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Auf ein Wort Theaterblog

Eine neue Freiheit

Am vergangenen Samstag feierte in der Alten Feuerwache die sparte4-Produktion »Bouches Les Rouges – Eine große deutsche romantische Oper« Premiere. Eine Stückentwicklung, ein Gemeinschaftsprojekt aller Beteiligten, egal ob auf oder hinter der Bühne, und ein großes Abenteuer mit jeder Menge Spaß.
Dabei geht es aber nicht nur um den Spaß an der Freude, sondern um das Singen und um das Wandern, um das Schicksal einer Gruppe und um ein bisschen Romantik, um das Frei-Sein und um das Nicht-ins-Büro müssen. Theaterpädagogin Johanna Knauf sprach mit Marius Schötz (Regie und Komposition) und Marthe Meinhold (Text und Dramaturgie) ein paar Tage vor der Premiere.

Regisseur und Komponist Marius Schötz.

J.K.: Du hast ursprünglich klassische Komposition und Gesang studiert. Nach deinem Schauspielregie-Studium hast du dann aber erst einmal nur mit Schauspieler*innen zusammengearbeitet. Wie kam es dazu, dass du jetzt eine Oper inszenierst und entwickelst?

M.S.: Das war eigentlich fast ein Zufall. Unser Bühnenbildner Robin kennt Thorsten Köhler, den Leiter der Sparte4, und Robin hat Thorsten zu der letzten Produktion die wir an der Volksbühne gemacht haben, eingeladen. Thorsten hat das gut gefallen und hat uns daraufhin für die Sparte4 angefragt. Es war also nicht so, dass ich gesagt habe: »Jetzt will ich unbedingt Oper machen«, aber es ist ein schöner Zufall, weil es natürlich so eine Art Heimkommen ist nach der langen Zeit mit den Schauspieler*innen.

J.K.: Was ist anders bei der Arbeit mit Opernsänger*innen im Vergleich zu der Arbeit mit Schauspieler*innen?

M.S.: Ich glaube, dass grundsätzlich erst einmal das Format Stückentwicklung im Schauspiel total etabliert ist. Es ist also total selbstverständlich, sich am Anfang zu treffen, in der Regel nur ein Material mitzubringen – oder sogar das wegzulassen – und dann wirklich erst vor Ort das Stück zu entwickeln.
Dieses Vorgehen hat unter den Sänger*innen teilweise schon ein bisschen für Verunsicherung gesorgt. Für sie ist es ungewohnt, dass man nicht nur die Noten spät bekommt, sondern tatsächlich nicht mal weiß, um was es gehen wird. Schon in den ersten Interviews, die ich vor dem Probenstart mit den Darsteller*innen geführt habe, haben wir daher viel darüber gesprochen, wie das Stück werden könnte.
Bis auf diese Art von Verunsicherung hat sich aber das Stückentwickeln irgendwie ziemlich ähnlich angefühlt. Das heißt die Proben, wenn wir dann miteinander gesprochen haben oder sie etwas improvisiert haben, das war dann eigentlich so wie im Schauspiel auch.

Texterin und Dramaturgin Marthe Meinhold.

M.M.: Mir ist aufgefallen, dass Marius‘ Musik und unsere Texte auf der Bühne ganz anders und superschnell extrem gut funktionieren. Und weil ich bisher kaum etwas mit Oper zu tun hatte, musste mir Marius erstmal erklären, dass das auch daran liegt, dass man Musik auf eine bestimmte Weise komponiert, und dass es zu diesem professionellen Sänger*innensein dazu gehört, dass man damit dann einfach auf die Bühne gehen kann. Das finde ich schon einen wirklich erstaunlichen Unterschied zum Schauspiel. Musik macht einfach etwas anderes mit einer Szene, als wenn man sagt: »Sprich die Szene doch erst einmal«.

M.S.: Das hat auch damit zu tun, dass die Musik sehr anders ist als das, was ich in Stuttgart geschrieben habe. Das war ja ein klassisch-modernes Kompositionsstudium, d.h. ich habe mit erweiterten Spieltechniken gearbeitet, mit bestimmten Harmonien, so erweiterte Spektralklänge und so ein Zeug. Hier hab‘ ich die Musik ja geschrieben, indem ich mehr oder weniger auf meine Erfahrungen anderer Opern zurückgegriffen habe. Ich habe jetzt nicht Opern bewusste gehört und gedacht: »Oh das entspricht dieser Situation, ich nehm‘ mal das Zitat und verweise darauf«. Trotzdem sind das alles Zeichen.
Wenn Markus z.B. singt: »Lasst‘ mich nur alleine sterben jeder Mensch ist frei«, dann ist das so ein bisschen ein »straußartiger« Walzer. Oder es gibt so ein bisschen ein Mozartzitat in Judiths Arie. Oder was sehr nach Schuberts »Die Forelle« klingt ist das Vorspiel von Bettina.  Es ist aber nicht so, dass ich gedacht habe: »Ich will, dass sich alle an die Forelle erinnern«, sondern das kam von selber.
Und durch mein Kompositionsstudium weiß ich natürlich, welche Lage was für eine Körperreaktion auslöst. D.h. an Stellen, in denen man im Schauspiel daran arbeiten würde, um was für eine Körperlichkeit es da geht, ist beim Singen durch die Komposition schon viel gegeben.

M.M.: Die Musik legt einfach schon ein richtiges dramaturgisches Gerüst auf alles drauf.

Markus Jaursch (Bernard) | Foto: Astrid Karger

M.S.: Ja, auch durch die Zeichen. Zum Beispiel ist eine Stelle mit gewissem romantischem Schmelz zu singen – das macht sofort …. das legt so eine leichte Ironie darauf, und gleichzeitig kann man das viel ernster singen, als man das im Schauspiel hätte sagen können. Und so ist letztendlich die szenische Umsetzung im Schauspiel viel mehr in der Probe zu erarbeiten, während hier schon im ersten Schritt des Musikschreibens ganz viel passiert. Das ist für mich ein riesiger Unterschied. Deswegen proben wir auch so extrem kurz. Wir haben heute innerhalb von zwei Stunden wieder fünf Szenen wiederholt, eine davon ist eine Arie. Das würde im Schauspiel bei einer zweiten Wiederholung viel länger dauern, weil man viel mehr kommunizieren muss.
Ein weiterer Unterschied zum Schauspiel ist vielleicht auch noch das für die Sänger*innen neue Maß an Freiheit. Im Musiktheater gibt es normalerweise eine Partitur, dann eine Art und Weise der Interpretation und damit liegt vieles sehr fest. Und in einer Stückentwicklung könnte man halt auch sagen »kannst du diese Stelle in meiner Arie vielleicht noch umschreiben?« – das hat niemand gemacht.
Sondern die Sänger*innen bekommen die Arie und zwei Tage später läuft sie (lacht). Ich glaube, festzustellen, was das überhaupt für eine Art von Freiheit sein kann, ist eine längerfristige Arbeit. Aber ich habe das Gefühl der Geist der Sache ist übergeschwappt, weil die Proben jetzt super entspannt sind, und jetzt viele Angebote von den Sänger*innen kommen. Wo man so merkt: das haben sie verstanden. Und so kommen sie in den Zustand nach dem ich da eigentlich suche in so einer Gruppe.

Judith Braun (Gertrud); Bettina Maria Bauer (Erna); Markus Jaursch (Bernard) | Foto: Astrid Karger

J.K.: Wie kam es dazu, dass du, Marthe, als Ko-Autorin und dramaturgische Mitarbeiterin bei »Bouches les Rouges« involviert bist? Wie habt ihr euch gegenseitig unterstützt?

M.M.: Es war ein relativ pragmatischer Vorgang. Marius und ich haben schon vorher zusammen gearbeitet. Ich habe mich sehr für das Opernprojekte interessiert und so redeten wir darüber, was man da machen könnte. Ich studiere noch, habe gerade Semesterferien und da hat Marius gesagt: »Wollen wir nicht versuchen, dass du da mitkommen kannst? Das wär irgendwie gut, ich könnte das gut gebrauchen.« Man kann einfach über so etwas zu zweit besser nachdenken. Da geht es nicht nur um eine zeitgenössische Wichtigkeit oder so, sondern es gibt einfach so viele verschiedene Aspekte, die es da zu bedenken gibt. Und dann hast du glaube ich gedacht: »Lieber zu zweit als alleine«.

M.S.: Ja, das kommt auch daher, dass ich im Schauspiel einfach schon weiß was ich mache, und mich freue, wenn noch nicht genau feststeht, wohin es diesmal geht. Hier hatte ich das Gefühl, das wird mir zu viel in der Kürze der Zeit. Wenn ich in den ersten zwei Wochen, wo ich ja noch Arien geschrieben habe, auch noch z.B. Text hätte transkribieren und parallel noch überlegen müssen, was in der nächsten Probe entwickelt werden muss … – also ich arbeite und investiere gerne viel, aber das wäre einfach unmöglich gewesen. Und eine*n Gesprächspartner*in ist natürlich auch unersetzbar. Weil ich dann nicht alleine Verantwortung übernehmen muss für, nach meinem Gefühl so viel mehr als im Schauspiel, wo ich immer denke: »Wenn der Text nicht ist, dann schreiben wir den halt noch einen Tag vor der Generalprobe um« oder so. Hier musste ja drei Wochen vor der Premiere – spätestens – alles fertig sein. Obwohl meine Stücke im Schauspiel immer viel länger waren, als die Oper jetzt, kann ich sagen: So intensiv wie hier war es noch nicht. Wenn ich nochmal die Chance bekomme in der Oper zu arbeiten würde ich es trennen: Erst entwickeln, wegfahren und mit Musik wiederkommen und proben. Sonst ist es echt sehr sehr viel. Ohne Marthe wär das nicht gegangen.

Markus Jaursch (Bernard); hinten rechts: Bettina Maria Bauer (Erna) und Judith Braun (Gertrud) | Foto: Astrid Karger



J.K.: Wie ist das mit dem Rest des Regieteams, habt ihr auch mit dem Bühnenbildner und dem Kostümbildner schon vorher mal zusammengenarbeitet? Wie habt ihr zusammengefunden?

M.S.: Wir haben untereinander alle schon miteinander gearbeitet. Schon das allererste Projekt, das ich im Regiestudium gemacht habe, habe ich mit Robin und Florian gemacht. Das war gleich ein Volltreffer mit den Beiden… Wenn man sich wohl fühlt, eine Ästhetik teilt und gleichzeitig auch so unterschiedlich ist, dass es sich lohnt, gemeinsam weiter zu machen. Und seitdem habe ich kein einziges Projekt mehr ohne die beiden gemacht.
Die Oper ist jetzt das erste Projekt, bei dem wir zu Viert zusammenarbeiten, und das hat wirklich ganz toll funktioniert. Wirklich ganz ganz ganz toll, deswegen glaube ich auch, dass die Konstellation durchaus auch… das wir das gerne weitermachen wollen, weil das eine schöne und – trotz allem Stress – super harmonische Zeit war.

M.M.: Total. Es würde einen im Team einfach nie jemand böse angucken, oder einen Vorwurf machen. Es verlassen sich einfach alle darauf, dass alle so viel arbeiten wie sie eben können – und nicht im Sinne von Komplettausbeutung, sondern halt wirklich: wie sie können. Und deswegen ist es auch so super produktiv. Man muss sich nicht beweisen, vertraut sich, es gibt einfach keinen Hintergedanken oder so etwas.

Bettina Maria Bauer (Erna); Stefan Röttig (Hektor); Judith Braun (Gertrud); Markus Jaursch (Bernard) | Foto: Astrid Karger

J.K.: Geht ihr selbst gerne in die Oper? Was wünscht ihr euch für die Zukunft der Sparte Oper / Musiktheater?

M.S.: Während des Kompositionsstudiums war ich bestimmt vier Mal in der Woche in der Oper. Alles was lief, habe ich mir bestimmt fünf bis sechs Mal angeschaut, weil ich einfach so besessen davon war. Aber irgendwann war ich so unglücklich mit dem was auf der Bühne passiert, bei diesen Wiederaufnahmen wo irgendwie die vierzigste Besetzung durchläuft…  Dann bin ich das erste Mal ins Schauspiel gegangen, so mit 25 Jahren, das heißt, das war für mich dann das Neue. Aber ich liebe die Oper auch heute noch – und gerne richtig klassisch inszeniert. (lacht)
Wenn es nur noch das geben würde, was wir jetzt machen, dann gäbe es ja die traditionelle Oper nicht mehr – und das will ich auf keinen Fall. Gleichzeitig habe ich jetzt so viel Spaß mit unserem Projekt, dass ich so etwas gerne weiter verfolgen würde. Dass sich entspannter alte und neue Formen begegnen können, das wär vielleicht ein Wunsch. Ich fänd es toll, wenn sich die traditionelle Oper mehr neuen Strukturen öffnen würde.

M.M.: In allem ja auch, oder? Sowohl was man musikalisch darf, aber auch bezüglich hierarchischer Strukturen im Theater, dem Umgang mit Frauenfiguren, Machozeug, … Also wir haben hier jetzt so etwas nicht erlebt, aber das sind schon Themen, mit denen sich Oper, glaube ich, noch mehr auseinandersetzen muss.
Anders als Marius bin ich aber eigentlich noch nicht sehr opernerfahren. Wenn ich bisher in der Oper war, bin ich danach aber immer – im positiven Sinne – total überwältigt davon.

Markus Jaursch (Bernard); Stefan Röttig (Hektor); Bettina Maria Bauer (Erna); Judith Braun (Gertrud) | Foto: Astrid Karger


J.K.: Wo ihr beide so begeistert von der Oper berichtet: Woran liegt es eurer Vermutung nach, dass durchschnittlich eher ältere als jüngere Menschen in die Oper gehen?

M.S.: Ich muss sagen, wenn ich damals nicht in unseren Schulchor gekommen wäre und dort nicht so intensive Erfahrungen hätte sammeln können, dann würde ich heute wirklich auf keinen Fall hier sitzen. Dann hätte ich nicht einfach eines Tages gedacht: »Oh, Oper ist ja toll«.
Viele sammeln ja ihr Leben lang keine aktive Erfahrung im Bereich Oper, und dann ist es für mich nicht verwunderlich, dass sie damit erst einmal nichts anfangen können. Ich glaube es braucht irgendwelche Anknüpfungs- oder Identifikationsmöglichkeiten.

M.M.: Ja, ich denke auch bei mir war das ein bisschen anders als bei den meisten, da ich in der sehr privilegierten Situation aufgewachsen bin, Zugang zu unterschiedlichster Kultur zu haben, und durch meine Erfahrung mit anderen Künsten auch eher Anknüpfungspunkte hatte.