Kategorien
Der Dramaturgieschreibtisch

KEIN CORONA-BLOG

Als Theaterschaffende werde ich – und sicherlich auch viele meiner KollegInnen – oft gefragt, was ich eigentlich so tagsüber mache. Diese Frage möchte ich an dieser Stelle gerne ausweiten – was passiert eigentlich, bis der Vorhang am Abend einer Vorstellung hochgeht? Was geht hinter diesem Vorhang vor sich, im buchstäblichen, aber auch im übertragenen Sinne?

Ein Theater lebt von den vielen verschiedenen Ideen, Inspirationen, Meinungen, Diskussionen und Visionen. Und all diese unterschiedlichen Vorgänge, Diskurse, diese vielfältigen Ideenwelten sammeln sich auf dem Schreibtisch der Dramaturgie, werden hinterfragt, verworfen, konkretisiert, umgesetzt. Es wird gegrübelt, gegraben, gesprochen, gedacht.

Mit diesem Blog möchten wir all das sichtbar, lesbar, nahbar machen. Welche Ideen, welche Gedanken kreisen, ehe eine Inszenierung auf die Bühne kommt? Welche politischen wie sozialen Ideen und Visionen stecken hinter der Auswahl eines Bühnenwerkes? Es soll all das sichtbar werden, was sonst nicht unmittelbar sichtbar oder erkennbar ist. Der Blog gibt Impulse zum Über-Denken, zum Nach-Denken, zum Voraus-Denken. Vielleicht auch zum Träumen, zum Schmunzeln, zum Hoffen und Sehnen. Eben all das, was wir tun. Jeden Tag. Hinter dem Vorhang.

Dies ist kein Corona-Blog. Dies ist auch kein Corona-Theater-Blog. Die Idee, einen Theaterblog zu initiieren, treibt schon seit einiger Zeit die dramaturgischen Köpfe des saarländischen Staatstheaters um. Pech, Schicksal, Glück im Unglück, dass die Realisierung nun ausgerechnet in diese denkwürdige Zeit des globalen Ausnahmezustands fiel?

Lange haben wir, die Dramaturginnen und Dramaturgen des Hauses, darüber gesprochen, wie wir den inhaltlichen wie konzeptionellen Spagat meistern zwischen Corona und dem, was wie eine oasenhafte Reminiszenz an den »Alltag« (Definition nach Duden: tägliches Einerlei, gleichförmiger Ablauf im [Arbeits]leben ― für diejenigen unter uns, die sich daran schon nicht mehr erinnern können) wirkt. So weit so gut, so weit so herausfordernd. 

Aber genau das macht Theater ja aus. Theater steht mitunter in einem dialektischen Verhältnis zur Gegenwart, zur (Lebens-)Realität, die je nach Blickwinkel und eigenem biografischen wie emotionalen Hintergrund variiert, sich verändert und entwickelt in einem lebendigen Prozess.

Theater reagiert, mit wachem Geist und kreativem Engagement, bestenfalls sogar mit Euphorie, wird es zur Gegenwart oder Gegenwelt, zur Utopie oder Dystopie, zur Flucht oder Heimat, das sich aus den jeweiligen sozialen, gesellschaftlichen oder politischen Gegebenheiten und Zuständen wie ein Puzzle in unterschiedlichsten Teilen zusammensetzen lässt.

Ausgehend von dieser Annahme lässt sich ein Theaterblog in diesen Tagen wohl kaum realisieren, ohne hie und da Bezug zu nehmen auf diese Pandemie, die uns alle betrifft, die unsere Leben einschränkt, uns fordert, aber vielleicht sogar auch fördern kann. Die Vorzeichen unserer Realität haben sich geändert.

Doch dieser Blog soll darüber hinausgehen und die Dinge sichtbar machen, die im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne »auf dem Dramaturgietisch« liegen und »hinter dem Vorhang« passieren. Wir laden jene »auf ein Wort«, die essentieller Teil des künstlerischen Denkens und Wirkens sind.

Jetzt ist es Corona, von dem das Alltägliche wie das Extraordinäre bestimmt werden und damit unmittelbar Einfluss übt auf Inhalt, Form und Gestalt des Theaters. Wir sind gespannt auf die Zukunft, der wir mit Ideenreichtum und Kreativität begegnen werden. Die Kunst bleibt lebendig.

An dieser Stelle möchten wir außerdem unseren Dank aussprechen – dem Verein der Freunde des Saarländischen Staatstheaters e. V., der die technische und grafische Einrichtung dieses Blogs durch seine großzügige finanzielle Unterstützung ermöglicht hat.

Frederike Krüger,
Dramaturgin für Musiktheater und Konzert

Kategorien
Der Dramaturgieschreibtisch

ALLES IN DER MACHE

Varianten von Spielplan und Gesellschaft

Es stapeln sich Stücke. Theatertexte aus allen Epochen. Besonders nah sind einem plötzlich wieder die Vertreter des Absurden, Ionesco. Auch schon vor Corona. Wie Nashörner kamen einer weltoffenen Bürgerschaft die lauten Anti-Herden (Anti-Gleichheit, Anti-Meinungsfreiheit, Anti-Kunstfreiheit, Anti-Jegliches-Spektrum außer Rechts) vor. Und die literarische Gegenwart ist auch nicht zimperlich in der Befragung des Ist-Zustandes: Was ist zum Beispiel mit unserer menschlichen Skrupellosigkeit gegenüber unserem Planeten? Oder wie steht es um unsere Ängste?

»Wer von Angst getrieben ist, vermeidet das Unangenehme, verleugnet das Wirkliche und verpasst das Mögliche«, kommentiert der Soziologe Heinz Bude in seinem Buch »Gesellschaft der Angst« (Hamburger Editionen 2014) Franklin D. Roosevelts Präsidentschaftsrede von 1933, der darin sagte »The only thing we have to fear is fear itself. Das einzige, was wir fürchten müssen, ist die Furcht selbst.«. Wir wollen das Mögliche. Also, ich will das.

Ich will die maximal mögliche humane Gesellschaft, die ihre demokratische Struktur verteidigt und füllen kann. Mit Vielheit und zwischenmenschlichem Respekt. Eine Gesellschaft des Austauschs, die die Meinung (ohne Haltung) und emotionalisierende Hetze aus ihrer Mitte verdrängt haben wird. Viren zu verdrängen, ist hingegen schwer. Schwer zu akzeptieren, dass sie Teil der Chose »Sein« sind. Pandemien aller Art – ob ideologische, ob virologische – sind einfach suspekt und skrupellos. Hier, im entleerten Bau des Theaters jedenfalls ringen wir täglich um eine Vision, eine Abbildung von dem, was zu werden, wir als Gesellschaft vermögen. Variante 1, 2, 3, u.v.m. … – welche (Spielplan und Gesellschaft) wird’s?

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin