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Auf ein Wort Theaterblog

Molière in Minecraft spielen

Wilke Weermann über Theater und Computerspiele.

Du schreibst die Stücke, die du inszenierst meist selbst. Wie ist bei dir das Verhältnis von Schreiben und Inszenieren?

Also geschrieben habe ich schon immer. Das Schreiben für das Theater wurde aber erst durch das Regiestudium initiiert.

Zum Probenbeginn gab es keinen fertigen Text, sondern du hast das Stück mit Ensemble und Team gemeinsam entwickelt. Ist das deine übliche Arbeitsweise?

Es gibt auch Stücke, die am Schreibtisch entstehen, z.B. »Hypnos«, das beim Heidelberger Stückemarkt nominiert wurde. Aber im Prinzip will ich bei einer gemeinsamen Arbeit nicht alles vorgeben und kontrollieren, sondern die kreativen Kapazitäten aller nutzen. Bei der Filmvorlage geht es ja um einen Chirurgen, der seiner Tochter die Gesichter anderer Frauen transplantiert und sie total dominiert. Natürlich gibt es eine Verbindung zwischen einem Autor, der den Text für eine Schauspielerin schreibt, und diesem Vater. Das Thema hat sich in meinem Arbeitsprozess seltsam wiederholt. Das wollte ich kreativ nutzen.

Im Sommer 2021 bist du für ein Stipendium am Institut für Digitaldramatik des Mannheimer Nationaltheaters nominiert worden. Gibt es für dich Parallelen zwischen Computerspielen und Theater oder muss man für digitale Formate ganz anders schreiben?

Videospiele und Theater sind auf den ersten Blick ziemlich unterschiedlich. Beim Videospiel trifft man als Spieler Entscheidungen, die den weiteren Spielverlauf bestimmen, was im Theater eher nicht der Fall ist. Trotzdem ähneln sich beide in der Funktionsweise der Blickführung, die sich z.B. sehr vom Film unterscheidet. Im Film kann man den Blick der Zuschauer lenken, indem man Sachen, die man sehen soll, ins Bild rückt, z.B. durch Großaufnahmen. Bei Videospielen und im Theater hat man diese Möglichkeit nicht, man muss Wege finden, um die Aufmerksamkeit zu leiten. Ich denke, da können Videospiele und Theater viel voneinander lernen.
Ich war mal bei einem Vortrag über das Thema Blickführung von Leuten, die 3D-Filme produziert haben. Die hatten in einer Szene extra eine fliegende Taube eingebaut, weil man dann eher dieser Taube mit den Augen folgt und weiter vorne hinguckt. Solche Effekte sorgen dafür, dass die Leute mitbekommen, was im Spiel gerade wichtig ist. Und um Blickführung geht es auch auf dem Theater.
Wohin leitet ein bestimmtes Licht die Blicke der Zuschauer, welchen Ton setze ich ein, um die Konzentration der Zuschauer auf etwas Bestimmtes zu lenken. Was diese szenischen Vorgänge angeht, sind Videospiele und Theater sehr nah beieinander.
Es gibt Events, die werden im Spiel dadurch ausgelöst, dass man etwa an einen bestimmten Ort geht oder dass eine bestimmte Zeit verstreicht. Also als praktisches Beispiel:  Eine Figur setzt sich an einen Tisch, dadurch fängt die Kellnerin an, auf sie zu zulaufen, um sie dann zu fragen, was sie trinken möchte.
So sind im Grunde auch Theater Szenen organisiert, die ganze Theatermaschine hat solche Abläufe. Wenn die Schauspielerin Anne Rieckhof sich in »Augen ohne Gesicht« (»Daughter`s Cut«) in der Doktorszene nach vorne dreht und anatmet, dann gibt es den Lichtwechsel und den Soundwechsel und dann sagt sie den Satz und auf der emotionalen Ebene ist das dann der Triggerpunkt, an dem die Schauspielerin Emilie Haus darauf reagiert.
Viele Vorgänge im Theater lösen einander auf diese Weise aus, auch in ganz psychologischen Stücken, die sich scheinbar frei entfalten. In meinen Inszenierungen greife ich das oft auf und mache solche formalen Elemente spielerisch sichtbar.

Wenn der Scheinwerfer in deiner Inszenierung z.B. erst auf das Telefon schwenkt, bevor es zu läuten beginnt?

Ja, das ist z.B. so ein Moment, wobei der Scheinwerfer wiederum von dem emotionalen Moment ausgeht, den die Schauspielerin gerade spielt.  

Wenn du über Formate Digitaler Dramatik nachdenkst, würde dir da eher ein Projekt einfallen, das komplett im digitalen Raum stattfindet oder denkst du über Mischformen nach, bei denen immer noch Leute im Zuschauerraum zusammenkommen?

Ich fände es grundsätzlich interessant, beides zu vermischen, also z.B. Molière in Minecraft zu spielen (1). Aber noch spannender finde ich die Herausforderung, Spiel-Konzepte auf Inszenierungen zu übertragen. Da gibt es nämlich sehr interessante Ideen, Ästhetiken und Geschichten.
Also z.B. das Spiel-Moment, dass der/die Spieler*in das Spiel durch Entscheidungen selber eingreift. Und das wirklich als Entscheidungsbaum, wo solche Entscheidungen den Theaterabend total unterschiedlich sein lassen.
Oder man könnte eine Art Fernsteuerungsidee umsetzen. Ein*e Schauspieler*in hat eine Kamera, die eine Third Person-Perspektive einführt, mit der sie sich in einem Siedler artigen Raum bewegt (2). Das sind jetzt Möglichkeiten, die es in Ansätzen schon in Theaterinszenierungen gibt und nur erste Ideen. Aber man kann da sicher noch mehr übertragen und weiterentwickeln, das für eine bestimmte Ästhetik nutzen. Ich habe zumindest Lust darauf.

Das Gespräch wurde von Maxine Theobald transkribiert.  

(1) (Anm.: Minecraft ist ein Sandbox-Computerspiel, bei dem der Spieler Konstruktionen, wie Gebäude oder Schaltkreise aus zumeist würfelförmigen Elementen in einer dreidimensionalen Welt erschafft und sich darin bewegt.)

(2) (Anm.: Die Siedler ist eine Computerspielreihe, bei dem es darum geht durch geschickte Strategien eine Siedlung aufzubauen)