Kategorien
Hinter dem Vorhang

Seid allesamt Willkommen sehr!

Hier gibt’s Antworten von Christian Dietz, dessen Entwurf »Seid Allesamt Willkommen Sehr« nun in der Grenzregion zwischen Deutschland und Frankreich plakatiert wurde.

Im Wintersemester 2021/22 erarbeiteten fünf Studierende aus den Bereichen Kommunikationsdesign und freie Kunst der HBKsaar originalgrafischen Plakate zum Stück »Jedermann. Bliesgau/Monsieur Tout Le Monde«, das vom 4. – 19. Juni im Europäischen Kulturpark Bliesbruck-Reinheim gezeigt wird. Die Entwürfe kann man bis Ende der Spielzeit im Mittelfoyer des Staatstheaters und ab dem 4. Juni im Raum auf der Grenze des Kulturparks sehen. In loser Reihenfolge stellen die jungen Plakatkünstler sich und ihre Entwürfe an Hand eines Fragebogens, den Produktions- Dramaturgin Simone Kranz entwarf, vor.

Stellen Sie sich kurz vor:

Ich bin Christian Dietz, geboren in Ludwigshafen am Rhein. Nach fünf Jahren in der Weinbranche, beschloss ich 2018, das Handwerk zu studieren, das ich ohnehin die ganze Zeit verfolgte: Kommunikationsdesign. Aufgewachsen in einer südwestdeutschen Weinregion habe ich lange verschiedenste Kommunikationsmittel für Weingüter entworfen und sowohl Fotografie, Film, Grafik- und Webdesign kennenlernen dürfen. Nach Studienbeginn an der Hochschule der Bildenden Künste Saar im Wintersemester 2018/2019 trat ich dem dortigen Atelier für Typografie bei.

Was hat Sie an der Aufgabenstellung gereizt, für ein Theaterstück ein Plakat zu entwerfen?

Mich hat es zum einen gereizt, dass ich ganz offen gesagt glaube, dass Kulturinstitutionen wie Theater eine andere Offenheit für experimentelle Gestaltungsansätze haben und man sich hier gestalterisch schön entfalten kann. Diese Erfahrung hat sich in den Zwischengesprächen mit dem Saarländischen Staatstheater bewiesen – alle Ansätze, waren sie noch so ungewöhnlich, trafen auf offene Ohren, oder eher: Offene Augen. Auch die Möglichkeit, alle Entwürfe gesammelt in einer Ausstellung des Haupthaus zeigen zu können, war für mich reizvoll. Theaterstücke bieten eine tolle Vorlage für so viele unterschiedliche Gestaltungsansätze; es ergeben sich so viele Startpunkte, um etwas zu entwickelt, sei es vom Stück ausgehend oder vom Bühnenbild oder oder oder, das macht einfach Freude. Ich wählte den Ansatz, Zitate aus dem Stück typografisch in den analogen Drucktechniken aufzubereiten und ihnen so eine eigene Anmutung zu geben.

Wie sind Sie auf die Idee zu ihrem Entwurf gekommen?

Das ausgewählte Zitat »Seid allesamt willkommen sehr – Erweist mir heut’ die letzte Ehr’«, das Jedermann zu den Gästen seines letzten großen Festes im Wahn ausspricht, reizte mich beim Durchlesen des Stückes direkt, da es eine schöne Dimension zum Betrachtenden des Plakates eröffnet. Wer ist angesprochen? Das Zitat springt aus dem Stück heraus und übernimmt auf dem Plakat die Rolle der Einladung. Die Gestaltung wurde mit schwarzen, dicken Tape-Streifen analog erstellt, um das „fette, prassende“ Leben des Jedermann visuell aufzugreifen. Dazu mehr in der Erläuterung des Entwurfs.
Der Entwurf »Nun steckt er drin, schreit Ach und Weh. Das folgt halt wie aufs A das B.« geht auf das ambivalente Verhältnis zu Geld ein, das sowohl im ausgewählten Zitat, als auch im gesamten Stück steckt. Es wird durch einen Materialdruck mit 20ct-Münzen aufgegriffen.  
Geld wird Druckstock, bekommt also einen neuen, ganz anderen Wert, als der ihm eigentlich innewohnende, was besonders dadurch klar wird, wenn die 20ct-Münzen per Säge halbiert und geviertelt werden. Was sind sie jetzt noch, Geld oder Druckstock? Welchen Wert haben Sie nun – mehr oder weniger?
Das Zitat »Nun steckt er drin, schreit Ach und Weh. Das folgt halt wie aufs A das B.« interessierte mich, da es Jedermann im ersten Drittel des Stückes zu einem Schuldknecht sagt, der um eine kurze Fristverschiebung für seine Rückzahlung bittet. Diese gewährt Jedermann aber nicht und bestraft den Schuldknecht weiter. Später aber, wenn Jedermann selbst in der Situation steckt, seine Sünden in der kurzen ihm verbliebenen Zeit wiedergutzumachen, erbettelt er plötzlich selbst eine Fristverschiebung vom Tod. Auch hier schreit die Ambivalenz.

Was war für Sie die besondere Herausforderung bei der Aufgabenstellung?

Mir war schnell klar, dass ich einen typografischen Ansatz an die Plakate wählen möchte, also mit Schrift arbeiten und Schriftbilder zeichnen möchte. Zum einen, weil sich die Techniken Hochdruck und Siebdruck hervorragend für den Umgang mit Schrift anbieten und zum anderen, weil ich auch im Gesamtgefüge des Kurses einen Ansatz wählen wollte, der neben den tollen Illustrationen eine weitere gestalterische Ebene darstellt. Ich stellte mir also persönlich die Herausforderung, Zitate aus der Textvorlage auszuwählen, die auf mehreren Ebenen lesbar waren und den Plakaten eine Mehrdeutigkeit geben können und diese dann auf experimentelle Art typografisch in den Druck zu bringen.  

Möchten Sie ihren Entwurf kurz erläutern?

»Seid allesamt willkommen sehr – erweist mir heut’ die letzte Ehr’« spricht der in Sünde gefallene »Jedermann« zu seinen Gästen, die er ein letztes Mal zu einem großen Festmahl einlud.
Im Theater spricht man davon, die »vierte Wand« zu durchbrechen, wenn Schauspieler*innen direkt mit dem Publikum interagieren. Dieser Entwurf übernimmt diese Rolle und durchbricht die vierte Wand, indem er mit dem Zitat aus dem Stück das potentielle Publikum direkt anspricht und einlädt, das Theaterhaus zu besuchen. So wird eine neue Ebene eröffnet, die besonders nach zwei Jahren Pandemie eine Geste der großen Einladung darstellt.
Um das fette Dasein des Jedermann, der ein prassendes Leben ohne Grenzen führt, aufzugreifen, wurde der Schriftzug mit dicken schwarzen Tape-Streifen analog gestaltet. So sollte zum einen eine anthropozäne Anmutung erzielt werden und gleichzeitig das »prassende, fette Leben« betont werden. Die aus Tape hergeleitete Schrift wurde dann auf eine A2-formatige Linolplatte übertragen und über eine Buchdruckpresse abgedruckt.
Bei »Schreit Ach & Weh« habe ich die Technik des Materialdrucks eingesetzt, um halbierte und geviertelte 20-Cent Euro-Münzen mit einer Buchdruckpresse auf handgeschöpftes Papier zu drucken. Das angefeuchtete, schmiegsame Büttenpapier war nötig, um das unterschiedliche Relief der Münzen sauber abzubilden. Dazu entwarf ich eine Schrift aus Viertel- und Halbkreisen; sägte und schleifte eine ganze Reihe von Münzen, die ich schließlich auf einen hölzernen Druckstock aufbrachte und abdruckte. Die Technik des analogen Drucks war nicht nur als Hintergrundidee, sondern auch als stilprägender Faktor in den gesamten Prozess der Gestaltung eingebunden.

Wollen Sie sonst noch etwas zum Projekt anmerken?

Es hat großen Spaß gemacht und ich bin natürlich sehr dankbar, dass einer meiner Entwürfe ausgewählt wurde, um dieses tolle Stück zu repräsentieren. Ich hoffe, die HBK und das SST verstärken ihre Zusammenarbeit auch in der Zukunft immer stärker! Die Kultur muss zusammenhalten. Danke für dieses tolle Projekt und danke für Ihre Offenheit.

Ein Projekt in Unterstützung des: