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Der Dramaturgieschreibtisch Theaterblog

THEATERSPASS MIT »TRÜFFEL TRÜFFEL TRÜFFEL«

Sobald eine Komödie oder ein Lustspiel auf dem Programm stehen, erwarten alle gute Unterhaltung und Theaterspaß pur. Auf meinem Dramaturgie-Schreibtisch stapeln sich Bücher wie »Bürgerliches Lachtheater«, »Texte zur Theorie der Komik« oder »Das Lachen« und als Dramaturg der Produktion »Trüffel Trüffel Trüffel« habe ich, gute Laune verbreitend, »eine urkomische Geschichte« angekündigt und nenne den Autor Eugène Labiche »Meister des französischen Lustspiels«. Auch in einigen Presse-Vorberichten spricht man, wenn auch noch vorsichtig abwartend, von »Theaterspaß« mit einer gewissen »Amüsier-Garantie«.

Raimund Widra erklimmt als Monsieur Ratinois die Stufen der höheren Gesellschaft.

Doch im Arbeitsalltag des Theaters flößt jede Komödie, jedes Lustspiel, den Macherinnen und Machern den allergrößten Respekt ein. Heißt es doch in der Branche: Nichts ist schwieriger als eine Komödie! Nicht nur weil Regie wie Darsteller*innen gleichermaßen ein großes Gespür für Wortwitz, Timing und Situationskomik an den Tag legen müssen, sondern dabei auch noch anspielungsreich, intelligent, irrwitzig und voller Esprit sein sollen.

Aber eine Komödie ist auch deshalb nicht ohne, weil die Reaktionen des Publikums entscheidend für den erwarteten Theaterspaß sind. Dabei fühlen wir uns als Zuschauer selten so als Theater-Experten wie bei einer Komödie. Schließlich weiß man, ob man sich amüsiert hat oder nicht! Hat man gelacht, war es lustig, hat man nicht gelacht, war es nicht lustig! Die Lage scheint eindeutig.

Michael Wischniowski (Frédéric Ratinois) und Verena Bukal (Madame Ratinois).

Doch über was lachen wir, wenn wir in einer Komödie lachen? Was finden wir komisch? Was nicht? Wann sind wir bereit zu lachen? Und wie bewerten wir unser Lachen und das Lachen der anderen? Gibt es doch das böse Bonmot von Fritz Kortner: »Ich habe zwar gelacht, aber weit unter meinem Niveau.« Doch ist Lachen eine Frage des Niveaus? Lächerlich!

Anne Rieckhof und Verena Bukal in Spiellaune.

Schon der alte Literaturwissenschaftler und Theaterkritiker Volker Klotz reflektiert in seinem bekannten Werk »Bürgerliches Lachtheater« die Spielarten der »heiteren Dramatik«, spricht von einer »Neigung zum Lachen« und definiert Komik als »Entstellung gewohnter Abläufe und Verhaltensweise«.

Doch kann diese »Neigung zum Lachen« in Zeiten von Corona-Schutzmaßnahmen ausgelebt werden und das berühmte ansteckende Lachen entstehen, wenn alle sich durch einen 1,5 Meter Sicherheitsabstand vor jeder Ansteckung schützen?

Auch die Musik spielt bei Labiche eine wichtige Rolle. Barbara Krzoska muss als Tochter Emmeline Malingear beim Besuch der zukünftigen Schwiegereltern zeigen, was sie gelernt hat.

Es kann, denn Lachen bleibt »eines der Merkmale, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheiden« und die Gründe zum Lachen sind wie das Lachen selbst vielfältig. Der Mensch hebt sich als »Tier, das lachen kann«, hervor, aber der Mensch ist auch das »Tier, das lachen macht« – wie es in dem Essay »Das Lachen« von Henri Bergson heißt.

Gregor Trakis als Monsieur Malingear versucht sich im Yoga.

Und für Eugène Labiche wird dieses Tier zum Gegenstand seines komödiantischen Schreibens. »Ich habe mich fast ausschließlich dem Studium des Bourgeois, des Philisters gewidmet, dieses Tier bietet dem, der es sehen kann, zahllose Möglichketen; es ist unerschöpflich.«

Gregor Trakis mit Anne Rieckhof in Abstandsumarmung.

Doch wer ist bereit, diese unterschiedlichen Facetten des Seins im Spiegel- und Zerrbild der Komödie zu betrachten? Wer kann das gesellschaftliche, manchmal geradezu lächerliche oder sogar alberne Streben nach Anerkennung und Erfolg mit Humor und Selbstironie in Augenschein nehmen? Jeder der es möchte, denn die humorvolle Selbstreflexion ist ein Angebot, das die Lustspiele von Labiche einem Theaterpublikum machen.

Auch die Kostüme von Olivia Rosendorfer tragen dazu bei, die Abstandsregeln einzuhalten.

Aber wie vergnüglich kann es auch sein, über den anderen zu lachen. Doch was sind die Gründe, die uns zum Lachen bringen? Bergson führt die »komische Physiognomie«, den »lächerlichen Gesichtsausdruck«, aber auch die »Komik der Gebärden und Bewegung« an.

Verena Bukal, Anne Rieckhof, Gregor Trakis und Raimund Widra

Aber auch groteske Übertreibungen, burleske Szenen oder schräge Klamotten können uns in den glücklichen und befreienden Zustand des Lachens versetzen.

Wie das Lachen zum Menschen, so gehört die Komödie zur Geschichte des Theaters. Seit der Antike ist es den Künstlern ein Grundbedürfnis zu spotten, zu albern, zu scherzen und die Welt auf den Kopf zu stellen.

Was für eine wunderbare Perspektive!

Horst Busch,
Chefdramaturg

Michael Wischniowski als Frédéric Ratinois.

Die Probenfotos sind von Horst Busch.

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KEIN CORONA-BLOG

Als Theaterschaffende werde ich – und sicherlich auch viele meiner KollegInnen – oft gefragt, was ich eigentlich so tagsüber mache. Diese Frage möchte ich an dieser Stelle gerne ausweiten – was passiert eigentlich, bis der Vorhang am Abend einer Vorstellung hochgeht? Was geht hinter diesem Vorhang vor sich, im buchstäblichen, aber auch im übertragenen Sinne?

Ein Theater lebt von den vielen verschiedenen Ideen, Inspirationen, Meinungen, Diskussionen und Visionen. Und all diese unterschiedlichen Vorgänge, Diskurse, diese vielfältigen Ideenwelten sammeln sich auf dem Schreibtisch der Dramaturgie, werden hinterfragt, verworfen, konkretisiert, umgesetzt. Es wird gegrübelt, gegraben, gesprochen, gedacht.

Mit diesem Blog möchten wir all das sichtbar, lesbar, nahbar machen. Welche Ideen, welche Gedanken kreisen, ehe eine Inszenierung auf die Bühne kommt? Welche politischen wie sozialen Ideen und Visionen stecken hinter der Auswahl eines Bühnenwerkes? Es soll all das sichtbar werden, was sonst nicht unmittelbar sichtbar oder erkennbar ist. Der Blog gibt Impulse zum Über-Denken, zum Nach-Denken, zum Voraus-Denken. Vielleicht auch zum Träumen, zum Schmunzeln, zum Hoffen und Sehnen. Eben all das, was wir tun. Jeden Tag. Hinter dem Vorhang.

Dies ist kein Corona-Blog. Dies ist auch kein Corona-Theater-Blog. Die Idee, einen Theaterblog zu initiieren, treibt schon seit einiger Zeit die dramaturgischen Köpfe des saarländischen Staatstheaters um. Pech, Schicksal, Glück im Unglück, dass die Realisierung nun ausgerechnet in diese denkwürdige Zeit des globalen Ausnahmezustands fiel?

Lange haben wir, die Dramaturginnen und Dramaturgen des Hauses, darüber gesprochen, wie wir den inhaltlichen wie konzeptionellen Spagat meistern zwischen Corona und dem, was wie eine oasenhafte Reminiszenz an den »Alltag« (Definition nach Duden: tägliches Einerlei, gleichförmiger Ablauf im [Arbeits]leben ― für diejenigen unter uns, die sich daran schon nicht mehr erinnern können) wirkt. So weit so gut, so weit so herausfordernd. 

Aber genau das macht Theater ja aus. Theater steht mitunter in einem dialektischen Verhältnis zur Gegenwart, zur (Lebens-)Realität, die je nach Blickwinkel und eigenem biografischen wie emotionalen Hintergrund variiert, sich verändert und entwickelt in einem lebendigen Prozess.

Theater reagiert, mit wachem Geist und kreativem Engagement, bestenfalls sogar mit Euphorie, wird es zur Gegenwart oder Gegenwelt, zur Utopie oder Dystopie, zur Flucht oder Heimat, das sich aus den jeweiligen sozialen, gesellschaftlichen oder politischen Gegebenheiten und Zuständen wie ein Puzzle in unterschiedlichsten Teilen zusammensetzen lässt.

Ausgehend von dieser Annahme lässt sich ein Theaterblog in diesen Tagen wohl kaum realisieren, ohne hie und da Bezug zu nehmen auf diese Pandemie, die uns alle betrifft, die unsere Leben einschränkt, uns fordert, aber vielleicht sogar auch fördern kann. Die Vorzeichen unserer Realität haben sich geändert.

Doch dieser Blog soll darüber hinausgehen und die Dinge sichtbar machen, die im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne »auf dem Dramaturgietisch« liegen und »hinter dem Vorhang« passieren. Wir laden jene »auf ein Wort«, die essentieller Teil des künstlerischen Denkens und Wirkens sind.

Jetzt ist es Corona, von dem das Alltägliche wie das Extraordinäre bestimmt werden und damit unmittelbar Einfluss übt auf Inhalt, Form und Gestalt des Theaters. Wir sind gespannt auf die Zukunft, der wir mit Ideenreichtum und Kreativität begegnen werden. Die Kunst bleibt lebendig.

An dieser Stelle möchten wir außerdem unseren Dank aussprechen – dem Verein der Freunde des Saarländischen Staatstheaters e. V., der die technische und grafische Einrichtung dieses Blogs durch seine großzügige finanzielle Unterstützung ermöglicht hat.

Frederike Krüger,
Dramaturgin für Musiktheater und Konzert

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ALLES IN DER MACHE

Varianten von Spielplan und Gesellschaft

Es stapeln sich Stücke. Theatertexte aus allen Epochen. Besonders nah sind einem plötzlich wieder die Vertreter des Absurden, Ionesco. Auch schon vor Corona. Wie Nashörner kamen einer weltoffenen Bürgerschaft die lauten Anti-Herden (Anti-Gleichheit, Anti-Meinungsfreiheit, Anti-Kunstfreiheit, Anti-Jegliches-Spektrum außer Rechts) vor. Und die literarische Gegenwart ist auch nicht zimperlich in der Befragung des Ist-Zustandes: Was ist zum Beispiel mit unserer menschlichen Skrupellosigkeit gegenüber unserem Planeten? Oder wie steht es um unsere Ängste?

»Wer von Angst getrieben ist, vermeidet das Unangenehme, verleugnet das Wirkliche und verpasst das Mögliche«, kommentiert der Soziologe Heinz Bude in seinem Buch »Gesellschaft der Angst« (Hamburger Editionen 2014) Franklin D. Roosevelts Präsidentschaftsrede von 1933, der darin sagte »The only thing we have to fear is fear itself. Das einzige, was wir fürchten müssen, ist die Furcht selbst.«. Wir wollen das Mögliche. Also, ich will das.

Ich will die maximal mögliche humane Gesellschaft, die ihre demokratische Struktur verteidigt und füllen kann. Mit Vielheit und zwischenmenschlichem Respekt. Eine Gesellschaft des Austauschs, die die Meinung (ohne Haltung) und emotionalisierende Hetze aus ihrer Mitte verdrängt haben wird. Viren zu verdrängen, ist hingegen schwer. Schwer zu akzeptieren, dass sie Teil der Chose »Sein« sind. Pandemien aller Art – ob ideologische, ob virologische – sind einfach suspekt und skrupellos. Hier, im entleerten Bau des Theaters jedenfalls ringen wir täglich um eine Vision, eine Abbildung von dem, was zu werden, wir als Gesellschaft vermögen. Variante 1, 2, 3, u.v.m. … – welche (Spielplan und Gesellschaft) wird’s?

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin

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RESIST-MANTRA

Fast wie aus einer anderen Zeit.

Vor 1 Monat fand ich eine handschriftliche Notiz vom 1. April 2020 – sie klingt heute, am 28. Mai 2020, so pur und bedacht, wie sie nur eine große Verunsicherung hervorbringen kann. Also, 1. April 2020, Vorhaben: handlungsfähig bleiben. Jeden Tag ein Anruf. Jeden Tag ein Dramentext. Jeden Tag mindestens eine Mail. Jeden Tag ins Reine bringen. Auch zwischenmenschlich. Que serra?

27. April 2020, glücklicherweise rollt doch Vieles wieder. Die Frage »„Was wird? Was kommt?« begleitet uns wohl dennoch für eine längere Weile. Heute notiere ich: Offen bleiben. Sinne wachhalten. Waches Warten. Schauen, was Entschleunigung dauerhaft vermag.

Heute, 28. Mai 2020: Handlungsfähig bleiben gilt immer noch. Aber vor allem angesichts des Wiederanlaufens wirtschaftlichen Denkens. Sich nicht einkassieren lassen. Bei sich bleiben. Resist.

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin

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WARTEN AUF DAS PUBLIKUM

Gedanken am häuslichen Schreibtisch

Zu unserem Spielzeitmotto MACHT–OHNMACHT–EMPOWERMENT gibt es im Mittelfoyer des Staatstheaters seit dem 13. Februar 2020 eine Ausstellung mit sechs großformatigen Gemälden des Künstlers Albert Herbig. Doch seit Freitag, dem 13. März 2020, bleibt dieser Ort, wie alle Spielstätten des Saarländischen Staatstheaters, der Öffentlichkeit aus Vorsichtsmaßnahme gegen die Ausbreitung des Coronavirus` (Covid-19) verschlossen. Seitdem sind die Mächtigen, die man auf diesen Werken entdecken kann, allein. Die englische Königin auf ihrem Thron, der Richter in seiner Robe, der Kardinal in seinem scharlachroten Talar, der mit Orden behangene General, der Dirigent mit Taktstock, selbst die Bundeskanzlerin beachtet hier keiner mehr.

macht # 12 (Alles was Recht ist) (2028)

Früh traf der Shutdown die Kunst. Theater, Museen, Konzertsäle geschlossen. Danach vergessen. Doch in der Welt jenseits der Kunst meldeten sich die Vertreter der politischen Macht behände zu Wort. Man hatte den Eindruck, ein Wettrennen der Statements und Verordnungen habe begonnen. Die Zeit der selbsternannten Macher begann. Oder war und ist alles nur (Vor-)Wahlkampf, wie einige keck behaupteten? Eigentlich war und ist die Lage zu ernst. Doch was war mit den anderen sogenannten Mächtigen? Waren sie, wie so viele, geschockt, überrumpelt oder einfach überfordert, wegen der Unüberschaubarkeit der Situation? Doch langsam nahm der öffentliche Diskurs Fahrt auf und ein Kampf um Grundgesetz und Grundrechte begann. Artikel 1. Die Würde des Menschen ist unantastbar!

macht # 8 (2018)

Doch was bedeutet das im Alltag für unser gesellschaftliches Miteinander? Wie kann ein verantwortungsvolles und trotzdem selbstbestimmtes Leben aussehen? Fragen, die auch am Anfang dieser Spielzeit standen und zu unserem Spielzeitmotto und schließlich zu der Ausstellung führten. Doch der Dialog zwischen Kunstwerk und Publikum ist wie der Dialog zwischen Künstlern und Publikum unterbrochen. Ein Kunstwerk braucht aber wie der Künstler sein Publikum. Erst in der direkten Begegnung kann Kunst zu einem Erlebnis werden und seine beglückende, irritierende, befragende, identitätsstiftende, selbstvergewissernde, tröstende, stärkende und somit auch seine gesellschaftliche Kraft entfalten. Kunst ist relevant!

Die Bilder von Albert Herbig und die Künstler des Saarländischen Staatstheater warten seit dem 13. März auf ihr Publikum!

Horst Busch,
Chefdramaturg