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Zwischen Probebühne und Lichtpult: FSJ in der sparte4

In der Reihe »Journal einer FSJlerin« teilt Lenke Nagy regelmäßig ihre Erfahrungen und Gedanken.

Es war länger ruhig in meiner Reihe »Journal einer FSJlerin« – zwischen Endproben für »The end, my friend«, spinnendem Drucker, Zuschauen bei Kostümabgaben und meinem ersten Filmschnitt (Das Ergebnis findet ihr unter der Überschrift Straßenumfrage zu »The end, my friend« ebenfalls auf dem BLOG.) ist das Schreiben leider etwas kurz gekommen. Höchste Zeit also für Teil 7 meiner Serie, für den ich mir – zugegeben – Hilfe geholt habe. Und zwar bei jemandem, der theoretisch auch hinter den letzten Artikeln des Journals hätte stecken können. Als FSJlerin des Saarländischen Staatstheaters bin ich nämlich nicht alleine: Schon vor meiner Zusage war eine andere Person fest für die Spielzeit eingeplant: Charlotte Mohr, oder auch Charly, Freiwillige in der sparte4. Damit ihr euch auch ihren Alltag vorstellen könnt, der sich doch maßgeblich von dem meinen unterscheidet, habe ich ein Gespräch mit ihr geführt. Es geht unter anderem um Planänderungen, Senfspender und BWL – Bühne frei für Charly:

Lenke Nagy: Fangen wir doch mit einer sehr naheliegenden Frage an: Wie bist du auf die Idee gekommen, dich für das FSJ in der sparte4 zu bewerben?

Charlotte Mohr: Eigentlich wollte ich ins Ausland. Ich habe mich da für ein paar Sachen beworben, kam auch in Warteschleifen, aber irgendwann war dann klar: Das wird nichts mehr. Und dann waren wir mit unserem Kurs »Darstellendes Spiel« als Abschluss vor dem Abitur im Staatstheater und meine DS-Lehrerin meinte: »Hier gibt es eine FSJ-Stelle, da kann man sich auch bewerben.« Das hat mich neugierig gemacht, also habe ich mich beworben und bin nach einem erfolgreichen Vorstellungsgespräch in die sparte4 gekommen.

LN: Kanntest du die sparte4 vor deiner Bewerbung bereits?

CM: Nein. Ich war noch nie dort. Beim Bewerbungsgespräch wurde ich dann eingeladen mal vorbeizukommen und dann war ich bei »Ich, Akira« zum ersten Mal da und durfte mir auch den Backstage-Bereich angucken. Und dann stand ich vor der Entscheidung, ob ich Bock drauf habe, mich für ein ganzes Jahr zu verpflichten, ob ich mir das vorstellen kann. Den Ausschlag hat dann ein Probenbesuch bei der Produktion »Die Bettwurst« gegeben. Das war total cool mitzuerleben und ich habe entschieden: Ja, ich habe Lust drauf und mache das jetzt.

LN: Welche Aufgaben übernimmst du?

CM: Ich helfe der Regieassistenz sehr viel. Das ist in der sparte4 ein bisschen anders als im Großen Haus oder in der Alten Feuerwache, weil es dort keine zusätzlichen Ausstattungsassistent*innen gibt. Das heißt, die Regieassistenz muss sich neben der Probenorganisation auch um die Requisite und manchmal sogar um die Kostüme kümmern. Eigentlich macht man ein bisschen von allem. Auch mit den Lichttechniker*innen zusammenarbeiten und sowas. Ich bin meistens von 10:00 bis 14:00 Uhr bei der Probe und dann von 18:00 bis 22:00 nochmal bei der Probe oder halt bei Vorstellungen in der sparte4.

LN: Du bist dort auch bei allen Vorstellungen anwesend, oder?

CM: Ja, ich bin bei allen Vorstellungen dabei. Am Ende des FSJs ist es sogar üblich, eine Produktion alleine zu betreuen. Bei mir war das »Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat«.

LN: Ich verbringe im Rahmen meines FSJ auch viel Zeit im Büro am Schreibtisch. An welchem Arbeitsplatz trifft man dich am häufigsten an?

CM: In der sparte4 natürlich. Dann gibt es noch die Probebühne am Eschberg und bei Luca Pauer im Büro gibt es auch einen Schreibtisch für mich, da bin ich aber relativ selten. Dort arbeite ich nur manchmal an Applausordnungen, Listen mit allen benötigten Requisiten oder ähnlichem oder drucke den Stücktext für die Spieler*innen aus.

LN: Hättest du dir denn auch vorstellen können, meine Stelle zu besetzen? Also in der Dramaturgie zu arbeiten?

CM: Nein. (lacht) Ich hatte mein Bewerbungsgespräch mit Thorsten Köhler und Luca Pauer, dem Leitungsteam der sparte4. Die beiden haben mich dann gefragt, ob ich mehr Interesse an der Stelle in der sparte4 oder in der Dramaturgie hätte. Für mich war klar, dass ich die sparte4 vorziehen würde, weil mir die Schilderungen von der Arbeit dort besser gefallen haben und ich geahnt habe, dass das besser zu mir passt. Ich kann auch wirklich nicht gut schreiben, das war noch nie so mein Ding. Texte lesen zwar schon, aber ich mag es trotzdem lieber, dass ich mich bei den Proben direkt über den Text austauschen und zuhören kann, wie alle Beteiligten darüber philosophieren.

LN: Was gefällt dir, abgesehen davon, gut an der Stelle?

CM: Für mich verbindet die Arbeit sehr gut Kopfarbeit mit körperlicher Arbeit. Also dass man manchmal Sachen rumschleppen muss, aber auch auf eine besondere Art kreativ sein kann. Zum Beispiel gibt es bei einem Stück einen Senfspender und ich stand vor Fragen wie »Wie mache ich den am besten sauber?« und es gab noch die Überlegung, dass der Inhalt möglichst gut rausplatscht beim Runterdrücken. Für solche Dinge Lösungen zu finden, ist etwas, was mich sehr reizt. Aber auch, dass man ganz am Anfang von den Proben wirklich nur über den Text redet und ihn dann immer mehr mit Leben füllt. Das ist eine coole Kombi. Und man setzt sich auch ganz anders mit Themen auseinander, einfach weil da viel mehr Menschen in einem Raum mit dir sind, als wenn du nur für dich selbst am Tisch denkst.

LN: Im Gegensatz zu mir, bist du ja fast ausnahmslos bei allen Proben für eine Produktion in der sparte4 dabei. Fühlst du dich dabei als fester Bestandteil des Teams?

CM: Ja. Es ist ja dann immer wieder eine neue Produktion mit anderen Leuten, aber man merkt, wie am Ende alle richtig krass zusammenwachsen, wenn der Endspurt losgeht.

LN: Hand aufs Herz: Was hast du dir im Vorfeld anders vorgestellt?

CM: Ich weiß es nicht… Es ist oft so, dass man sich in sehr spontanen Situationen befindet und schnell entscheiden muss: »Scheiße, wie gehen wir jetzt damit um.« Wenn z.B. die Regieassistenz krank wird und ich bei den Abendvorstellungen plötzlich für sie einspringen muss. Ich dachte im Vorfeld nicht, dass mir soviel Verantwortung übergeben wird. Aber sonst habe ich mir wenig anders vorgestellt. Ich bin gedanklich relativ unvorbereitet da reingegangen.

LN: Geht mir auch so und ich sehe das auch eher positiv, denn wenn man sich bereits im Vorfeld ein detailliertes Bild ausgemalt hätte, dann würde man bestimmt auch schneller enttäuscht…

CM: Genau, dann hat man halt schon eine gewisse Erwartungshaltung.

LN: Möchtest du dich denn nach dem FSJ weiterhin mit Theater beschäftigen?

CM: Also nicht direkt, eher nein. Ich möchte Eventmanagment studieren und bin gerade dabei mich zu bewerben, in Richtung BWL und ähnlichem. Mir ist aber schon wichtig, dass da später wieder eine künstlerische Seite dazukommt, zum Beispiel durch die Organisation von Veranstaltungen im Bereich Kunst und Theater.

LN: Was würdest du deiner Nachfolge raten?

CM: Genau die Frage wurde mir diese Woche tatsächlich bei einem Fortbildungsseminar beim Deutschen Roten Kreuz schon gestellt… Davon muss ich ja, genau wie du, im Laufe meines Freiwilligen Sozialen Jahres fünf Stück besuchen, und diese Woche ist es bei mir wieder soweit. Ich weiß gar nicht mehr, was ich da geantwortet habe, ich glaube irgendeine 0815-Lebensweisheit. (lacht) Ich glaube, ich würde der Person mitgeben, dass man sich nicht so stressen soll. Ich habe jetzt gelernt, dass alles irgendwie so kommt, wie es eben kommt und man immer eine Lösung findet. Dass man einfach versucht, entspannt zu bleiben, auch wenn die Situation stressig ist, und sich darauf konzentriert, was man gerade machen kann. Außerdem sollte man sich auf seine Stärken konzentrieren und dann kann man auch gut mit Herausforderungen umgehen.

LN: Worauf freust du dich vor dem Ende der Spielzeit und dem damit einhergehenden Ende deiner Zeit in der sparte4 noch besonders?

CM: Das ist noch top secret. (lacht) Es ist noch nicht ganz klar, aber eine Auszubildende, die genauso heißt wie ich, hat mich gefragt, ob wir zusammen bei »Melodien für Millionen« singen wollen und jetzt habe ich schon zwei Lieder im Blick, bei denen wir gucken, ob wir das vielleicht zusammen durchziehen. Wir sind beide nicht super im Singen, aber ich glaube, das ist etwas, wo ich dann zurückdenken werde: »Du hast dich getraut vor so vielen Leuten so ein bisschen schief zu singen!« Außerdem wünsche ich mir, den Rest der Spielzeit noch eine gute Zeit zu haben. Darauf freue ich mich!

LN: Das hört sich nach einem sehr guten Plan an, danke dir für das Gespräch!

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Straßenumfrage zu »The end, my friend«

Wie stellen wir uns unser Ende vor? Anlässlich der Produktion »The end, my friend« haben Dramaturgin Gesa Oetting und FSJlerin Lenke Nagy Passant*innen zu möglichen Weltuntergangsszenarien befragt. Ihre Antworten finden Sie in diesem Video (auf den Pfeil klicken).

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Saint Javelin: Eine Ikone geht viral

In der Inszenierung von Tschaikowskis »Die Jungfrau von Orléans« des Musiktheaterkollektivs Hauen und Stechen trifft die Titelfigur auf einer Zeitreise in allen Epochen auf Krieg und patriarchale Strukturen. Der zweite Akt spielt in der Gegenwart, genauer gesagt vor dem Hintergrund des bereits seit mehr als zwei Jahren währenden russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Dabei kommt auch das Symbol der Saint Javelin zum Einsatz.

Saint Javelin, ukrainisch Свята Джавеліна‚ ist eine Heiligendarstellung im Stil einer traditionellen orthodoxen Ikone, die die US-amerikanische Panzerabwehrwaffe Javelin trägt. Das Internet-Meme wurde von dem ukrainisch-kanadischen Journalisten Christian Borys kurz vor der russischen Vollinvasion 2022 in Umlauf gebracht und ging auf Social-Media-Plattformen weltweit viral. Das Meme wird für Merchandising-Produkte – Aufkleber, T-Shirts und vieles mehr – genutzt und brachte so über eine Million US-Dollar ein, die an humanitäre Hilfsorganisationen und das Militär in der Ukraine gespendet wurden.

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Schlimmer geht immer?

Szenarien über das Ende der Welt faszinieren die Menschheit schon immer. Obwohl der Weltuntergang schon zigmal prophezeit wurde, gibt es die Erde und uns immer noch. Die Lust an Untergängen liegt in der Natur des Menschen – gestillt wird sie in Gedichten, in der Musik, im Kino. Können wir uns ein wirkliches Ende überhaupt noch vorstellen, oder haben wir es zu oft auf der Leinwand gesehen? Die Autorin und Regisseurin Rebekka David im Gespräch.

Gesa Oetting Es gibt unzählige Lieder, Filme, Gemälde, Gedichte über die Apokalypse – was fasziniert dich an den Erzählungen, an den unterschiedlichsten Vorstellungen über das Ende der Welt?

Rebekka David Dass es so viele sind und dass sie schon immer da waren – der Weltuntergang als anthropologische Konstante fasziniert mich. Menschen haben sich schon immer von ihrem eigenen Ende erzählt, und wenn wir auf die lange Geschichte dieses Narrativs zurückblicken, ist es spannend zu sehen, wie sehr konkrete Ereignisse in der Realität darauf einwirken, welche Art von Dystopie wir uns ausmalen. Und auch andersherum funktioniert diese Wechselwirkung: Wenn wir ein bestimmtes Szenario, von dem wir nie dachten, dass es uns jemals direkt betreffen könnte, oft genug im Kino gesehen haben, und es dann aber wider Erwarten doch Realität wird (Beispiel: Triage bei COVID 19), beruhen unsere Entscheidungen und Bewertungen auf dem, was wir nur aus der Fiktion kennen. Und wenn wiederum Klimawissenschaftlerinnen versuchen, potenzielle Zukunftsszenarien so verständlich wie möglich zu formulieren, zeichnen sie ein Bild, das zum Großteil auf Fakten basiert, aber in den kleinen Details, in den Ausschmückungen die es für uns konkret vorstellbar machen, greifen sie zwangsläufig auf das kollektive Imaginäre zurück, das uns alle prägt und sich aus der Masse all dieser Erzählungen zusammensetzt. Diese Geschichten wirken also direkt darauf ein, wie wir uns das Ende der Menschheit durch den Klimawandel vorstellen können und über alle Fragen, die sich daraus ergeben, sollten wir unbedingt miteinander ins Gespräch kommen! 

»Fiktionen über die Zukunft organisieren ja das kollektive Imaginäre, und das wiederum bestimmt, was wir als Wirklichkeit anerkennen, (…)  und wie ich mir wiederum etwas vorstelle, also wie ich die Welt wahrnehme, prägt, wie die Welt ist – Leute, vielleicht müssen wir mehr manifestieren!« (Leo in »The end, my friend«)

GO Warum hat die Menschheit so viel Vergnügen daran, sich ihr Ende auszumalen?

RD Ich glaube, dafür gibt es sehr unterschiedliche Motivationen. Welche ich am interessantesten finde, ist die der Auslagerung der eigenen Angst: Ich kann einer Figur dabei zusehen, wie sie sich durch einen zerstörten Planeten kämpft, vor Zombies oder den außer Kontrolle geratenen Nachbarinnen flieht und den Kometeneinschlag erwartet, ich kann mitfiebern und leiden, ich kann diese Figur bestimmte Ängste durchleben lassen, die ich selbst unterbewusst habe, ja ich könnte sogar fast diese Figur sein, aber ich bin es eben nicht, denn am Schluss kann ich den Laptop einfach zuklappen. Und dann sitze ich da, auf meiner Couch, und bin sehr froh, dass es bei mir noch nicht so schlimm ist, dass das alles denen da passiert, denen in dem kleinen Apparat, und gegen deren Katastrophen sehen unsere realen für den Moment vielleicht etwas weniger dunkel aus.

GO Die Figuren in »The end, my friend« reagieren alle ganz verschieden auf ein möglicherweise nahendes Ende – wie habt du und dein Ensemble die Figuren und ihre jeweilige Position gefunden?

RD Im steten Dialog. Mir war wichtig, fünf unterschiedliche Perspektiven und Verhaltensweisen zu finden, die miteinander in ein fruchtbares Gespräch treten können. Dabei geht es mir nicht darum, den kompletten Diskurs abbilden zu wollen, sondern Positionen zu suchen, die für uns in ihrer Art auch nachvollziehbar sind, deren Ängsten und Verdrängungsmechanismen wir nicht sofort zu unseren eigenen auf Distanz halten können. Und mit diesem Ansatz habe ich mit den Spielenden und dem Team die Figuren entworfen und weiterentwickelt.

GO Was denkst du, was passieren muss, damit endlich was passiert in unseren Köpfen, und vor allem in unserem Handeln?

RD Wenn ich das wüsste, würde ich diesen Abend nicht machen.

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Drei sportliche Komödien

Ein Telefon, das nie aus der Hand gelegt wird und somit eine wesentliche Frage verhindert. Ein Beziehungsstreit, der nach entdeckter Untreue tödlich endet, dann jedoch eine zweite Chance bekommt. Und ein Schwergewichtsboxer, der in allen erdenklichen privaten Peinlichkeiten gezeigt und dessen einfältige Persönlichkeit trotzdem – oder gerade deshalb – mit nationalen Ehren gefeiert wird. Wie verbindet deine Inszenierung diese drei Opernminiaturen von Menotti, Hindemith und Křenek?

Der Gedanke, die drei Opern miteinander zu verbinden, obwohl sie auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun haben, stand bei mir von Anfang an im Raum. Inspiriert vom letzten Stück über den Boxer kam ich auf die Idee, die gesamte Handlung in einem Fitness-Studio spielen zu lassen. In der Vorbereitung der Inszenierung nahm dieser Gedanke immer mehr Gestalt an. Und es zeigte sich, dass die Stücke so tatsächlich gut zu verknüpfen waren. Ich entdeckte dann auch immer mehr Parallelen innerhalb der Stücke, die ich dann inszenatorisch mit dem Gesangsensemble herausarbeitete.

Der Titel »Studio Amore« drängte sich auf, da es in jedem Stück um irgendeine Art von Liebeshändel geht, um elastische und weniger flexible Paarbeziehungen, könnte man sagen. Aus Ottokar, einer stummen Nebenfigur im »Schwergewicht«, wird bei uns ein Charakter, der durch alle drei Werke hindurch geht. Sie ist der gute Geist des Studios, bei ihr laufen alle Fäden zusammen, sie kennt alle offenen und geheimen Liebesgeschichten. Sie nimmt Anteil, leitet unmerklich die Geschicke und hat auch ihre Amouren. Auf dem Höhepunkt von »Hin und zurück« greift sie dann auch singend aktiv in die Handlung ein, indem sie als Dea ex macchina das Geschehen rückwärts dreht.

Auch im Bühnenbild folgen wir diesem verbindenden Ansatz. Alles spielt in einem Raum, dieselben Requisiten wandern von einem Stück zum nächsten, lediglich die Perspektiven verändern sich durch unterschiedliche Positionen des Mobiliars. Sogar Bewegungsmuster werden aufgegriffen und wiederholt. Eigentlich kennen sich in diesem Studio alle, turnen zusammen und die drei Stücke sind jeweils drei »Exercises« ein- und derselben Sache, nur unterschiedlich temperiert.

Die drei Komödien, darunter die wahrscheinlich kürzeste Oper aller Zeiten, kann man der sogenannten Zeitoper zuordnen, ein Genre, das in den 1920er Jahren, wie der Name schon sagt, Zeit- und Alltagsphänomene moderner Menschen kritisch-satirisch verhandelt, aber auch technische Veränderungen, neue Medien und populäre Musik aufgreift. Kannst du den drei Einaktern heute noch so etwas wie Zeitgenossenschaft abgewinnen?

Wir es haben es in der Oper ja meistens mit alten Stoffen zu tun, und die Aufgabe für uns Theatermacher besteht immer darin, nachzuforschen, was die Stücke uns heute noch sagen. Menottis »Telephone« ist ein gutes Beispiel. 1947 uraufgeführt, war damals die Situation des Telefonierens zu Hause noch recht neu. Da gab es natürlich viel Motivation, sich mit kritischem Witz damit auseinanderzusetzen. Heute ist die Situation eine andere. Ein Leben ohne Telefon ist nicht mehr vorstellbar, das Festnetz zu Hause spielt so gut wie keine Rolle mehr. Da muss man natürlich nicht lange nach Äquivalenten in unserer Zeit suchen. Der Umgang mit Handys, das ständige Posten von Nachrichten und Befindlichkeiten, die Selbstbespiegelung in den Sozialen Medien, der soziale Druck, ständig kommunizieren zu müssen – das alles sind gesellschaftliche Themen von heute, die sich gut auf das Stück übertragen lassen. Die Nichtwahrnehmung des Gegenübers, das etwas sehr Wichtiges kommunizieren möchte, funktioniert sowohl mit dem Schnur- als auch dem Mobiltelefon. Nur ist die Situation heute noch viel brisanter als Mitte des 20. Jahrhunderts. Wir alle wissen um Fluch und Segen dieses kleinen Apparats. Insofern ist das Stück fast visionär!   

Was bietet der Abend musikalisch?

Auch wenn es sich um Fingerübungen der drei Komponisten handelt, haben wir es hier musikalisch mit spannenden Experimenten mit hohem Kunstanspruch zu tun. Es sind Konversationsstücke, eigentlich der Operette, dem Boulevardtheater und dem Kino abgeschaut. Menottis Musik ist wahrscheinlich die gefälligste, lyrischste von den dreien. Darin gibt es kleine Arien, die teilweise den Gestus einer hochdramatischen Oper imitieren. Dazu hat Menotti das Klingeln des Telefons, das Wählen, das Warten am anderen Ende der Leitung etc. wunderbar in Musik gesetzt. Hindemiths Musik ist wesentlich vertrackter und funktioniert weniger psychologisch. Die Charaktere sind in diesem Sinne eigentlich viel skizzenhafter angelegt. Hindemith hat sich die Idee des Zurückspulens der Handlung und der Musik beim Film abgeschaut. Allerdings findet das nicht von Ton zu Ton statt, sondern ganz geschickt von einem formalen Abschnitt zum nächsten. Křenek spielt sehr stark auf Tempo – wie es sich für eine gute Komödie gehört. Seine Musik ist ganz stark von Tanzmusik der Zeit und dem Jazz beeinflusst. Was alle eint, ist das Zitieren von unterschiedlichen Stilen und Reminiszenzen an die Operngeschichte (Mozart!), was sehr schön zu dem Beziehungsmix passt.

Worin liegen für dich Herausforderung und Vergnügen, mit angehenden Sänger*innen zu arbeiten – und dann noch Komödie zu machen?

Obwohl ich schon seit über 25 Jahren mit jungen Sänger*innen arbeite, ist es jedes Mal auf Neue eine besondere Herausforderung, da die meisten Beteiligten kaum szenische Erfahrung mitbringen. In unserer Produktion kommen Student*innen aus ganz unterschiedlichen Semestern zusammen, einige sind erst vor kurzem nach Deutschland gekommen. Genau das macht die Sache spannend. Es ist unendlich schön mitzuerleben, wie die jungen Künstler*innen sich von Probe zu Probe immer mehr öffnen können, sich in ihre Rolle hineinbegeben und eine so lebendige Spielfreude versprühen, die einfach mitreißend ist. Der Weg dorthin ist lang und arbeitsreich, man muss viel Vertrauen aufbauen, aber die Mühe lohnt sich. Wir haben es hier noch mit einer besonderen Challenge zu tun: Nichts ist so schwer wie die scheinbar so leichte Komödie. Letztendlich ist das vergleichbar mit einer sportlichen Technik: Man muss sie verstehen, lernen, üben, das richtige Timing finden und weiterüben. Aber das tun wir ja sowieso immer 🙂  

Die Fragen stellte Stephanie Schulze.

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Eine Spielzeit voller Sehnsüchte – Rückschau und Ausblick

»Mein deutsches Lieblingswort ist Sehnsucht. Ich habe noch kein Wort, das eine wirklich gute Übersetzung wäre, in einer anderen Sprache gefunden. Denn in dem Sehnen ist im Deutschen auch die Sucht nach dem Sehnen und die Lust daran.« Cornelia Funke ist es, die in einem der vielen Kurzvideos in den Tiefen der sozialen Medien diesen Satz mit der Welt teilt. Sie ist nicht die einzige, die eine Faszination gegenüber diesem vom Duden als »inniges, schmerzliches Verlangen nach jemandem, etwas [Entbehrtem, Fernem]« definierten Gefühl empfindet – kein Wunder also, dass es zum Motto der Spielzeit 2023/24 im Saarländischen Staatstheater geworden ist. Ein ganzes Jahr mit Werken zu dem Thema zu füllen ist hierbei keineswegs zum Problem geworden, im Gegenteil: Man könnte vermutlich eine Vielzahl an Spielzeiten mit Stücken füllen, die sich der Sehnsucht widmen. Für welche hat sich also die Schauspielsparte des Saarländischen Staatstheaters entschieden und welche Formen von Sehnsucht wurden bereits aufgegriffen? Um sich dieser Frage zu widmen, wird es Zeit, mal Bilanz zu ziehen und zurückzuschauen auf die erste Hälfte der Spielzeit.

Eröffnet wurde die Spielzeit mit #Peep!, einer Pop-Revue von Mona Sabaschus in der alten Feuerwache, in welcher ungeliebte, von der Müllpresse bedrohte Spielzeuge gleich einige der elementarsten Sehnsüchte überhaupt auspacken: Sie sehnen sich danach, aus ihrem bisherigen Dasein auszubrechen und geliebt zu werden. Dass dieser Wunsch beinahe jedem Menschen früher oder später begegnet, zeigt auch die große Menge an Popsongs, die sich mit ihm auseinandersetzen und die die Protagonist*innen von #Peep! sich zur Verständigung zunutze machen.

»Peep« | Foto: Martin Kaufhold

Ein Kontrastprogramm gegenüber diesem Stück ist Tennessee Williams Endstation Sehnsucht, welches das zentrale Thema der Spielzeit bereits im Titel trägt. Hier spielt Sehnsucht in Form von sexueller Begierde eine ganz andere Rolle und wirkt nicht nur deshalb auf einmal viel weniger verlockend. Führen Sehnsüchte und Begierden nicht auch zu den Abgründen, die Williams in seinem Klassiker so meisterlich aufdeckt? Ist Blanches (Sehn)sucht nach minderjährigen Liebhabern nicht Resultat ihrer Sehnsüchte nach Luxus, unbeschwertem Leben und, wie sie selbst sagt, »Zauber«? Gleichzeitig scheint Stella, die leugnet, sich nach einem besseren Leben zu sehnen, in einem langfristig unglücklich machenden Leben gefangen zu sein und könnte womöglich ein wenig mehr Sehnsucht gebrauchen, um sich von Armut, ihrem brutalen Umfeld und ihrer Rolle im Haushalt loszulösen.

»Endstation Sehnsucht« | Foto: Martin Sigmund

Kommen wir zu einer anderen Form von Sehnsucht, die beispielsweise in Goethes berühmten Faust einen hohen Stellenwert hat: der Sehnsucht nach Wissen und Erkenntnis. In der Spartenproduktion Der lange Weg zum Wissen wird mit dieser Sehnsucht aber gänzlich anders umgegangen als in der Gelehrtentragödie: Nach der Vorstellung bleibt das Gefühl zurück, dass es gar nicht so schlimm ist, als Individuum nicht alles zu wissen. Tragischer ist, was Neil Armstrong im Prozess des gemeinsamen Philosophierens, der das Stück trägt, in den Raum wirft: „Wenn all das Wissen gewusst wird: Wieso machen wir dann [als Menschheit] noch Fehler?“ Sehnsucht nach Perfektion also? Nein, vielmehr Sehnsucht nach einem friedlichen und glücklichen Zusammenleben, in welchem jeder Platz hat.

»Der lange Weg zum Wissen« | Foto: Martin Kaufho

In Das Bildnis des Dorian Gray muss man nicht lange nach den Sehnsüchten des Protagonisten suchen: Dorian verspürt die Sehnsucht nach ewig währender Jugendlichkeit und Schönheit. Diese Sehnsucht wird jedoch nicht zum Motivation stiftenden Antriebsmittel, wie sie es manchmal sein kann, sondern führt zu Verderben, Tod und Unglück. Gewissermaßen also ein kritischer Blick auf die umstrittene Empfindung – oder zumindest auf einen überdimensionalen Stellenwert ihrer.

»Das Bildnis des Dorian Gray« | Foto: Martin Kaufhold

Wie Der lange Weg zum Wissen, fand auch die Uraufführung von Jakob Noltes Die Glücklichen und die Traurigen in der kleinsten Spielstätte des SST, der sparte4 statt. Mit einem herausstechenden Einsatz videographischer und technischer Elemente, erzählt die Inszenierung dieses Stückes die Geschichte eines Dorfes, das zum Zweck der deutschen Finanzenrettung komplett an eine ausländische Investorin verkauft wird. Es schlummert also vermutlich in jeder Figur eine Sehnsucht nach Selbstbestimmung und politischem Mitspracherecht. Interessanterweise drücken die auf der Bühne stattfindenden Dialoge aber hauptsächlich etwas anderes aus: die Sehnsucht nach Normalität und vertrauten Gewohnheiten in einer neuen und deshalb beängstigenden Situation. Besonders im Hinblick auf Covid-19 erscheint es mir, als ob unsere Sensibilität dahingehend viel größer geworden ist, während das menschliche Bedürfnis nach Tradition und Einteilung in bereits bekannte Muster gleichzeitig alarmierend ist und auch immer wieder als Quelle gesellschaftlicher Krisen identifiziert werden kann. Stichwort: »Das haben wir doch schon immer so gemacht!«

»Die Glücklichen und die Traurigen« | Foto: Martin Kaufhold

So wie wir (leider) auch schon immer eine Gesellschaft waren, die sich schwer tut, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Zeit des Nationalsozialismus größtenteils totgeschwiegen. Genau darauf weist Phillip Preuss´ Inszenierung von Wolfgang Borcherts Kriegsheimkehrerdrama Draußen vor der Tür hin. Auch hier also: Sehnsucht nach einer Normalität, wie sie vor dem Krieg geherrscht hat. Gegenübergestellt wird die Sehnsucht von Protagonist Beckmann, nach seiner Rückkehr aus sibirischer Kriegsgefangenschaft von der Gesellschaft aufgefangen zu werden und seine Traumata hinter sich lassen zu können. Ebenfalls maßgeblich in diesem – sicher nicht leichten, aber umso interessanteren – Theaterstück: Todessehnsucht.

»Draußen vor der Tür« | Foto: Martin Kaufhold

Das Thema Krieg behandelt auch ein ganz besonderes Projekt in der sparte4: Freiheit. Bei dieser Kooperation eines ukrainischen Regisseurs mit einer deutschen Regisseurin, bekommen 10 Jugendliche, die größtenteils ukrainischer Herkunft sind und ihre Heimat durch den russischen Angriffskrieg verlassen mussten, die Chance, ihre Sehnsüchte mit der Welt zu teilen. Sie erzählen von ihrem Verständnis von Freiheit und auch das Heimweh, das eine ganz besondere Form der Sehnsucht darstellt, wird thematisiert. 

»Freiheit« | Foto: Martin Kaufhold

Wenden wir uns einem scheinbar schönen Thema zu: Dem Lottogewinn! Doch auch dieses vermeintliche Glück, welches Die lieben Eltern aufgreift, birgt erstaunlich viel Tiefgang und Eskalationspotenzial. Und Sehnsüchte? Jede Menge. Angefangen bei der Sehnsucht, die Welt zu verbessern über die Sehnsucht nach dem Ausbruch aus dem eigenen Alltag bis hin zur Sehnsucht nach einem eigenen Golfplatz, Luxusautos und »Koks und Nutten«. Ironie pur!

»Die lieben Eltern« | Foto: Astrid Karger

Es wird Zeit für einen Ausblick auf die restliche Spielzeit. Was erwartet uns? Falls Sie nun eine so detaillierte Beschreibung der kommenden Stücke erwarten, wie ich sie versucht habe, zu den bereits laufenden Stücken zu formulieren, muss ich Sie leider enttäuschen. Schließlich kann ich nur mutmaßen, von welchem Blickwinkel aus die Regisseur*innen ihre Stücke angehen werden und welche Sehnsüchte sie im zugrunde liegenden Stoff als besonders hervorstechend empfinden. Trotzdem versuche ich ein paar Prognosen anzustellen:

Die Stückentwicklung von The end, my friend (Premiere am 22. März in der Alten Feuerwache) beschäftigt sich mit apokalyptischen Narrativen und dem gesellschaftlichen sowie kulturellen Umgang mit ihnen. Hier sehe ich großes Potential zur Beschäftigung mit der Sehnsucht nach Sicherheit – die von einer möglichen Apokalypse schließlich massiv bedroht wird. Gleichzeitig glaube ich, dass die Figuren im Angesicht einer Katastrophe auch die Sehnsucht verspüren könnten, ihr Leben in der letzten Zeit, die ihnen verbleibt, noch bewusst zu genießen. Andere könnten sich danach sehnen, als der-/diejenige, der eine mögliche Gefahr abgewendet hat, im Mittelpunkt zu stehen. Und vielleicht verspürt ja auch jemand die Sehnsucht danach, dass die Welt tatsächlich zugrunde geht?

Bei der Komödie Arsen und Spitzenhäubchen (Premiere am 23. März im Großen Haus) wird es schon etwas schwerer, den Anknüpfungspunkt zum Spielzeitmotto zu finden. Es könnten Sehnsüchte nach guten Taten oder auch nach der Erlösung eine Rolle spielen. Im Spielzeitheft spricht Schauspieldirektor Christoph Mehler, der die Regie dieser Produktion übernimmt, zudem von seiner Sehnsucht nach einem »vibrierenden Erlebnisraum« – in einen solchen gehören Komödien ebenso wie Tragödien.

Wenn wir schon bei den Sehnsüchten von unseren Regisseur*innen sind: Die Bakchen (Premiere am 28. März in der Sparte 4) kann hoffentlich seinen Teil dazu beitragen, die Sehnsucht junger Menschen, irgendwann als Regisseur*innen zu arbeiten, zu stillen. Es handelt sich bei dieser Produktion nämlich um eine Kooperation mit Regiestudierenden der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt, die sich einem der populärsten der griechischen Antikendramen widmen.

Die Sehnsüchte von noch jüngeren Menschen werden zum Mittelpunkt der diesjährigen Produktion des Jungen Ensembles des SST unter der Leitung von Luca Pauer. In Zitronenblühn (Premiere am 6. April in der Alten Feuerwache) wird somit den Sehnsüchten einer jungen Generation gelauscht, die leider zu oft belächelt und nicht ernst genommen wird.

In der Sparte 4 wurde als letztes Stück der Spielzeit Der Reichskanzler von Atlantis von Björn SC Deigner (Premiere am 01. Juni in der Sparte 4) gewählt. Dieses Stück beschäftigt sich mit dem Phänomen der Reichsbürger und somit… vielleicht mit der Sehnsucht nach Abschottung? Der Sehnsucht nach Macht? Sehnsucht nach Kontrolle? Sicherlich wird die Produktion einen Einblick in die Sehnsüchte erlauben, die ein Reichsbürger so verbirgt…

Zuletzt noch die Uraufführung von Philipp Löhles Firnis (Premiere am 07. Juni in der Alten Feuerwache): Ich glaube, die Sehnsucht nach Grenzüberschreitung und eventuell auch die Frage »Wann schadet die Erfüllung der Sehnsucht des einen Menschen einem anderen Menschen?« können hier eine Rolle spielen.

Jederzeit bereit, mich vom Gegenteil meiner Prognosen überzeugen zu lassen, freue ich mich nun auf die zweite Hälfte einer Spielzeit voller Sehnsüchte und kann Ihnen nur noch eines mit auf den Weg geben: Ihre Sehnsucht nach einem vielseitigen Programm wird sicherlich gestillt.