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Kaufmännischer Direktor Matthias Almstedt als Bühnenheld 2020 ausgezeichnet!

Im November 2020 erreichte die Dramaturgie eine Ausschreibung des Aktionsbündnis Darstellende Künste*. Darin wurde dazu aufgerufen, Personen zu nominieren, die sich innerhalb der Theaterlandschaft durch besonders umsichtiges Handeln in Pandemie-Zeiten hervorgetan hatten:

»Das Jahr 2020 hat die Welt der darstellenden Künste auf den Kopf gestellt und wenn sowieso schon alles andersherum ist, warum nicht gleich weiter machen? Das Aktionsbündnis Darstellende Künste verleiht zum ersten Mal den Bühnenheld*innen-Preis an Nicht-Künstler*innen. Unsere Held*innen stehen nicht im Scheinwerferlicht, sie performen nicht über die Rampe hinweg und die vierte Wand gehört in der Regel zur Büroausstattung. Unsere Held*innen arbeiten in Kulturämtern, Verwaltungen oder engagieren sich ehrenamtlich für die darstellenden Künste. Sie bleiben im »Wild Wild West« der Tanz- und Theaterlandschaft sichtbar und gehen nicht in Deckung. Und genau deshalb sind sie für uns die wahren Helden.«

Für die Dramaturgie war klar, dass Prof. Dr. Matthias Almstedt diese Auszeichnung verdient hatte. Im März 2020 hatte er ein finanzielles Ausgleichsmodell für pandemiebedingte Gagenausfälle von Gast-Darsteller*innen aller Sparten entwickelte. Diese auch als »Saarbrücker Modell« bezeichnete Regelung war und ist in besonderer Weise sozial, indem sie nicht alle Vorstellungsgagen gleichbehandelt, sondern niedrige Gagen zu einem höheren Anteil ersetzt. Diese differenzierte Behandlung schafft in besonderer Weise einen Interessensausgleich zwischen dem Theater und dem Gast – und das in individualisierter Form.

Die Preisjury sah das genauso. In einer Online Preisverleihung am 6.12. 2020 zeichnete das Aktionsbündnis Darstellende Künste Preisträger in sechs Kategorien aus.

»1. Denn sie wissen, was sie tun: Kulturpolitiker*innen

2. Spiel mir nicht das Lied vom Theatertod: Die Leitung eines Stadttheaters/einer Produktionsstätte

3. 4 Stempel für ein Halleluja: Verwaltungen/Verwaltungsmitarbeiter*innen/Sachbearbeiter*innen

4. Für keine Handvoll Dollar: Einzelpersonen, Freundeskreise, Kulturinitiativen/Vereine

5. Jenseits von Reden: Sonderauszeichnung für strukturelle Verbesserungen, Innovationen in den letzten Jahren, Impulsgeber*innen, Alternativen

6. Wanted: geliebt und lebendig: Der Publikumspreis«

Matthias Almstedt bekam seinen Bühnenhelden Preis in der Kategorie »4 Stempel für ein Halleluja«. Insgesamt wurden 39 Preisträger*innen aus 161 Nominierungen durch eine Fach Jury ausgewählt. Diese Beteiligung zeigt auch, wie wichtig das Sichtbarmachen des aktiven Engagements gerade auch in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft ist.

Mehr Informationen zu den Preisträgern und der Preisverleihung unter https://buehnenheldinnen.de/. Wer mehr über die Situation die Lage der Solo Selbständigen Künstler im Saarland und das »Saarbrücker Modell« erfahren möchte, dem sei auch der Beitrag im Aktuellen Bericht des SR empfohlen: https://www.sr-mediathek.de/index.php?seite=7&id=96003.

Herzlichen Glückwunsch an alle Preisträger, und besonders natürlich an Matthias Almstedt!

Simone Kranz,
Schauspieldramaturgin

* Das Aktionsbündnis Darstellende Künste wurde 2018 im Rahmen der 3. bundesweiten Ensemble-Versammlung am Schauspielhaus Bochum gegründet. Es ist ein Zusammenschluss verschiedener Dachverbände (art but fair, Bund der Szenografen, Bundesverband Freie Darstellende Künste, Dachverband Tanz Deutschland, Dramaturgische Gesellschaft, dramaturgie-netzwerk, ensemblenetzwerk, GDBA, Netzwerk flausen+, Pro Quote Bühne, regie-netzwerk, Ständige Konferenz Schauspielausbildung, sowie Verband der Theaterautor*innen. Das Aktionsbündnis versteht sich als offene Diskussions- und Kommunikationsplattform. An den regelmäßigen Arbeitstreffen nehmen gelegentlich auch der Deutsche Bühnenverein, die Allianz der Freien Künste und der Fonds Darstellende Künste teil.

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DIE KRAFT DER PRÄSENZ

Vom digitalen Stattfinden der 14. Ausgabe des »Festival Primeurs« und Körper-Wünschen.

Was Theater ja ausmacht, ist die Bühne. Corona nimmt sie den Machern von Theaterkunst nicht gänzlich, aber doch die Möglichkeit, Theaterarbeit mit den bühneneigenen Mitteln zu erfahren. Die Pandemie nimmt der Theaterarbeit den Raum geteilter Erfahrung. Für das aktuell stattfindende – ja: stattfindende! – Autorentheaterfestival »Primeurs« ist die Bühne glücklicherweise nur die zweitwichtigste Etappe.

Denn hier geht es um den Text, genauer, um 6 Texte frankophoner Autoren, die von einer Fachjury in Form eines Autor*innen- & eines Übersetzer*innen-Preises, textbasiert, prämiert und in Werkstattarbeiten vorgestellt werden. In diesem Jahr findet die 14. Ausgabe des Festivals nicht öffentlich, sondern im Digitalen statt – zwei Monate lang, ab dem 19.11. wird wöchentlich frankophone, ins Deutsche übertragene Dramatik in Videoarbeiten gezeigt, begleitet von Autor*innenbotschaften.

Zu den beiden Erzählkünsten der Literatur und des Theaters gesellt sich nun also erstmalig auch der Film. Von Science Fiction über die zarte Liebesgeschichte, ein Jugendamtsdrama, eine Familienfarce bis hin zur Wut-Ode und zum antikapitalistischen Manifest in Dialogform ist alles vertreten, steht das politisierte Ich und die Gesellschaft als Gestaltungsprojekt im Zentrum des Schreibens (Näheres unter www.festivalprimeurs.eu).

Intern beschäftigt uns die Ästhetik der diesjährigen digitalen Formate aus diesem Grund noch stärker als sonst – auch im Hinblick auf die uns, unter Berücksichtigung des »digitale «, bestmögliche Präsentation der einzelnen Dramentexte. In den kommenden Wochen stellen wir Erfahrungen mit dieser ästhetischen Herausforderung sowie festivalbegleitend einige Perspektiven auf Text & Umsetzung, auf Übersetzung & Autorenschaft auf unserem Blog vor.

Raum mit (zuschauenden) Körpern teilen, Raum nicht mit (zuschauenden) Körpern teilen. Der Unterschied ist frappierend. Er ist groß und klein zugleich. Er wird von einem Kribbeln begleitet, das bedeutet »spannend, diese Distanz, dieses Filmische« und hinterlässt doch einen schlechten Bühnenkunst-Fußabdruck, ein Schuldgefühl unabgesprochen »fremd zu gehen« überkommt mich.

Es ist Tag 3 der Proben, der Tisch, die Probebühnen sind schon verlassen, das Dunkel der Alten Feuerwache umgibt mich, konzentrierter Aufbau des Bühnen-Filmsets vor mir: Stühle, Raummikros, Sprechmikros, Mikroports nummeriert von 1 – 4, dezente Beleuchtungseinrichtung, geschäftiges Wispern der technischen Mannschaften und bevor ich gedanklich endgültig in der Aufbauinstallation verschwinde, retten mich schon die hineinschneienden Ensemblekollegen mit ihrem figürlichen Entdeckungsdrang, ihrer Spielfreude, mit ihrer Vitalität, ihrer Präsenz. Da ist Wärme, Humor, Traurigkeit, Aggression, all das zwischen uns und nicht nur in mir als Zuschauer einer abgefilmten Szenerie, alleine in einem anderen Raum.

Angesichts möglicher kulturpolitischer Argumentationen einer nahen post-pandemischen Zukunft wünsche ich mir plötzlich, dass die Qualität des anwesenden Körpers, der affektiven Ergriffenheit, die durch anwesende Körper aufkommt und geteilt werden kann, dass das eben doch als etwas Anderes wahrgenommen wird. Dass Theater und abgefilmte Theaterarbeit, vermischt mit filmischen Techniken, als zwei verschiedene Paar Schuhe gehandhabt werden. Dass der Zuschauer sich an die Theater-Wirkung erinnert und weiß, dass Theatermittel in echt anders funktionieren.

Dennoch: die Freude mittels abgefilmter Bühnenarbeit – für das Netz gedachte Bühnen-Film-Arbeit – als Festival herauskommen zu können, ist groß. Mit dem spontan vollzogenen Schritt die aktuelle Festivalausgabe ins Digitale zu verlagern, wagen wir etwas Neues, wagen wir eine rettende Ausweichbewegung, angepasst an die derzeitige pandemische Situation. Es entsteht eine Chimäre aus Präsenzkunst und Videoregie. Es zeichnen sich bei den unterschiedlich aufgebauten Stücktexten schon jetzt sehr diverse Umsetzungsweisen an. Die verführen, zu Entdeckungen neuer Stimmen, neuer Erzähl- und Sichtweisen. Das genießen, wissend, dass es nicht an die Kraft geteilter Präsenz heranreicht, nicht im Theatersinne, ist die Aufgabe – intern wie auch fürs Publikum.

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin

Bisher dazu erschienen:
Besser als absagen! Blogbeitrag von Chefdramaturg Horst Busch

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Besser als absagen!

Das 14. Festival Primeurs flüchtet in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie in den digitalen Raum und sucht andere Wege der Präsentation frankophoner Gegenwartsdramatik.

Das 14. Festival Primeurs – in diesem Jahr digital aus der Alten Feuerwache.

Nach vielen Gesprächen mit den Kooperationspartnern »Le Carreau«, SR2 Kultur und dem Institut Français, aber auch intern zwischen der Festivalbeauftragten Bettina Schuster-Gäb, der Schauspielleitung und der Generalintendanz haben wir uns dazu entschlossen, das 14. Festival Primeurs nicht abzusagen, sondern im digitalen Raum stattfinden zu lassen.

Kultur »On Air«.

In diesem Jahr also keine Festival-Atmosphäre, keine persönlichen Begegnungen mit den Autorinnen und Autoren aus Frankreich, Kanada oder der französischsprechenden Schweiz.

Keine Zuschauer in der Alten Feuerwache, keine Nachgespräche, kein Austausch nach den Vorstellungen über das gerade Gesehene, Gehörte und Erlebte. Keine Diskussionen über die Inhalte, die Formen der neusten Stücke aus dem frankophonen Sprachraum. Kein Grenzverkehr, kein direkter Austausch mit den Nachbarn und Kollegen*innen aus Frankreich. Keine Möglichkeit für unser Publikum oder für die Studierenden der Universität und Hochschulen Theater zu erleben.

Doch wenn zurzeit Theater nicht möglich ist, so wollten wir doch die Auseinandersetzung mit den Texten nicht aufgeben. Also, wie die ausgesuchten Stücke präsentieren? Wie mit der Tradition der szenischen Lesungen umgehen? Schnell war klar, dass das Live-Hörspiel von SR2 Kultur auch in diesem Jahr aus der Alten Feuerwache gesendet werden kann.

Die Präsentation des Textes »Feuersturm« von David Paquet war gerettet und konnte am Freitag, den 27. November 2020, übertragen und in die Mediathek eingestellt werden.

Aber wie mit den weiteren Texten umgehen? Wissend, dass eine Aufzeichnung einer szenischen Lesung etwas ganz anderes ist als eine Live-Präsentation vor einem gespannten Theaterpublikum, traten wir die Flucht nach vorne an und planten Videoaufzeichnungen der Lesungen. Alles schien uns besser als absagen!

Der Text »Versagen« von Blandine Bonelli in einer Übersetzung von Corinna Popp sollte als erstes von vier Stücken, für die das Staatstheater Verantwortung übernommen hatte, vorgestellt werden.

Dabei hatten unsere Schauspieldirektorin Bettina Bruinier und der Videokünstler Grigory Shklyar die Idee, für die vielen Spielorte des Stückes „Versagen“ nicht nur den vorgesehenen Drehort Alte Feuerwache, sondern auch die Büros und Gänge des Saarländischen Staatstheaters zu nutzen. Das Experiment begann.

Eva Kammigan im Sucher des Camcorders.

Nach den ersten Leseproben am Tisch, um den Text zu analysieren und auf erste Sprechhaltungen zu überprüfen, begannen am Freitag, den 20. November, die »Dreharbeiten«. Zwischen Studentenproduktion, denn ich fühle mich an die Anfänge meines Studiums der Theater-, Film und Fernsehwissenschaften erinnert, und Experimentalfilm, schmissen sich Bettina Bruinier als Regisseurin und Grigory Shklyar als Video-Regisseur und Kameramann in das Abenteuer einer kurzfristigen und improvisierten Video-Aufzeichnung in den Büros oder auf den Gängen des Saarländischen Staatstheaters.

Nathalie Klimpel als Kamera-Assistentin mit Filmklappe.

Dabei machten alle fast alles: Aus der Regieassistentin Nathalie Klimpel wurde mal flugs die Kameraassistentin, aus der Ausstattungsassistentin die »Production Designerin« und aus mir, dem Dramaturgen, der »Casting-Direktor« oder einfach nur ein Statist auf dem Set.

Silvio Kretschmer als Damien im Sucher des Camcorders.

Was für mich ein Experiment oder ein Abenteuer war, war für unsere Schauspielerinnen und Schauspielern nur eine andere Profession. Denn sie alle haben schon Filmerfahrungen gemacht haben. Sei es nun Silvio Kretschmer, den man beispielsweise am Samstag, den 21. November auf 3sat in der Filmkomödie »Amen Saleikum – Fröhliche Weihnachten« in der Regie von Katalin Gödrös erleben konnte, oder Jan Hutter, der vor seinem Engagement am Saarländischen Staatstheater in diversen Film- und Fernsehproduktionen wie »Soko Kitzbühel« (ORF / ZDF), in der Fernsehserie »Braut wider Willen« (ARD) oder in dem Fernsehfilm »Die Toten Von Salzburg« (ORF/ZDF) zu sehen war. Aber auch Anne Rieckhof, die seit 2017/18 zum Schauspiel-Ensemble gehört, spielte schon in unterschiedlichen Filmproduktionen und auch die neu-engagierte Eva Kammigan konnte man schon in Film- und TV-Produktionen wie zuletzt im »Tatort Saarbrücken« erleben.

Jan Hutter als David in einer Nahaufnahme.

Jetzt galt es, in wenigen Probentagen eine szenische Lesung zu erarbeiten und vor zwei Video-Kameras zu agieren. Denn auch in diesem Jahr sollte das Improvisatorische der Textpräsentation den Reiz ausmachen. Schließlich geht es beim »Festival Primeurs« nicht um mustergültige Inszenierungen, sondern um einen ersten Versuch der Theatralisierung der Texte und ihre Bekanntmachung in der deutschen Theaterlandschaft.

Anne Rieckhof als Farida.

Doch die Arbeit an einem Text für einen Theaterabend ist grundverschieden von der Erarbeitung einer Videofilm-Realisation. Statt vor einem Live-Publikum mussten nun die Schauspieler*innen entweder in den leeren Saal der Alten Feuerwache oder in die »toten Augen« der Kameras ihre kleinen Film-Takes spielen. Kamera-Acting statt Theaterproben.

Das Büro der Schauspieldirektion wird zur Filmkulisse mit Silvio Kretschmer als Damien und Eva Kammigan als Jugendamtsleiterin.

Umso mehr kann man gespannt sein auf die Umsetzung und die Schnittkünste des Videokünstlers Grigory Shyklar. Übrigens auch er ist kein Unbekannter in Saarbrücken, denn schließlich war er nicht nur Regieassistent und Regisseur am Saarländischen Staatstheater, sondern unterrichtete auch an der Kunsthochschule Saarbrücken.

Gregory Shklyar an der Kamera.

Zum Glück sind die Wege im Saarland kurz und so gilt mein Dank nicht nur allen Beteiligten der Produktion, wie der Technik AFW, der Requisite, der Kostüm-, Ton- und Beleuchtungsabteilung sowie allen vor und hinter der Kamera, sondern auch der HBK für die freundliche Nachbarschaftshilfe.

Horst Busch,
Chefdramaturg

Fotos: Horst Busch.

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Computerspiel zum Staatstheater bewirbt sich für den Game Award Saar

Bei der Verleihung des Coding da Vinci Hackathons bekamen sie die Ehrung in der Kategorie »Best design«. Nun hat sich Laura Lücke und ihr Team für den Game Award Saar beworben. Wenn es klappt, kann aus dem Testspiel bald eine Vollversion werden. Im Folgenden beschreibt Designerin Laura Lücke das Spiel:

Das Entwicklerteam Laura Lücke und Waqas Ahmad mit Dramaturgin Simone Kranz.

Dein erster Tag als Praktikant am Saarländischen Staatstheater hat noch nicht einmal begonnen, und schon begehst du einen dramatischen Fehler: Du bedankst dich auf ein »Toi, Toi, Toi!«. Der fürchterliche Fluch des toten Macbeth legt sich über das ganze Haus und die alten Theatergeister werden beschworen. Nun liegt es an dir, den armen Seelen dabei zu helfen, ihre letzte Ruhe zu finden, und den Groll des schottischen Königs zu vertreiben.

Im Stil eines Point & Click Adventures bewegst du dich durch verschiedene Räume, sammelst Gegenstände, löst Rätsel und lernst dabei bekannte Figuren und Motive aus diversen Theaterstücken und Opern kennen. Fange zum Beispiel mit Papagenos Vogelkäfig einen Papagei, oder bringe Mephisto drei Tropfen Blut, um einen Teufelspakt zu schließen.

Programmiert wird das Spiel in der Unity Engine. Und um keine Theatermitarbeiter*innen mit Corona anzustecken, schneiden wir uns unsere Schauspieler*innen, Kostüme und Requisiten mit der virtuellen Bastelschere selbst aus, und kleben sie zusammen.

Als ein kleines Team aus theaterbegeisterten Hobbyschauspielern und Point & Click-Spielkindern hoffen wir, das Projekt bietet eine Möglichkeit, Hemmschwellen zu überwinden, die mit der Institution Staatstheater verbunden sind. Besonders jüngere Zuschauer*innen können sich dem Haus spielerisch nähern. Sie überwinden die Barriere, das Theater zu betreten, und befinden sich »durch Zauberhand« plötzlich im Inneren des Hauses. Dadurch ist ein erster Schritt getan, das Theater auch real zu besuchen, und sich vielleicht auch eine Vorstellung anzusehen, bei der Schauspieler*innen mitspielen, die man aus dem Spiel schon kennt.

Darüber hinaus ist dem Staatstheater der Kontakt zu jungen Digital-Künstler*innen und Entwickler*innen wichtig. Mit ihnen gemeinsam möchte es neue künstlerische Formate auf und um die Bühne entwickeln. Das Online-Spiel »Comedy of HTTP 404« ist ein erster Schritt in diese Richtung.

Wer die Testversion spielen möchte, kann das unter folgendem Link tun: https://comedyof404.wordpress.com/

Laura Lücke,
Designerin

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#alarmstuferot #ohnekUNStwirdsstill

Am 1. November – Allerheiligen – fiel (erneut) der vorerst letzte Vorhang. Verdis »Il Trovatore« erklang im Großes Haus, ehe sich wieder eine zunehmend bedrückende Stille breitmachte. In ganz Deutschland.

#SangundKlanglos, #ohnekUNStwirdsstill und #AlarmstufeRot kursieren seitdem durch das Internet und die sozialen Medien und sind Zeichen einer Solidaritätsbewegung von Kunst- und Kulturschaffenden, die deutlich machen wollen, wie prekär die Lage ist. Wie fühlt es sich, seinem Beruf, um nicht gar zu sagen, seiner Berufung, nicht mehr nachgehen zu können, nachgehen zu dürfen? Der innere Kampf zwischen Vernunft und Verzweiflung, die Pandemie einzudämmen, aber sichtbar, hörbar und wirksam zu bleiben? Die Debatte um die Kunst ist längst entbrannt.

Mitglieder unseres Hauses wollen tätig werden, laut sein in der Stille. Ihre Gedanken halten sie fest in Form von kurzen Texten, Fotos oder Videos… Einen Teil davon können Sie hier nun sehen.

Sopranistin Valda Wilson.

»Hältst du es aus, mich nicht mehr zu hören?« Klara, cabaret artist, Koeln.

The question is intended rhetorically… but for me it hits a very sensitive nerve.  I doubt that I am alone in this…  It is a nerve we performers are happy to ignore as far as possible.

Aber ich glaube die Angst, gerade von vielen Kollegen, inklusive von mir selbst, ist, dass die Antwort vielleicht »Ja, ich halte es aus« sein könnte.

Sind wir bereit diese Frage zu stellen?  Aber WIRKLICH zu stellen?

Ich komme aus einem Land wo für die meisten Menschen, der Antwort wär »Ja.  Das halte ich seit schon laenger aus.  Wer seid ihr ueberhaupt?« Valda Wilson, Australierin, Opernsängerin, Mensch.

Regieassistent Gaetano Franzese.

So schwer es für den Einzelnen zu ertragen sein mag, die Schließung der Theater in diesem Land als Beschränkung und Beschädigung der eigenen Person als Künstler zu empfinden , umso schwerer wiegt die Tatsache, dass nicht nur das Individuum, sondern eine ganze Gesellschaft in ihrem Kern dadurch schwer beschädigt wird. Bernd Geiling, Schauspieler

Violonist Danny Gu.

GEWALT DER STILLE von Werner Bergengrün
Wir sind so sehr verraten,
von jedem Trost entblößt,
in all den wirren Taten
ist nichts, das uns erlöst.
Wir sind des Fingerzeigens,
der plumpen Worte satt,
wir woll’n den Klang des Schweigens,
das uns erschaffen hat.
Gewalt und Gier und Wille
der Lärmenden zerschellt.
O komm, Gewalt der Stille,
und wandle du die Welt.
Juliane Lang, Schauspielerin

Souffleuse Jutta Staiger.

Bei allem Verständnis für die Entscheidung, das Bewegungsmuster jedes Bürgers zwecks Gesunderhaltung des Einzelnen einschränken zu müssen, sollte neben der Religions- und Versammlungsfreiheit (s. dazu die geplante Querdenkerdemo in Leipzig mit zu erwartenden 20.000 Teilnehmern!) ebenso der Kunstfreiheit genüge getan und jedem die Wahl gelassen werden, lieber das Theater als Ort der kultivierten politischen sowie gesellschaftlichen Auseinandersetzung aufzusuchen, als zum selben Zweck mit dem Bummelzug nach Leipzig zu fahren, um dort an einer potentiell hochinfektiösen und vermutlich unkultivierteren (wir warten auf die Fernsehbilder) Massenveranstaltung teilzunehmen. Fabian Gröver, Schauspieler

Künstlerischer Leiter der Beleuchtungsabteilung Karl Wiedemann.

Eine kleine (wahre) Geschichte: Der letzte Abend vor dem Lockdown. Ein letzter Besuch mit natürlich(!) Maske und Sicherheitsabstand in der Stammkneipe. Dort eine Begegnung mit einer französischen Schauspielerin und ihrer Truppe. Sie hätte Mitte Dezember Premiere mit einem freien Projekt. Sie dürfen weiter proben, aber was, wenn sie auch im Dezember nicht spielen dürfen? Dann droht Verschuldung und die Kollegin wird nicht wissen, wie sie ihre Miete bezahlen soll. Ich erzähle von unserer Aktion, zeige Bilder. Bei dem Bild der Puppe ein kleiner Aufschrei: »Diese Puppe habe ich gebaut! Vor Jahren…« Ich sage begeistert: »Wie schön! Deine Puppe spielt aktuell in unserem Stück >Eine kurze Chronik des künftigen Chinas< mit! Wir haben sie in den Untiefen des Theaterfundus gefunden.« Ich würde ihr so gerne eine Karte für die Premiere schenken, damit sie ihre Puppe und unseren sehr aktuelle, dystopischen Theaterabend sehen kann. Die Premiere wäre heute. Sie wird (erstmal) nicht stattfinden. Verena Bukal, Schauspielerin

Barbara Brückner (Opernchor) und Marco Seydel (Bühnentechnik).

Unsere Kunst ist für viele Menschen gerade jetzt, Medizin für die Seele.
Der Mensch ist mehr als sein Körper und gerade die Musik kann Trost in dieser Zeit geben.
Das zu verbieten, Aufnahmen sind mit einem life gespielten Konzert leider nicht zu vergleichen, ist ein Angriff auf die Gesundheit.
Die Depressionen nehmen zu dieser Jahreszeit wieder enorm zu und für viele Menschen, die darunter leiden, ist gerade der Besuch von Konzerten und auch von Museen ein Lichtblick.
Kunst ist nicht verzichtbares Beiwerk, sondern macht den Menschen aus.

Es existiert seit Anbeginn keine menschliche Gemeinschaft ohne Kunst. Günter Schraml, Solo-Klarinettist des Saarländischen Staatsorchesters

Generalintendant Bodo Busse.

© Fotos: Benjamin Jupé.

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Geisterspiel am Saarländischen Staatstheater

Wir sind keine Roboter, wir brauchen Publikum!

Freitag, 6. November 2020. Für heute haben wir die Europäische Erstaufführung des Stückes »Eine kurze Chronik des künftigen Chinas« von Pat To Yan in der Regie von Moritz Schönecker angekündigt. Pünktlich um 19.30 Uhr findet die Vorstellung in der Alten Feuerwache auch statt, aber bis auf Mitarbeiter des Staatstheaters und ein Kamera-Team des SR gibt es keine Zuschauer, obwohl die Premiere seit Wochen ausverkauft war.

Wegen des neuen Lockdowns musste das Kassenpersonal alle Zuschauer wieder ausladen und auf einen späteren noch völlig ungewissen Premierentermin vertrösten. So fand an diesem Freitagabend ein Geisterspiel im doppelten Sinne statt, denn in dem Spiel um Vergangenheit und Zukunft, dem Kampf um Demokratie und künstlicher Intelligenz, melden sich auch Geister zu Wort, nicht wirklich zu Wort, aber sie lassen die Wände wackeln und klagen so ihr Daseins-Recht ein. Es sind die Ahnen, die die Lebenden an ihre Verantwortung für ihr Handeln und somit auch an ihre Schuld an Krieg und Zerstörung, an Flucht und Vertreibung erinnern. Was für ein Sinnbild!

Ensemble im Bühnenraum von Benjamin Schönecker.

Aber »Eine kurze Chronik des künftigen Chinas« ist auch die Geschichte einer Liebe zwischen einem Mann und einer Tänzerin. Doch mit dem gemeinsamen Kind kommen die Fragen an die Zukunft. In welcher Welt wird ihr Sohn leben oder einst gelebt haben? Denn die Zeit ist (in diesem Stück) flüchtig. Dahinter steht die buddhistische Vorstellung vom ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen: Samsara, das »beständige Wandern«.

Auf der Flucht in den Süden (Hongkong) kommt es zu einem Zwischenfall.

So wird in diesem traumhaften Stück die Reise eines jungen Mannes, um den letzten Wunsch seines verstorbenen Vaters zu erfüllen, zur Erkenntnisreise seiner eigenen Geschichte und seines Daseins. Es ist die poetische Zeugenschaft dieses so genannten »Außenstehenden«, der sowohl von dem Kampf um Freiheit und Demokratie gegen die kommunistische Zentralregierung in China erzählt, als auch von den Machenschaften einer Vernetzungsmacht, die sich »Zugang durch biophysische Systeme und Nanotechnologien auch in das Innerste des Menschen« verschafft, wie es die Autoren Paul Nemitz und Matthias Pfeffer in ihrem Buch »Prinzip Mensch« beschreiben.

Das Ensemble als »Roboter« in Kostümen aus Reissäcken entworfen von Veronika Bleffert.

Doch Pat To Yan, dessen Fantasie an der bitteren Wirklichkeit der Regenschirmbewegung in Hongkong geschult ist, hat kein Dokumentarstück geschrieben, sondern vielmehr ein hochpoetisches Traumstück in dem neben Geister auch Roboter und zu Leben erweckte Puppen eine Rolle spielen. Dahinter immer die Fragen nach Anpassung und Widerstand, bzw. wer nutzt welche Möglichkeiten für welche Interessen und wie zynisch und verlogen verhalten sich dabei so manche Heilsversprecher?

So singt ausgerechnet »Das Mitglied der politischen Partei«, denn auch solche Figuren finden sich in dem Stück von Pat To Yan:

»Just look to me, I could save your soul

 …

You wanna feel happy, I’ll make you feel happy

every day after day after day!«

Jan Hutter als »Das Mitglied der politischen Partei« und Gaby Pochert als »Antigone«.

Am Ziel der fantastischen Reise in die eigene Vergangenheit trifft der Sohn scheinbar auf seine Eltern, doch es sind nur Erscheinungen, Schatten eines Theaters, Roboter und Puppen, die sich selbst genug sind und kein Publikum brauchen.

Doch wahre Kunst braucht die Auseinandersetzung und das Theater seit jeher ein Gegenüber, eine demokratische Öffentlichkeit, das Publikum!

Denn Theater ist mehr als eine Freizeitaktivität! Theater ist die spielerische Reflexion von Gesellschaft mit all ihren Problemen! Theater hat einen Bildungsauftrag, reflektiert unsere Geschichte und spielt mit Zukunftsvisionen. Theater kann Mut machen, Dinge zu verändern.

Theater lädt ein, Bezüge zum eigenen Leben herzustellen. Es kann hinter einer scheinbaren Wirklichkeit führen und dem Geheimnisvollen, dem Surrealen sein Recht geben.

Verena Bukal als »Die Katze mit dem Loch« und Silvio Kretschmer als »Der Außenstehende«.

Wie der »Außenstehende« im Stück kann Theater poetische Zeugenschaft ablegen und mit einer Fantasie, die an der Wirklichkeit geschult ist, spielen.

Auch wenn wir versuchen auf digitalem Wege – wie u.a. in diesem BLOG – mit unserem Publikum in Kontakt zu bleiben, kann wahres Theater immer nur live stattfinden!

Horst Busch,
Chefdramaturg

Martin Struppek als »Kakerlake« allein mit ihren Robotern (Ensemble).

LESETIPPS:

Paul Nemitz und Matthias Pfeffer: »Prinzip Mensch. Macht, Freiheit und Demokratie im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz«. Berlin, 2020.

Kai Strittmatter: »Die Neuerfindung der Diktatur. Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert«. München, 2018.

Carolin Emcke: »Weil es sagbar ist. Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit«. Frankfurt am Main, 2013.

© Fotos: Martin Kaufhold.