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Hinter dem Vorhang

ÜBER SPIELERISCHE ERINNERUNG UND ERINNERTES SPIEL

Freie Gedanken zur Stückentwicklung »Puck träumt eine Sommernacht«

In Wirklichkeit gibt es im Erzählen und Erleben, im Erleben und Erzählen Entwicklungen. In der Regel gibt es Entscheidungen, gibt es Handlungen, gibt es Konsequenz, gibt es Wahrnehmung und Reaktion. Und in der Regel kennt man vor allem eine Perspektive. Die Eigene. Seit die sozialen Medien erfunden wurden und jede*r seinen eigenen Blog und social-media-Marketing betreibt, gibt es in unseren Köpfen häufig auch die Perspektive von außerhalb auf uns selbst, inklusive Bewertungsfleischwolf, sprich die Draufsicht, die gerne schizophren in einem zündelt. Aber eigentlich heißt das alles noch immer: das Selbst. Und: die eigene Perspektive, der eigene Weg durch das Weltgeschehen.

Anne Rieckhof.

In PUCK TRÄUMT EINE SOMMERNACHT erinnert sich jemand für andere. Die eine Perspektive auf Beziehungen ist absolut – niemand widerspricht ihr, niemand korrigiert, niemand relativiert, potenziert, boykottiert. Außer: das Gedächtnis. Die manipulierte Erinnerung. Puck (Anne Rieckhof) ist die einzige Figur, ist Haupt- und Nebenfiguren zugleich und völlig überrumpelt als ein weiterer Puck (Jan Hutter) auftaucht. Man teilt sich die Bühne, man teilt sich den Text, den Fokus, die Perspektive aber nicht. Die bleibt in Konkurrenz. Puck hat etwas von einem Menschen (sehr überraschend). Er ist sich sein eigener Nabel. Er ist anarchisch, er schafft sein eigenes Cool und gibt sich dem Gedankenfluss hin. Aber (und das sollte ihn von uns unterscheiden): er hat keine Moral im Leibe. Und das macht, dass er schonungslos auf uns Liebeskranke blicken kann. Und von uns und unseren Irrungen und Wirrungen berichten kann.

Die Stückentwicklung, die aus einem Work-in-Progress zwischen Regisseurin Alice Buddeberg und den Schauspielern Jan Hutter und Anne Rieckhof in einer 3-teiligen Probenphase entstand, bei der mit William Shakespeares »Ein Sommernachtstraum« als freie Erinnerungsmatrize gearbeitet wurde, ist ein Traum-Gewächs der Sehnsüchte: nach Begegnung, nach Spiel, nach veritabler Empfindung, geteilt mit einem anwesenden Gegenüber (einem Schauspieler, einem Produktionsteam des jeweiligen Abends und mit dem jeweiligen Publikum).

Es ist eine Etüde über Einsamkeit, wie es auch eine über Begegnung sein kann. Und über das Element des Erzählens. Darin steckt eigentlich auch eine Etüde über unser Erzählen in der Wirklichkeit – das Erzählen von Biografie zum Beispiel, von Gefühlen, von Welterleben.

Vielleicht einigen sich die Pucks unbewußt auf diese eine Sache: dass Erzählen subjektiv ist, je nach Autor*in unterschiedlich ausfällt, aber dass es sich lohnt seine Erzählungen zu teilen. Ja, auch der Reibung wegen. Es gilt auszuhalten, dass sich erinnertes Erleben reibt.

Davon handelt auch unser Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft. Aber auch mein ganz persönliches Glück kann darin liegen, die Vielheit an Erleben anzuerkennen. Eine Lust daran zu entwickeln. Ein FAIRY-QUEEN-Dasein wie die Pucks es führen, hat jedenfalls etwas damit zu tun, dem Moment und der Erzählung des Moments zu vertrauen. Und zu lauschen. Vielleicht würde sie jemand anderes anders erleben und anders davon berichten. Aber heute und jetzt, now, erzählt sich der Moment so. Oder – now! – so. Oder – now!: so…

Jan Hutter.

Nach langen Monaten des ausgebliebenen Erzählens (außer einseitig durch Serien, Tagesschau, Virologie-Podcast) sind die Sinne wieder gefragt und ist man als Publikum auch Energie füreinander im Zuschauersaal wie auch für das Ensemble auf der Bühne.

Dies und weitere drei Gewissheiten stehen fest:

Tempus fugit.

Carpe diem.

Puck we are.

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin

Szenen-Fotos © Astrid Karger.