Sie sind überall und nirgends. Sichtbar, unsichtbar, ge-wichtig, trivial, laut, leise, bunt, grell, schwarz, weiß, emotional, rational: Botschaften, die auf der Straße liegen.
Eine neue Bilderreihe auf diesem Blog, die zeigt, welche versteckten bis entdeckten Botschaften unseren Weg kreuzen.
Die Reihe eröffnet Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb mit einer Botschaft vor dem Ballettsaal:
Es tun zu dürfen, gemeinsam, etwas teilen dürfen; der Türvorleger weiß, was das heißt. Hier: vor dem Ballettsaal des SST. Ein pas de deux auf Abstand, ein Raum-Erfinden und ästhetisch befüllen, vielleicht auch nur Sitzen und Reden. Yippieyeahyeah.
Ralph Bentzkys »Im weißen Rössl« im Spannungsfeld von Postkartenidyll und Wahrheitswunsch.
Am vergangenen Samstag, den 5. Dezember wäre Ralph Benatzkys »Im weißen Rössl« in der Regie von Michael Schachermaier über die Bühne des Saarländischen Staatstheaters galoppiert. Die Premiere ist vorerst verschoben (gewiss nicht aufgehoben!); Zeit für einen kleinen Diskurs in die Welt der vermeintlichen Banalität.
Die Operette gilt gemeinhin als »leichte Muse« – ihr Ruf eilt ihr oftmals voraus, jedoch in wenig ruhmreicher Weise: zu leicht, zu albern, zu kitschig und oberflächlich, eine Ausgeburt der fluffig-süßen Banalität. Seriosität und Gehalt sind Begriffe, die man insbesondere im deutschsprachigen Raum eher nicht mit der Operette in Verbindung bringt.
Auch in der Wissenschaft wurde die Operette respektive das Unterhaltungstheater über Jahre hinweg wie die ulkige Stiefmutter behandelt, die kaum eine nennenswerte Aussage zum Weltgeschehen trifft, sondern eher walzerbeschwipst dümmlich um die Ecke grinst. Ein Irrtum, ein historisches wie ästhetisches Missverständnis.
Doch woher kommt die Annahme, dass im Lachen nur Oberflächlichkeit und Belanglosigkeit stecke, dass im Heiteren keine Wahrheit, kein Ernst zu finden sei? Die Kategorisierung in »E-« (wie Ernst) und »U-Musik« (wie Unterhaltung) mag nun vorrangig ein Phänomen des deutschsprachigen Rezeptionsraumes zu sein, in welchem die »U-Musik« naturgemäß höchstens der kommerzielle, aber nur in Ausnahmefällen der ideelle und inhaltliche Sieger ist.
»Operette« bedeutet wörtlich übersetzt »kleine Oper«, der Ursprung des Wortes leitet sich aus dem Italienischen ab. Die Quellenlage zur Entstehung des Begriffs und der Gattung ist diffus, das erste Mal taucht die Bezeichnung »Operette« im 17. Jahrhundert auf, vom ausgehenden 19. bis zum Ende der 1930er Jahre durchlief die Gattung einen erheblichen Bedeutungswandel.
So beschrieb die Operette im 18. Jahrhundert oftmals Werke, die allein aufgrund ihres geringeren Umfangs als »kleine Opern« bezeichnet wurden, beispielsweise Einakter oder Opern, die »nur« eine reine Komödienhandlung hatten im Unterschied beispielsweise zu Opera seria oder Tragédie Lyrique.
Auch wurden Werke als Operette bezeichnet, die keine Gesangsvirtuosen erforderten, sondern von gesanglich talentierten Schauspielern interpretiert werden konnten. Auch die Struktur der Operette war oftmals einfacher gehalten, sodass beispielsweise die Gesangstexte der Vaudeville-Komödien der Pariser Jahrmarktstheater je nach Kontext ausgetauscht und nur die bekannten Melodien beibehalten wurden.
Insbesondere im deutschsprachigen Raum setzte sich die Bezeichnung Operette als Sammelbegriff für allerlei Opern durch, um eine Abgrenzung zur italienischen und französischen Oper zu schaffen, die ihrerseits oftmals als wesentlich anspruchsvoller und dadurch höhergestellt waren. Ein Umstand, der sich bereits aus der Sprache heraus ergab, galt das Deutsche doch im Gegensatz zum Französischen, die internationale Sprache der Aristokratie, als weniger wertvoll. Darüber hinaus hatten deutschsprachige Opern oftmals komödienhafte Tendenzen mit gesellschaftlich niedrigstehenden Figuren, also per se schon einen wenig repräsentativen Charakter.
Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts konnte sich die Operette als »bürgerlich deutsche Oper« emanzipieren und etablieren. Ausgehend von Wien trugen die Werke u. a. von Johann Strauss (Sohn) und Carl Millöcker wesentlich zu der Entwicklung der Wiener Operette bei, die als Gegenentwurf zur Pariser Operette von Jacques Offenbach Anerkennung und Legitimation fand. Darüber hinaus wurde die Operette zur geistigen Galionsfigur der privatwirtschaftlichen Theater und Wandertruppen, die sich gegenüber der subventionierten Hoftheater und ihrer repräsentativen, wenn nicht gar elitären Hochkultur der Oper behaupten wollten.
Vor dem Hintergrund dieses sehr kurzen historischen Umrisses der Entstehungsgeschichte einer künstlerischen Gattungsform, in denen die verschiedenen soziokulturellen wie historischen Umständen nur punktuell Erwähnung fanden, lässt sich bereits ein Muster der Rezeption erkennen. So war – und mutmaßlich ist es nach wie vor – oftmals der als »leicht« definierte, humoristische, komödienhafte Charakter der Operette, der ihr eine gewisse Einfalt attestiert und ihr damit einen hohen künstlerischen wie ideellen Wert abspricht. Ausgehend von dieser Betrachtungsweise mag nun der Eindruck entstehen, als ließe sich der Wert respektive die Qualität eines Werks an den Parametern Kompliziertheit, Seriosität und Ernsthaftigkeit messen. Aspekte, die eine gewichtige Rolle spielen in der Rezeption des vermeintlich leichten Unterhaltungstheaters.
Obgleich namhafte Philosophen wie Theodor W. Adorno der Operette eine »reale Basis«, also einen direkten Bezug zur Lebensrealität zusprachen, mag es verwundern, dass dieser Gattung des Fin de siècle vielfach abgesprochen wurde, mit eben jener zeitgenössischen »Wirklichkeit« in Bezug zu stehen, ja sogar ein primäres Medium ästhetischer Lebens-Themen der Jahrhundertwende zu sein.
Die Operette ist trotz oder gerade wegen ihrer Komödie aus dem Gedanken heraus entstanden, die jeweilige vorherrschende soziale Ordnung, politische Zustände, ja sogar Geschlechterrollen und (urbane) Lebensmodelle als Ausdruck eines Lebensgefühls neu zu chiffrieren. Angesichts ihrer kurzen Lebensdauer von den 1850er bis in die 1930er Jahre drängt sich oftmals der Verdacht auf, die Operette sei tot, eine museale Gattung, die lediglich zum Schunkeln, nicht zum Denken anrege.
Ein Umstand, der auch die Rezeptionshaltung gegenüber Ralph Benatzkys »Im weißen Rössl« maßgeblich beeinflusste. Ein Urgestein deutsch-österreichischer Betulichkeit, jedes Lied ein ohrenwürmender Hit, der Himmel ist blau, die Liebe das Wunderbarste, ein bisschen Ulk hier und ein bisschen preußische Piefken versus schnodderiger Österreicher da. Fertig ist der (Kassen-)Schlager. Spätestens seit Peter Alexander 1960 als Oberkellner Leopold der kriegsgebeutelten Nation das zerbombte Heimatgefühl zurück in die Flimmerkisten des Wohnzimmers brachte, schien das Pferd vor allem eines: totgeritten.
Die einst parodistisch-kabarettistischen Ideale der Uraufführungszeit (1930) verklärten sich durch den Schleier der (ernstgemeinten!) Postkartenidylle, wo jedes Wort die Wahrheit war oder zumindest den schier existenziellen Wunsch implizierte, dass es doch bloß die Wahrheit sei. Der Himmel blau, die Liebe das Wunderbarste, ein bisschen Necken hier, ein bisschen Busseln da und am Ende: Das Glück vor der Tür, die Sorgen vergessen. »Rössl« an, Welt aus.
1994 war es dann, als das »Rössl« in der Berliner Bar jeder Vernunft neu aufgezäumt wurde. Mit den Geschwistern Pfister, Max Raabe, Otto Sander, Gerd Wameling, Walter Schmidinger und Meret Becker in den Hauptrollen wurde es von den Motten seiner Rezeptionsgeschichte befreit und vom Musikantenstadtl zurück auf die Bühne geholt. Und plötzlich war sie wieder da, die schrill-schräge Ironie, die Ohrfeigen verteilende Parodie, ja sogar der Kitsch, der ganz ohne verlogene Operetten-Seligkeit des deutschen Nachkriegsfilms auskam. Und das nicht hinter staubigen roten Vorhängen mit viel Glitzer, sondern direkt neben Love Parade, Christopher Street Day und MTV. Die Unterhaltung hatte ihre Legitimation zurück. Ja, in Berlin am Wolfgangsee, da konnte man gut lustig sein, weil hier niemand die Wahrheit im weißen Rössl suchte, sondern das augenzwinkernde Offensichtliche der Lüge durschaute.
Dabei wurde das Stück weder für den elitären Theateradel dekonstruiert noch für die breite Masse fei heimatlich aufgehübscht, vielmehr aus dem Geist des Kabaretts auf nahezu Rudimentäres reduziert, sowohl musikalisch als auch ästhetisch. Mit Erfolg. Aus ehemals drei Bühnen, die das Stück 1993 spielten, wurden 1995 42. Offensichtlich hatte sich wohl endlich eine neue Vision im Umgang mit dem vermeintlichen Spießbürgertum offenbart. Die Operette war Back im Business.
Vor dem Hintergrund dieser beispielhaften »Rehabilitation« ließe sich folgende Schlussfolgerung verbunden mit Aufforderung formulieren: Im Moment der Betrachtung, der Interpretation und Rezeption entfaltet die Operette ihr immanentes Potenzial von Lebendigkeit, Aktualität und Brisanz. Obgleich sie nur allzu gern und immer wieder hinter vermeintlicher Zahmheit und Oberflächlichkeit versteckt wird, so fordert doch gerade die Operette den Rezipienten heraus, einen Blick hinter das vermeintlich Offensichtliche zu werfen. »[…], dass sich die Gesellschaft nicht allein operettenhaft betrug, sondern auch das operettenhafte Treiben durchschaute, ohne es aufzuheben«, (der Offenbach-Biograf Siegfried Kracauer) darin mag die Krux der Operette liegen und die große Herausforderung ihrer Rezeption im 21. Jahrhundert sein.
Frederike Krüger, Dramaturgin für Musiktheater und Konzert
Ein Blick zurück oder wie flüchtig ist das Medium Theater?
Die Spielzeit 2019/2020 stand unter dem Motto »Macht Ohnmacht Ermächtigung« und in der Sparte Schauspiel haben wir sie mit der deutschen Erstaufführung »Hoffnung« nach der Trilogie »Habgier, Angst & Hoffnung« von Stijn Deville in der Alten Feuerwache eröffnet. Zehn Jugendliche von der »Fridays for Future« Bewegung formulierten innerhalb der Inszenierung von Krzysztof Minkowski mutig ihr Anliegen:
Wir sind die Zukunft. Wir sind die Revolution und wir fordern sofortige Veränderung. Wenn ihr nichts mit uns bewegt, sind wir bald alle tot. Die Globale Erwärmung führt zum Auftauen der Permafrostböden, polaren Eiskappen und Gletscher. Dadurch steigt der Meeresspiegel, was weltweit Überflutungen und Erosionen verursachen wird. Malta, Bangladesch, Miami, London, Niederlande, Barcelona und Venedig werden unter Wasser verschwinden. Und dann kommen die Wetterextreme:
Dürren, Tornados, Hitzewellen, sintflutartige Regenfälle. Die Entwicklungsländer werden brennen. Mehrere Millionen Klimaflüchtlinge werden nach Europa fliehen. Noch mehr werden sterben. Tausende von Tier- und Pflanzenarten werden ausgerottet. Wir stehen kurz vor dem point of no return. Die Ozeane werden langsam sauer, genau wie wir. Warum fresst ihr so viel Fleisch? Warum kauft ihr jede Woche ein neues T-Shirt? Warum baut ihr alle einen neuen Plastikkontinent? Früher war der Fisch in der Verpackung, heute ist die Verpackung im Fisch. Warum seid ihr euch zu bequem, das verdammte Auto mal stehen zu lassen? Warum trennt ihr euren scheiß Müll nicht? Warum seid ihr so faul und ignorant? Ihr liebt doch eure Kinder, warum zerstört ihr ihre Zukunft? Eure Angst vor Veränderung wird uns alle zu Grunde richten. Bald sind wir alle tot.
Beim erneuten Lesen dieses selbstgeschriebenen Wutchor-Textes der Jugendlichen stelle ich mir die Frage: Was wurde seitdem gesellschaftlich erreicht? Wie sieht die Welt ein Jahr später aus? Oder: Was ist aus der Hoffnung auf Einsicht und Umkehr geworden? Wurden die politischen Ziele erreicht oder nur bequem und politisch entlastend nur weiter in die Zukunft verschoben? Und von welcher Zukunft sprechen wir überhaupt noch?
Die langwährende Klimakrise scheint von der aktuellen Corona-Krise überschattet zu werden. Im Herbst 2020 stecken wir immer noch mitten in einer Pandemie und das Coronavirus SARS-Cov-2 hat uns fest im Griff. Aber der Mehrheit einer immer noch vernunftorientierten Gesellschaft scheint es klar zu sein, dass wir achtsam mit uns und unseren Mitmenschen umgehen müssen, wenn die Ansteckungszahlen nicht weiter nach oben schnellen sollen. Wir versuchen die Abstandsregel einzuhalten und das Tragen einer Mund-und-Nasen-Bedeckung wird langsam zu einer Selbst-verständlichkeit.
Doch was ist aus der Achtsamkeit für unsere Umwelt und der Erde geworden?
Wollen wir wirklich weiter die wissenschaftlichen Fakten verdrängen und unaufhaltsam auf den »point of no return« zusteuern?
In der Vorbereitung auf das Stück »Eine kurze Chronik des künftigen China« von Pat To Yan, dessen europäische Erstaufführung am 6. November 2020 als nächstes in der Alten Feuerwache ansteht, finde ich in dem klassischen chinesischen Roman »Die Reise in den Westen« ein Gedicht aus den Lehren des Buddhas:
Kampf um Ruhm und Streit um Gunst, Wann wird dies je enden? Früh aufstehen, nachts erst ruhen, Unfrei ist der Mensch!
Es träumt der Maultierreiter Bereits vom edlen Ross, Und wer schon Kanzler ist, Der möchte König sein!
Allein für Kleid und Speise Vertun sie ihre Müh’n; Bedenken nicht, dass balde Der Höllenfürst sie holt.
Für Söhne und für Enkel Erstreben sie Vermögen, Keiner aber blickt zurück, um sich zu besinnen!
Die Beschäftigung mit Literatur, Kunst und Theater kann die Welt nicht retten, aber sie kann dazu beitragen, unser Leben zu reflektieren. Kunst und Theater können dazu beitragen, etwas gegen Verdrängung und Vergesslichkeit zu tun. Theater kann unsere Sinne schärfen. Wir können durch Kunst lernen, genauer hin, statt weg zu schauen. Theater ist und bleibt ein transitorisches Erlebnis. Doch die Nachhaltigkeit eines Theaterbesuchs liegt im Nachhall.
Oft erschließt sich dieser Echo-Raum nicht unmittelbar nach der Vorstellung oder am folgenden Tag, sondern erst wesentlich später. So kommen einem manche Erlebnisse viel später wieder ins Bewusstsein oder schleichen sich in unsern Körper. Erlebtes bleibt erlebt und kann auf lange Zeit unseren Seelenhaushalt bestimmen. Ein Blick zurück bietet die Möglichkeit einer (Wieder-) Besinnung. Wir müssen es nur zulassen.
Sobald eine Komödie oder ein Lustspiel auf dem Programm stehen, erwarten alle gute Unterhaltung und Theaterspaß pur. Auf meinem Dramaturgie-Schreibtisch stapeln sich Bücher wie »Bürgerliches Lachtheater«, »Texte zur Theorie der Komik« oder »Das Lachen« und als Dramaturg der Produktion »Trüffel Trüffel Trüffel« habe ich, gute Laune verbreitend, »eine urkomische Geschichte« angekündigt und nenne den Autor Eugène Labiche »Meister des französischen Lustspiels«. Auch in einigen Presse-Vorberichten spricht man, wenn auch noch vorsichtig abwartend, von »Theaterspaß« mit einer gewissen »Amüsier-Garantie«.
Doch im Arbeitsalltag des Theaters flößt jede Komödie, jedes Lustspiel, den Macherinnen und Machern den allergrößten Respekt ein. Heißt es doch in der Branche: Nichts ist schwieriger als eine Komödie! Nicht nur weil Regie wie Darsteller*innen gleichermaßen ein großes Gespür für Wortwitz, Timing und Situationskomik an den Tag legen müssen, sondern dabei auch noch anspielungsreich, intelligent, irrwitzig und voller Esprit sein sollen.
Aber eine Komödie ist auch deshalb nicht ohne, weil die Reaktionen des Publikums entscheidend für den erwarteten Theaterspaß sind. Dabei fühlen wir uns als Zuschauer selten so als Theater-Experten wie bei einer Komödie. Schließlich weiß man, ob man sich amüsiert hat oder nicht! Hat man gelacht, war es lustig, hat man nicht gelacht, war es nicht lustig! Die Lage scheint eindeutig.
Doch über was lachen wir, wenn wir in einer Komödie lachen? Was finden wir komisch? Was nicht? Wann sind wir bereit zu lachen? Und wie bewerten wir unser Lachen und das Lachen der anderen? Gibt es doch das böse Bonmot von Fritz Kortner: »Ich habe zwar gelacht, aber weit unter meinem Niveau.« Doch ist Lachen eine Frage des Niveaus? Lächerlich!
Schon der alte Literaturwissenschaftler und Theaterkritiker Volker Klotz reflektiert in seinem bekannten Werk »Bürgerliches Lachtheater« die Spielarten der »heiteren Dramatik«, spricht von einer »Neigung zum Lachen« und definiert Komik als »Entstellung gewohnter Abläufe und Verhaltensweise«.
Doch kann diese »Neigung zum Lachen« in Zeiten von Corona-Schutzmaßnahmen ausgelebt werden und das berühmte ansteckende Lachen entstehen, wenn alle sich durch einen 1,5 Meter Sicherheitsabstand vor jeder Ansteckung schützen?
Es kann, denn Lachen bleibt »eines der Merkmale, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheiden« und die Gründe zum Lachen sind wie das Lachen selbst vielfältig. Der Mensch hebt sich als »Tier, das lachen kann«, hervor, aber der Mensch ist auch das »Tier, das lachen macht« – wie es in dem Essay »Das Lachen« von Henri Bergson heißt.
Und für Eugène Labiche wird dieses Tier zum Gegenstand seines komödiantischen Schreibens. »Ich habe mich fast ausschließlich dem Studium des Bourgeois, des Philisters gewidmet, dieses Tier bietet dem, der es sehen kann, zahllose Möglichketen; es ist unerschöpflich.«
Doch wer ist bereit, diese unterschiedlichen Facetten des Seins im Spiegel- und Zerrbild der Komödie zu betrachten? Wer kann das gesellschaftliche, manchmal geradezu lächerliche oder sogar alberne Streben nach Anerkennung und Erfolg mit Humor und Selbstironie in Augenschein nehmen? Jeder der es möchte, denn die humorvolle Selbstreflexion ist ein Angebot, das die Lustspiele von Labiche einem Theaterpublikum machen.
Aber wie vergnüglich kann es auch sein, über den anderen zu lachen. Doch was sind die Gründe, die uns zum Lachen bringen? Bergson führt die »komische Physiognomie«, den »lächerlichen Gesichtsausdruck«, aber auch die »Komik der Gebärden und Bewegung« an.
Aber auch groteske Übertreibungen, burleske Szenen oder schräge Klamotten können uns in den glücklichen und befreienden Zustand des Lachens versetzen.
Wie das Lachen zum Menschen, so gehört die Komödie zur Geschichte des Theaters. Seit der Antike ist es den Künstlern ein Grundbedürfnis zu spotten, zu albern, zu scherzen und die Welt auf den Kopf zu stellen.
In memoriam: Von einem Ensemblemeeting – als Lockerungsdebatten für Konsum und Wirtschaft kamen, nur kein öffentliches Wort die Theater bedachte.
5.5.2020, »Apropos Kulturfrönen: Bei der Ensembleversammlung des Schauspiels Anfang Mai war die Relevanzdebatte hierzulande Thema. – Unangefochten gilt doch eigentlich: Kunst, Kultur, Geist, Gedanken(Bildung) nähren auch und ideellnachhaltiger, machen sie eine demokratisch strukturierte Gesellschaft erst zu der demokratiefähigen Gesellschaft, wie wir sie schätzen. Und wollen. Solidarität mit der Kunst, die unser aller Kunst und Freiraum ist!«
Ein stückweit ist es wohl passé: die Relevanzdebatte. Manchmal, da höre ich es noch, das Wort »systemrelevant« und zucke dann kurz zusammen. Nicht, weil Geist nicht dazu zu gehören scheint, nicht aus eitlen Grundgedanken heraus, sondern, weil das Zeitalter des Wissens im breit-öffentlichen Diskurs paradoxerweise keines des lustvollen Denkens zu sein scheint.
Und, zugespitzt formuliert, keines der Auseinandersetzung. Fakten und fake Fakten, ja. Der Forschung (die kein Fake ist – ich erkenne sie an!), ja. Der Empirie. Auf viraler Ebene hält kein Gedanke das Elend auf – das sehe ich ein. Aber gegen all die anderen Elends, Elende und Elendi? Als Kind der 80er muss ich mir die Wortbedeutung, die gelebte, von Demokratie immer noch erarbeiten. Und ganz ehrlich: die Selbstverständlichkeit ihrer Präsenz, wie sie da war und blieb und da ist, die ist mir ein ungeheures Geschenk.
Ungeheuer auch im Sinne von: nicht geheuer. Großartig und unheimlich fragil. Immer weiter pflegebedürftig. Was könnte ein systemstabilisierendes Element wie Geist und alle mit ihm zusammenhängenden Ausformungen – wie Sprache und Kunst – aus dieser Perspektive anders sein als systemrelevant? Sofern es pandemische Zustände erlauben: fröhliches relevantes Kulturfrönen allerseits.
Als Theaterschaffende werde ich – und sicherlich auch viele meiner KollegInnen – oft gefragt, was ich eigentlich so tagsüber mache. Diese Frage möchte ich an dieser Stelle gerne ausweiten – was passiert eigentlich, bis der Vorhang am Abend einer Vorstellung hochgeht? Was geht hinter diesem Vorhang vor sich, im buchstäblichen, aber auch im übertragenen Sinne?
Ein Theater lebt von den vielen verschiedenen Ideen, Inspirationen, Meinungen, Diskussionen und Visionen. Und all diese unterschiedlichen Vorgänge, Diskurse, diese vielfältigen Ideenwelten sammeln sich auf dem Schreibtisch der Dramaturgie, werden hinterfragt, verworfen, konkretisiert, umgesetzt. Es wird gegrübelt, gegraben, gesprochen, gedacht.
Mit diesem Blog möchten wir all das sichtbar, lesbar, nahbar machen. Welche Ideen, welche Gedanken kreisen, ehe eine Inszenierung auf die Bühne kommt? Welche politischen wie sozialen Ideen und Visionen stecken hinter der Auswahl eines Bühnenwerkes? Es soll all das sichtbar werden, was sonst nicht unmittelbar sichtbar oder erkennbar ist. Der Blog gibt Impulse zum Über-Denken, zum Nach-Denken, zum Voraus-Denken. Vielleicht auch zum Träumen, zum Schmunzeln, zum Hoffen und Sehnen. Eben all das, was wir tun. Jeden Tag. Hinter dem Vorhang.
Dies ist kein Corona-Blog. Dies ist auch kein Corona-Theater-Blog. Die Idee, einen Theaterblog zu initiieren, treibt schon seit einiger Zeit die dramaturgischen Köpfe des saarländischen Staatstheaters um. Pech, Schicksal, Glück im Unglück, dass die Realisierung nun ausgerechnet in diese denkwürdige Zeit des globalen Ausnahmezustands fiel?
Lange haben wir, die Dramaturginnen und Dramaturgen des Hauses, darüber gesprochen, wie wir den inhaltlichen wie konzeptionellen Spagat meistern zwischen Corona und dem, was wie eine oasenhafte Reminiszenz an den »Alltag« (Definition nach Duden: tägliches Einerlei, gleichförmiger Ablauf im [Arbeits]leben ― für diejenigen unter uns, die sich daran schon nicht mehr erinnern können) wirkt. So weit so gut, so weit so herausfordernd.
Aber genau das macht Theater ja aus. Theater steht mitunter in einem dialektischen Verhältnis zur Gegenwart, zur (Lebens-)Realität, die je nach Blickwinkel und eigenem biografischen wie emotionalen Hintergrund variiert, sich verändert und entwickelt in einem lebendigen Prozess.
Theater reagiert, mit wachem Geist und kreativem Engagement, bestenfalls sogar mit Euphorie, wird es zur Gegenwart oder Gegenwelt, zur Utopie oder Dystopie, zur Flucht oder Heimat, das sich aus den jeweiligen sozialen, gesellschaftlichen oder politischen Gegebenheiten und Zuständen wie ein Puzzle in unterschiedlichsten Teilen zusammensetzen lässt.
Ausgehend von dieser Annahme lässt sich ein Theaterblog in diesen Tagen wohl kaum realisieren, ohne hie und da Bezug zu nehmen auf diese Pandemie, die uns alle betrifft, die unsere Leben einschränkt, uns fordert, aber vielleicht sogar auch fördern kann. Die Vorzeichen unserer Realität haben sich geändert.
Doch dieser Blog soll darüber hinausgehen und die Dinge sichtbar machen, die im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne »auf dem Dramaturgietisch« liegen und »hinter dem Vorhang« passieren. Wir laden jene »auf ein Wort«, die essentieller Teil des künstlerischen Denkens und Wirkens sind.
Jetzt ist es Corona, von dem das Alltägliche wie das Extraordinäre bestimmt werden und damit unmittelbar Einfluss übt auf Inhalt, Form und Gestalt des Theaters. Wir sind gespannt auf die Zukunft, der wir mit Ideenreichtum und Kreativität begegnen werden. Die Kunst bleibt lebendig.
An dieser Stelle möchten wir außerdem unseren Dank aussprechen – dem Verein der Freunde des Saarländischen Staatstheaters e. V., der die technische und grafische Einrichtung dieses Blogs durch seine großzügige finanzielle Unterstützung ermöglicht hat.
Frederike Krüger, Dramaturgin für Musiktheater und Konzert