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Hinter dem Vorhang

Kunst ist Kampf

Über einen Diskurs der Gegensätzlichkeit.

Strauss und Hofmannsthal. Kaum eine andere Kollaboration in der Musikgeschichte scheint so selbstverständlich wie diese. In der Geschichte der Oper des frühen 20. Jahrhunderts stellen sie eine Art Institution dar. Das schicksalhafte Aufeinandertreffen von Dichter und Komponist sollte in fünf Opern seine künstlerische Apotheose finden. 

Hartmut Volle (Der Haushofmeister/Intendant)); Stefan Röttig (Ein Musiklehrer); Carmen Seibel (Der Komponist) | Foto: Martin Kaufhold

Rund 600 Briefe in 29 Jahren belegen das beständige Ringen um ein gleichberechtigtes Miteinander: Fragen um Stoffwahl und Dramaturgie wie der musikalischen Gestaltung haben Textdichter und Komponist erörtert. Nicht selten bat Hofmannsthal während der gemeinsamen Arbeit an einem Werk um genaue Vorgaben oder Strauss um zusätzliche Verse für seine Musik.
War »Elektra« (1909) noch ein Werk, dessen Text auf einem bereits vorhandenen Gedicht beruhte, entstand mit dem »Rosenkavalier« 1911 erstmals ein Libretto, welches in einem beständigen Austausch zwischen Dichter und Komponist entstand. Ein Umstand, der sich maßgeblich auf die musikalische Dramaturgie und kompositorische Diktion ihrer gemeinsamen Werke auswirkte.

Hartmut Volle (Der Haushofmeister/ Intendant); Carmen Seibel (Der Komponist); Andrea Wolf (Die Politikerin) | Foto: Martin Kaufhold

F.K.: Ohne euch gleichzusetzen mit Strauss und Hofmannsthal, aber auch ihr arbeitet schon seit Jahren im Team, erarbeitet allumfassend das Konzept einer Inszenierung. Könnt ihr etwas über eure »Arbeitswege« erzählen?

A.S.: Alles entsteht aus einem Dialog. Es geht darum, mit dem Stück, mit sich selbst und schließlich miteinander in Dialog zu treten. Für uns ist die ständige Kommunikation sehr wichtig, es ist ein Gedankenaustausch, der inspiriert und beflügelt. Und vor allem ist es wichtig, gegensätzliche Meinungen voneinander zuzulassen und immer wieder neue Fragen zu stellen.
M.P.: … und dazu gehört auch Vertrauen. Für unsere Arbeitsweise ist es essentiell, dass die verschiedenen künstlerischen Bereiche ineinanderfließen, es soll eine natürliche Wechselwirkung zwischen Figurengestaltung, Raum- und Kostümkonzept entstehen. Das Ziel ist es, ein einheitliches Ganzes formen zu können.

Pauliina Linnosaari (Primadonna); Stefan Röttig (Ein Musiklehrer); Hartmut Volle (Der Haushofmeister/ Intendant); Algirdas Drevinskas (Scaramucchio/ Ein Tanzmeister); Liudmila Lokaichuk (Zerbinetta) | Foto: Martin Kaufhold

Das Hochgefühl der gemeinsamen Arbeit von Strauss und Hofmannsthal sollte nicht lange andauern. Zwischen 1911 und 1916 wurde mit »Ariadne auf Naxos« die künstlerische Beziehung der beiden auf ihre erste Bewährungsprobe gestellt: Nach dem Misserfolg der Stuttgarter Uraufführung 1912 wollte Strauss das Werk, welches seinen Ursprung in der fixen Idee eines sparten- und genreübergreifenden Experiments fand, gründlich überarbeiten. Ein Schritt, den Hofmannsthal zumindest vorerst nicht bereit war zu gehen, da er die Arbeit als abgeschlossen betrachtete und sich bereits dem nächsten gemeinsamen Werk, der »Frau ohne Schatten«, widmete. Pikiert bis verärgert reagierte er auf die detaillierten Anweisungen seines Komponistenfreundes.

Carmen Seibel (Der Komponist) | Foto: Martin Kaufhold

Das Ringen um Inhalt und Form, um die musikalische Struktur wie die inhaltliche Dramaturgie, mit dem Strauss und Hofmannsthal während der Arbeit an »Ariadne auf Naxos« konfrontiert waren, lässt sich als exemplarisch begreifen. Der Weg eines künstlerischen »Produkts« ist oftmals vieles, aber selten linear. Ein Umstand, der damals wie heute, in einer schnelllebigen, von Effizienz und Effektivität geprägten Gesellschaft, gleichermaßen Fluch und Segen sein kann. Ein vermeintlich oasenhafter Ort, an welchem andere Maßstäbe gelten, die Zeit anders zählt, der Geist von Kreativität geküsst wird. Und doch unterliegt sie den Gesetzen der Realität und erhebt sogar Anspruch auf diese! Als Spiegel, als Kommentar, als Abbild oder Zerrbild. Ein ständiges Austarieren zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Fakt und Fiktion, aus Spiel wird Ernst.

Pauliina Linnosaari (Ariadne) | Foto: Martin Kaufhold

Kunst ist Kampf. Sie ist ein Kampf um das (vermeintlich) richtige Wort zur richtigen Zeit, den richtigen Ton im noch richtigeren Moment, sie ist ein Kampf um Stimmung, Atmosphäre, Emotion, Inhalt, Ästhetik. Sie ist der Versuch, eine noch so flüchtige Idee mit bloßen Fingern zu packen, zu konservieren und – noch viel wichtiger – zu konvertieren. In etwas, was gleichermaßen gegenwärtig wie zeitlos ist. Das Innerste soll nach Außen, das Unaussprechliche, geschrieben, gesprochen, gesungen werden. Jetzt und für immer. Vielleicht.

Pauliina Linnosaari (Primadonna); Stefan Röttig (Ein Musiklehrer) | Foto: Martin Kaufhold

Strauss und Hofmannsthal waren gut darin, den Nebel der Idee mit ihren Händen zu greifen. Eine solche Idee war ursprünglich auch »Ariadne auf Naxos«. Eine untypische Oper, als Experiment gedacht, sollte eine 30-minütige Oper für ein kleines Kammerorchester mit Molières Ballettkomödie »Der Bürger als Edelmann« für den Regisseur Max Reinhardt kombiniert werden. »Die hübsche Idee – von der nüchternsten Prosakomödie bis zum reinsten Musikerlebnis – hatte sich praktisch in keiner Weise bewährt«, erkannte Strauss später, »ganz banal gesprochen: weil ein Publikum, das ins Schauspiel geht, keine Oper hören will, und umgekehrt. Man hatte für den hübschen Zwitter kein kulturelles Verständnis.«

Um das Stück zu retten, trennten Strauss und Hofmannsthal die offensichtlich unvereinbaren Elemente wieder. 1916 kam die Operneinlage als selbstständiges Werk heraus und ging triumphierend in den Werkekanon über. Vom einstigen Experiment blieben die Oper und die Bühnenmusik. Letztere arbeitete Strauss über mehrere Jahre in eine Orchestersuite um, die er aus eben jener Bühnenmusik extrahierte.

Ensemble | Foto: Martin Kaufhold

Strauss‘ Glaube an das visionäre Potenzial seines Werks war allen wirtschaftlichen wie ideellen Zweifeln erhaben. Er setzte sich durch. Und obgleich Strauss und Hofmannsthal das Experiments einer Kombination von Oper und Schauspiel (in diesem konkreten Fall) für gescheitert ansahen, setzten sie mit »Ariadne auf Naxos« neue musikdramaturgische und ästhetische Maßstäbe.

Einer verhältnismäßig kurzen spätromantischen Kammeroper mit Opera-Buffa-Elementen setzten sie ein (rezitativisches) Vorspiel voran, dessen Geschehen hinter den Theaterkulissen stattfindet.

Pauliina Linnosaari (Ariadne); Bettina Maria Bauer (Najade); Melissa Zgouridi (Dryade); Valda Wilson (Echo) | Foto: Martin Kaufhold

Bei dem Theater im Theater eröffneten die Autoren nun einen zeitlosen theaterpolitischen Diskurs: Mit den originären Mitteln des Theaters entspinnt sich ein augenzwinkernder Plot über die Borniertheit der Theaterwelt. Eine Parabel auf die Kunstfreiheit im Spannungsfeld zwischen künstlerischem Idealismus und (politischem) Realismus, in der scheinbar willkürliche Zensurmechanismen durch Mäzene der Selbstwirksamkeit des Künstlers zusetzen.

Sung min Song (Brighella); Algirdas Drevinskas (Scaramuccio); Max Dolliinger (Harlekin); unten links: Carmen Seibel (Der Komponist); hinten rechts: Markus Jaursch (Truffaldi); Markus Jaursch (Truffaldin); Liudmila Lokaichuk (Zerbinetta) | Foto: Martin Kaufhold

F.K.: Strauss und Hofmannsthal stellen mit »Ariadne auf Naxos« die zwingende Frage nach dem Wirken der Kunst. Nach ihrer Legitimation. Fragen, die in den vergangenen Monaten immer wieder aufgekommen sind. Welchen Einfluss hatte das auf euch, auf euer künstlerisches Selbstverständnis?

A. S.: Vor eineinhalb Jahren geschah das Unvorstellbare und plötzlich stand die Frage im Raum, ob Kunst, Theater oder Oper überhaupt eine Daseinsberechtigung haben: Das ambivalente Wort »Systemrelevanz« schlich sich in die Nachrichten. Und auch wenn es einem bewusst ist, dass die Schließungen damals notwendig waren, sitzt der Schock immer noch tief. Auf einmal standen die Opernhäuser leer, wir Kunstschaffende fanden uns in gewisser Hinsicht auf Ariadnes verlassener Insel wieder… die Oper war zumindest »scheintot«. Dieses Erlebnis war ausschlaggebend für das Regiekonzept: Für uns symbolisiert Ariadne die Fragilität der Gattung Oper selbst.
M.P.: Die Krise hat uns auch gezeigt, dass nur die wenigsten über die Komplexität der Theaterarbeit, oder speziell des Musiktheaters, Bescheid wissen. Wie viele Fachkompetenzen von so unterschiedlichen Bereichen nötig sind um einen einzigen Theaterabend entstehen zu lassen. Gerade die stückimmanente, mit ziemlicher Selbstironie entworfene, szenische Situation des Vorspiels gibt uns eine einzigartige Möglichkeit all das aufzuzeigen, was sonst im Off verborgen bleibt. Der Schleier wird gelüftet, das Publikum wird hinter die Kulissen geführt und darf dem Intendanten, Dirigenten, Orchester, Sänger:innen, Inspizient:innen, Maskenbildner:innen, Bühnentechniker:innen, Ankleider:innen bei der Arbeit zusehen. Für einen Abend lang haben wir sozusagen freien Eintritt in den Backstage-Bereich.

Max Dollinger (Harlekin); Pauliina Linnosaari (Ariadne); Liudmila Lokaichuk (Zerbinetta); Markus Jaursch (Truffaldin) | Foto: Martin Kaufhold

Zwei schier unvereinbare Welten stehen sich bei Strauss und Hofmannsthal gegenüber: Kunst versus Kapitalismus. Realismus versus Pragmatismus. Unterschiedlich und doch abhängig. Die »einsame Insel« des Komponisten auf der einen Seite, die realen Zwänge des Auftraggebers auf der anderen. Ein Problem zeitloser Dringlichkeit, auch wenn die Finanziers und Haushofmeister des 21. Jahrhunderts längst keine Fürsten mehr sind.

Hartmut Volle (Der Haushofmeister/ Intendant); Andrea Wolf (Die Politikerin) | Foto: Martin Kaufhold

F.K.: Im Falle von »Ariadne auf Naxos« habt ihr euch entschieden, direkt in den Text einzugreifen, wieso?

A.S.: Durch den Charakter des Komponisten zeigen Hofmannsthal und Strauss die Begegnung einer künstlerischen Idee mit der Wirklichkeit: den Schaffensprozess selbst. Der Komponist versucht verzweifelt an seinem ursprünglichen Werk festzuhalten, findet sich aber plötzlich im Abhängigkeitsverhältnis zu einem Mäzenen wieder. Um den Konflikt zwischen künstlerischem Idealismus und Alltagsrealität zu verdeutlichen, haben wir in unserer Dialogfassung die Rolle des Haushofmeisters gesplittet. Das Aufeinanderprallen dieser beiden gegensätzlichen
Welten wird durch die neu eingefügten Charaktere eines Intendanten und einer Politikerin personifiziert. Der Anfangsmonolog des Intendanten, basierend auf theatertheoretischen Texten von Dürrenmatt, Streeruwitz, Platon, Aristoteles und Schiller stellt die existentielle Suche nach aktuellen künstlerischen und gesellschaftlichen Antworten dar. Es ist ein Mit-sich-selbst-ringen, inspiriert von Lecture-Performance.

Pauliina Linnosaari (Ariadne); Angelos Samartzis (Bacchus) | Foto: Martin Kaufhold

Vor dem Hintergrund des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Künstler und Kunstmarkt scheint die werkimmanente Gegenüberstellung von »hoher« und »niederer« Kunstgattungen ebenso logisch wie zeitlos, autothematisch folgt eine Reflexion über die Kunst selbst. Das gesamte Stück ist gewissermaßen ein Streit zwischen sogenannter E-Musik (»Ernster Musik«) und U-Musik (»Unterhaltungsmusik«) und offenbart damit eine weitere Dimension vom (Selbst-)Verständnis des Künstlers zwischen Kunst und Kommerz.

Markus Jaursch (Truffaldin); Algirdas Drevinskas (Scaramucchio); Sung Min Song (Brighella); Max Dollinger (Harlekin); Liudmila Lokaichuk (Zerbinetta) | Foto: Martin Kaufhold

FK.: Ihr habt euch für ein dichotomisches Bühnenbild, was der Gegensätzlichkeit des Stückes entspricht, entschieden.

M.P.: »Unsere Insel« deutet eine verlassene Bühne mit abgerissenem Vorhang, ein Theater ohne Publikum an. Daran angeschlossen ist ein »Theater-Müll-Raum« – eigentlich ein Erinnerungsort für alte Theaterreliquien: ein Kostümfundus und Requisitenlager – mit einem großen Müllcontainer in der Mitte, in dem die Schätze der Vergangenheit, die scheinbar nicht (mehr) relevant sind, entsorgt werden können…
Auf der anderen Seite steht im Gegensatz dazu ein Sitcom-Set mit
grellen Farben, eine Art »Plastikwelt«, die die Fernsehästhetik einer populären Serie parodiert, wo die mythologischen »Götter« von heute, also Superhelden, verehrt werden. Die Oper versucht zwar sichtbar zu bleiben – auch wortwörtlich, im Portalausschnitt – die Massenunterhaltung drängt sie aber immer mehr aus dem Raum.

Pauliina Linnosaari (Ariadne); rechts: Valda Wilson (Echo); Melissa Zgouridi (Dryade); Bettina Maria Bauer (Najade) | Foto: Martin Kaufhold

Strauss und Hofmannsthal stellen mit »Ariadne auf Naxos« die zwingende Frage nach dem Wirken der Kunst. Die Oper in der Oper, die hier zwischen menschlicher Schablonenhaftigkeit im Stile der Commedia dell‘Arte und wahrhaftiger Existenzkrise im Archaischen der Oper wandelt, wird zum Sinnbild für die Legitimation der Kunst. Damals wie heute zwischen Sitcom, Netflix, Streaming und Co. 

Pauliina Linnosaari (Ariadne); Angelos Samartzis (Bacchus); im Vordergrund: Andrea Wolf (Die Politikerin) und Hartmut Volle (Der Haushofmeister/ Intendant) | Foto: Martin Kaufhold

F.K.: Begreift ihr die Kunst- und Theaterwelt als Flucht vor der Realität?
A.S.: Theater ist unsere Realität. Für das Publikum kann aber Theater durchaus als Flucht vor der Realität begriffen werden. Oder eben als Ort, der neue Realitäten erschafft. Bacchus, der in unserer Interpretation das Publikum selbst verkörpert, erweckt Ariadne, die Oper, durch seine Liebe zu neuem Leben. Ihre Begegnung symbolisiert für uns die Wechselwirkung zwischen Darstellenden und Publikum. In der künstlerischen Ekstase erlebt Bacchus die Metamorphose und findet zu seinem neuen, verwandelten Selbst.

Frederike Krüger,
Dramaturgin für Musiktheater und Konzert

Die Vorstellungstermine sowie eine digitale Podcast-Einführung finden Sie hier.

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Auf ein Wort Theaterblog

»NUR DIE KUNST RETTET DIE WELT.«

Algirdas Drevinskas – 30 Jahre auf den Brettern, die die Welt bedeuten – Ein Porträt.

Für Algirdas Drevinskas sind – neben seiner Familie – das Theater und die Musik in der Tat die Welt. Sie bestimmen sein Leben. Seit 30 Jahren agiert der Tenor nunmehr auf den vielbeschworenen Bühnenbrettern. Man sieht es im Gespräch an seinen strahlenden Augen, wenn er sich an Partien erinnert, die er gesungen und von Begegnungen mit Regisseuren, Lehrern und dem Publikum berichtet, dass dieses Tenor-Herz für das Theater, für die Musik – besonders die von Mozart – schlägt.

Baron Kronthal in Lortzings »Der Wildschütz«.

Im kleinen Dramaturgiebüro sitzen wir im gebührenden Corona-Abstand einander gegenüber, zudem mit Atemschutzmasken versehen, und dennoch sprüht Algirdas geradezu und berichtet voller Leidenschaft. Dieses Bühnenleben erfüllt ihn auch nach dreißig Berufsjahren noch und macht ihm Spaß wie am ersten Tag, den er auf der Bühne stand.

Im litauischen Biržai fing alles an, dort erblickte er das Licht der Welt und die Liebe zur Musik wurde ihm geradezu in die Wiege gelegt. Voll liebevoller Erinnerung berichtet Algirdas von seiner Mutter, ihrer Gesangstimme, dem wunderschönen natürlichen Vibrato und warmen Timbre. Sie sang, als sie mit ihm schwanger war, in einem Frauenensemble, er glaubt, sie hat die ganze Zeit gesungen, und Algirdas ist sich sicher, dass seine Mutter ihm so die Liebe zum Gesang zusammen mit dem Leben geschenkt hat.

Orpheus in »Orphée aux enfers«.

Schon im Kindergarten, alle anderen Kinder haben sich geniert, stellte sich der Bube hin und sang frei heraus. Eine Lehrerin der Kindermusikschule bot den Kindern der Grundschule, die sich gern musikalisch betätigen möchten, eine Aufnahme in die Musikschule an. Zu Hause eröffnete Algirdas seiner Mutter, dass er da unbedingt hin möchte.

Die Mutter brachte alles auf, um dem Jungen, der natürlich die Aufnahmeprüfung mit Bravour bestanden hatte, die Ausbildung zu ermöglichen. Schon als Kind hatte Algirdas immer wieder in Konzerten gesungen, war im Litauischen Fernsehen zu erleben und hatte an etlichen Wettbewerben teilgenommen. Er berichtet, dass Frauen Tränen in den Augen hatten, als sie ihn als Buben singen hörten. Für ihn war es aber das Normalste von der Welt, auf dem Konzertpodium zu stehen und zu singen und natürlich, er hat die Anerkennung auch sehr genossen.

In Beethovens »Fidelio«

Dann kam naturgemäß der Stimmbruch als eine Tragödie auf ihn zu, von seinem wunderschönen 1. Diskant war erst einmal nichts mehr übrig. Algirdas war dankbar für die erfüllten Jahre, war sich aber sicher, dass es das nun war mit dem Singen. Der Direktor der Musikschule hielt aber an dem Jungen fest, er bot ihm Dirigierstunden an und Algirdas durfte sogar den Chor der Kindermusikschule dirigieren und das Klavierspiel erlernen. Das war die wichtigste Vorbereitung für seinen weiteren Weg.

In Memel am Konservatorium hatte er dann die Aufnahmeprüfung für das Chordirigat gemacht. Jeder Chordirigent hatte freilich auch Gesangsunterricht. Algirdas erinnert sich: »Da war ein Gesangslehrer, ein ganz dicker Bariton, der sagte zu mir: >Junge, ich will dich nicht verwirren, aber du könntest singen.< Das hat mir gereicht, diese Bestätigung, dass dieser Profi dies zu mir sagte, und es so ernst meinte. Ich habe dann das Jahr noch zu Ende studiert und habe mich vorbereitet für die Aufnahmeprüfung für den Gesang.«

Manchmal denkt er »Mein Gott, ich kann nichts anderes als Singen«, aber genau das war immer sein Traum, seit er denken kann: Singen.

»Der Freischütz« von Carl Maria von Weber.

Natürlich gab es Höhen und Tiefen. »Jeder Sänger hat einmal in seinem Leben eine stimmliche Krise« meint Algirdas. Ein erster Schock war, als er während des Studiums plötzlich permanent furchtbaren Schleim im Hals hatte, es war mal besser, mal schlechter.

Jahre später, 2003 – er war bereits am Saarländischen Staatstheater engagiert – bereitete er die Partie des Belmonte vor. Seine von ihm sehr verehrte Studienleiterin Anne Champert freute sich bereits auf seine Interpretation: »Algis, ich freue mich schon sehr auf deinen wunderschönen Belmonte«.

Doch nach diesem Satz verschwand bei ihm die Stimme sukzessiv. Es wurde ein Gast als Ersatz geholt. »Ich konnte in der Sitzprobe nicht mehr singen, überhaupt nicht.« Nach einer Odyssee von vielen Arztbesuchen stellte sich heraus, dass eine Weizenallergie die Ursache für den Stimmverlust war.

Die Rückkehr nach neun Monaten auf die Bühne war für Algirdas wie die Neugeburt seiner Stimme. »Zum Glück hatte mein Intendant Kurt Josef Schildknecht Geduld. »Als er mich zu sich bat, dachte ich, das war es jetzt, aber er sagte: >Herr Drevinskas, jeder Sänger hat mal eine Krise, Sie haben jetzt Ihre, stehen Sie das durch, bleiben Sie tapfer.< Ich hätte ihm auf Knien danken mögen.«

Als Graf Almaviva.

Jungen Sänger*innen kann er nur raten, auch nach Allergien zu forschen. Auf meine Frage, was er weiterhin Gesangsstudent*innen mit auf den Weg geben möchte, war Algirdas das Wichtigste das Finden des passenden Gesangslehrers. »Bei einem Rubbellos kannst du eher einen Hauptgewinn finden, als bei der Gesangslehrerwahl den Richtigen. Im Nachhinein kann ich nur sagen, es ist einfach Glück, den Passenden zu finden. Sicher muss man wissen, was man will und muss auch selbst merken, ob es passt. Es gibt Lehrer, die loben dich vom ersten Tag an, aber damit kommst du meiner Meinung nicht weiter. Mein heißgeliebter Lehrer und >Vater<, Prof. Josef Loibl (bei ihm studierte Algirdas Drevinskas ab 1993 in Graz an der Kunst Universität Gesang) verlangte so viel und war so hartnäckig im positiven Sinne … «

Er erzählt die Geschichte, wie er zu ihm kam, die auch an ein kleines Wunder grenzt. Die Sowjetunion war gerade 1991 zusammengebrochen, er musste sein Visum nach Graz in Moskau beantragen, die Fahrtkosten auftreiben … Violeta Urmanavičiūtė war es, die ihm half. »Ich habe immer in meinem Leben Menschen getroffen, die plötzlich da waren, als ich schwach war und jemanden brauchte. Ich vertraue dem Universum, dass im wichtigen Moment jemand da ist, der hilft, wie mein Prof. Loibl, der mir den musikalischen Himmel geöffnet hat … Wenn man so einen Lehrer findet, dann muss man dem treu bleiben. Es kann auch sein, dass man auf ein falsches Pferd setzt, das ist dann eine Tragödie, ich hatte großes Glück. Er war für mich Professor, Vater, Mentor, alles in einem … Überhaupt, ich bin eine so treue Maus. Ich bin dem Saarland treu, weil ich vom ersten Tag an spürte, dass das hier ein tolles Haus ist, es gibt eine wunderbare herzliche Atmosphäre und das war hier immer so. Man kann sich hier entwickeln.«

Als Duschmanta.

Nicht nur in Pascals Dusapins Oper »Macbeth Underworld«, in der Algirdas Drevinskas zur Zeit als Porter auf der Bühne steht, zeigt der Tenor eine ungeheure Wandlungsfähigkeit, Spielfreude und Mut zur Skurrilität.

Algirdas gibt zu, dass da eine gewisse Portion Naturtalent dabei ist, lobt aber die unglaublich gute Ausbildung auch im schauspielerischen Bereich in Litauen vor allem im Vergleich zu der, die er in Österreich bekam. »Ich bekam ein gutes Instrumentarium in meinen Koffer … Bei einem Sänger muss auch Schauspiel dabei sein. Wir sind quasi singende Schauspieler. In Italien, in Florenz, war ich in der Oper und war so enttäuscht. Alle Sänger gingen mit ihrem hohen Ton einfach so an die Rampe und dann wieder weg in die Bühne. Ich dachte, ich glaube nicht, was ich da sehe, aus der Rolle in den Ton und dann wieder zurück.«

Eines seiner schönsten Erlebnisse in Saarbrücken und überhaupt war unter der Intendanz von Dagmar Schlingmann, sie war ja auch Schauspielregisseurin. Sie hatte einen »Barbier« herausgebracht, der acht Jahre lief. »Ich war der Almaviva, ursprünglich mit meiner Frau Elizabeth (Wiles) und die Produktion war wie für uns zugeschnitten. Wir hatten so einen Erfolg, und die Produktion lief und lief.«

Einen ähnlichen Erfolg hatte der Sänger, als er – wieder gemeinsam mit Elizabeth Wiles – in der »Zauberflöte« über viele Jahre als Tamino auf der Bühne des Saarländischen Staatstheaters stand. Zehn Jahre stand diese Produktion auf dem Spielplan.

Als Belmonte in Mozarts »Die Entführung aus dem Serail«.

Und die gemeinsamen Kinder, wollen die in die Fußstapfen ihres Vaters treten? »Unsere Kinder Julius und Clara besuchen fast jede Inszenierung. Sie waren selbst in so einer nicht ganz einfachen Produktion wie >Der Sturm< und wollten die Oper wieder und wieder sehen. Sie kamen in die Premiere und kamen noch dreimal. Das macht mir Hoffnung, dass sie auf jeden Fall auch als Erwachsene theaterbegeistert sein werden, auch wenn sie dann vielleicht nicht den Beruf ergreifen wollen. Für mich ist dies das Wichtigste. Ich finde, nur die Kunst rettet die Welt und Gesang sowieso und die Musik allgemein.«

Wenn Algirdas Drevinskas in Dusapins »Macbeth Underworld« als Porter auf der Bühne steht, wird das seine 104. Rolle sein. Als er in der Probe auf der Bühne in der Röhre über den Tiefen der Unterwelt stand, sprich über dem heruntergefahrenen Hubpodest, wurde mir allein vom Zuschauen schwindelig.

Algis als ehemaliger Flieger und Fallschirmspringer aber ist schwindelfrei, er weigerte sich zunächst, sich absichern zu lassen, er fand es wirksamer, so freistehend vor dem Abgrund zu sein. Natürlich kam er damit nicht durch. Auf jeden Fall ist der Porter eine Rolle, die er mit Begeisterung mitkreiert hat. »Weißt du«, sagt er mir, »eigentlich ist das die schönste Partie. Hast du das mitgekriegt?«

In Pascal Dusapins »Macbeth Underworld«.

»Wenn man fest am Haus ist, bekommt man kleine, große, lustige, ernste Rollen, alles mögliche und eigentlich habe ich jede Richtung gern genommen. 103 Partien auf der Bühne ist eine Bagage, die habe ich gemacht und das ist eine Lebensleistung. Manche singen, wenn sie Glück haben, nur fünf oder zehn Jahre. Ich singe nun schon 30 Jahre.« Und er zitiert seinen Lehrer: »Wissen Sie Algis, mit der Natur singt man bis 35, dann braucht man schon die Technik.«

Algirdas zeigt mir voll Stolz als Zeitdokument die Titelseite eines Klavierauszuges von »Die Fledermaus«. Alle seine Freunde hatten anlässlich seines ersten Schrittes auf der professionellen Bühne am 9. 5.1991 eine Widmung darauf geschrieben.

Was ihn in seinem Beruf fit hält, sind die Natur und auch der Sport. In der Zeit der Stimmkrise hatte er das Joggen für sich entdeckt. »Ich habe gemerkt, wenn man irgendwelche Probleme hat, beim Joggen kommt alles raus, man verarbeitet seine Probleme. Es ist für mich wie eine seelische Reinigung.«

Auf meine Frage nach einer Partie, die noch auf seiner Wunschliste steht, kam als Antwort: »Ich nehme alles dankbar an, was kommt. Hauptsache, ich stehe auf der Bühne.« Und völlig frei von Neid folgte: »Leider Gottes sind zwei der besten Ensemblemitglieder im neuen Ensemble hier gerade die Tenöre. Ich schätze Angelos sehr und ich liebe geradezu Sung min Song. Ich habe viel gehört, glaube mir, aber so eine göttliche Tenorstimme habe ich wirklich noch nie gehört. Er ist der einzige, bei dem ich mich, wenn ich ihn höre, entspanne. Sonst analysiert man immer. Ich kann gar nicht böse sein, dass er irgendeine Partie, die ich wollte, bekommt.«

Als Ferrando in Mozarts »Così fan tutte«.

Aber von allen Partien haben es Algirdas die von Mozart am meisten angetan. Als er auf Mozart zu sprechen kommt, leuchten seine Augen noch mehr. »Mozart ist für mich das Genie Nummer Eins der Musikwelt. Ich denke, der hatte einen Draht zu Gott. Vielleicht wusste er es selber nicht. Du kannst diese Genialität nicht erklären. Alles passt. Wenn ich an Mozart denke, bekomme ich Gänsehaut. Und auch, wenn man nicht gläubig ist, in dem Moment, wo man Mozart hört, wird man es … Mein Professor sagte: >Algis, wer Mozart singen kann, kann alles singen.<

Warum? Du kannst den Mozart nicht plärren, du musst dich konzentrieren, die Linie führen, die Tessitur halten. Das gibt es quasi kaum bei anderen, das, was Mozart verlangt. Der war genial, seine Musik ist genial, seine Musik verlangt von einem Sänger Kongenialität, wenn du das anständig machen willst.

Mein Ziel ist es, kultiviert, diszipliniert, schön, mit Seele und mit Herz zu singen – Schauspiel noch dazu. Die Rolle des Basilio verfolgt mich, ich habe schon fünfmal Basilio gemacht, jedes Mal anders. Der letzte hier (Inszenierung: Eva Maria Höckmayr) war ganz besonders.

Die Regisseure sehen meine Freude, zu spielen – lustlos, das gibt’s bei mir nicht –  und sie denken, das muss ich nutzen. Auch beim Porter in »Macbeth Underworld«, da gab es am Anfang bei mir Skepsis, was will der Fioroni (Regisseur »Macbeth Underworld«), ich sagte erst einmal nichts, dann schlief ich darüber und ich dachte nach, warum liest er die Rolle so, was will er damit? Dann – natürlich! So meint er das und das ist dann noch stärker und ich merkte, das ist genial. Spielfreude habe ich genug, ich muss nur aufpassen, dass es nicht zu viel wird. So gehe ich durch die Bühne seit 30 Jahren, die Freude ist immer noch da, das Glück ist auch auf meiner Seite. Was ich mir wünsche? Ich wünsche mir noch schöne Fachpartien in den nächsten Jahren.«

Als Tichon in Leoš Janáčeks »Katja Kabanová«.

Renate Liedtke,
Musikdramaturgin

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Hinter dem Vorhang

Früher gab es viele Theater in Venezuela

Der Kostümbildner Alexander Djurkov Hotter wurde in Venezuela geboren. Am Saarländischen Staatstheater gestaltete er in der Spielzeit 2019/20 die Kostüme für »Die kleine Meerjungfrau« und »Amadeus«, in der Spielzeit 2020/21 das Kostümbild für »Im weißen Rössl«. Christina Klein und Simone Kranz sprachen im Januar 2020, also noch vor der globalen Ausbreitung der Corona-Pandemie, mit ihm.

Kostümbildner Alexander Djurkov Hotter. Foto © Felix Grünschloß.

Nachdem du 2010 nach Deutschland gekommen bist, hast du zunächst Architektur an der TU in Berlin studiert. Wie bist du dann dazu gekommen, Kostümbildner zu werden?

Ich habe mich schon immer für Kleidung interessiert. Allerdings war es in Südamerika, wo ich geboren bin, für einen Mann nicht üblich, einen Beruf auszuüben, der feminin belegt ist, wie z.B. Modedesign oder Kostümbild.
Davon abgesehen wusste ich, bis ich vor 10 Jahren nach Europa gezogen bin, nicht, dass es den Beruf Kostümbildner/ Kostümbildnerin überhaupt gibt. Selbst Modedesign galt bei uns nicht wirklich als Beruf, sondern als Zeitvertreib bis zur Heirat für Töchter aus besseren Familien. Meine Eltern hätten eine Ausbildung in die Richtung damals wahrscheinlich auch gar nicht zugelassen. Somit blieb einem homosexuellen Jungen in Venezuela, der etwas mit Design machen möchte, nur noch ein Architekturstudium.
Obwohl ich eigentlich schon einen Studienplatz an der Zentraluniversität in Venezuela hatte, haben mir meine Eltern dann wegen der politischen Situation vorgeschlagen, in Deutschland zu studieren. Ich bin dann nach Deutschland gegangen, doch das Architekturstudium an der TU in Berlin war sehr technisch und nicht so künstlerisch ausgerichtet wie man es von Venezuela her kennt.
Nach einem Jahr wollte ich etwas anderes machen. Zuerst habe ich über Modedesign nachgedacht, deswegen kehrte ich nach Venezuela zurück, um 4 Monate lang bei einem Modedesigner ein Praktikum zu machen. Auf seine Empfehlung hin, entschied ich mich, erstmal eine Maßschneider Lehre zu absolvieren, um das Handwerk zu erlernen.
Gleich zu Beginn meiner Ausbildung im Atelier »das Gewand« in Düsseldorf erfuhr ich, vom Beruf des Kostümbildners/ der Kostümbildnerin. Dort kam ich mit dieser Welt zum ersten Mal in Berührung.
Nach meiner Ausbildung begann ich an diversen Theatern zu hospitieren und eine Bewerbung an der Universität der Künste in Berlin stand an. Aber irgendwann habe ich dann Moidele Bickel (Moidele Bickel (*1937 – † 2016) gilt als eine der wichtigsten Kostümbildnerinnen ihrer Zeit. Sie wurde besonders durch ihre Zusammenarbeit mit Peter Stein an der Berliner Schaubühne berühmt, arbeitete später aber auch international und stattete zahlreiche Filme aus.  Anm. d. Red.) getroffen, sie war der Meinung, ich würde mich an der Universität nur langweilen und versprach mir, dass ich alles, was ich dort lernen würde, von ihr lernen könnte. Währenddessen sollte ich weiterhin als Assistent arbeiten und so viel Berufserfahrung sammeln wie möglich, denn Berufserfahrung sei eine der wichtigsten Komponenten des Berufs.

Kostümentwurf von Alexander Djurkov Hotter für Catarina Cavallieri.

Gibt es denn überhaupt eine Theaterszene in Venezuela?

Vor 10-15 Jahren gab es eine relativ große Theaterszene in Venezuela, sogar ein sehr wichtiges internationales Theater Festival, die »Feria Internacional de Teatro de Caracas«. Allerdings sind heute die meisten Theater nicht mehr in Betrieb, einige wurden von der Chavez Regierung geschlossen, noch bevor ich nach Deutschland ging.
Private Theater mussten schließen, weil sie keine Möglichkeit mehr hatten, sich zu finanzieren. Die hohe Kriminalität im Lande hatte dazu geführt, dass immer weniger Leute nach Einbruch der Dunkelheit ihr Haus verlassen wollten, somit sanken die Besucherzahlen drastisch.
Kultur wird heute in Venezuela leider nur sehr wenig gefördert und wenn, dann nur Kultur, die der Propaganda der Regierung dient. Diejenigen, die inszenieren dürfen, sind Anhänger der Regierung, zum Teil auch Menschen ohne jeglicher Theatererfahrung.
Eine der letzten Produktionen, die ich vor einigen Jahren dort sah, war das romantische Ballett »Spartacus«. Das wurde mit roten Flaggen, ganz im Stil des chinesisch-kommunistischen Balletts »The Red Detachment of Women« (»The Red Detachment of Women« ist eine der 8 Modellinszenierungen, die während der chinesischen Kulturrevolution auf dem chinesischen Theater als Vorbild für alle weiteren Inszenierungen galt. Das Ballett wurde im Februar 1972, anlässlich des China Besuchs von U.S. Präsidenten Richard Nixon, gezeigt. Anm.d. Red.)  
Es war allerdings nicht so toll wie das Original, es war vollkommen lächerlich. Obwohl früher sehr viele klassische und moderne venezolanische Stücke gespielt wurden, ging man auch da schon hauptsächlich ins Theater, um die Telenovela Schauspieler auf einer Bühne live zu sehen. Man wollte sich entspannen, Abwechslung zum Alltag und der politischen Situation des Landes haben. Heute gibt es nicht mal mehr diese Art von Theater in Venezuela.  

 

Wolfgang Amadeus Mozart und …
… seine Frau Constanze Mozart.

Fühlst du dich dem Land noch verbunden?

Ja, mir ist es ganz wichtig, dass Venezuela als meine Heimat in meiner Vita vorkommt, obwohl ich schon seit zwölf Jahren hier lebe, integriert bin, muttersprachlich Deutsch spreche und einen deutschen Pass besitze. Venezuela ist durch Kolonisation entstanden, was zur Folge hatte, dass die Bevölkerung und die Kultur ein Gemisch aus unterschiedlichen Ethnien und Traditionen ist. Jeder Venezolaner hat Wurzeln in Afrika, auf dem Kontinent selbst oder in Europa.  Es gibt niemanden, der ursprünglich nur Venezolaner ist.
Ich selbst bin zwischen unterschiedlichen Traditionen und Sprachen aufgewachsen und die letzten 10 Jahre in Deutschland haben auch ihre Spuren hinterlassen aber Venezolaner zu sein, bedeutet für mich automatisch, multinational und multikulturell zu sein und darum hänge ich u.a. so stark an dieser Nationalität.  

Kaiser Josef II.

Sarastro und Königin der Nacht.

Orsini Rosenberg.

Die Kostüme von Alexander Djurkov Hotter können Sie ab dem 8. April »Im weißen Rössl« und ab dem 14. April in »Amadeus« erleben.

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Auf ein Wort

UNDERGROUND – EINE BÜHNE IM STILLSTAND

Musikdramaturgin Renate Liedtke im Gespräch mit Paul Zoller zum Bühnenbild »Macbeth Underworld«.

R. L.:»Macbeth Underworld«. Was ist da anders als bei der Shakespearschen Vorlage?

P. Z.: Das Interessante an der Konzeption der Autoren ist, dass das ganze Stück zeitlich ineinandergeschoben ist. Es gibt viele Szenen, die wie im Original bei Shakespeare in einer zeitlichen Chronologie sind, andere werden überlagert und dann werden zeitliche Abläufe ineinander geschoben und verschiedene Shakespearsche Figuren werden von einer Person dargestellt. Das ist nicht sofort transparent erkennbar. Es bleibt immer etwas diffus in den Äußerungen der Protagonisten, so dass ein Gefühl von Ungreifbarkeit entsteht, irgendwie so eine Art Vorbewusstes. Es geht um das Stück an sich. Es hat so viele Ebenen, dass die Aufführung selbst, also die Darstellung von dem Abend, genauso Thema ist, wie die Geschichte »Macbeth« von Shakespeare und ebenso das Reflektieren darüber. Und das Ganze dann als Musikwerk, so dass Zeit per se zu einem Thema wird.

R.L.: Wie hast du dich bei der Vorbereitung an das Werk herangetastet, hat dich die Musik inspiriert?

P. Z.: Ich habe zuerst den Text gelesen, und ganz ehrlich, ich habe erst einmal nicht verstanden, worum es ging. Dann habe ich die Musik gehört. Je mehr ich mich dem Werk genähert habe und je öfter ich die Musik – auch mit Lorenzo zusammen – durchgegangen und gehört habe, desto großartiger fand ich das Stück. Die Zeit als Thema wird plastisch, durch die clusterartige Musikausdehnung hört man nicht nur den Fortgang der Zeit, sondern auch den »Stillstand«. Und das ist jenseits einer Repetition, es ist, so empfinde ich das, wie das Sprechen über Tod. Nicht, was ist nach dem Tod, sondern der Gedanke, was ist das eigentlich, wenn alles stehen bleibt. Das habe ich dann erst während der Proben entdecken können, als es von den Sängern verkörpert wurde, die ja trotzdem gleichzeitig die Geschichte in »Fragmenten« oder »Andeutungen« von Anfang bis Ende erzählen und das gibt wahrscheinlich dem Komponisten die Grundlage, anhand von Musik über Musik zu sprechen, es gibt da eben noch so etwas wie eine Meta-Ebene. Man denkt bei so etwas immer nach oben, man denkt »über« etwas nach, man denkt über und dann nennen die Autoren es aber »Underworld« und dadurch entsteht schon wieder so eine Verdrehung, die in dem Stück per se als Metapher oder als Begrifflichkeit immer vorhanden ist.

R. L.: Genau, diese »Unterwelt« steht für etwas, was aus den Fugen geraten ist, es ist open-time, es gibt kein Zeitgefühlt dafür und eigentlich stecken die Protagonisten in so einer Vorhölle, der sie gern entkommen würden. Sie würden die Situation gern beenden, …

P. Z.: … und dadurch entsteht auch Humor, man sieht die Protagonisten, wie sie das Stück spielen und darüber singen, dass sie es immer wieder spielen müssen. Das sind aber nicht die Sänger, die diese Anzahl von Aufführungen machen, sondern das ist diese Komposition und auch diese Figur des Macbeth und das heißt, der nächste Sänger / Darsteller muss wieder da durch gehen, es ist diese Figur, die ewig erhalten bleibt. Das finde ich interessant als Behauptung, Underworld – das ist eine unterschwellige Bewegung, die immer da ist, so wie Kultur eben funktioniert. Der Shakespeare wird immer und immer wieder aufgeführt werden und dadurch ist er Teil unseres kulturellen Bewusstseins. Das ist so etwas wie der Grund, auf dem wir bauen. Underworld ist nicht nur das Geisterhafte, sondern es ist noch einmal eine ganz eigene Begrifflichkeit, sozusagen der Unterbau. Aber trotzdem ist die Oper atmosphärisch wie ein Geisterstück.

R. L.: Das hast Du auch in Deinem Bühnenbild aufgenommen, das Geisterhafte …

P. Z.: Ja, das ist aber auch gefährlich, weil das Bühnenbild extrem dekorativ ist. Es hat keine Klarheit, es hat keinen Raum, es hat auch keinen konkreten Anhaltspunkt, es sind nur Reste, die die Bühne ausmachen, etwas, was abgenutzt ist. Es ist eindeutig kaputt, es ist verbraucht. Wir hatten mal – in einer Art Hilflosigkeit, was dieser Underground denn als Raum sein soll – gesagt, es ist eins zu eins so wie unterm Gulli. Da ist alles, was mal weggeflossen ist. Natürlich bleibt dort immer wieder etwas hängen und das ist wie im Unterbewusstsein, es besteht aus Fetzen von Resten von Realität. Und so soll das Bühnenbild auch wirken. Man wird nie erkennen, was es genau ist. Es gibt so etwas wie ein Bett, es gibt so etwas Ähnliches wie Architekturreste, und es gibt ein Gitter, wo Reste von Müll hängen. Der Auftritt ist ein Rohr, ein schwarzes Loch, aus dem die Figuren ausgespuckt werden. Und ansonsten besteht die Bühne nur aus Resten, welche von unendlich vielen »Macbeth«-Aufführungen »im Gulli« hängen blieben.

R. L.: Auch, wenn du jetzt sagst, alles ist die Ansammlung des seelischen Mülls der beiden aus den Jahrhunderten, hat die Bühne – so sah ich es auf der Probe –trotzdem etwas sehr Sinnliches und sogar sehr Schönes.

P. Z.: Ja, das ist jetzt die Hoffnung, dass dieser Verwandlungsakt, den das Theater schaffen kann, funktioniert. Aber das ist genau wie bei diesen Figuren, die ja jedes Mal mit einer großen Unlust das Stück wieder und wieder spielen müssen, es dann aber dennoch mit einer großen Lust tun. Das ist ambivalent. Und mit dieser Umdrehung, welche die Hexen am Anfang des Stückes aussprechen, wurde in alles reingedacht. Ich glaube sogar, in die Musik.

R. L.: In den technischen Angaben von dir hatte ich gelesen, der Raum müsse atmen …

P. Z.: Ja, da ist so ein Moment, wo das Bett wirklich »atmet« und eine Sängerin der Hexen, Valda Wilson, musste, als sie dies das erste Mal sah, lachen …

R. L.: Du hast also ganz bewusst auch Komisches eingebaut. Man soll nicht nur schockiert aus der Oper herausgehen, sondern auch amüsiert …

P. Z.: Ja, das ist ganz prinzipiell von Lorenzo und auch von Katharina Gault, die die Kostüme entworfen hat, so gedacht. Die Szene mit den Hexen ist geradezu showartig …

R. L.: Die haben Tutu an und tanzen …

P. Z.: Ja, es wird immer wieder alles gebrochen und ich bin total aufgeregt, ob am Schluss alles so aufgeht. Es ist unkalkulierbar.

R. L.: Ich jedenfalls bin total beeindruckt von dem, was ich bisher gesehen habe. Wie kriegt man nur solche Ideen …

P.Z.: Ja, nun das Stück ist so. Aber da ist noch etwas, was durchaus interessant ist, zu erwähnen. Die Arbeit mit Lorenzo ist wahnsinnig spannend und aufregend, weil auch er immer ein Risiko eingeht – mit der Konzeption und mit seiner Arbeit. Man mag manchmal zwischendurch das Gefühl haben, es stürzt ab, es funktioniert gar nicht, und zwar nicht technisch oder handwerklich, sondern von dem, was an Gedanken da ist, sein Kopf ist wirklich eine große Kathedrale, und das Ganze will er ja reflektiert sehen auf der Bühne. Wenn man dann nur die einzelnen Fragmente sieht, denkt man – wirklich, was wird das? Und dann im Kontext wird es genial, große Kunst. 

Vielen Dank für das Gespräch und hoffen wir, dass »Macbeth Underworld« bald die Bühne und das Publikum erobern kann.

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Auf ein Wort Theaterblog

Eine neue Freiheit

Am vergangenen Samstag feierte in der Alten Feuerwache die sparte4-Produktion »Bouches Les Rouges – Eine große deutsche romantische Oper« Premiere. Eine Stückentwicklung, ein Gemeinschaftsprojekt aller Beteiligten, egal ob auf oder hinter der Bühne, und ein großes Abenteuer mit jeder Menge Spaß.
Dabei geht es aber nicht nur um den Spaß an der Freude, sondern um das Singen und um das Wandern, um das Schicksal einer Gruppe und um ein bisschen Romantik, um das Frei-Sein und um das Nicht-ins-Büro müssen. Theaterpädagogin Johanna Knauf sprach mit Marius Schötz (Regie und Komposition) und Marthe Meinhold (Text und Dramaturgie) ein paar Tage vor der Premiere.

Regisseur und Komponist Marius Schötz.

J.K.: Du hast ursprünglich klassische Komposition und Gesang studiert. Nach deinem Schauspielregie-Studium hast du dann aber erst einmal nur mit Schauspieler*innen zusammengearbeitet. Wie kam es dazu, dass du jetzt eine Oper inszenierst und entwickelst?

M.S.: Das war eigentlich fast ein Zufall. Unser Bühnenbildner Robin kennt Thorsten Köhler, den Leiter der Sparte4, und Robin hat Thorsten zu der letzten Produktion die wir an der Volksbühne gemacht haben, eingeladen. Thorsten hat das gut gefallen und hat uns daraufhin für die Sparte4 angefragt. Es war also nicht so, dass ich gesagt habe: »Jetzt will ich unbedingt Oper machen«, aber es ist ein schöner Zufall, weil es natürlich so eine Art Heimkommen ist nach der langen Zeit mit den Schauspieler*innen.

J.K.: Was ist anders bei der Arbeit mit Opernsänger*innen im Vergleich zu der Arbeit mit Schauspieler*innen?

M.S.: Ich glaube, dass grundsätzlich erst einmal das Format Stückentwicklung im Schauspiel total etabliert ist. Es ist also total selbstverständlich, sich am Anfang zu treffen, in der Regel nur ein Material mitzubringen – oder sogar das wegzulassen – und dann wirklich erst vor Ort das Stück zu entwickeln.
Dieses Vorgehen hat unter den Sänger*innen teilweise schon ein bisschen für Verunsicherung gesorgt. Für sie ist es ungewohnt, dass man nicht nur die Noten spät bekommt, sondern tatsächlich nicht mal weiß, um was es gehen wird. Schon in den ersten Interviews, die ich vor dem Probenstart mit den Darsteller*innen geführt habe, haben wir daher viel darüber gesprochen, wie das Stück werden könnte.
Bis auf diese Art von Verunsicherung hat sich aber das Stückentwickeln irgendwie ziemlich ähnlich angefühlt. Das heißt die Proben, wenn wir dann miteinander gesprochen haben oder sie etwas improvisiert haben, das war dann eigentlich so wie im Schauspiel auch.

Texterin und Dramaturgin Marthe Meinhold.

M.M.: Mir ist aufgefallen, dass Marius‘ Musik und unsere Texte auf der Bühne ganz anders und superschnell extrem gut funktionieren. Und weil ich bisher kaum etwas mit Oper zu tun hatte, musste mir Marius erstmal erklären, dass das auch daran liegt, dass man Musik auf eine bestimmte Weise komponiert, und dass es zu diesem professionellen Sänger*innensein dazu gehört, dass man damit dann einfach auf die Bühne gehen kann. Das finde ich schon einen wirklich erstaunlichen Unterschied zum Schauspiel. Musik macht einfach etwas anderes mit einer Szene, als wenn man sagt: »Sprich die Szene doch erst einmal«.

M.S.: Das hat auch damit zu tun, dass die Musik sehr anders ist als das, was ich in Stuttgart geschrieben habe. Das war ja ein klassisch-modernes Kompositionsstudium, d.h. ich habe mit erweiterten Spieltechniken gearbeitet, mit bestimmten Harmonien, so erweiterte Spektralklänge und so ein Zeug. Hier hab‘ ich die Musik ja geschrieben, indem ich mehr oder weniger auf meine Erfahrungen anderer Opern zurückgegriffen habe. Ich habe jetzt nicht Opern bewusste gehört und gedacht: »Oh das entspricht dieser Situation, ich nehm‘ mal das Zitat und verweise darauf«. Trotzdem sind das alles Zeichen.
Wenn Markus z.B. singt: »Lasst‘ mich nur alleine sterben jeder Mensch ist frei«, dann ist das so ein bisschen ein »straußartiger« Walzer. Oder es gibt so ein bisschen ein Mozartzitat in Judiths Arie. Oder was sehr nach Schuberts »Die Forelle« klingt ist das Vorspiel von Bettina.  Es ist aber nicht so, dass ich gedacht habe: »Ich will, dass sich alle an die Forelle erinnern«, sondern das kam von selber.
Und durch mein Kompositionsstudium weiß ich natürlich, welche Lage was für eine Körperreaktion auslöst. D.h. an Stellen, in denen man im Schauspiel daran arbeiten würde, um was für eine Körperlichkeit es da geht, ist beim Singen durch die Komposition schon viel gegeben.

M.M.: Die Musik legt einfach schon ein richtiges dramaturgisches Gerüst auf alles drauf.

Markus Jaursch (Bernard) | Foto: Astrid Karger

M.S.: Ja, auch durch die Zeichen. Zum Beispiel ist eine Stelle mit gewissem romantischem Schmelz zu singen – das macht sofort …. das legt so eine leichte Ironie darauf, und gleichzeitig kann man das viel ernster singen, als man das im Schauspiel hätte sagen können. Und so ist letztendlich die szenische Umsetzung im Schauspiel viel mehr in der Probe zu erarbeiten, während hier schon im ersten Schritt des Musikschreibens ganz viel passiert. Das ist für mich ein riesiger Unterschied. Deswegen proben wir auch so extrem kurz. Wir haben heute innerhalb von zwei Stunden wieder fünf Szenen wiederholt, eine davon ist eine Arie. Das würde im Schauspiel bei einer zweiten Wiederholung viel länger dauern, weil man viel mehr kommunizieren muss.
Ein weiterer Unterschied zum Schauspiel ist vielleicht auch noch das für die Sänger*innen neue Maß an Freiheit. Im Musiktheater gibt es normalerweise eine Partitur, dann eine Art und Weise der Interpretation und damit liegt vieles sehr fest. Und in einer Stückentwicklung könnte man halt auch sagen »kannst du diese Stelle in meiner Arie vielleicht noch umschreiben?« – das hat niemand gemacht.
Sondern die Sänger*innen bekommen die Arie und zwei Tage später läuft sie (lacht). Ich glaube, festzustellen, was das überhaupt für eine Art von Freiheit sein kann, ist eine längerfristige Arbeit. Aber ich habe das Gefühl der Geist der Sache ist übergeschwappt, weil die Proben jetzt super entspannt sind, und jetzt viele Angebote von den Sänger*innen kommen. Wo man so merkt: das haben sie verstanden. Und so kommen sie in den Zustand nach dem ich da eigentlich suche in so einer Gruppe.

Judith Braun (Gertrud); Bettina Maria Bauer (Erna); Markus Jaursch (Bernard) | Foto: Astrid Karger

J.K.: Wie kam es dazu, dass du, Marthe, als Ko-Autorin und dramaturgische Mitarbeiterin bei »Bouches les Rouges« involviert bist? Wie habt ihr euch gegenseitig unterstützt?

M.M.: Es war ein relativ pragmatischer Vorgang. Marius und ich haben schon vorher zusammen gearbeitet. Ich habe mich sehr für das Opernprojekte interessiert und so redeten wir darüber, was man da machen könnte. Ich studiere noch, habe gerade Semesterferien und da hat Marius gesagt: »Wollen wir nicht versuchen, dass du da mitkommen kannst? Das wär irgendwie gut, ich könnte das gut gebrauchen.« Man kann einfach über so etwas zu zweit besser nachdenken. Da geht es nicht nur um eine zeitgenössische Wichtigkeit oder so, sondern es gibt einfach so viele verschiedene Aspekte, die es da zu bedenken gibt. Und dann hast du glaube ich gedacht: »Lieber zu zweit als alleine«.

M.S.: Ja, das kommt auch daher, dass ich im Schauspiel einfach schon weiß was ich mache, und mich freue, wenn noch nicht genau feststeht, wohin es diesmal geht. Hier hatte ich das Gefühl, das wird mir zu viel in der Kürze der Zeit. Wenn ich in den ersten zwei Wochen, wo ich ja noch Arien geschrieben habe, auch noch z.B. Text hätte transkribieren und parallel noch überlegen müssen, was in der nächsten Probe entwickelt werden muss … – also ich arbeite und investiere gerne viel, aber das wäre einfach unmöglich gewesen. Und eine*n Gesprächspartner*in ist natürlich auch unersetzbar. Weil ich dann nicht alleine Verantwortung übernehmen muss für, nach meinem Gefühl so viel mehr als im Schauspiel, wo ich immer denke: »Wenn der Text nicht ist, dann schreiben wir den halt noch einen Tag vor der Generalprobe um« oder so. Hier musste ja drei Wochen vor der Premiere – spätestens – alles fertig sein. Obwohl meine Stücke im Schauspiel immer viel länger waren, als die Oper jetzt, kann ich sagen: So intensiv wie hier war es noch nicht. Wenn ich nochmal die Chance bekomme in der Oper zu arbeiten würde ich es trennen: Erst entwickeln, wegfahren und mit Musik wiederkommen und proben. Sonst ist es echt sehr sehr viel. Ohne Marthe wär das nicht gegangen.

Markus Jaursch (Bernard); hinten rechts: Bettina Maria Bauer (Erna) und Judith Braun (Gertrud) | Foto: Astrid Karger



J.K.: Wie ist das mit dem Rest des Regieteams, habt ihr auch mit dem Bühnenbildner und dem Kostümbildner schon vorher mal zusammengenarbeitet? Wie habt ihr zusammengefunden?

M.S.: Wir haben untereinander alle schon miteinander gearbeitet. Schon das allererste Projekt, das ich im Regiestudium gemacht habe, habe ich mit Robin und Florian gemacht. Das war gleich ein Volltreffer mit den Beiden… Wenn man sich wohl fühlt, eine Ästhetik teilt und gleichzeitig auch so unterschiedlich ist, dass es sich lohnt, gemeinsam weiter zu machen. Und seitdem habe ich kein einziges Projekt mehr ohne die beiden gemacht.
Die Oper ist jetzt das erste Projekt, bei dem wir zu Viert zusammenarbeiten, und das hat wirklich ganz toll funktioniert. Wirklich ganz ganz ganz toll, deswegen glaube ich auch, dass die Konstellation durchaus auch… das wir das gerne weitermachen wollen, weil das eine schöne und – trotz allem Stress – super harmonische Zeit war.

M.M.: Total. Es würde einen im Team einfach nie jemand böse angucken, oder einen Vorwurf machen. Es verlassen sich einfach alle darauf, dass alle so viel arbeiten wie sie eben können – und nicht im Sinne von Komplettausbeutung, sondern halt wirklich: wie sie können. Und deswegen ist es auch so super produktiv. Man muss sich nicht beweisen, vertraut sich, es gibt einfach keinen Hintergedanken oder so etwas.

Bettina Maria Bauer (Erna); Stefan Röttig (Hektor); Judith Braun (Gertrud); Markus Jaursch (Bernard) | Foto: Astrid Karger

J.K.: Geht ihr selbst gerne in die Oper? Was wünscht ihr euch für die Zukunft der Sparte Oper / Musiktheater?

M.S.: Während des Kompositionsstudiums war ich bestimmt vier Mal in der Woche in der Oper. Alles was lief, habe ich mir bestimmt fünf bis sechs Mal angeschaut, weil ich einfach so besessen davon war. Aber irgendwann war ich so unglücklich mit dem was auf der Bühne passiert, bei diesen Wiederaufnahmen wo irgendwie die vierzigste Besetzung durchläuft…  Dann bin ich das erste Mal ins Schauspiel gegangen, so mit 25 Jahren, das heißt, das war für mich dann das Neue. Aber ich liebe die Oper auch heute noch – und gerne richtig klassisch inszeniert. (lacht)
Wenn es nur noch das geben würde, was wir jetzt machen, dann gäbe es ja die traditionelle Oper nicht mehr – und das will ich auf keinen Fall. Gleichzeitig habe ich jetzt so viel Spaß mit unserem Projekt, dass ich so etwas gerne weiter verfolgen würde. Dass sich entspannter alte und neue Formen begegnen können, das wär vielleicht ein Wunsch. Ich fänd es toll, wenn sich die traditionelle Oper mehr neuen Strukturen öffnen würde.

M.M.: In allem ja auch, oder? Sowohl was man musikalisch darf, aber auch bezüglich hierarchischer Strukturen im Theater, dem Umgang mit Frauenfiguren, Machozeug, … Also wir haben hier jetzt so etwas nicht erlebt, aber das sind schon Themen, mit denen sich Oper, glaube ich, noch mehr auseinandersetzen muss.
Anders als Marius bin ich aber eigentlich noch nicht sehr opernerfahren. Wenn ich bisher in der Oper war, bin ich danach aber immer – im positiven Sinne – total überwältigt davon.

Markus Jaursch (Bernard); Stefan Röttig (Hektor); Bettina Maria Bauer (Erna); Judith Braun (Gertrud) | Foto: Astrid Karger


J.K.: Wo ihr beide so begeistert von der Oper berichtet: Woran liegt es eurer Vermutung nach, dass durchschnittlich eher ältere als jüngere Menschen in die Oper gehen?

M.S.: Ich muss sagen, wenn ich damals nicht in unseren Schulchor gekommen wäre und dort nicht so intensive Erfahrungen hätte sammeln können, dann würde ich heute wirklich auf keinen Fall hier sitzen. Dann hätte ich nicht einfach eines Tages gedacht: »Oh, Oper ist ja toll«.
Viele sammeln ja ihr Leben lang keine aktive Erfahrung im Bereich Oper, und dann ist es für mich nicht verwunderlich, dass sie damit erst einmal nichts anfangen können. Ich glaube es braucht irgendwelche Anknüpfungs- oder Identifikationsmöglichkeiten.

M.M.: Ja, ich denke auch bei mir war das ein bisschen anders als bei den meisten, da ich in der sehr privilegierten Situation aufgewachsen bin, Zugang zu unterschiedlichster Kultur zu haben, und durch meine Erfahrung mit anderen Künsten auch eher Anknüpfungspunkte hatte.





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Auf ein Wort

…mit unserer scheidenden FSJ-Kollegin aus der Dramaturgie Lena Feid

Ein Jahr dramaturgische Theaterarbeit geht gerade zu Ende. Was nimmst du aus deiner Zeit hinter der Bühne mit?

Im letzten Jahr habe ich festgestellt, wie viele Menschen miteinander kooperieren müssen, um ein Stück zu produzieren. Mich hat beeindruckt, wie viele verschiedene Berufe am Theater gebraucht werden und wie viele Details bedacht werden. Als ich selbst Teil der Arbeit hinter der Bühne werden durfte, sind mir alle mit einer sehr großen Offenheit begegnet, weshalb ich mich gleich wohl gefühlt habe. Ich denke, dass ich etwas von dieser Einstellung mitgenommen habe und hoffentlich auch anderen mit einer so offenen Haltung begegnen kann.

An welche Momente erinnerst du dich am liebsten?

Ich erinnere mich sehr gerne an die alle zwei Wochen stattfindende Dramaturgie-Sitzung, bei der ich Protokoll geführt habe. Dabei hat man erfahren, was gerade bei anderen Produktionen, auch in den anderen Sparten, los ist. Danach war ich immer auf dem aktuellen Stand. Eines meiner Highlights war aber auch, eine eigene Einführung zu „Frühlings Erwachen zu schreiben. Der Moment, in dem ich sie selbst vortragen durfte, wird mir sicher noch lange in Erinnerung bleiben.

Was waren denn deine extremsten Aufgaben?

Beim Festival Primeurs war ich als Assistentin in die Organisation involviert. Schon in der Vorbereitung habe ich an vieles denken müssen. Am letzten Abend habe ich z.B. auch beim Auszählen der Publikumsstimmen geholfen. Das war ziemlich stressig, weil wir natürlich pünktlich zur Preisverleihung fertig sein mussten. In den letzten Wochen meines FSJs war ich Regieassistentin bei der Produktion „Glück“. Auch da habe ich bemerkt, wie viele Details zu bedenken sind. Da einen Überblick zu behalten und nichts zu vergessen, ist gar nicht so einfach.

Letztendlich habe ich aus den extremsten Aufgaben aber am meisten gelernt. Ich bin dadurch viel selbstständiger geworden.

Wofür steht Theater heute für dich?

Theater gibt Denkanstöße. Nicht nur den Zuschauern, sondern allen Produktionsbeteiligten. Schon im Probenprozess setzt sich jeder mit dem Stoff auseinander. Es wird viel diskutiert. Mich hat das Theater daran erinnert, wie wichtig es ist, Dinge zu hinterfragen.

Das Interview führte Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb.