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Der Dramaturgieschreibtisch

ÜBER’S ÜBERSETZEN

Vom Akt des Übersetzens als Raum der Begegnung – als einladender Zwischenraum.

Die Übersetzerin und Dramaturgin Franziska Baur, die im Rahmen des 14. Festival Primeurs das Stück PHANTOMSCHMERZ als Stückauftrag des Saarländischen Staatstheaters und im Mentoratsprogramm von Transfert Théâtral/Theater Transfer übersetzt hat, gibt Einblicke in ihre Auffassung der Übersetzerinnentätigkeit. Das Stück ist – in der szenischen Einrichtung durch Thorsten Köhler – noch bis zum 15. Januar 2021 digital auf www.festivalprimeurs.eu einzusehen.

Übersetzen heißt für mich zunächst, das andere zu verstehen versuchen – anders gesagt, autrement dit: eine andere Sprache, die immer Denkprozesse und Ideengeschichte(n) beinhaltet, begreifen wollen, um daraufhin einen Gedanken, ein Bild, einen Rhythmus, eine Idee in der eigenen Sprache zu finden.

Mit »eigen« meine ich nicht zwingend die Muttersprache, sondern eher eine Sprache, die man sich aneignet, die man vielleicht sogar bewohnt. Ähnlich wie ich es von der dramaturgischen Lektüre kenne, versuche ich mir beim Übersetzen eines Theatertexts die Situation  genau vorzustellen, sie mir zu vergegenwärtigen, um einen entsprechenden Ton zu treffen. Für mich ist Übersetzen ein Suchprozess. Dabei geht es mir nicht darum, Äquivalente zu finden oder gar einen Sinn zu reproduzieren; nein, ich glaube, es geht vielmehr darum, sich der Sprache einer Autorin anzunähern.

Diese Annäherung ist ein Prozess, nicht selten ein langwieriger, weil der Gedanke zunächst verinnerlicht und begriffen werden muss, um ihn in einem weiteren Schritt in die »eigene Sprache« zu übertragen. Im Begreifen ergreift der Übersetzer dann die Initiative und gibt sich der Aufgabe des Übersetzens hin.

Mir scheint, als nehme die Übersetzerin das Andere zunächst auch als Anderes war und baut im Akt des Übersetzens eine Brücke zum Eigenen. Wir müssen vorsichtig mit den Begriffen »anderes« und »eigenes« sein, gerade heute, wo wir in einer Welt leben, in der Andersartigkeit so oft mit Fremdartigkeit verwechselt wird, und wo Unterschiede als Probleme, als etwas Trennendes aufgefasst werden. Dabei steckt im Unterschied ein großer Reichtum, ein fruchtbarer Boden, um dem anderen und somit sich selbst zu begegnen.

Für mich heißt Übersetzung in diesem Sinne auch immer ein Miteinander. Der Übersetzende befindet sich in diesem Raum des Miteinanders, in einem Zwischenraum. Maurice Blanchot verortet die Übersetzerin sogar in dem Unterschied selbst: »Le traducteur est le maître secret de la différence des langues.«

Der Übersetzer als Meister der Differenz scheut sich also nicht davor, zunächst Unterschiede festzustellen. Das kann dazu führen, dass sich zu Beginn ein Gefühl der Unmöglichkeit einstellt. Wie übersetze ich beispielsweise Sehnsucht ins Französische, wie orgueil ins Deutsche? Paul Ricœur spricht in diesem Zusammenhang von einem Gefühl des Abschiednehmens, das er mit Freuds Trauerarbeit in Verbindung setzt.

In der Tat gilt es sich bis zu einem gewissen Grad zu verabschieden – die Übersetzerin muss Kompromisse eingehen, kann meist nicht die magische Zusammenkunft von Wort, Bild, Rhythmus, usw. in der Übersetzung gleichauf herstellen. Abschied heißt in diesem Sinne aber vielleicht auch über den eigenen Schatten zu springen, indem der Übersetzer selbst aus dem Schatten tritt und selbstbewusst Neues schafft.

Nach meiner dramaturgischen Tätigkeit am Schauspiel Stuttgart, begann ich mich für die Übersetzung von Theatertexten zu interessieren. Nach ersten Gehversuchen und der Teilnahme an dem Übersetzungsatelier »Theater Transfer«, übersetzte ich erste kleine Texte und spürte, dass etwas in mir zu vibrieren begann.

Aus Deutschland kommend, habe ich meine Jugend in Kenia verbracht und bin später – im Rahmen meines ersten Studiums – das erste Mal nach Frankreich gezogen. Seit einigen Jahren lebe ich nun in Paris und bewege mich zwischen den Sprachen. Und irgendwo in diesem Dazwischen siedelt sich für mich die Übersetzung an.

Wahrscheinlich hat es aus diesem Grund so schnell gefunkt.

»Übersetzung ist Form.« Walter Benjamin stellt diese Aussage an den Beginn seines berühmten Texts »Die Aufgabe des Übersetzers«. Der Begriff »Aufgabe« im Titel weist bereits auf einen mehrdeutigen Boden der übersetzerischen Tätigkeit hin – auf die Verantwortung gegenüber dem Originaltext (»die Aufgabe«), sowie die Notwendigkeit, sich davon zu lösen, um Neues schaffen zu können (»etwas aufgeben«).

Wenn Übersetzung tatsächlich Form ist, dann schwindet schnell der Gedanke einer Unmöglichkeit und an seine Stelle treten die tausend Möglichkeiten. Für die eine Möglichkeit, die es schlussendlich wird, muss man sich entscheiden. Vielleicht ist das die eigentliche Aufgabe des Übersetzenden.

Ich vermute, die theoretischen Texte, die sich mit Übersetzung auseinandersetzen und die nicht selten sehr philosophische Schriften sind, können in diesem Prozess der Entscheidungsfindung nur sehr bedingt weiterhelfen. Sie beginnen für sich als Konzept und ferner als Diskurs zu existieren und lösen sich dadurch zwingend von der Tätigkeit.

Ja, die Theorie kann die Praxis vielleicht nur sehr begrenzt befruchten, aber ich wage dennoch vorsichtig festzustellen, dass sich nicht wenige Denkerinnen und Denker der Übersetzung zweigleisig angenähert haben: im Tun und im Nachdenken darüber. Mich faszinieren viele dieser Texte sehr.

Und zuletzt noch einmal zurück zum Unterschied. Spätestens seit einem halben Jahrhundert wird der berühmte Zwischenraum, l’espace-entre, nicht mehr als Nicht-Ort aufgefasst, sondern als Raum betrachtet, der jegliche Form von territorialer Grenzziehung sprengt. An die Stelle trennender Grenzen, die mit einer Beanspruchung von Macht einhergehen, tritt dann die Begegnung – der Raum wird zum gemeinsamen. Ich finde, in diesem Sinne ist Übersetzung ein friedliches, ein einladendes Unterfangen.

Franziska Baur,
Übersetzerin und Dramaturgin

Franziska Baur ist Dramaturgin und Übersetzerin. Aufgewachsen in Süddeutschland und Nairobi, studierte sie in Konstanz, Lyon und Paris. Sie war Dramaturgieassistentin am Schauspiel Stuttgart. In Paris lebend bewegt sie sich an der Schnittschnelle zwischen Theater, Lyrik und Übersetzung. Zuletzt arbeitete sie mit Alain Françon, Frank Castorf und dem Collectif Aubervilliers. 2019 erhielt sie den Übersetzerpreis des Festival Primeurs.