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Hinter dem Vorhang

DIE KRAFT DER PRÄSENZ

Vom digitalen Stattfinden der 14. Ausgabe des »Festival Primeurs« und Körper-Wünschen.

Was Theater ja ausmacht, ist die Bühne. Corona nimmt sie den Machern von Theaterkunst nicht gänzlich, aber doch die Möglichkeit, Theaterarbeit mit den bühneneigenen Mitteln zu erfahren. Die Pandemie nimmt der Theaterarbeit den Raum geteilter Erfahrung. Für das aktuell stattfindende – ja: stattfindende! – Autorentheaterfestival »Primeurs« ist die Bühne glücklicherweise nur die zweitwichtigste Etappe.

Denn hier geht es um den Text, genauer, um 6 Texte frankophoner Autoren, die von einer Fachjury in Form eines Autor*innen- & eines Übersetzer*innen-Preises, textbasiert, prämiert und in Werkstattarbeiten vorgestellt werden. In diesem Jahr findet die 14. Ausgabe des Festivals nicht öffentlich, sondern im Digitalen statt – zwei Monate lang, ab dem 19.11. wird wöchentlich frankophone, ins Deutsche übertragene Dramatik in Videoarbeiten gezeigt, begleitet von Autor*innenbotschaften.

Zu den beiden Erzählkünsten der Literatur und des Theaters gesellt sich nun also erstmalig auch der Film. Von Science Fiction über die zarte Liebesgeschichte, ein Jugendamtsdrama, eine Familienfarce bis hin zur Wut-Ode und zum antikapitalistischen Manifest in Dialogform ist alles vertreten, steht das politisierte Ich und die Gesellschaft als Gestaltungsprojekt im Zentrum des Schreibens (Näheres unter www.festivalprimeurs.eu).

Intern beschäftigt uns die Ästhetik der diesjährigen digitalen Formate aus diesem Grund noch stärker als sonst – auch im Hinblick auf die uns, unter Berücksichtigung des »digitale «, bestmögliche Präsentation der einzelnen Dramentexte. In den kommenden Wochen stellen wir Erfahrungen mit dieser ästhetischen Herausforderung sowie festivalbegleitend einige Perspektiven auf Text & Umsetzung, auf Übersetzung & Autorenschaft auf unserem Blog vor.

Raum mit (zuschauenden) Körpern teilen, Raum nicht mit (zuschauenden) Körpern teilen. Der Unterschied ist frappierend. Er ist groß und klein zugleich. Er wird von einem Kribbeln begleitet, das bedeutet »spannend, diese Distanz, dieses Filmische« und hinterlässt doch einen schlechten Bühnenkunst-Fußabdruck, ein Schuldgefühl unabgesprochen »fremd zu gehen« überkommt mich.

Es ist Tag 3 der Proben, der Tisch, die Probebühnen sind schon verlassen, das Dunkel der Alten Feuerwache umgibt mich, konzentrierter Aufbau des Bühnen-Filmsets vor mir: Stühle, Raummikros, Sprechmikros, Mikroports nummeriert von 1 – 4, dezente Beleuchtungseinrichtung, geschäftiges Wispern der technischen Mannschaften und bevor ich gedanklich endgültig in der Aufbauinstallation verschwinde, retten mich schon die hineinschneienden Ensemblekollegen mit ihrem figürlichen Entdeckungsdrang, ihrer Spielfreude, mit ihrer Vitalität, ihrer Präsenz. Da ist Wärme, Humor, Traurigkeit, Aggression, all das zwischen uns und nicht nur in mir als Zuschauer einer abgefilmten Szenerie, alleine in einem anderen Raum.

Angesichts möglicher kulturpolitischer Argumentationen einer nahen post-pandemischen Zukunft wünsche ich mir plötzlich, dass die Qualität des anwesenden Körpers, der affektiven Ergriffenheit, die durch anwesende Körper aufkommt und geteilt werden kann, dass das eben doch als etwas Anderes wahrgenommen wird. Dass Theater und abgefilmte Theaterarbeit, vermischt mit filmischen Techniken, als zwei verschiedene Paar Schuhe gehandhabt werden. Dass der Zuschauer sich an die Theater-Wirkung erinnert und weiß, dass Theatermittel in echt anders funktionieren.

Dennoch: die Freude mittels abgefilmter Bühnenarbeit – für das Netz gedachte Bühnen-Film-Arbeit – als Festival herauskommen zu können, ist groß. Mit dem spontan vollzogenen Schritt die aktuelle Festivalausgabe ins Digitale zu verlagern, wagen wir etwas Neues, wagen wir eine rettende Ausweichbewegung, angepasst an die derzeitige pandemische Situation. Es entsteht eine Chimäre aus Präsenzkunst und Videoregie. Es zeichnen sich bei den unterschiedlich aufgebauten Stücktexten schon jetzt sehr diverse Umsetzungsweisen an. Die verführen, zu Entdeckungen neuer Stimmen, neuer Erzähl- und Sichtweisen. Das genießen, wissend, dass es nicht an die Kraft geteilter Präsenz heranreicht, nicht im Theatersinne, ist die Aufgabe – intern wie auch fürs Publikum.

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin

Bisher dazu erschienen:
Besser als absagen! Blogbeitrag von Chefdramaturg Horst Busch