mag zwar eine andere sein, doch der Inhalt ist gleich. Auch in der Sozialisation von Frauen und Männern – Frauen suchen das Gespräch, trösten, unterstützen und Männer schweigen – gibt es eine Parallele. Auch Berenike erlebt das durch die Unwissenheit und Unklarheit, in der sie gelassen wird. »Sprich mit mir!« ist daher nicht ohne Grund einer der wichtigsten Sätze im Stück! Um ihre Zwänge und inneren Zustände darzustellen, hilft auch die Musik (Mirjam Beierle).

Jan Hutter (Titus) und Laura Trapp (Berenike). © Martin Kaufhold.

Der historische Hintergrund

Eine weitere spannende Frage ist die, was mit Berenike nach ihrer Zeit bei Titus in Rom passiert ist. Alle historischen Spuren verlieren sich kurz danach. Das Schöne an der Freiheit des Theaters ist in diesem Fall, dass jede*r ein eigenes persönliches Ende ihrer Geschichte finden kann. Ich bin sicher, jede*r Beteiligte*r hat seine eigene Version der Fortsetzung.

Berenike soll ganz klar keine wütende oder emotionale Furie sein, die typisch weiblich gelesen wird. Sie ist eine intelligente Frau, die wütend ist, doch der Auslöser dafür ist eine große zugrundeliegende Angst und Unsicherheit. Berenike ist ein Mensch der viel durchgemacht hat und versucht seine Gefühle zu ordnen und damit zu leben. Wie Alice Buddeberg schön beschreibt, ist sie radikal in ihrer Liebe aber sieht für sich nur einen Ausweg, den ich jetzt hier nicht vorwegnehmen will. So viel sei gesagt: sie wird gestärkt aus der Situation hinausgehen.

Über die Autorin dieses Artikels: Christina Schmidt (20) ist Studentin der Theaterwissenschaft und Germanistik an der JGU Mainz und hat in ihrer Dramaturgiehospitanz sowohl die Proben begleitet, als auch in der Dramaturgie gearbeitet. Ihre Aufgaben changierten von Bühneeinrichtung über Fassung aktualisieren zu Blogbeitrag schreiben. 

BERENIKE ab 17. September 2022 in der Alten Feuerwache des Staatstheaters.

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Hinter dem Vorhang Theaterblog

DANK NACH DER PREIS-VERLEIHNUNG DES SPONSORCLUBS

Nachdem der SponsorClub mit den drei Vorstandsmitgliedern Detlef Thiery, Monique Bender und Prof. Peter Schweitzer an der Spitze die diesjährigen SponsorClub-Preise an Hope Dougherty (Ballett), Sébastien Jacobi (Schauspiel) und Angelos Samartzis (Musiktheater) im Restaurant Schloss Halberg die diesjährigen Preise verliehen hatten, bedankten sich die Künstler:innen jeweils mit einem besonderen künstlerischen Beitrag.

Hope Dougherty in Aktion.

Die Amerikanerin Hope Dougherty, die an der New Yorker Juilliard School ihre Ausbildung bekam und seit der Spielzeit 2016/17 zum Ensemble des Saarländischen Staatsballett gehört, tanzte gekonnt ein wundebares Solo zwischen den Tischen und Stühlen der Festgesellschaft.

Angelos Samartzis bedankt sich mit einem Lied.

Der in Athen geborene Tenor Angelos Samartzis bedankte sich nicht – wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre – mit einer Opernarie, sondern mit einem Lied aus seiner Heimat Griechenland.

Sébastien Jacobi mit einem Modell aus seiner Produktion »Reise!Reister!«

Und der Schauspieler, Regisseur, Bühnenbildner und Übersestzen Sébastien Jacobi brachte ein Bühnenbildmodell mit und zeigte einen Auschnitt aus seiner Produkion REISE! REISER! Es folgte eine Dankesrede, die hier zitiert sein soll:

Dies war ein Ausschnitt aus Karl Philipp Moritz Roman »Anton Reiser«, der zwischen 1785 und 1790 erschien und den ich 2011 für das Schauspiel Frankfurt dramatisiert, in Hamburg, Berlin, Köln und Bochum gespielt habe und auch hier am Saarländischen Staatstheater mit dem Titel »Reise!Reiser!« präsentieren durfte.

Die »Einbildungskraft« ist in der Tat ein wesentlicher Motor für das Theater – ist aber eben auch nicht ganz ungefährlich. Diese Kraft unterscheidet ganz wesentlich den Kunst-Raum von der realen Welt. Diese Unterscheidung muss aber immer wieder trainiert werden – gerade in einer Zeit, die doch sehr dazu neigt Fiktionen von Realitäten nicht mehr selbstverständlich unterscheiden zu können oder zu wollen und die derzeit immer mehr dazu neigt, auch Kunst-Räume wieder ideologisch kontrollieren zu wollen, vermeintlich »sauber oder gesund« zu halten, teilweise ja aus durchaus verständlichen Motiven heraus, mit edlen Zielen.

Aber: Kunst – Gesund?

»Verrückt kann man nur dann werden, wenn es wenigstens ein bisschen Freiheit gibt:

Keine Freiheit – kein Wahn

Kein Wahn – keine Freiheit«.

Selbstverständlich sollten auch Kunst Räume nicht von beliebigem Wahn missbraucht werden und sicher ist es notwendig, auch Kunst Räume immer wieder, auf ihren gesellschaftlichen Auftrag, auf Begrifflichkeiten, Zeichen und Sprache zu hinterfragen.

Das Unterscheiden von »Licht« und »Irrlichtern« – will trainiert sein und erfordert Verantwortungs-Bewusstsein, dennoch bleibt es notwendig sich zeitweise irgendwo gewissen Irrlichtern, Abgründen, Widersprüchen, ja vielleicht auch manchen sogenannten »Unkorrektheiten« einfach auszusetzen. Einfach um Erfahrungen noch machen zu können, von denen im besten Fall, dann alle etwas lernen können.

Der russische Regisseur, Kirill Serebenikow, der, als Putin Kritiker, Jahre in Hausarrest gehalten wurde, hat diesen Sommer für das Festival Avignon in Koproduktion mit dem Thalia Theater Hamburg eine Erzählung von Tschechow auf die Bühne gebracht. Anton Tschechow hat in dieser Erzählung von 1894 »Der schwarze Mönch« einen Menschen, mit dem Namen Kowrin, beschrieben, der in der Begegnung mit einer »Luftspiegelung« (eben einem schwarzen Mönch) sich zum Genie erklären lässt und sein totales Glück findet aber ebenso total aus seiner Realität entrückt wird. Seine Mitmenschen können ihn nur noch als Irre wahrnehmen und treiben ihm mit Hilfe der Medizin seine Visionen aus – machen ihn wieder »gesund«; woraufhin er, wie ein Drogenabhängiger auf Entzug, ins Unglück stürzt und seinen

Mitmenschen Vorwürfe macht: »Wozu, wozu habt ihr mich in ärztliche Behandlung gegeben? Die Brompräparate, das Nichtstun, die warmen Bäder, die Aufsicht, die kleinmütige Angst bei jedem Schluck, bei jedem Schritt – das alles macht mich zu guter Letzt zum Idioten. Ich war im Begriff, den Verstand zu verlieren, ich litt an Größenwahn, aber dafür war ich vergnügt, frisch und sogar glücklich, ich war interessant und originell. Jetzt bin ich vernünftiger und ernster, aber dafür bin ich so wie alle: ich bin eine Mittelmäßigkeit, das Leben langweilt mich. Oh wie grausam seid ihr mit mir umgegangen! Ich habe Halluzinationen gehabt, aber wen hat das gestört? Ich frage: Wen hat das gestört? Wie glücklich waren Buddha und Mohammed oder Shakespeare, daß die lieben Verwandten und die Ärzte sie nicht von der Ekstase und der Inspiration geheilt haben! Wenn Mohammed für seine Nerven Bromkali eingenommen, nur zwei Stunden am Tag gearbeitet und Milch getrunken hätte, dann wäre von diesem bemerkenswerten Menschen ebensowenig übriggeblieben wie von seinem Hund. Die Ärzte und die lieben Verwandten werden es zu guter Letzt dahin bringen, daß die Menschheit verdummt, die Mittelmäßigkeit wird als Genie gelten, und die Zivilisation wird untergehen. Wenn ihr wüsstet, wie dankbar ich Euch bin!«

ANDERS – IN WELCHER WELT? So lautet das Spielzeitmotto.

Wie wollen wir leben in was für einer Welt? Was wollen oder müssen wir ändern und was wollen wir erhalten oder müssen wir vielleicht sogar wieder lernen mehr wert zu schätzen? Und wie erreichen wir dieses »Anders«?

Um diese Fragen noch untersuchen zu können, ohne in der Realität gleich dem nächsten Wahnsinn zu verfallen, brauchen wir doch immer noch ein paar Wahnsinnige, die einen Kunst-Raum bespielen können und ich bin sehr dankbar, einer dieser Wahnsinnigen sein zu dürfen – auch dank Ihrer Unterstützung.

Ich betrachte die Arbeit am Theater als eine Forschungsarbeit in einem Labor. Daß aus diesem Labor ab und zu auch sehr unterhaltsame, kulinarische – ja, auch einfach schöne und gesunde – Abende herauskommen, die man mit einem – gesunden – Publikum teilen möchte – das ist ein zusätzliches Glück.

Und ich danke Ihnen sehr, daß sie das honorieren wollen und können und ganz konkret unterstützen! Das ist nicht selbstverständlich.

Unser Auftrag sollte unbedingt sein, diese Forschungsarbeit an menschlichen Gefühlen, Gedanken, Stimmen und Gesten, an Utopien, an Verirrungen, an Entwürfen, aber auch an traumatischen Erfahrungen weiter ernsthaft zu betreiben und somit die Millionendeutigkeit der menschlichen Existenz immer wieder auszuloten und zu befragen und dann Sie, als Publikum an den Erfahrungen, die wir gemacht haben, teilhaben zu lassen.

Wenn wir diesem Auftrag nicht mehr gerecht werden, dann haben Sie alles Recht mit der Medizin zu kommen – und ich hoffe, daß es mir dann besser ergeht, als der Tschechow Figur Kowrin, die diesen Entzug leider nicht überlebt. Aber das ist ja auch bloss eine literarische Figur. Ich hoffe doch noch etwas mehr zu sein! 😉

Ich bedanke mich sehr bei Ihnen, für diese Einladung und Auszeichnung heute Abend.

Ich bin am Theater ja sehr hybrid unterwegs, bin als Schauspieler, Regisseur, Bühnenbildner, Übersetzer, Filmer aufgetreten, in deutscher und in französischer Sprache. Die Möglichkeit so vielfältig an einem Haus arbeiten zu können ist auch nicht so selbstverständlich. Ich betrachte diesen Preis auch als eine Ermutigung das weiter so zu tun und ebenso als Signal an das Haus, weiterhin seine Mitarbeiter*innen als gesamt-künstlerische Persönlichkeiten zu fördern, ohne Schablonen.

Vielen Dank.

Was für eine bemerkenswerte Rede! Was für ein Plädoyer für Freiheit, Kunst und Theater! Was für eine Einladung Mut zu haben, anders zu sein.

Wie könnten alte Gewohnheiten und vermeintliche Gewissheiten schöner und unterhaltsamer in Frage gestellt werden, als durch das freie und perspektiverändende Spiel der Künstler:innen?

Persönlicher und beglückernder hätte ich mir den Auftakt zur neuen Spielzeit unter dem Motto »Anders! In welcher Welt?« kaum wünschen können.

Vielen Dank an Hope Dougherty, Angelos Samartzis und vor allem an Sébastien Jacobi.

Horst Busch,
Chefdramaturg

© Alle Fotos von Dr. Heiner Maria Klein, Sponsorclubmitglied

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Der Dramaturgieschreibtisch Theaterblog

ANDERS! IN WELCHER WELT? – LESEN.

Und wieder liegt eine ereignisreiche (Spiel-)Zeit hinter uns. Auch in diesem Jahr stapelten sich die Bücher, Stücke, Libretti, Noten, Aufsätze, Zeitschriften und Zeitungen, die Liste unserer Lesezeichen im Browser wurde länger, Briefe, Postkarten, Postings … Das Lesen ist des Dramaturgen, ja was eigentlich? Die Grundlage des Berufes, ja. Aber Lesen kann und ist so viel mehr. Es ist das Eröffnen von Welten. Anderer Welten. Neuerer. Besserer. Manchmal auch Schlechterer. Das Eröffnen von Utopin. Dystopien. Ähnlich, aber doch ganz anders als das Theater, lädt das Lesen ein, neue Denk- und Spielräume zu betrachten, zu durchschreiten, zu beobachten, vielleicht sogar zu verändern.

Lesen verbindet, es verbindet uns als Gesellschaft, es gibt Anlass zum Diskurs, zur Diskussion, zum gemeinsamen Reden, Streiten, Lachen oder vielleicht auch Weinen. Und so habe ich auch in diesem Jahr meine Kolleginnen und Kollegen gefragt, was sich so auf ihrem Bücherstapel sammelt.

Den Anfang macht Chefdramaturg Horst Busch:

LUSTPRINZIP

Roman von Rebekka Kricheldorf

Als Theatergänger*in kennt man Sie. In Saarbrücken konnte man von ihr u.a. »Werwolf« oder »Der große Gatsby« auf der Bühne erleben. 2021 hat Rebekka Kricheldorf ihren ersten Roman geschrieben. Wer ihn noch nicht gelesen hat, kann sich auf eine rasante Reise in das Berlin der Neunziger Jahre freuen. Wahrhaftig, klug und wie immer witzig geschrieben. So lassen sich die Abgründe des Lebens ertragen.

Schauspieler Sébastien Jacobi meint zum Spielzeitmotto:

ANDERS – IN WELCHER WELT?

Wie Walter Benjamin richtig bemerkt: Um unser jetziges Jahrhundert zu verstehen, müssen wir das Vorherige genauer betrachten… Tauchen wir also in die 70er, 80er, 90er des letzten Jahrhunderts ein:

Und so empfiehlt er …

Ingrid Caven, Ein Gespräch mit Ute Cohen
»Chaos? Hinhören Singen«

Wer sich in unserer entzauberten Welt noch für die Poesie des Drecks interessiert – hier zu finden: in den Gedankenwelten der als Ingrid Schmidt in Saarbrücken geborenen großartigen Ingrid Caven. 

Der Empfehlung Horst Buschs schließt er sich ebenfalls an:

Rebekka Kricheldorf: »LUSTPRINZIP«

Auch dies für Alle, die einer Zeit der Verausgabung in Sehnsucht, des Exzesses und des glamourösen Scheiterns hinterher trauern. Beatgeneration goes 90er, als Berlin noch damit prahlte »arm aber sexy« zu sein. 

Von Rebekka Kricheldorf, die nicht nur schon einmal die Poetik Dozentur in Saarbrücken inne hatte, sondern auch die Autorin der am Saarländischen Staatstheater aufgeführten Stücke  »Werwolf« (2018/19) und »Der Große Gatsby« (2021/22) ist, hat ihren ersten Roman geschrieben. 

… zum Abtauchen in die philosophische Welt der 90er Jahre empfiehlt er …

Byung-Chul Han
»Infokratie. Digitalisierung und die Krise der Demokratie«

Wer das Thema der postfaktischen Informationsgesellschaft und dem Verlust des Pathos der Wahrheit auf hohem philosophischen Niveau, aber dennoch lesbar, vertiefen möchte- dem sei Byung-Chul Han empfohlen!

Ballettdramaturg und Compagnie-Manager Klaus Kieser empfiehlt in ungewissen Zeiten ein Plädoyer eben genau dafür:

Anne Dufourmantelle: »Lob des Risikos. Ein Plädoyer für das Ungewisse«

Nicht mehr ganz neu, doch in unserer bewegten Gegenwart nach wie vor lesenswert. 2011 im französischen Original und 2018 auf deutsch erschienen, verbindet die Autorin »auf vornehmste Art philosophisches Denken mit gesellschaftlicher Realität« (Süddeutsche Zeitung).

Luca Pauer, Leiterin des Jungen Staatstheaters und der Theaterpädagogin sowie Leiterin der sparte4, ergeht es so, wie vielen von uns, wenn der Bücherstapel wächst und wächst, die Zeit aber leider nicht mehr wird:

Meine Sommerlektüre ist »Stillleben« von Antonia Baum. Ehrlich gesagt liegt es schon seit Oktober 2021 auf meinem Schreibtisch. Es war die Initialzündung für unser neues Projekt »Oh Mama!« in der sparte4. Rebekka David wird Regie führen und ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit, auf Interviews, die wir mit Menschen aus Saarbrücken dafür führen werden und neue Perspektiven auf dieses Thema.

Maria Zakharine ist Souffleuse im Schauspiel, das Leben gehört auch für Sie zum Arbeitsalltag. Aber nicht nur. Ihr Literaturtipp ist ein richtiger Klassiker:

»Doktor Shiwago«, Teil 13 (1956) von Boris Pasternak ist eines der großartigsten Werke aus der russischen Literatur; ich interpretiere es natürlich in Bezug auf unser Spielzeitmotto und nicht zuletzt bewundere ich, wie aktuell dieser Roman heute immer noch ist.

Hier ist das wohl eindrücklichste Zitat daraus:

»Das größte Unglück, die Wurzel alles späteren Übels war der Verlust des Glaubens an den Wert der eigenen Meinung. Man ging davon aus, daß die Zeit, in der man den Eingebungen des sittlichen Gespürs folgte, vorüber sei, daß man jetzt mit der Stimme der Allgemeinheit zu singen und nach fremden, allen aufgezwungenen Vorstellungen zu leben habe. In wachsendem Maße begann die Herrschaft der Phrase, anfangs der monarchistischen, später der revolutionären Phrase. Diese Verirrung der Gesellschaft war allumfassend und ansteckend. Alles geriet unter ihren Einfluß. Auch unser Hauswesen hielt dem Verhängnis nicht stand. Es geriet ins Wanken. Statt der natürlichen Lebendigkeit, die stets bei uns geherrscht hatte, drang ein Teilchen der idiotischen Deklamiersucht auch in unsere Gespräche, es war ein zur Schau gestelltes, obligatorisches Herumklügeln über obligatorische Welthemmen…«

Claudia Reisinger ist Leiterin des Künstlerischen Betriebsbüros und Disponentin Schauspiel. Auf ihrem Bücherstapel liegen diesen Sommer drei Werke ganz weit oben:

»Die Geschichtensammlerin« von Jessica Kasper Kramer:

Ein Mädchen erhebt ihre Stimme, um die zu retten, die man zum Schweigen bringen will … Ein mitreißender und zugleich poetischer Roman für alle Leser von »Die Bücherdiebin« und »Der Schatten des Windes«.

»Das Gefährlichste, was man in unserem Land tun konnte, war: zu schreiben.«
Ileana sammelt Geschichten. Manche sind Märchen, andere handeln von der Vergangenheit, und die gefährlichsten erzählen die Wahrheit. Wie die Gedichte von Ileanas Onkel Andrei. Doch die Wahrheit kann tödlich sein im kommunistischen Rumänien des Jahres 1989, wo Lebensmittel, Strom oder warmes Wasser knapp sind und die Menschen in ständiger Angst leben. Als Andrei verschwindet, ist die ganze Familie in Gefahr. Ileanas Geschichtensammlung wird von ihrem Vater vernichtet, sie selbst zu den Großeltern aufs Land geschickt. Doch die Securitate folgt ihr bis in die Wälder der Karpaten. Nun braucht Ileana eine Geschichte, die Mörder aufhalten kann …

»Wo man im Meer nicht mehr stehen kann«  von Fabio Genovesi

Der 6jährige Fabio hat es nicht leicht: Seine »10 Großväter«, die vielen unverheirateten Brüder seines Opas, reißen sich nur darum, ihn zu den kuriosesten Unternehmungen mitzunehmen. Erst in der Schule merkt Fabio, dass man als Kind auch mit Gleichaltrige spielen kann – doch da ist seine Rolle als Außenseiter schon vorprogrammiert. Die Kindheit am (und über weite Teile auch im) Meer ist für den Jungen ein ebenso großes Abenteuer wie die Entdeckung des Lesens und Schreibens. Und als sein Vater nach einem tragischen Unfall regungslos im Krankenhaus liegt, sind es die selbst verfassten Texte des inzwischen 12jährigen, die bei seinem Vater eine Reaktion auslösen. »Wo man im Meer nicht mehr stehen kann« ist eine virtuos erzählte Familiengeschichte voller liebenswert-schrulliger Figuren und sommerlicher Italien-Atmosphäre. Mit seinen autobiografischen Zügen ist der Roman gleichzeitig eine Liebeserklärung an die (wortwörtlich lebensrettende) Kraft des Schreibens und der Fantasie.

Vielleicht nicht so unbedingt ein Sommer-Lesebuch….. aber soo schön:

»Marianengraben«  von  Jasmin Schreiber

»Ein Buch, das Geborgenheit bietet und Hoffnung schenkt« meint Yasmina Banaszczuk.

Paula braucht nicht viel zum Leben: ihre Wohnung, ein bisschen Geld für Essen und ihren kleinen Bruder Tim, den sie mehr liebt als alles auf der Welt. Doch dann geschieht ein schrecklicher Unfall, der sie in eine tiefe Depression stürzt. Erst die Begegnung mit Helmut, einem schrulligen alten Herrn, erweckt wieder Lebenswillen in ihr. Und schließlich begibt Paula sich zusammen mit Helmut auf eine abenteuerliche Reise, die sie beide zu sich selbst zurückbringt – auf die eine oder andere Weise

Und im Hinblick auf die Lesungen in der kommenden Spielzeit:

Dörte Hansen und Christian Berkel …

Bei Ballettdirektor Stijn Celis geht es diesen Sommer etwas punkiger zu mit »Helene Hegemann über Patti Smith, Christoph Schlingensief, Anarchie und Tradition«:

Der Funke, der die Gegenwart abfackelt.

Helene Hegemann trifft Patti Smith zum ersten Mal in einer Mehrzweckhalle in Wien, die als Probebühne für Christoph Schlingensiefs »Area 7« dient. Eine Begegnung, die der damals Dreizehnjährigen im weitesten Sinne das Leben rettet.

Gabriele Kops ist Verwaltungsangestellte am Saarländischen Staatstheater. Zwei ihrer Herzensbücher handeln von Freundschaft, Lebenslinien, skurillen Träumen und Geheimnissen:

Ich habe in letzter Zeit ein wunderschönes Buch gelesen.
Es ist schon alt aber immer aktuell:

»Gegenüber« von Erika Pluhar

Es handelt von der ungewöhnlichen Freundschaft zweier Frauen, von Lebenslinien und der Einsamkeit im Alter.

Einsamkeit in Zeiten von Corona sicherlich ein großes Thema.
Ich schätze den Schreibstil und die liebevolle Sprache von Erika Pluhar.

Einer meiner Lieblingsautoren ist Haruki Murakami.
Ein Buch von ihm:
»Tanz mit dem Schafsmann«

Die Bücher des japanischen Autors lesen sich immer wie skurrile Träume. Die Handlung: eine verführerische Geschichte in einem geheimnisvollen Hotel.
Mehr wird nicht verraten.

Christoph Foss, Leiter der Dekorationsabteilung am Saarländischen Staatstheater, empfiehlt eine literarische Reise an die Küste Kolumbiens:

»Kogi ― Wie ein Naturvolk unsere moderne Welt inspiriert« von Lucas Buchholz

Botschaften aus dem Herzen der Welt
Fast 6.000 m ragen die Berge der Sierra Nevada de Santa Marta empor, direkt an der Küste Kolumbiens. Hier leben die Kogi, heutige Vertreter einer über 4000 Jahre alten Hochkultur. Nach Jahrhunderten der Abgeschiedenheit, wenden sie sich jetzt mit ihrem Wissen an die Menschheit. Ihre Worte können unsere moderne Gesellschaft inspirieren. Und sie können uns bei vielen unserer Herausforderungen unterstützen: den ökologischen, gesellschaftlichen und individuellen – und zwar auf verblüffende Weise!

Christiane Ast ist Souffleuse im Schauspiel und empfiehlt drei ganz unterschiedliche Literatur-Welten:

»Monschau«
Roman von Steffen Kopetzky

Ein Buch über den Ausbruch einer Pockenepidemie in den 60ger Jahren in Deutschland/ Monschau/ Eifel.

Es handelt sich um eine wahre Begebenheit: die ersten Symptome/ Krankheitsausbrüche, deren Vertuschung durch die Kommunalpolitik; die engagierte Arbeit einiger Mediziner und der ehrenamtliche Einsatz von Teilen der Bevölkerung, allerdings in Romanform. Es ist überhaupt nicht trocken zu lesen, sondern ich konnte das Buch, einmal angefangen, nicht mehr weglegen.

»Abschied vom Frieden«
Roman von F.C. Weißkopf

Das letzte Jahr vor dem ersten Weltkrieg: der Protagonist lebt in Prag, damals noch K&K, erlebt, erleidet die Liebesgeschichte seines Lebens, und ringsum dräut sich das Gewitter zusammen, das schließlich in das Attentat von Sarajevo mündet.

Damit endet die persönliche Geschichte der Liaison des Protagonisten mit seiner jungen Geliebten sowie die friedliche Koexistenz des Vielvölkerreiches Österreich/ Ungarn. 

»Die kleine Stadt«
Roman von Heinrich Mann

Schon aussortiert, genau wie das vorhergehende Buch, ist dieser Roman wieder auf mich zugekommen. Nun lese ich ihn, bin also mittendrin, und weiß nur, dass ich schon Heinrich Mann’s 

»Die Jagd nach Liebe« sowie »Professor Unrat“« (Vorlage für den Film »Der blaue Engel« mit Marlene Dietrich) verschlungen habe.

In eine italienische Kleinstadt bricht die »große Welt« ein, es erscheint eine Theatertruppe. Und ihre Protagonisten, im doppelten Sinne, bringen die Provinzhonoratioren sowie die Kleinstadtbevölkerung in Unruhe. Der »junge Held«, von den Frauen begehrt, die »junge Liebende«, ein chaotisch anmutendes, gar nicht angesagtem weiblichen Erscheinungbild entsprechendes Wesen, emanzipiert und damit die Männer überfordernd oder provozierend oder begeisternd.

Sommerzeit ist aber gewiss nicht nur Lesezeit. Und so gibt es gleich zwei musikalische Tipps:

Alexander Reschke, Betriebsdirektor und Chefdisponent, hat es diesen Sommer zurück in die 80er geholt – if I only could be running up that hill …

Dank Netflix und der 4. Staffel von »Stranger things« ist der Song »Running up that hill« von Kate Bush aus dem Jahr 1985 aktuell wieder überall zu hören.

Mein Tip für diesen Sommer das dazugehörige Album »Hounds of Love« das im September 1985 erschienen ist.
Keine Musik für den Sofortverzehr und den Nebenbeigenuss.
Wer die Möglichkeit hat, sollte auf jeden Fall die Vinyl Version der CD oder Streaming Fassung vorziehen.
Mein Highlight neben der schon erwähnten Single »Running up that hill«und der zweiten Auskopplung »Cloudbusting« von der man sich auch das Video ansehen sollte, ist der vorletzte Song der B-Seite »Hello Earth«.

Auch Theaterpädagogin Anna Arnould-Chilloux hat einen Hörgenuss als Tipp:

Ich hätte ein Konzert, das ich sehr fesselnd und verzaubernd finde. 
Um Leichtigkeit bei warmem Wetter zu finden: Ein Konzert von Hania Ranihttps://youtu.be/sp3B97N67Cw

Zurück zur Literatur folgt nun wieder ein zeitloser Klassiker, dieses Mal von Maxine Theobald, die in dieser Spielzeit ihr FSJ-Kultur in der Dramaturgie des Saarländischen Staatstheaters absolvierte:

Jane Austen – Emma

»Emma« ist ein Roman der bekannten Schrifstellerin Jane Austen, welcher 1815 erstmals erschienen ist. Das Buch handelt von einer wohlhabenden, hübschen und intelligenten jungen Frau, namens Emma Woodhouse, die – und da ist sie sich der festen Überzeugung – sehr gut abschätzen kann, wer mit wem den Bund der Ehe eingehen sollte. Statt sich um ihr eigenes Liebesleben zu kümmern, versucht sie, ihre Freundin Harriet Smith bestmöglich zu verheiraten, doch dies lässt Missverständnisse und Liebeskummer aufkommen. Aber wer weiß… vielleicht findet Emma am Ende doch noch ihr Glück.

Ihre zweite Empfehlung hat auch Musikdramaturgin Anna Maria Jurisch während einer Zugfahrt verschlungen. Es geht um »Alte Sorten« von Ewald Arenz. Maxine Theobald schreibt dazu:

»Alte Sorten« – ein Roman von Ewald Arenz – handelt von zwei Frauen, Sally und Liss, die unterschiedlicher gar nicht sein könnten, aber ähnliche Vergangenheiten teilen. Die junge Sally  – gerade in ihrer Abiturphase – entflieht ihrem alltäglichen Leben, das aus Vorurteilen, Erwartungen, Pflichten und Erwachsenen besteht, und möchte ihre Ruhe haben. Auf dem Land begegnet sie Liss, einer starken, aber sehr verschlossenen Frau, die auf einem Bauernhof lebt. Sofort merkt Sally, dass Liss nicht wie andere Erwachsene ist. Sie übernachtet bei Liss, doch aus Stunden wurden Tage und aus Tage wurden Wochen. Für Sally ist Liss ein großes Geheimnis, denn ihr wird klar, dass sie das Haus nicht immer alleine bewohnt hat und ihr vieles verschweigt. Während sie zusammen die Hofarbeit erledigen und über die alten Birnensorten in Liss Garten reden, deren intensiven Geschmack Sally so gerne mag, erfahren die beiden gegenseitig von ihren Verletzungen, die ihnen zugefügt wurden.

Anna Maria Jurisch findet außerdem:

»Alte Sorten« ist ein Buch, das ich zufällig für meine letzte längere Zugreise gekauft und in einem Rutsch durchgelesen habe. Sehr klar, sehr bewegend, sehr poetisch und ein kleines bisschen die Sehnsucht nach endlosen (Spät-) Sommertagen befeuernd. Wer Gartenarbeit liebt, wird das Buch wahrscheinlich schätzen!

Aber auch andere Welten, in die es sich einzutauchen lohnt, kann Anna Maria Jurisch empfehlen:

Judith N. Shklar, »Über Ungerechtigkeit«

Keine klassische Sommerlektüre, aber wahnsinnig spannend, augenöffnend – Was bedeutet Schicksal und was bedeutet Veränderlichkeit? Wie viel Einfluss haben unsere Entscheidungen auf das, was in unseren Leben passiert? Eine faszinierende Betrachtung, die unsere fragile Gegenwart rahmt – auch wenn das Buch bereits aus den 1920er Jahren stammt.

Joan Didion, »Das Jahr magischen Denkens«

Die Kraft der Sehnsucht und die Kraft von Hoffnung – Joan Didions Essays sind immer lesenswert, aber dieses Buch ist kein Reisebericht, keine gesellschaftspolitische Analyse, sondern eine sehr intime Betrachtung von Zusammensein, Familien und Lebensperspektiven. Keine leichte Kost, aber inspirierend.

Gewandmeisterin Martina Lauer empfiehlt für einen wunderschönen Lese-Sommer die Begegnung mit dem Wasser:

Delia Owens‘ »Der Gesang der Flusskrebse«

… und:

Benjamin Myers‘ »Offene See«

In Valda Wilsons Buchempfehlung geht es um die wohl grundsätzlichsten Welten, nämlich die von Gut und Böse:

Einfach nur ein sehr persönlicher Tipp:

Neil Gaiman, »Good Omens« (»Ein gutes Omen«). Am besten auf Englisch lesen!

Schauspieler Bernd Geiling hat gleich zwei Leseempfehlungen:

Richard Powers »Die Wurzeln des Lebens«

Die Zerstörung der Natur und damit der Lebensgrundlagen der Menschen auf diesem Planeten schreitet unaufhaltsam voran.
Eine Gruppe ganz unterschiedlicher Individuen findet zusammen und beschließt zu handeln, aktiv zu werden, geht in den Widerstand.

Und zahlt einen hohen Preis…

… und:

Hanya Yanagihara  »Ein wenig Leben«

Selten hat mich ein Buch beim Lesen so erschüttert wie dieses.
Die Geschichte einer Gruppe von vier Männern, die in lebenslanger Freundschaft und Liebe miteinander verbunden sind, obwohl einer von ihnen, getrieben von seinen inneren Dämonen, sich immer wieder in Dunkelheit, Schmerz und Selbstzerstörung begibt.

Verena Bukal ist Schauspielerin und liest ihre Bücher gerne an ganz unterschiedlichen Orten. Und empfiehlt deswegen:

Park4night 

Eine App, um überall Campingplätze oder (kostenlose) Stellplätze zu finden. Preise, Informationen und Fotos inbegriffen. Sie ist gratis, außer man bucht die Pro-Version 😉 Viel Spaß damit!

Judith Fecher arbeitet in der Ausstattungsabteilung und mag es gerne spannend. Also hat sie zwei Empfehlungen für Fans des Nervenkitzels:

Ich lese am liebsten Psycho-Thriller, aber mich nervt an manchen Autoren, dass sie anscheinend der Meinung sind, je brutaler und ekliger der Mord (bzw die detaillierte Beschreibung davon), desto spannender wird das Buch. Meistens ist dem nicht so und deshalb liebe ich Bücher, die eher die psychologischen Aspekte in den Fokus nehmen und dadurch eine bedrohliche Spannung aufbauen.

»Klima« von David Klass
Ein selbsternannter Umwelt-Terrorist sprengt Ziele in die Luft, die die Umwelt zerstören und nimmt dabei auch den Tod von Unschuldigen in Kauf.
Das Buch ist sehr spannend geschrieben und man bekommt einen Einblick in die Psyche des Täters, der als liebender Familienvater und Umweltaktivist beschrieben wird. Man ertappt sich beim Lesen dabei, mit dem Terroristen zu sympathisieren und stellt sich zwangsläufig die Frage, wie weit man gehen darf, um ein höheres Ziel zu erreichen
.

»Todesmarsch« von Stephen King
1979 veröffentlicht unter dem Pseudonym Richard Bachmann

Früher war ich ein begeisterter Stephen-King-Leser. Er hat wirklich tolle spannende Bücher geschrieben. Aber dieses ist ein bisschen anders: subtiler, psychologischer, sein bestes Buch meiner Meinung nach.
Ja, der alte Schinken ist schon über 40 Jahre alt, aber die Geschichte absolut lesenswert.

In einem Amerika der Zukunft unter einer herrschenden Militärdiktatur brechen jedes Jahr 100 Jugendliche zu einem makabren „Todesmarsch“ auf, einem Wettbewerb, den 99 von ihnen nicht überleben werden. Dem Sieger winkt lebenslanger Luxus. Der Marsch geht so lange, bis nur noch ein Läufer übrig ist. Wer zu langsam ist oder sich nicht an die Regeln hält, wird erschossen.  Der Leser wird förmlich hineingezogen in diese düstere Geschichte, in die Psyche der jungen Läufer, in Freundschaften die entstehen, obgleich im Angersicht des Todes, in ihre Hoffnungen und Verzweiflung.
Es gibt noch ein Buch von »Richard Bachmann«, kurz danach geschrieben. Es heißt »Menschenjagd« und greift ein ähnliches Thema auf, was aber meiner Meinung nach die Qualität und die Spannung von „Todesmarsch“ nicht mehr erreicht.

Auch Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb findet man nicht selten mit einem Buch in der Hand. Für den diesjährigen Lese-Sommer empfiehlt sie:

»RADIKALE ZÄRTLICHKEIT« von Seyda Kurt

Der politische Aspekt von Beziehung, Liebesbeziehung oder Beziehung, die einen intimen Austausch beinhaltet, habe ich nicht immer vor Augen. Schon gar nicht, wenn ich diese Beziehung Jahrzehnte kenne. Dass diese über den rein privaten Wert auch einen gesellschaftskonstituierenden hat, ist ein Gedanke, den man gar nicht oft genug ins Bewußtsein holen kann. Und wenn das so geschmeidig gelingt wie im Fall von Şeyda Kurt, ist das eine schöne Reise, die einen wieder eine utopische Kraft spüren lässt. Es hat auch nicht unwesentlich mit der Arbeit an BERENIKE von Jean Racine zutun…

… und:

WIE SPÄTER IHRE KINDER von Nicolas Mathieu

Dieser Autor kann nahbare Figuren beschreiben, deren Leben holzschnittartig erfasst werden und so reich wirken, im skizzierten. Die gesamte Stadt hat man vor Augen, die Hitze im Körper, plötzlich. Dann diese Jugend, diese Begegnungssehnsucht, dieses Abhängen, dieses Perspektivensuchen. Ganz sinnlicher Sozialrealismus. Und wer es nicht schafft, dem wird es nächste Spielzeit auch auf der Bühne der Alten Feuerwache erzählt (Psst!: Premiere ist am 23.3.23)!

Sänger Algirdas Drevinskas mag es humoristisch und empfiehlt:

»Abraham kann nichts dafür« von Ephraim Kishon

… eine Satire witziger als die andere. Viel Spaß beim Lachen!


Dem Lesetipp von Schauspieler Fabian Gröver kann sich eigentlich keiner entziehen:

»Eine kurze Geschichte der Menschheit« von Yuval Noah Harari

Warum ich das Buch empfehle?

Wir Homo sapiens blicken auf ein lange (Erfolgs-)geschichte zurück,
die uns sowohl an die Spitze der Nahrungskette als auch in die gottgleiche Position versetzt hat,
über Wohl und Wehe dieses Planeten entscheiden zu können/zu müssen.
Aber sind wir überhaupt clever genug, das nicht zu verbocken?
»Dieses Buch lässt Hirne wachsen.«, schreibt der Kritiker des Magazins »ZEIT Wissen«.

Insofern sollte jeder Homo sapiens es gelesen haben.

Martin Hennecke, Schlagwerker im Orchester des Saarländischen Staatstheaters, hat einen klangvollen Tipp in eigener Sache:

 »In welcher Welt leben wir gerade, und was können wir daraus machen?«

Das ist eine Frage, die meine Kollegen von Percussion Under Construction und mich während des ersten Lockdowns der Pandemie sehr beschäftigt hat. Was passiert gerade? Können wir diese Zwangspause irgendwie sinnvoll nutzen? Können wir uns künstlerisch mit der Situation auseinandersetzen und verschiedene Perspektiven einnehmen und beleuchten? Kann daraus möglicherweise ein positives Narrativ entstehen? Können wir – untereinander als Ensemble und auch mit unseren Freund*innen aus der ganzen Welt – trotz Isolation zusammen musizieren? Herausgekommen ist unser erstes Album »Locked Down?«, welches mittlerweile in vier Kategorien für den Opus Klassik nominiert ist, und auch im Post- (oder Zwischen-?) Coronasommer nichts von seiner Magie eingebüßt hat.

Orchestermanager Alfred Korn kann gleichermaßen privat wie beruflich eine besondere Empfehlung aussprechen für alle Schostakowitsch-Interessierten und die, die es noch werden wollen:

»Dmitri Schostakowitsch. Briefe an Iwan Sollertinski« herausgegeben von Dmitri Sollertinski und Ljudmila Kownazkaja. Aus dem Russischen von Ursula Keller.

In diesem Zusammenhang empfehle ich wärmstes Schostakowitsch-Aufnahmen mit Michail und / oder Vladimir Jurowski. Zu den Referenzaufnahme zählen sicherlich die unter der Leitung von Gennadi Roshdestwenskij…

Auch Meike Koch, Theaterpädagogin Musiktheater und Konzert & Koordinatorin Theater und Schule, hat einen einen Tipp für alle, die ihren musikalischen Horizont erweitern möchten:

Podcast »Klassik für Klugscheißer« von BR Klassik: Zugegeben, ein provokanter Titel, aber jede Woche wieder sauber recherchiert und unterhaltsam präsentiert. Laury und Ulli informieren uns mit ihrer lockeren und lustigen Art über klassische Musikgeschichte. Sollte man betrunken komponieren? Wie macht man am besten Schluss (musikalisch gesehen, natürlich)? Und welche Strukturen verhindern Diversität in den Orchestern?
Regelmäßig begrüßen die beiden spannende Gäste und erstellen zu jeder Podcast-Folge eine passende Playlist mit Musiktiteln. Eine absolute Hörempfehlung, auch für alle, die noch keine Klassik-Klugscheißer sind, sondern es noch werden wollen.

Aber auch einen Buchtipp hat sie auf Lager:

»Die Erde der Zukunft« von Eric Holthaus

Die Klimakrise ist nur eines von vielen schlimmen Themen, die wir momentan jeden Tag über die Medien aufnehmen und verarbeiten müssen. Wegschauen ist keine Option, Hinschauen aber oft schmerzhaft und verzweifelnd. Wie wäre es aber, einen optimistischen Blick in die Zukunft zu werfen? Eric Holthaus nimmt uns mit in das Jahr 2050 und erklärt, wie wir die Klimakrise verhindern und es uns gelingt, den Kollaps unserer Ökosysteme abzuwenden. Dabei zeigt er uns Szenarien, die Hoffnung machen.

»Es ist eines der schönsten Bücher, das ich je gelesen habe«, mit diesen Worten überreichte mir meine Kollegin Anna Maria Jurisch »Herzzeit«. Ein Buch, was den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan wiedergibt. Und damit ist es ein bewegendes Zeugnis zweier Menschen, die sich liebten und sich gegenseitig verletzten, die einander brauchten und doch miteinander nicht leben konnten. Und was soll ich sagen, meine Kollegin hatte Recht …

In den Spielzeitferien geht es für viele von uns nach Hause. Aber was bedeutet das eigentlich, »Zuhause«? Ein Ort? Ein Mensch? Ein Hund? Was macht uns aus, wo gehören wir hin? »Über eine Sehnsucht und die vielleicht wichtigste Suche unseres Lebens« schreibt Daniel Schreiber in seinem essayistischen Roman:

Wir wünschen Ihnen einen schönen Lese-Sommer, viel Freude beim Entdecken neuer (literarischer) Welten. Vielleicht finden Sie ja in der einen oder anderen ein neues Zuhause. Oder eben die Welt, die Sie gerade brauchen.

Frederike Krüger,
Dramaturgin für Musiktheater und Konzert

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Hinter dem Vorhang Theaterblog

Wer bin ich? Wer war ich? Wer will ich, wer kann ich sein?

Im Wintersemester 2021/22 erarbeiteten fünf Studierende aus den Bereichen Kommunikationsdesign und freie Kunst der HBKsaar originalgrafischen Plakate zum Stück »Jedermann. Bliesgau/Monsieur Tout Le Monde«, das vom 4. – 19. Juni im Europäischen Kulturpark Bliesbruck-Reinheim gezeigt wird. Das Seminar fand unter Leitung von Dirk Rausch und Eva Walker statt. In loser Reihenfolge stellen die jungen Plakatkünstler sich und ihre Entwürfe an Hand eines Fragebogens, den Produktions- Dramaturgin Simone Kranz entwarf, vor. Hier die Antworten von Meret Maike Paul. Alle Entwürfe kann man bis zum Spielzeitende im Mittelfoyer des Staatstheaters sehen.

Maike Paul

Stellen Sie sich kurz vor.

Ich heiße Maike Paul, komme gebürtig aus Saarbrücken und studiere seit Oktober 2019 an der HBKsaar Kommunikationsdesign, was auch meinem späteren Berufswunsch entspricht.

Was hat Sie an der Aufgabenstellung gereizt, für ein Theaterstück ein Plakat zu entwerfen?

Die Aufgabenstellung hat mich insbesondere deswegen gereizt, weil die Aufgabe aus einem künstlerischen Schaffungsprozess kam, an dem wir während unseres Gestaltungsprozesses teilhaben durften. So wurde uns z.B. die Konzeption des Bühnenbildes vorgestellt, die mich wiederum in meiner Plakatgestaltung sehr inspirierte.

Erster Plakatentwurf von Maike Paul.

Wie sind Sie auf die Idee zu ihrem Entwurf gekommen?

Zunächst habe ich mich mit dem Theaterstück auseinandergesetzt und die für mich prägnanten Details herausgearbeitet. Hierbei war auch der Austausch mit dem Team vom Theater und der Gruppe an der HBKsaar maßgebend. Gleichzeitig habe ich mit den analogen Drucktechniken des Sieb- und Hochdrucks experimentiert.

Was war für Sie die besondere Herausforderung bei der Aufgabenstellung?

Eine besondere Herausforderung für mich war, dass wir zu Beginn des Entwurfs erst einmal nur wenige Informationen zum Theaterstück hatten und dass der Entwurf gezielt im Sieb– und Hochdruckverfahren umgesetzt werden sollte.

Möchten Sie ihren Entwurf kurz erläutern?

Mein Entwurf »Ellipse« bezieht sich vor allem auf das Rennen gegen die Zeit, das Jedermann antritt, als er dem Tod begegnet. Bin ich gut? Bin ich böse? Die Zeit läuft ab, der Abgrund ist nahe.

Mein zweiter Entwurf »Verzerrt« hingegen bezieht sich mehr auf den inneren Kampf, das Ringen Jedermanns um Gut und Böse. Wer bin ich? Wer war ich? Wer will ich, wer kann ich sein?

Ein Projekt in Unterstützung des: