Sehr verehrte Damen und Herren, herzlich willkommen im digitalen Foyer des Saarländischen Staatstheaters. Machen Sie es sich bequem, stellen Sie den Crémant bereit, ich möchte Ihnen ganz kurz zu erklären wie Sie sich in dieser Dimension bewegen und mit anderen Gästen unterhalten können.
Sie sehen vor sich einen rechteckigen Raum, zweidimensional, und sich selbst als kleinen Punkt mit Ihrem Foto. Diesen Punkt können Sie im Raum bewegen. Steuern Sie sich einfach mit der Maus durch das Rechteck. Die anderen Gäste werden Sie ebenfalls in Bewegung sehen. Sobald ein Punkt in die Nähe eines anderen Punkts kommt eröffnet sich ein Gesprächskreis. Buchstäblich. Denn nun erscheint eine Videokonferenz. Die Punkte im Gesprächskreis werden zu Menschen, die sich per Videoübertragung mit anderen Gästen unterhalten und kennen lernen können.
So ungefähr spielten sich die ersten Schritte anlässlich der Online-Premiere von »Im weißen Rössl« ab. Von Luca Pauer moderiert, begrüßte Bodo Busse, live aus dem sparte4-Videostudio, über 50 Gäste im virtuellen Foyer.
Nach aufgeregten Vorbereitungen im Staatstheater und vielen technischen Herausforderungen, denen sich der Live-Betrieb erstmal stellen musste, war dieses Format in den Augen der meisten Besucher eine wirklich unterhaltsame und abwechslungsreiche Möglichkeit mal wieder unter Menschen zu kommen.
Und tatsächlich sah man auch Valda Wilson im Dirndl durch das Foyer flanieren und viele Gäste miteinander ins Gespräch kommen. Und auch in der sparte4, aus der live zugeschaltet wurde, fühlte man sich wieder neuen Impulsen ausgesetzt. Wie erfrischend!
Nach der »Rössl«-Premiere dann noch das finale Nachgespräch: Frederike Krüger, Dramaturgin der Produktion, im Gespräch mit Regisseur Michael Schachermaier. Auch hier eine neue Plattform: zoom.
Nicht ganz so auf kleine Gesprächskreise gemünzt, sondern vielmehr für eine Podiumsdiskussion geeignet. Trotzdem war auch hier Partizipation gefragt. Live per Videokamera oder im Chat konnten dem Regieteam Fragen gestellt werden und Glückwünsche ausgesprochen werden.
Nach diesem ersten »Pilotversuch« kann man zusammenfassend und sehr optimistisch feststellen: Es lohnt sich bei diesen beiden Formaten nochmal vorbei zu schauen. Das Staatstheater vermisst die Gespräche mit seinem Publikum. Solche Aktionen sind unglaublich wichtig für das künstlerische Tun.
Kommen Sie das nächste Mal vorbei. Und wenn Sie Hilfe brauchen, ist jemand dabei der erklären und sicher helfen kann. Diese Formate und auch die Ideen, die daraus entspringen geben Hoffnung auf noch mehr fruchtbaren Austausch.
Luca Pauer, Leiterin Junges Staatstheater und Sparte4
Der Kostümbildner Alexander Djurkov Hotter wurde in Venezuela geboren. Am Saarländischen Staatstheater gestaltete er in der Spielzeit 2019/20 die Kostüme für »Die kleine Meerjungfrau« und »Amadeus«, in der Spielzeit 2020/21 das Kostümbild für »Im weißen Rössl«. Christina Klein und Simone Kranz sprachen im Januar 2020, also noch vor der globalen Ausbreitung der Corona-Pandemie, mit ihm.
Nachdem du 2010 nach Deutschland gekommen bist, hast du zunächst Architektur an der TU in Berlin studiert. Wie bist du dann dazu gekommen, Kostümbildner zu werden?
Ich habe mich schon immer für Kleidung interessiert. Allerdings war es in Südamerika, wo ich geboren bin, für einen Mann nicht üblich, einen Beruf auszuüben, der feminin belegt ist, wie z.B. Modedesign oder Kostümbild. Davon abgesehen wusste ich, bis ich vor 10 Jahren nach Europa gezogen bin, nicht, dass es den Beruf Kostümbildner/ Kostümbildnerin überhaupt gibt. Selbst Modedesign galt bei uns nicht wirklich als Beruf, sondern als Zeitvertreib bis zur Heirat für Töchter aus besseren Familien. Meine Eltern hätten eine Ausbildung in die Richtung damals wahrscheinlich auch gar nicht zugelassen. Somit blieb einem homosexuellen Jungen in Venezuela, der etwas mit Design machen möchte, nur noch ein Architekturstudium. Obwohl ich eigentlich schon einen Studienplatz an der Zentraluniversität in Venezuela hatte, haben mir meine Eltern dann wegen der politischen Situation vorgeschlagen, in Deutschland zu studieren. Ich bin dann nach Deutschland gegangen, doch das Architekturstudium an der TU in Berlin war sehr technisch und nicht so künstlerisch ausgerichtet wie man es von Venezuela her kennt. Nach einem Jahr wollte ich etwas anderes machen. Zuerst habe ich über Modedesign nachgedacht, deswegen kehrte ich nach Venezuela zurück, um 4 Monate lang bei einem Modedesigner ein Praktikum zu machen. Auf seine Empfehlung hin, entschied ich mich, erstmal eine Maßschneider Lehre zu absolvieren, um das Handwerk zu erlernen. Gleich zu Beginn meiner Ausbildung im Atelier »das Gewand« in Düsseldorf erfuhr ich, vom Beruf des Kostümbildners/ der Kostümbildnerin. Dort kam ich mit dieser Welt zum ersten Mal in Berührung. Nach meiner Ausbildung begann ich an diversen Theatern zu hospitieren und eine Bewerbung an der Universität der Künste in Berlin stand an. Aber irgendwann habe ich dann Moidele Bickel (Moidele Bickel (*1937 – † 2016) gilt als eine der wichtigsten Kostümbildnerinnen ihrer Zeit. Sie wurde besonders durch ihre Zusammenarbeit mit Peter Stein an der Berliner Schaubühne berühmt, arbeitete später aber auch international und stattete zahlreiche Filme aus. Anm. d. Red.) getroffen, sie war der Meinung, ich würde mich an der Universität nur langweilen und versprach mir, dass ich alles, was ich dort lernen würde, von ihr lernen könnte. Währenddessen sollte ich weiterhin als Assistent arbeiten und so viel Berufserfahrung sammeln wie möglich, denn Berufserfahrung sei eine der wichtigsten Komponenten des Berufs.
Gibt es denn überhaupt eine Theaterszene in Venezuela?
Vor 10-15 Jahren gab es eine relativ große Theaterszene in Venezuela, sogar ein sehr wichtiges internationales Theater Festival, die »Feria Internacional de Teatro de Caracas«. Allerdings sind heute die meisten Theater nicht mehr in Betrieb, einige wurden von der Chavez Regierung geschlossen, noch bevor ich nach Deutschland ging. Private Theater mussten schließen, weil sie keine Möglichkeit mehr hatten, sich zu finanzieren. Die hohe Kriminalität im Lande hatte dazu geführt, dass immer weniger Leute nach Einbruch der Dunkelheit ihr Haus verlassen wollten, somit sanken die Besucherzahlen drastisch. Kultur wird heute in Venezuela leider nur sehr wenig gefördert und wenn, dann nur Kultur, die der Propaganda der Regierung dient. Diejenigen, die inszenieren dürfen, sind Anhänger der Regierung, zum Teil auch Menschen ohne jeglicher Theatererfahrung. Eine der letzten Produktionen, die ich vor einigen Jahren dort sah, war das romantische Ballett »Spartacus«. Das wurde mit roten Flaggen, ganz im Stil des chinesisch-kommunistischen Balletts »The Red Detachment of Women« (»The Red Detachment of Women« ist eine der 8 Modellinszenierungen, die während der chinesischen Kulturrevolution auf dem chinesischen Theater als Vorbild für alle weiteren Inszenierungen galt. Das Ballett wurde im Februar 1972, anlässlich des China Besuchs von U.S. Präsidenten Richard Nixon, gezeigt. Anm.d. Red.) Es war allerdings nicht so toll wie das Original, es war vollkommen lächerlich. Obwohl früher sehr viele klassische und moderne venezolanische Stücke gespielt wurden, ging man auch da schon hauptsächlich ins Theater, um die Telenovela Schauspieler auf einer Bühne live zu sehen. Man wollte sich entspannen, Abwechslung zum Alltag und der politischen Situation des Landes haben. Heute gibt es nicht mal mehr diese Art von Theater in Venezuela.
Fühlst du dich dem Land noch verbunden?
Ja, mir ist es ganz wichtig, dass Venezuela als meine Heimat in meiner Vita vorkommt, obwohl ich schon seit zwölf Jahren hier lebe, integriert bin, muttersprachlich Deutsch spreche und einen deutschen Pass besitze. Venezuela ist durch Kolonisation entstanden, was zur Folge hatte, dass die Bevölkerung und die Kultur ein Gemisch aus unterschiedlichen Ethnien und Traditionen ist. Jeder Venezolaner hat Wurzeln in Afrika, auf dem Kontinent selbst oder in Europa. Es gibt niemanden, der ursprünglich nur Venezolaner ist. Ich selbst bin zwischen unterschiedlichen Traditionen und Sprachen aufgewachsen und die letzten 10 Jahre in Deutschland haben auch ihre Spuren hinterlassen aber Venezolaner zu sein, bedeutet für mich automatisch, multinational und multikulturell zu sein und darum hänge ich u.a. so stark an dieser Nationalität.
Die Kostüme von Alexander Djurkov Hotter können Sie ab dem 8. April »Im weißen Rössl« und ab dem 14. April in »Amadeus« erleben.
Ralph Bentzkys »Im weißen Rössl« im Spannungsfeld von Postkartenidyll und Wahrheitswunsch.
Am vergangenen Samstag, den 5. Dezember wäre Ralph Benatzkys »Im weißen Rössl« in der Regie von Michael Schachermaier über die Bühne des Saarländischen Staatstheaters galoppiert. Die Premiere ist vorerst verschoben (gewiss nicht aufgehoben!); Zeit für einen kleinen Diskurs in die Welt der vermeintlichen Banalität.
Die Operette gilt gemeinhin als »leichte Muse« – ihr Ruf eilt ihr oftmals voraus, jedoch in wenig ruhmreicher Weise: zu leicht, zu albern, zu kitschig und oberflächlich, eine Ausgeburt der fluffig-süßen Banalität. Seriosität und Gehalt sind Begriffe, die man insbesondere im deutschsprachigen Raum eher nicht mit der Operette in Verbindung bringt.
Auch in der Wissenschaft wurde die Operette respektive das Unterhaltungstheater über Jahre hinweg wie die ulkige Stiefmutter behandelt, die kaum eine nennenswerte Aussage zum Weltgeschehen trifft, sondern eher walzerbeschwipst dümmlich um die Ecke grinst. Ein Irrtum, ein historisches wie ästhetisches Missverständnis.
Doch woher kommt die Annahme, dass im Lachen nur Oberflächlichkeit und Belanglosigkeit stecke, dass im Heiteren keine Wahrheit, kein Ernst zu finden sei? Die Kategorisierung in »E-« (wie Ernst) und »U-Musik« (wie Unterhaltung) mag nun vorrangig ein Phänomen des deutschsprachigen Rezeptionsraumes zu sein, in welchem die »U-Musik« naturgemäß höchstens der kommerzielle, aber nur in Ausnahmefällen der ideelle und inhaltliche Sieger ist.
»Operette« bedeutet wörtlich übersetzt »kleine Oper«, der Ursprung des Wortes leitet sich aus dem Italienischen ab. Die Quellenlage zur Entstehung des Begriffs und der Gattung ist diffus, das erste Mal taucht die Bezeichnung »Operette« im 17. Jahrhundert auf, vom ausgehenden 19. bis zum Ende der 1930er Jahre durchlief die Gattung einen erheblichen Bedeutungswandel.
So beschrieb die Operette im 18. Jahrhundert oftmals Werke, die allein aufgrund ihres geringeren Umfangs als »kleine Opern« bezeichnet wurden, beispielsweise Einakter oder Opern, die »nur« eine reine Komödienhandlung hatten im Unterschied beispielsweise zu Opera seria oder Tragédie Lyrique.
Auch wurden Werke als Operette bezeichnet, die keine Gesangsvirtuosen erforderten, sondern von gesanglich talentierten Schauspielern interpretiert werden konnten. Auch die Struktur der Operette war oftmals einfacher gehalten, sodass beispielsweise die Gesangstexte der Vaudeville-Komödien der Pariser Jahrmarktstheater je nach Kontext ausgetauscht und nur die bekannten Melodien beibehalten wurden.
Insbesondere im deutschsprachigen Raum setzte sich die Bezeichnung Operette als Sammelbegriff für allerlei Opern durch, um eine Abgrenzung zur italienischen und französischen Oper zu schaffen, die ihrerseits oftmals als wesentlich anspruchsvoller und dadurch höhergestellt waren. Ein Umstand, der sich bereits aus der Sprache heraus ergab, galt das Deutsche doch im Gegensatz zum Französischen, die internationale Sprache der Aristokratie, als weniger wertvoll. Darüber hinaus hatten deutschsprachige Opern oftmals komödienhafte Tendenzen mit gesellschaftlich niedrigstehenden Figuren, also per se schon einen wenig repräsentativen Charakter.
Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts konnte sich die Operette als »bürgerlich deutsche Oper« emanzipieren und etablieren. Ausgehend von Wien trugen die Werke u. a. von Johann Strauss (Sohn) und Carl Millöcker wesentlich zu der Entwicklung der Wiener Operette bei, die als Gegenentwurf zur Pariser Operette von Jacques Offenbach Anerkennung und Legitimation fand. Darüber hinaus wurde die Operette zur geistigen Galionsfigur der privatwirtschaftlichen Theater und Wandertruppen, die sich gegenüber der subventionierten Hoftheater und ihrer repräsentativen, wenn nicht gar elitären Hochkultur der Oper behaupten wollten.
Vor dem Hintergrund dieses sehr kurzen historischen Umrisses der Entstehungsgeschichte einer künstlerischen Gattungsform, in denen die verschiedenen soziokulturellen wie historischen Umständen nur punktuell Erwähnung fanden, lässt sich bereits ein Muster der Rezeption erkennen. So war – und mutmaßlich ist es nach wie vor – oftmals der als »leicht« definierte, humoristische, komödienhafte Charakter der Operette, der ihr eine gewisse Einfalt attestiert und ihr damit einen hohen künstlerischen wie ideellen Wert abspricht. Ausgehend von dieser Betrachtungsweise mag nun der Eindruck entstehen, als ließe sich der Wert respektive die Qualität eines Werks an den Parametern Kompliziertheit, Seriosität und Ernsthaftigkeit messen. Aspekte, die eine gewichtige Rolle spielen in der Rezeption des vermeintlich leichten Unterhaltungstheaters.
Obgleich namhafte Philosophen wie Theodor W. Adorno der Operette eine »reale Basis«, also einen direkten Bezug zur Lebensrealität zusprachen, mag es verwundern, dass dieser Gattung des Fin de siècle vielfach abgesprochen wurde, mit eben jener zeitgenössischen »Wirklichkeit« in Bezug zu stehen, ja sogar ein primäres Medium ästhetischer Lebens-Themen der Jahrhundertwende zu sein.
Die Operette ist trotz oder gerade wegen ihrer Komödie aus dem Gedanken heraus entstanden, die jeweilige vorherrschende soziale Ordnung, politische Zustände, ja sogar Geschlechterrollen und (urbane) Lebensmodelle als Ausdruck eines Lebensgefühls neu zu chiffrieren. Angesichts ihrer kurzen Lebensdauer von den 1850er bis in die 1930er Jahre drängt sich oftmals der Verdacht auf, die Operette sei tot, eine museale Gattung, die lediglich zum Schunkeln, nicht zum Denken anrege.
Ein Umstand, der auch die Rezeptionshaltung gegenüber Ralph Benatzkys »Im weißen Rössl« maßgeblich beeinflusste. Ein Urgestein deutsch-österreichischer Betulichkeit, jedes Lied ein ohrenwürmender Hit, der Himmel ist blau, die Liebe das Wunderbarste, ein bisschen Ulk hier und ein bisschen preußische Piefken versus schnodderiger Österreicher da. Fertig ist der (Kassen-)Schlager. Spätestens seit Peter Alexander 1960 als Oberkellner Leopold der kriegsgebeutelten Nation das zerbombte Heimatgefühl zurück in die Flimmerkisten des Wohnzimmers brachte, schien das Pferd vor allem eines: totgeritten.
Die einst parodistisch-kabarettistischen Ideale der Uraufführungszeit (1930) verklärten sich durch den Schleier der (ernstgemeinten!) Postkartenidylle, wo jedes Wort die Wahrheit war oder zumindest den schier existenziellen Wunsch implizierte, dass es doch bloß die Wahrheit sei. Der Himmel blau, die Liebe das Wunderbarste, ein bisschen Necken hier, ein bisschen Busseln da und am Ende: Das Glück vor der Tür, die Sorgen vergessen. »Rössl« an, Welt aus.
1994 war es dann, als das »Rössl« in der Berliner Bar jeder Vernunft neu aufgezäumt wurde. Mit den Geschwistern Pfister, Max Raabe, Otto Sander, Gerd Wameling, Walter Schmidinger und Meret Becker in den Hauptrollen wurde es von den Motten seiner Rezeptionsgeschichte befreit und vom Musikantenstadtl zurück auf die Bühne geholt. Und plötzlich war sie wieder da, die schrill-schräge Ironie, die Ohrfeigen verteilende Parodie, ja sogar der Kitsch, der ganz ohne verlogene Operetten-Seligkeit des deutschen Nachkriegsfilms auskam. Und das nicht hinter staubigen roten Vorhängen mit viel Glitzer, sondern direkt neben Love Parade, Christopher Street Day und MTV. Die Unterhaltung hatte ihre Legitimation zurück. Ja, in Berlin am Wolfgangsee, da konnte man gut lustig sein, weil hier niemand die Wahrheit im weißen Rössl suchte, sondern das augenzwinkernde Offensichtliche der Lüge durschaute.
Dabei wurde das Stück weder für den elitären Theateradel dekonstruiert noch für die breite Masse fei heimatlich aufgehübscht, vielmehr aus dem Geist des Kabaretts auf nahezu Rudimentäres reduziert, sowohl musikalisch als auch ästhetisch. Mit Erfolg. Aus ehemals drei Bühnen, die das Stück 1993 spielten, wurden 1995 42. Offensichtlich hatte sich wohl endlich eine neue Vision im Umgang mit dem vermeintlichen Spießbürgertum offenbart. Die Operette war Back im Business.
Vor dem Hintergrund dieser beispielhaften »Rehabilitation« ließe sich folgende Schlussfolgerung verbunden mit Aufforderung formulieren: Im Moment der Betrachtung, der Interpretation und Rezeption entfaltet die Operette ihr immanentes Potenzial von Lebendigkeit, Aktualität und Brisanz. Obgleich sie nur allzu gern und immer wieder hinter vermeintlicher Zahmheit und Oberflächlichkeit versteckt wird, so fordert doch gerade die Operette den Rezipienten heraus, einen Blick hinter das vermeintlich Offensichtliche zu werfen. »[…], dass sich die Gesellschaft nicht allein operettenhaft betrug, sondern auch das operettenhafte Treiben durchschaute, ohne es aufzuheben«, (der Offenbach-Biograf Siegfried Kracauer) darin mag die Krux der Operette liegen und die große Herausforderung ihrer Rezeption im 21. Jahrhundert sein.
Frederike Krüger, Dramaturgin für Musiktheater und Konzert