Vamos, Corazón ist ein Abend über Herzen, die zwischen zwei Kontinenten schlagen.
Auf der Bühne verweben sich persönliche Geschichten mit traditionellen und modernen Rhythmen Lateinamerikas: der treibende Puls des Guaguancó, die entfesselte Energie des Mapalé, das Schweben einer Ballade oder der Gesang einer Gaita. Moderne Folklore erzählt davon, wie zeitlos die Liebe zur eigenen Kultur und der Herkunft ist und lädt dazu ein, das Leben mit all seinen Hindernissen, Höhen und Tiefen zu feiern.
Klassiker wie „La Bruja“ greifen Themen wie Körper, Identität und Feminismus auf und verbinden sie mit gelebten Geschichten.
Unser Repertoire ist Erinnerung und Gegenwart zugleich und jedes Stück eine Brücke. In „Yoruba Andando“, einem kubanischen Guaguancó, der seine Wurzeln in der Yoruba Religion hat, erklingt ein Loblied auf Elegguá, den Gott, der Wege öffnet, während „Sabor a viento“ die Unsicherheit und Schönheit des Dazwischenseins besingt – ein Leben zwischen Orten, Sprachen und Zugehörigkeiten. Die Klänge sind nicht bloß Begleitung der Geschichten, sie sind ihre Resonanz, ihr Spiegel und manchmal ihr Vorgriff.
Getragen wird das musikalische Gerüst von Menschen, deren Biografien selbst aus Übergängen bestehen. Jhonatan Giraldo, geboren in Pereira, Kolumbien, bringt mit seiner Gaita und dem Tambor Alegre den Atem seiner Heimat in jede Improvisation ein. Wo er ist, ist auch seine Kultur, sind seine Klänge und die Liebe zu seiner Herkunft. Und auch meine Stimme lässt deutsche und ecuadorianische Wurzeln erklingen: aufgewachsen zwischen zwei Kulturen, zwischen Sprachen und Geschichten, öffnet sich mir im Klang immer wieder ein Ort, der beides zugleich enthält. „Sabor a Viento“ ist eine Spur dieses Weges.
Vamos, Corazón ist für mich eine Feier der Wege, die sich kreuzen, verlieren und wiederfinden – ein Abend, der zeigt, wie Erinnerung und Gegenwart im Klang ineinanderfließen können.
Vorabfoto mit Laura Trapp und Raimund Widra | Foto: Jennifer Hörr
1 zukunft ist verlängerung der gegenwart/vergangenheit und eben auch nicht/ beim lesen wird mir klar dass alles so kommen kann wie es da steht/ aber eben auch nicht muss! die scheinbar dystopische beschreibung könnte viel schlimmer sein!/ aber eben auch viel besser.. natürlich ist es eben wirklich eine frage was gut/ schlecht ist.. und mir wurde sehr klar /dass es eben sehr wohl (! ) an jedem einzelnen liegt wie es in 20 /30 jahren sein wird/ also wie unsre kinder dann leben werden/und der rest von uns/ das bedeutet /dass das stück eben auch eine aufforderung bedeutet: seine eigene position (mit hilfe des textes ausfindig zu machen /und wenn möglich/hinsichtlich seiner eigenen möglichkeiten/einschätzungen und absichten danach auch folgerichtig zu handeln… 2 persönlich ist der gedanke unangenehm: dass es »dann«(zukunft) irgendwie immer eine art »abrechnung« gibt/ Und das sowohl: von den anderen/ als auch von einem selbst! wenn man dazu noch zeit hat/sie sich nimmt / also wie weit ist man selber gegangen auf dem weg ?/in welche richtung?/ wo hätte er/ich/sie/es anders abbiegen sollen/können?/vielleicht müssen? .. wobei der gedanke wohltuend ist/dass die jeweiligen determinationen/
die die personen grundiert/führt und beschränkt/ schon ziemlich umfangreich ist/ (also wie sich frau/mann/weisser /schwarzer/alter/junger/kranker/starker reicher/armer /diverser zu verhalten haben: angesichts der jeweiligen sozialen/moralischen/kulturellen/ökonomischen /politischen vorstellungen einer gesellschaft) will sagen: mein »gestaltungsfreiraum« ist eben gerade nicht so »enorm« wie es werbung/erziehung/medien/der staat/ und alle anderen einem suggerieren/das heisst einerseits mein »eigenanteil an weltveränderungspotential« ist definitiv gering/ aber!/das abschieben der verantwortung auf die »herrschenden« ist eben auch eine lüge/weil sie es ja nicht sind :»die herrschenden«/ sondern nur die menschen /»die uns und viele güter besitzen«/ (als auch die ästhetische deutungshoheit:»der herrschende geschmack ist der geschmack der herrschenden«b.b.) aber alles (!) ist immer in bewegung (also auch die herrschaftsverhältnisse!)/also sollten wir uns doch einmischen! 3 die 3- teilung des textes hat mehrere gründe /einmal geht es in der tat darum ästhetisch so etwas wie ein tryptichon herzustellen / als eine art »altar mit 3 seiten« (der nacheinander aufgeklappt werden kann)/(vielleicht im kontext zu marys ästhetischen vorstellungen)/ ..wo die einzelnen flügel sich gegenseitig beleuchten/und so eine mehrdimensionalität »erscheinen« könnte/ andererseits geht es darum verschiedene möglichkeiten/tangenten vom heute in die zukunft zu ziehen/und zu verlängern/ Und diese sich hypothetisch zu vergegenwärtigen.. und schlussendlich finde ich das »spiel mit der zeit« reizvoll/will sagen/in beide zeitachsen (vor- zürück) ist eine darstellung möglich!!/wobei die rückwärts laufende mir zwar schwieriger /aber nach wie vor reizvoller erscheint/
4 die 3 bücher/ bilden imaginiert 3 verschiedene aufeinanderfolgende zeiten ab: (vor allem aber ja 3 verschiedene orte:) 4.1. buch 3( kurz nach dem 3. weltkrieg )zeigt eher ein gemälde wie ich es mir nach dem 30-jährigen krieg in europa vorstelle: alles liegt noch in schutt asche/hunger krankheiten gewalt überziehen das land und wir sehen 2 menschen (wanna und foe) wie sie einen ähnlichen weg richtung »gelobtes land« erleben/erstreben/unterschieden (aus weiblicher und männlicher sicht/) am ende ein temporäres glück(wie jedes glück) von jungen menschen /die noch einen langen weg vor sich haben/
4.2. spielt einige zeit/(jahre später )in einer megametropole/die schon absolut überwacht und technokratisch organisiert ist/ (ich war nur einmal in china in einer 34 millionen-stadt aber so »dinge« habe ich da gefühlt) hier agieren die ki- figuren als anwälte des staates /als ordnungsapparate /aber auch als produzenten /therapeuten und management- ausführende in unterschiedlichen rollen/ foe und mary sind 2 »humanoide«(hier im sinne von »teilmenschlich« verstanden) aussenseiter /beide verletzt/ er/psychisch -sie physisch/ sie bilden ein ungleiches paar und mary versucht eigentlich durch und über: kunstproduktion und kunsterörterung / so etwas wie ein produktives auf kommunikation /spiel und/oder manufaktur beruhendes leben zu schaffen / in einer welt in der es scheinbar keinen »widerstand« sondern nur noch entropie/also: den versuch zur absoluten ordnung Gibt/ (in diesem teil wird deutlich /dass nicht die ki-robots »böse« sind /sondern die memschen /die sie programmieren(lassen) aber auch /dass in dieser(!) ki-welt so etwas wie »widerstand« ähnlich wie bei »1984« oder in »brazil« kaum noch eine chance hat… 4.3. hier noch einige zeit später sehen wir die »absolut andere seite/« Wir sind in : einer völlig zerstörten müll- und todeswelt/ auf der die ausgestossenen /kaputten aber eben noch »überlebt habenden/« versuchen zu existieren/ und neue oder scheinbar alte (?)formen des zusammenlebens ausprobieren /reorganisieren/ Diese welt ist erstaunlicherweise grösstenteils (wie heute in somalia/jemen /haiti z.b) längst realität/ (nur eben nicht unsere) .. spannend wird die experimentieranordnung für »privilegierte zuschauende« dadurch/dass eine »ausgestossene person der oberen mittelschicht« (anthony) versucht: in die welt der freaks/halb-menschen und outlaws einzudringen /diese begehren nach einem »anderen« leben bezahlt Der aus dem chor der bürger ausgestossene(anthony) relativ schnell mit dem tod / weil er die herrschenden »archaischen« regeln nicht akzeptiert/versteht/wahrhaben will/ .. celine/rimbaud/jack london(wolfsblut)/tolstoi(der lebende leichnam)/marianne herzog(nicht den hunger verlieren) haben solche »reisen« in andere milleus /kontinente und lebensentwürfe schon vorher beschrieben und teilweise(rimbaud) dafür mit ihrem eigenen leben bezahlt..
seltsamerweise erscheint in diesem teil der hauptaspekt des sonstigen textes:»die einsamkeit« eine eher untergeordnete rolle zu spielen! /vielleicht weil die unglaubliche anstrengung des überlebens dazu keine zeit lässt oder Diese systeme (trotz ihrer härte) eine relative stabilität erzeugen/darstellen.. 5 die ki figuren sind möglichst symphatisch oder zumindestens komisch gestaltet/ Und darzustellen!!! (wie gesagt: sie selber können nicht »böse« (sein allerhöchstens die programmierer/) gerade in ihrer unfertigkeit/naivität liegt ihr charme ihre komik!/ und manchmal eben auch (wie bei wanna-ki) ihr widerstandspotential.. 6 die genre der 3 bücher untescheiden sich und soll(t)en auch möglichst unterschiedlich dargestellt werden/ so dass das triptychon wirklich plastisch wird! .. buch 2 ist eine melancholische komödie mit starken essayistische zügen/ buch 3 ein roadmovie und natürlich eine liebesgeschichte aber auch ein »coming out of age drama«/ buch 1 der eigentlich science fiction: anfangend mit einer art »teacher-stand up comedy« so ist zumindstens der plan!!!
Stephanie Schulze: »Hoffmanns Erzählungen« verbindet mehrere Liebesgeschichten, in denen der Erzähler Hoffmann selbst zum Protagonisten wird, in einem Spiel zwischen »Realität« und »Phantasie«. Was hat deine Phantasie entzündet, als du dich diesem Stück genähert hast?
Bente Rolandsdotter: Wir gehen mit unserer Produktion auf die Reise in eine Welt von Erinnerungen und Nostalgie, von Liebe und Zweifel. Der große Humor, aber auch der Umgang mit Liebe und Wahnsinn in »Hoffmanns Erzählungen« verlangen nach phantastischen, überdrehten Kostümen. Für die Kostüme waren übergroße, markante Silhouetten und eine sorgfältig zusammengestellte Farbpalette eine große Inspirationsquelle. Kardinäle, die sich in Schachfiguren verwandeln, eine gnadenlose Studentengruppe in der Uniform toxischer Männlichkeit und eine Party am frühen Morgen, die die Form eines Bacchanals annimmt.
In welche Räume führt ihr Hoffmann und auch das Publikum?
Marian Nketiah: Die Räume, die der Zuschauer erlebt, sind vielmehr Gedankenwelten als reale Orte. Es sind Versatzstücke aus Hoffmanns Erinnerungen – etwa der Balkon einer Wohnung, der Altar einer Kirche, die Duschen einer Jungen-Umkleide. Orte, an denen prägende Momente erlebt und Erinnerungen geschaffen wurden. Ähnlich wie an einem Filmset existieren diese Orte gleichzeitig und nebeneinander und bilden die Kulissen für einzelne, fragmentarische Momente und Szenen, die als eine Art »Kopfkino« Hoffmanns bezeichnet werden können. Dieses »Kopfkino« erleben wir als Zuschauer nicht nur auf der Bühne, sondern auch auf der Leinwand, die stetig um das Bühnengeschehen kreist und auf der immer wieder Videoprojektionen zu sehen sind. In den Videos sehen wir entscheidende Momente zwischen Hoffmann und Stella.
Szene aus »Hoffmanns Erzählungen«
In den Videos sehen wir dann entscheidende Momente zwischen Stella und Hoffmann an realen Orten, jedoch nicht frei von Surrealität, wenn zum Beispiel durch Schnitte Räume nahtlos gewechselt werden können bzw. ineinander übergehen. Oder Figuren scheinbar durch Wände gehen können. Das ist sehr nah an Hoffmann.
Auf der Bühne führt ihr das Thema der gespaltenen Persönlichkeit und auch das Spiel mit Doppelgängern fort. Hoffmann taucht gleich mehrfach auf …
BR: Es handelt sich um einen traumähnlichen Zustand, in dem Hoffmann durch Erinnerungen und Reflexion versucht zu verstehen, was in der Beziehung schiefgelaufen ist. Indem wir mehrere Hoffmanns in jeweils unterschiedlichem Alter auf der Bühne haben, schaffen wir für ihn die Möglichkeit, seine Vergangenheit neu zu gestalten und sich seine Zukunft vorzustellen. Diese vielschichtige Erzählweise zeigt sich im Kostüm durch eine dunkle, verzerrte Sicht auf die Welt, die auch von grotesken Gestalten bevölkert wird. Erinnerungen verschmelzen mit verworrenen Alpträumen. Das geblümte Hemd von Hoffmanns erstem Date geht über in einen verwaschenen Bademantel und später in ein übergroßes, fleckiges Künstlerhemd. Die warme Farbpalette mit nostalgischen Rosa- und Orange-Tönen, sowohl bei Hoffmann als auch bei Stella, trifft auf das gnadenlose Schwarz-Weiß der Außenwelt.
Die Episoden lesen sich als Variationen von Fehlschlägen in einer Liebesbeziehung zwischen zwei Künstlern. Wer ist Stella bzw. die anderen drei Frauen? Und wie seid ihr mit dem männlichen Blick auf Stereotypen von Weiblichkeit umgegangen?
BR: In unserer Version lebt Stella in Hoffmanns Erinnerung, als seine Nachbildung dessen, was passiert ist. Hoffmann sieht in diesem Rückblick Stella in verschiedenen Versionen, stereotype Frauenfiguren seiner eigenen Erinnerungen: Sie wird zur Braut (Olympia), die in einem riesigen Brautkleid ertrinkt, zur künstlerischen Seelenverwandten (Antonia) im passenden Partner-Bademantel und zuletzt zu einer Mischung aus dekadenter Nachtclubsängerin und mythologischer Sirene (Giulietta), die von ihrer Klippe ruft. Für Hoffmann stellt Giulietta die sexuelle Bedrohung einer Frau dar, die ihre Sexualität unter Kontrolle hat, während er selbst als alternder Mann seine frühere Stärke verliert.
Es gibt noch eine andere Frau, die Hoffmann begleitet. Die Muse, die bei euch in ihrer ganzen Körperlichkeit erscheint. Wie habt ihr zu dieser besonderen Erscheinung gefunden?
BR: Wir wollten, dass Hoffmanns innere Kräfte mit Ego und Muse auf der Bühne Gestalt annehmen, ein Yin und Yang des Geistes, nackte Zwillingsengel, die um die Kontrolle über seine Gedanken ringen und kämpfen. Die Nacktheit der Muse ist aus einem langen Prozess erwachsen. Ich habe nach einem freien weiblichen Körper gesucht, frei von jeglicher Norm und sexuellen Konventionen. Ein weiblicher Körper, der gleichzeitig menschlich, lustig, schön, funktional und auch müde sein darf.
Um diesen Bodysuit anzufertigen, habe ich alles Mögliche ausprobiert: Wie bewegt sich die lose Haut des Arms, wo genau geht die Wölbung der Schulter in die Rundung des Bauchs über und wie groß ist eine »ganz normale« Brustwarze? Muses Körper aus Trikotstoff, Schaumstoffperlen, Polsterung und Silikon zu erschaffen und dabei ohne Wertung oder mit dem Wunsch nach Konformität oder Kontrolle auf ihn zu blicken, war eine Befreiung. Es geht mir dabei auch darum, sich selbst und andere mit Neugier und Freude zu betrachten.
Szene aus »Hoffmanns Erzählungen«
Der Körper ist ein wichtiger Topos sowohl in E.T.A. Hoffmann’s Erzählkosmos als auch in der Oper: nicht nur der als schön gelesene Frauenkörper, auch der deformierte Körper von Kleinzack, der leblose Puppen-Körper von Olympia, der kranke Körper von Antonia, die Macht und Ohnmacht im Zusammenhang mit Sex … Wie spiegelt sich dieses Thema in eurer Performance wider?
BT: Auch der männliche Körper wird in unserer Inszenierung thematisiert. Während Hoffmann nach Klarheit darüber sucht, warum seine Beziehung gescheitert sind, wird sein Körper als Träger von Zugehörigkeit und als einzige Grundlage seiner Existenz greifbar. Es stellen sich Fragen: Wo beginne ich, wo höre ich auf? Ich wollte, dass die drei verschiedenen Altersstufen von Hoffmann durch Farbe und Muster miteinander verbunden sind, aber das Gefühl des Kostüms spiegelt auch wider, wie Hoffmanns Körper im Verlauf der Aufführung immer verletzlicher wird.
Jacques Offenbach und sein Librettist Jules Barbier basierten »Les contes d’Hoffmann« auf mehreren Erzählungen des extravaganten deutschen Romantikers E. T. A. Hoffmann, Autor von Phantastik und Schauer-Literatur. In der Oper tritt der Autor Hoffmann selbst als Protagonist auf. Es ist eine Geschichte über das Geschichtenerzählen – eine metatextuelle Form, in der die Geschichte einen kritischen Kommentar zu sich selbst abgibt.
Während Hoffmann sich an seine vergangene Liebesbeziehung mit Stella erinnert, fragt er sich nach den möglichen Gründen, warum diese Romanze zu Ende ging. Seine Erinnerungen sind widersprüchlich – weniger von Fakten und Ereignissen bestimmt, sondern eher ein Strudel von Assoziationen und Eindrücken. Durch das Erzählen versucht Hoffmann, dem emotionalen Chaos in seinem Herzen und Verstand einen Sinn zu geben – ähnlich wie bei einer Psychotherapie.
Offenbachs Oper funktioniert wie ein Kaleidoskop. Elemente aus den Erzählungen Hoffmanns reflektieren sich gegenseitig wie in einem Spiegel. Dieses Prinzip gilt sowohl für den Text als auch für die wiederkehrenden musikalischen Muster der Komposition.
Jede Spiegelung offenbart einen weiteren Aspekt derselben Erinnerung – die von Hoffmanns Beziehung zu Stella. Stella ist Olympia ist Antonia ist Giulietta ist eine Frau und drei Frauen zugleich. Es war Offenbachs Wunsch, dass alle diese Rollen von einer Sopranistin gesungen werden. Tatsächlich offenbart jede Seite von Stella jedoch eine andere Wahrheit über Hoffmann selbst.
In seinen Erinnerungen begegnet Hoffmann sich selbst als junger idealistischer Mann in der Geschichte von Olympia, dann als männlicher Schriftsteller, der sich durch das künstlerische Talent seiner der Sängerin Antonia bedroht fühlt, und als desillusionierter Mann neben der gefährlich verführerischen Giulietta.
Hoffmanns Erzählkunst ist ein kreativer Prozess, um seine Persönlichkeit zu enthüllen. Wir begegnen drei verschiedenen Hoffmanns – drei Überlagerungen, die Hoffmann zum Geschichtenerzähler machen. Jeder Akt hat eine ähnliche Grundstruktur, die von Märchen inspiriert ist – es gibt eine Prinzessin (Stella, Olympia, Antonia, Giulietta), einen Torwächter (Lindorf, Coppélius, Dr. Miracle, Dapertutto) und einen Prinzen auf seiner Mission, die Prinzessin zu retten (Hoffmann).
Hoffmann wandelt durch die Landschaft seiner Erinnerungen wie durch ein Filmset seines Lebens. Es ist keine lineare Erzählung, sondern eine endlose Spirale, der er folgt. Seine Erinnerungen sind von Nostalgie, Bedauern und Hoffnungen geprägt.
Die Perspektive auf die Geschichte ist keine objektive, sondern ganz subjektiv durch den Impuls der Erinnerung gefärbt. In diesem Prozess versucht Hoffmann, sich von seiner obsessiven Liebe zu Stella zu befreien. Seine Befreiung besteht darin, seine Obsession zu erkennen und ihr eine Form zu geben – die der Geschichten, die er erzählt.
Vor 30 Jahren mit der Rolle des Biff Loman an der Schauspielschule angenommen worden, jetzt spielt er Willy Loman: Ensemblemitglied Fabian Gröver
Foto: Jennifer Hörr
Gesa Oetting Bei Arthur Miller ist die Rolle des Willy Loman älter angelegt, Regisseur Christoph Mehler hat sich bewusst für eine jüngere Besetzung entschieden. War die Rolle des Loman schon auf deinem Radar?
Fabian Gröver Willy Loman hatte ich tatsächlich nicht auf dem Schirm, aber da ich mir mit der Rolle seines Sohnes Biff vor 30 Jahren meinen Platz an der Schauspielschule und danach mein Erstengagement erspielt habe, war das Stück an sich über die Jahre immer irgendwie ein Begleiter. Dass ich mich jetzt aus dem Blickwinkel der Vaterfigur Willy dem Material annähern kann, führt nochmal zu einem ganz anderen, tieferen Verständnis der Geschichte.
GO Was macht für dich die Inszenierung aus?
FG Das ist nicht leicht zu beantworten, ohne allzu viel zu spoilern. Wir haben jedenfalls eine grandiose Bühne, die uns ermöglicht, nahtlos zwischen Willys zahlreichen Erinnerungsmomenten und der Jetztzeit zu switchen und so die Geschichte der Familie über die Jahre hinweg zu erzählen. Dabei geben sich surreale (Alb-)Traumsequenzen und reale Spielszenen immer wieder die Hand und durch den Einsatz unserer vier Live-Kameras entsteht schon ein sehr besonderes Theatererlebnis. So fühlt es sich jedenfalls auf der Bühne an, sehen werde ich es ja (leider) nicht.
GO Was ist in der Inszenierungsarbeit besonders herausfordernd, interessant, (un)angenehm?
FG Ganz platt gesagt: Sich in eine Figur hineinzuarbeiten, der es aus multiplen Gründen gelinde gesagt »nicht gut geht«, kann schon unangenehm sein, weil es nicht spurlos an einem vorübergeht. Sobald ich dann aber anfange, lauter krudes Zeug zu träumen, dass irgendwie mit der Figur zu tun hat, ist das ein gutes Zeichen dafür, dass sie sich auf den Weg ins Unterbewusstsein gemacht hat. Das ist dann allerdings sehr beglückend, denn es ermöglicht später eine große Freiheit beim Spielen, da der »Kopf« sich ein bisschen raushalten kann. Die Parallelität vom Spiel für die große Bühne und gleichzeitig für die bereits erwähnten Kameras ist mir bisher auch noch nie begegnet und insofern besonders reizvoll.
GO Manchmal möchte man Willy Loman, ja die ganze Familie schütteln ob all der Geheimnisse und Missverständnisse, obwohl sie sich eigentlich alle sehr gern haben. Was würdest du den Lomans wünschen?
FG Dass sie zu gegebener Zeit den Mut und die Kraft aufgebracht hätten, miteinander zu reden. Heute würde man Ihnen dazu auch gerne einen Therapeuten an die Seite stellen. Da ist so viel Unausgesprochenes im Raum, falsche Vorstellungen vom Gegenüber, unerreichbare Zielsetzungen und und und… Aber wie jeder selbst weiß, ist so eine ungeschönte Offenheit innerhalb einer Familie mit all den festgefahrenen Rollenbildern und Strukturen meist unmöglich, was für den Fortbestand mancher Familienbande wiederum überlebenswichtig sein dürfte.
GO Die Angst vor dem Scheitern und vor der Scham, die Angst, nicht gut genug zu sein, nicht beliebt genug, ist ein großer Motor für die Handlungen von Willy und Biff – wie sehr kannst du dich als Schauspieler damit identifizieren?
FG Es liegt in der Natur der Sache, dass all diese Themen auch zu meinem beruflichen Alltag gehören. Vor allem in der Probenarbeit (»trial and error«) ist das Scheitern ein ständiger Begleiter und da kann es schon passieren (mir zumindest), dass auch Scham und so etwas wie Angst, die Rolle schlichtweg nicht ausfüllen zu können, mal um die Ecke schauen. Und natürlich war im Laufe meines Theaterlebens auch nicht jedem oder jeder meine Arbeit gut genug, aber ich persönlich fände es auch furchtbar, wenn immer allen alles gefallen würde. Meine Person eingeschlossen.
Anna-Elisabeth Fricks Arbeiten oszillieren zwischen Sprechtheater und Performance. In der Alten Feuerwache bringt sie einen Abend »Verlorener Erinnerungen« heraus. Dramaturgin Simone Kranz sprach mit ihr über die Proben.
Simone Kranz Anna, nach den ersten Proben bin ich sehr fasziniert von deiner Arbeitsweise. Kannst du deine `Methode´ beschreiben?
Anna-Elisabeth Frick Ich weiß gar nicht, ob man das eine Methode nennen kann. Ich bin eine große Sammlerin, ich interessiere mich für alles, was mit dem Thema, das ich gerade bearbeite, zu tun hat. Dieses Material bearbeite ich dann mit den Spielenden. Dabei suche ich die Themen schon so aus, dass es eine Verbindung zu meiner Biografie gibt. Bei »Lethe« ist das Bindeglied mein Vater, der mit Demenz verstorben ist.
K Geht es dir um Aufklärung?
F Das wäre zu kurz gegriffen. Es gibt ja schon Hilfsangebote und Themenabende. Ich möchte mehr einen sinnlichen Raum schaffen, in den das Publikum eintauchen kann. Die Orientierungslosigkeit des Krankheitsbildes Demenz entspricht für mich einem gesellschaftlichen Phänomen. Jeder und jede kennt doch das Gefühl, auf einmal Dinge nicht mehr zu verstehen, die politischen Zusammenhänge nicht mehr erfassen zu können, z.B. nicht glauben zu können, was Trump in Amerika da als Gesetz verkündet. Das Thema hat eine gesellschaftliche, politische und philosophische Dimension.
K Trotz dieser philosophischen Einbindung arbeitest du mit dem Choreographen Ted Stoffler sehr körperlich…
F Ja, es geht ja auch um Körper. Die Körper der Erkrankten, die ständig laufen wollen, zu anderen Orten, die es so vielleicht gar nicht mehr gibt. Das nicht zur Ruhe kommen können. Nähe und Abstand – beides wird von an Demenz Erkrankten plötzlich anders definiert. Das ist ein schönes Untersuchungsfeld für die Bühne.