Kategorien
Theaterblog

Drei sportliche Komödien

Regisseurin Ini Gerath trainiert in »Studio Amore« mit Gesangsstudent*innen der HfM Saar.

Ein Telefon, das nie aus der Hand gelegt wird und somit eine wesentliche Frage verhindert. Ein Beziehungsstreit, der nach entdeckter Untreue tödlich endet, dann jedoch eine zweite Chance bekommt. Und ein Schwergewichtsboxer, der in allen erdenklichen privaten Peinlichkeiten gezeigt und dessen einfältige Persönlichkeit trotzdem – oder gerade deshalb – mit nationalen Ehren gefeiert wird. Wie verbindet deine Inszenierung diese drei Opernminiaturen von Menotti, Hindemith und Křenek?

Der Gedanke, die drei Opern miteinander zu verbinden, obwohl sie auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun haben, stand bei mir von Anfang an im Raum. Inspiriert vom letzten Stück über den Boxer kam ich auf die Idee, die gesamte Handlung in einem Fitness-Studio spielen zu lassen. In der Vorbereitung der Inszenierung nahm dieser Gedanke immer mehr Gestalt an. Und es zeigte sich, dass die Stücke so tatsächlich gut zu verknüpfen waren. Ich entdeckte dann auch immer mehr Parallelen innerhalb der Stücke, die ich dann inszenatorisch mit dem Gesangsensemble herausarbeitete.

Der Titel »Studio Amore« drängte sich auf, da es in jedem Stück um irgendeine Art von Liebeshändel geht, um elastische und weniger flexible Paarbeziehungen, könnte man sagen. Aus Ottokar, einer stummen Nebenfigur im »Schwergewicht«, wird bei uns ein Charakter, der durch alle drei Werke hindurch geht. Sie ist der gute Geist des Studios, bei ihr laufen alle Fäden zusammen, sie kennt alle offenen und geheimen Liebesgeschichten. Sie nimmt Anteil, leitet unmerklich die Geschicke und hat auch ihre Amouren. Auf dem Höhepunkt von »Hin und zurück« greift sie dann auch singend aktiv in die Handlung ein, indem sie als Dea ex macchina das Geschehen rückwärts dreht.

Auch im Bühnenbild folgen wir diesem verbindenden Ansatz. Alles spielt in einem Raum, dieselben Requisiten wandern von einem Stück zum nächsten, lediglich die Perspektiven verändern sich durch unterschiedliche Positionen des Mobiliars. Sogar Bewegungsmuster werden aufgegriffen und wiederholt. Eigentlich kennen sich in diesem Studio alle, turnen zusammen und die drei Stücke sind jeweils drei »Exercises« ein- und derselben Sache, nur unterschiedlich temperiert.

Die drei Komödien, darunter die wahrscheinlich kürzeste Oper aller Zeiten, kann man der sogenannten Zeitoper zuordnen, ein Genre, das in den 1920er Jahren, wie der Name schon sagt, Zeit- und Alltagsphänomene moderner Menschen kritisch-satirisch verhandelt, aber auch technische Veränderungen, neue Medien und populäre Musik aufgreift. Kannst du den drei Einaktern heute noch so etwas wie Zeitgenossenschaft abgewinnen?

Wir es haben es in der Oper ja meistens mit alten Stoffen zu tun, und die Aufgabe für uns Theatermacher besteht immer darin, nachzuforschen, was die Stücke uns heute noch sagen. Menottis »Telephone« ist ein gutes Beispiel. 1947 uraufgeführt, war damals die Situation des Telefonierens zu Hause noch recht neu. Da gab es natürlich viel Motivation, sich mit kritischem Witz damit auseinanderzusetzen. Heute ist die Situation eine andere. Ein Leben ohne Telefon ist nicht mehr vorstellbar, das Festnetz zu Hause spielt so gut wie keine Rolle mehr. Da muss man natürlich nicht lange nach Äquivalenten in unserer Zeit suchen. Der Umgang mit Handys, das ständige Posten von Nachrichten und Befindlichkeiten, die Selbstbespiegelung in den Sozialen Medien, der soziale Druck, ständig kommunizieren zu müssen – das alles sind gesellschaftliche Themen von heute, die sich gut auf das Stück übertragen lassen. Die Nichtwahrnehmung des Gegenübers, das etwas sehr Wichtiges kommunizieren möchte, funktioniert sowohl mit dem Schnur- als auch dem Mobiltelefon. Nur ist die Situation heute noch viel brisanter als Mitte des 20. Jahrhunderts. Wir alle wissen um Fluch und Segen dieses kleinen Apparats. Insofern ist das Stück fast visionär!   

Was bietet der Abend musikalisch?

Auch wenn es sich um Fingerübungen der drei Komponisten handelt, haben wir es hier musikalisch mit spannenden Experimenten mit hohem Kunstanspruch zu tun. Es sind Konversationsstücke, eigentlich der Operette, dem Boulevardtheater und dem Kino abgeschaut. Menottis Musik ist wahrscheinlich die gefälligste, lyrischste von den dreien. Darin gibt es kleine Arien, die teilweise den Gestus einer hochdramatischen Oper imitieren. Dazu hat Menotti das Klingeln des Telefons, das Wählen, das Warten am anderen Ende der Leitung etc. wunderbar in Musik gesetzt. Hindemiths Musik ist wesentlich vertrackter und funktioniert weniger psychologisch. Die Charaktere sind in diesem Sinne eigentlich viel skizzenhafter angelegt. Hindemith hat sich die Idee des Zurückspulens der Handlung und der Musik beim Film abgeschaut. Allerdings findet das nicht von Ton zu Ton statt, sondern ganz geschickt von einem formalen Abschnitt zum nächsten. Křenek spielt sehr stark auf Tempo – wie es sich für eine gute Komödie gehört. Seine Musik ist ganz stark von Tanzmusik der Zeit und dem Jazz beeinflusst. Was alle eint, ist das Zitieren von unterschiedlichen Stilen und Reminiszenzen an die Operngeschichte (Mozart!), was sehr schön zu dem Beziehungsmix passt.

Worin liegen für dich Herausforderung und Vergnügen, mit angehenden Sänger*innen zu arbeiten – und dann noch Komödie zu machen?

Obwohl ich schon seit über 25 Jahren mit jungen Sänger*innen arbeite, ist es jedes Mal auf Neue eine besondere Herausforderung, da die meisten Beteiligten kaum szenische Erfahrung mitbringen. In unserer Produktion kommen Student*innen aus ganz unterschiedlichen Semestern zusammen, einige sind erst vor kurzem nach Deutschland gekommen. Genau das macht die Sache spannend. Es ist unendlich schön mitzuerleben, wie die jungen Künstler*innen sich von Probe zu Probe immer mehr öffnen können, sich in ihre Rolle hineinbegeben und eine so lebendige Spielfreude versprühen, die einfach mitreißend ist. Der Weg dorthin ist lang und arbeitsreich, man muss viel Vertrauen aufbauen, aber die Mühe lohnt sich. Wir haben es hier noch mit einer besonderen Challenge zu tun: Nichts ist so schwer wie die scheinbar so leichte Komödie. Letztendlich ist das vergleichbar mit einer sportlichen Technik: Man muss sie verstehen, lernen, üben, das richtige Timing finden und weiterüben. Aber das tun wir ja sowieso immer 🙂  

Die Fragen stellte Stephanie Schulze.