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Auf ein Wort Theaterblog

Realität wird dekonstruiert und neu zusammengesetzt

Anlässlich der Uraufführung von »Ich, Akira« sprach Simone Kranz mit Yannick Maisberger vom Adolf-Bender-Zentrum über die Entstehung von Verschwörungserzählungen.

Yannick Meisberger ist Mitarbeiter des Adolf-Bender-Zentrums für Demokratie und Menschenrechte in St. Wendel. Aus Anlass der Uraufführung von »Ich, Akira« sprach Simone Kranz mit ihm über die Entstehung von Verschwörungserzählungen. Am Mittwoch den 5. Oktober wird es vor der Vorstellung »Ich, Akira« um 19 Uhr einen Vortrag von Yannick Meisberger zum Thema »Fake News, Hate Speech und Verschwörungserzählungen« in der sparte4 geben. Der Eintritt zum Vortrag ist frei.

Collage des Regieteams (Lea Jansen, Lorenz Nolting, Martha Szymkowiak) zu »Ich, Akira«.

Laut einer Statistik des Bundeskriminalamtes stieg die Anzahl der politisch motivierten Straftaten im Kontext der Covid-19-Pandemie in Deutschland von 3559 in 2020 um 159% auf 9201 Fälle in 2021. Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?

Die Proteste gegen Politik und die Corona-Hygieneschutz-Maßnahmen brachten in den letzten zweieinhalb Jahren bundesweit viele Menschen auf die Straße. Menschen machten ihren Ängsten und Sorgen ― auch existentieller Art ― Luft und mobilisierten sich bis zuletzt zu Tausenden in vielen deutschen Städten. Die Demonstrationen und Kundgebungsveranstaltungen waren geprägt von Teilnehmer:innen unterschiedlichster Hintergründe und Szenen.
So sammelten sich von Menschen der bürgerlichen Mitte über Esoteriker:innen, Verschwörungsideolog:innen, rechtspopulistischen und -extremen Personen und Initiativen verschiedenste Motive auf der Straße. Dabei ist der Anstieg politisch motivierter Straftaten aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen.
Zunächst brachten Menschen auf diese Veranstaltungen vermehrt Symbole und Parolen, die antisemitische und volksverhetzende Inhalte propagierten oder auch den Holocaust verharmlosten oder gar leugneten. Hier wurden von kritischen Beobachter:innen der Demos vermehrt Strafanzeige gestellt auf Grundlage des §130 StGB. Ebenso potenzierten sich diese und ähnliche Straftaten auch im Internet.
Des Weiteren häuften sich in den letzten beiden Jahren die Angriffe auf staatliche Institutionen durch Feind:innen der Demokratie. Politisch motivierte Sachbeschädigungen, Beleidigungen im Netz (aber auch offline) und Angriffe auf Polizei oder Journalist:innen sind seit 2020 bei den Corona-Protesten allgegenwärtig.

Attila Hildmann wurde zunächst als Star der veganen Kochszene berühmt, bevor er sich ab 2020 an Demonstrationen des Querdenker-Milieus und der Corona-Leugner Szene beteiligte. Dabei kam es auch zu der im Stück zitierten Äußerung »Hitler war ein Segen im Vergleich zur Kommunistin Merkel, denn sie plant mit Gates einen globalen Völkermord von sieben Milliarden Menschen.« (Quelle: YouTube, Videotitel: Attila Hildmann verteidigt Hitler, greift Bundeskanzlerin und die Grünen auf seiner Kundgebung an, hochgeladen von: Jüdisches Forum, Link: https://www.youtube.com/watch?v=_lRFjPrwVFA ).
Ist diese Verquickung von Historie und politischen Vorgängen heute, typisch für die Thesen von Verschwörungserzählungen?

Collage von Thorsten Köhler zu »Ich, Akira«

Die Thesen der Verschwörungsideolog:innen sind keine neuen und auch wenig bis überhaupt nicht modern in ihren Inhalten. Sogenannte »Verschwörungserzählungen« erzählen seit Jahrhunderten altbekannte Inhalte weiter. In der extremen Rechten hält sich seit vielen Jahrzehnten die Verschwörungserzählung des »großen Austausches«, in dem behauptet wird, dass die Europäer:innen durch arabische Menschen ausgetauscht werden sollen – ein angeblicher Plan der »Elite«. Allein dieses Beispiel zeigt, wie sehr die Rechtsextreme mit Angst und Panik »arbeitet«, um politisch Stimmung zu machen. Verschwörungserzählungen beinhalten nicht zuletzt Narrative von »die da oben« gegen »uns hier unten«. Somit wird ein dichotomes Weltbild generiert und Menschen werden in Gut und Böse aufgeteilt.
Verschwörungsglaubende vermuten sich natürlich immer in der Gruppe der Guten und Aufgeweckten und sehen hinter allem staatlichem die Verschwörung gegen das Volk. Attila Hildmann ist ein spannendes und ebenso gefährliches Beispiel, wie sich Menschen radikalisieren und somit keine Gegenrede mehr zulassen wollen und können. In Krisenzeiten berufen sich Menschen nicht selten dann auch noch auf Zeiten in denen es »dem eigenen Volk« vermeintlich besser ging. Somit ist der Bezug Hildmanns auf den Nationalsozialismus mitunter zu erklären.

Inzwischen liegt ein Haftbefehl wegen Volksverhetzung, Beleidigung, Bedrohung und öffentlicher Aufforderung zu Straftaten gegen Attila Hildmann vor, der nicht vollstreckt werden kann, weil er sich in die Türkei abgesetzt hat und als türkischer Staatsbürger nicht ausgeliefert wird. Trotzdem ist er noch im Netz, vor allem über den Messenger Dienst Telegram aktiv. Kann man dagegen nicht vorgehen?

Telegram ist ein Messenger, der sehr strenge Datenschutzrichtlinien einhält und somit keine Informationen an Strafverfolgungsbehörden regulär rausgibt. Das macht Telegram zwar nicht zu einem rechtsfreien Ort, allerdings ist es für Polizei und Staatsanwaltschaft mehr als herausfordernd Straftäter:innen ausfindig zu machen.

Am 8. September 2021 wurde in Idar-Oberstein ein 20-jähriger Tankstellenmitarbeiter von einem 49-jährigen Mann erschossen, weil er ihn aufgefordert hatte, seine Maske korrekt zu tragen. Zu seiner Tat befragt, äußerte der Angeklagte im Prozess, er habe » er habe ein Zeichen setzen« müssen. Ähnlich hat sich auch der Andres Breivik geäußert, der in Norwegen 2011, 77 Menschen aus rechtsradikalen Motiven heraus, tötete. Woher kommt dieser Wahn?

Wie zuvor schon erwähnt, fühlen sich Verschwörungsglaubende in ihrer Krise der Gruppe der Guten und Auferweckten zugehörig. Sie vermuten die Verschwörung ausgehend von Staat und »Elite«, meinen damit nicht zuletzt eine angebliche jüdische Weltverschwörung. Je nachdem wie tief sich Menschen in die Maschinerie der Verschwörungserzählungen hineinsteigern, entwickelt sich einerseits eine Art Verfolgungswahn und andererseits die Idee aktiv werden zu müssen, wenn man sich in die Ecke getrieben fühlt. Das »Zeichen setzen wolle« richtet sich dann an den Staat. Verschwörungserzählungen funktionieren mitunter so, dass sie Menschen vermeintlich leichte Erklärungsansätze für hochkomplexe (soziale) Zusammenhänge bieten, in Momenten in denen Menschen auf Sinn- und Identitätssuche sind. So wird eine Realität dekonstruiert und eigene Wahrheiten zu einer neuen Wirklichkeit zusammengebaut. Daher klingen Verschwörungserzählungen auch nicht selten so wirr und wahnhaft.

Graphik von Eric Schwarz zu »Ich, Akira«

Im Stück erzählt Akira davon, dass es nicht nur ihm als Hund unmöglich sei, mit seinem Herrchen, einem Verschwörungstheoretiker zu sprechen, sondern dass Menschen oft keine gemeinsame Sprache mehr hätten, wenn einer von ihnen Anhänger von Verschwörungstheorien sei. Ist das auch ihre Beobachtung? Kann man Anhänger:innen von Verschwörungserzählungen in Gesprächen überzeugen?

Pauschal kann man das schwer beantworten. Grundsätzlich wird es schwieriger mit Menschen im Gespräch zu bleiben, wenn sie wirre und wahnhafte Gedanken und Ideen glauben und verbreiten. Wenn das Gespräch aber erstmal abgerissen ist, wird es natürlich nicht einfacher vor allem lieb gewonnene Menschen weiterhin in seiner Nähe zu halten.
Es kommt auch darauf an, wie sehr sich Personen in diese Verschwörungserzählungen verstricken und was sie noch zulassen. Mit manchen kommt man vielleicht an den Punkt, an dem man solche Gespräche nicht weiterführen möchte und sich eine Verbindung somit verflüchtigt. Mit anderen ist die Verbindung so stark oder stark genug, um miteinander diskutieren zu können. In Diskussionen muss es immer ums überzeugen wollen und überzeugen lassen gehen. Wenn das auf der Grundlage von Fakten und Empathie geschieht, ist noch nicht alles verloren.

Mehr Infos zum Stück und den Vorstellungsterminen unter:

https://www.staatstheater.saarland/stuecke/schauspiel/detail/ich-akira