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Auf ein Wort Theaterblog

ÜBERSETZUNG BEDEUTET BEWUSSTSEIN

Georges Sands Theaterstück GABRIEL ist am Saarländischen Staatstheater zum ersten Mal in deutscher Übersetzung zu erleben – ein wirkliches Jahrhunderterlebnis, wie es mit einem historischen Schauspiel das 180 Jahre alt ist selten erlebt. Noch dazu von einer Autorin. Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb sprach mit dem Übersetzer und Regisseur Sébastien Jacobi über seine Arbeit an Sprache und Handlung, die nicht wenig mit seiner Erfahrung als Ensemble-Schauspieler zu tun hat.

Über eine grundsätzliche Infragestellung binärer Welten im Stück GABRIEL von George Sand

Schauspieler, Regisseur, Übersetzer: Sébastien Jacobi.

B.S.-G.: Sébastien Jacobi, was ist das Besondere an George Sand, an ihrem Universum?

S.J.: George Sand deckt mit ihrem biographischen Hintergrund und erzählerischen Ausrichtung ein ganzes Jahrhundert ab. Im Stile des 19. Jahrhunderts ist sie philosophische Autorin und mit ihren Erzählungen zugleich eine Sozial-Reformistin. Das ergibt ein ganz eigenes Universum.

B.S.-G.: Was ist das für eine Zeit?

S.J.: Das ist eine Zeit, in der das Individuum, der individuelle Blick populär wird. Dennoch ist er angebunden an ein gesellschaftliches Gesamtgefüge. Ich persönlich habe ein ausgesprochenes Faible für diese Literatur. Bei den großen Autor*innen wie Sand, Proust, Balzac, Dostojewski, Hugo wird das Leben als Roman betrachtet und ist gesellschaftlich relevant auch im Profanen. Auch George Sand spült gewisse Perspektiven einmal durch das Individuum hindurch und erhält sehr subjektive Betrachtungen von Welt, die wiederum auf das Große-Ganze zurückwirken. Ihr geht es nicht um Bebilderung von Zuständen, sondern um den Menschen in seiner sozialen Dimension und seinen sozialen Forderungen.

B.S.-G.:Wenn du von der menschlichen Autorin sprichst, meinst du damit, dass sie individualistisch strebende Menschen beschreibt oder eher einer Art soziale Ausrichtung ihrer Stoffe?

S.J.: Letzteres, genau. Sie beobachtet hart, beschreibend, arbeitet autobiographisch, aber bleibt fiktiv, und fordert reelle gesellschaftliche Veränderungen ein. In GABRIEL ist es ein veränderter Status der Frau. Oder fast noch mehr die gänzliche Abschaffung der geschlechtlichen Kategorie, mit der sie sehr viel Ungleichheit verband. Nie sind ihre Geschichten privat, immer von gesamtgesellschaftlichem Belang.

B.S.-G.: Wie tut sie das?

S.J.: Über eine Art Ideendrama mit philosophischer Argumentation, die man sich als Publikum aber ganz psychologisch und emotional vorstellen muss. Und das ist sehr modern! Es gibt Ähnlichkeiten zu zeitgenössischen Textflächendramen, aber wiederum auch zu shakespearesker Komik oder auch Blutrünstigkeit. Auch eine Tarantino-Note sehe ich in ihr – sie liebt das absurd Dramatische, Mantel-Degen-Geschichten, das Aufs-Ganze-Gehen. Darin ist sie höchst realistisch und filmisch.

B.S.-G.: Du hast nun nicht das gesamte 200-seitige Drama auf die Bühne gebracht, sondern hast dich als Regisseur fokussiert: auf das Dramatische, das Vorantreibende, auf die Grundideen. Welches sind das?

S.J.: Was ich verschlankt habe, um stärker vom Heute zu erzählen, ist ein gewisses gesellschaftliches Machtgefüge, ein religiöses Machttableau. Das Herrschaftsgefüge, benannt mit dem alten Prinzen Jules, fand ich hingegen als Grundaufstellung sehr hilfreich, um den Sprung in die Gegenwart zu schaffen: die Distanz zu einer märchenhaften Handlung mit Schloss und Adel lässt sich ohne Weiteres auch auf den Abgesang des weißen alten Mannes lesen. Ich habe mich in meiner Fassung auf die Entwicklung von Gabriel konzentriert; auf seinen/ihren Bewusstseinsprozess und Anspruch auf Selbst- statt Fremdbestimmung. Sand nannte das »Freiheit«.

Dramaturgin Bettina Schuster-Gäb im Gespräch mit Sébastien Jacobi. Foto © Paul Gäb.

B.S.-G.: Macht es einen Unterschied im Übersetzen, wenn du weißt, was du auf der Bühne erzählen willst?

S.J.: Ich mache Regie aus dem Gefühl oder den Erfahrungen eines Schauspielers heraus, gehe sehr von der Logik des Spielers aus – wie ich zu einer Form, zu einer Aussage komme. Ähnlich gehe ich auch die Übersetzung an: Ich habe versucht die Sprache zu erhalten, mich bewusst gegen eine Modernisierung der Sprache entschieden, die Höflichkeitsform »Ihr/Euch« ist zudem genderneutral. Mein Anspruch war stets eine Gesamtübersetzung zu denken – genutzt habe ich die Übersetzungsarbeit am gesamten Stück letztlich, um zu einer Fassung zu gelangen, einen Ausschnitt zu wählen. Was interessiert mich konkret für ein szenisches Erzählen? Welche Situationen, Dialoge und Konflikte sehe ich mit welcher Personnage erzählt? Welche Figuren brauche ich? Wie rhythmisiere ich den Text für ein szenisches Geschehen?

B.S.-G.: Dient die Inszenierung der Sprache oder die Sprache der Inszenierung?

S.J.: Beides. Die »alte«, vielleicht fremdartig formulierende Sprache ist mir ein wichtiges inszenatorisches Mittel: Über Sprache eine gewisse Distanzhaltung beim Publikum zu erzeugen, erleichtert die Draufsicht und schafft Bereitschaft sich der Aktualität auszusetzen. Einen vermeintlichen Schritt weiter weg zu stehen, tut der Kunst also gut. Im Falle von GABRIEL können Genderfragen weitaus allgemeingültiger betrachtet werden. Sand war in der sozialen Debatte sehr weit – so wie ihre Zeit, wodurch sie auch so zeitgemäß wirkt, aber eben mit einer Begrifflichkeit von 1837. Das Aushandeln und Sich-Ausprobieren in diversen Rollen ist Gegenstand von GABRIEL, so auch von Theater an sich – Geschichte wie Form sprechen sich gegen starre Identitäten aus.

B.S.-G.: Die Figur Gabriel, die wir am Ende sehen, fordert ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Veränderbarkeit von Identitätsvorstellungen ein, und zwar unabhängig vom biologischen Geschlecht.

S.J.: Deshalb gehe ich in der Inszenierung auch sehr stark über das Bild der Kunst – Gabriel ist ein/e Künstler/in, die eben diese andere Logik, diese performative Sicht verfolgt. Gesellschaftliche Normen aus einer anderen Position heraus in Frage zu stellen ist ihr Bestreben. Das Stück geht nicht von befreiten Individuen aus, es geht nicht um diese permanente individualistische Selbstbestimmung, sondern um die grundsätzlichere Infragestellung binärer Welten.

Foto © Honkphoto

Sébastien Jacobi erhielt seine Ausbildung als Schauspieler an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt/Main. Festengagements führten ihn an das Theater Basel, Theater Dortmund, Schauspiel Köln und an das Schauspiel Frankfurt. Darüber hinaus gastierte er u.a in Mainz, Darmstadt oder Berlin und arbeitete immer wieder auch als Regisseur . So inszenierte er in Den Haag und Stockholm im Auftrag des Schauspiel Frankfurts für das Dramaten sowie am Schauspiel Frankfurt, dem Theater Bielefeld und dem Staatstheater Stuttgart. In Saarbrücken waren bisher seine Bio-Pics »Reise Reiser« über den Sänger Rio Reiser und »Mélodie! Maladie! Mélodrame!« über die Schauspielerin Ingrid Caven zu sehen.

Im Rahmen des Symposiums zu Theaterübersetzung »Primeurs Plus« wird Sébastien Jacobi Impulsgast sein und über sein Verhältnis zu Übersetzung, Sprache und Inszenierungsarbeit sprechen: www.festivalprimeurs.eu/primeurs-plus.

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin und Leitung Festival Primeurs