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MIT ABSTANDS-, ABER OHNE GLÜCKSDIKTAT

»Glück« & Theatermachen zu Spielzeitbeginn

Das Theater ist wieder belebt. Auf meinem Weg zum ruhiger gelegenen Dramaturgieseitenarmflur passiere ich die Maske, eine Kollegin mit Pferdekopf kommt mir entgegen, ich werfe einen neugierigen Blick auf die Große Bühne, auf der gerade das Bühnenbild des Troubadour emsig eingerichtet wird, kurzes »Morje!«, konzentrierte Direktionsetage – Stille, Ballettsaal – Klavierklänge, Kostümabteilung – dort werden wieder Kleiderständer bestückt!, ich verlangsame am Orchesterprobensaal, aus dem dramatische Läufe erklingen, wenn auch nicht so voll im Klang, wie wenn ein gesamtes Staatsorchester spielte, und ab an den Computer, um eine Szene der GLÜCK-Stückentwicklung inhaltlich zu schärfen.

Das ist nach all den Sicherheitsmaßnahmen diesen Jahres schon ganz schön viel Normalität. (Dass ich vergesse, dass Maske, Registrierung, Desinfektionsmittel etc. Eingang in den Arbeitsalltag gefunden haben, ist eher ein Zeichen dafür, wie sich der Begriff des Normalen beliebig weitet.)

Auf den Proben ist Abstand ein allpräsentes Thema, das Ensemble der Schauspielproduktion »Glück« ist diszipliniert, aber reagiert aufgebracht über ständig zurückgehaltene Impulse beim Spielen – die Vielfalt an theatralen Mitteln wird ihn, diesen 1,5-bis-3 Meter-Koloss, inhaltlich problemlos überwinden, aber die Sehnsucht nach Nähe, auch nach gezeigter körperlicher Nähe, wächst mit dem Ausbleibenmüssen im öffentlichen Leben. Sehnsucht nach Nähe bei gleichzeitiger körperlicher Distanz birgt aber auch ein politisches Potenzial. Und da freue ich mich ganz besonders auf eine Szene in GLÜCK, die diesen neuentstandenen Abstandsraum zwischen uns Menschen durchaus utopisch (ja, utopisch! freudig! als Chance!) zu begreifen wagt.

Welche politische Utopie in Abstand stecken kann, wie Fortuna ihr Füllhorn für uns nutzt und ob Besserland im Stück tatsächlich besser ist, verrät Ihnen GLÜCK – ein Abend mit Abstands-, aber ohne Glücksdiktat – ab dem 12. September.

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin

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Eine spannende Erzählkette

Abstands-Kollektiv – Gemeinsam ein Stück schreiben

Eine Schreibwerkstatt am Saarländischen Staatstheater

45 Abstandsautor*innen (von 6 bis 70 Jahre alt) haben im Homeoffice mehr als sieben Wochen lang Texte geschrieben mit dem Ziel gemeinsam ein Theaterstück zu schreiben.

Jeden Donnerstag bekamen sie von mir eine Schreibanweisung per E-mail und haben jeden Mittwoch ihre Texte zurückgeschickt.

Durch die wöchentliche Mischung der Texte wurden Figuren, Orte und Situationen zwischen den Teilnehmenden ausgetauscht und schließlich entstand so eine Kette verschiedener Texte.

Lena stellt sich zum Beispiel die Figur von Edgar Stock vor: 13 Jahre alt, grüne Augen, orange als Lieblingsfarbe. Edgar mag die Blues Brothers und das Buch »Die drei ??? und der Super-Papagei«, aber hasst Rosenkohl. Zeitgleich aber an einem komplett anderen Ort im Saarland ruft Frank von zu Hause eine andere Figur ins Leben: Marc Muller, 35 Jahre alt, blaue Augen. Marc hat als Lieblingsfarbe schwarz und arbeitet als DJ. Wahrscheinlich gibt es einen Zusammenhang mit der Tatsache, dass Marc kein Frühaufsteher ist.

Mit solchen Figuren als Inspiration schreibt nun Rebecca, eine andere Teilnehmerin des Abstands-Kollektivs ihren idealen Quarantäne-Ort, wo man dem Rauschen des Meeres lauschen kann. Dabei leitete sie ihren aktuellen Lieblingssong »Our Last Summer- Mamma Mia« weiter, der später Lena helfen soll in die Stimmung des Ortes hineinzukommen und weiter zu schreiben…

Als Vorgeschmack auf das fertige Stück lesen Sie hier Rebeccas Fantasie:

Wenn ich die Augen öffnen würde, sähe ich als erstes das tiefblaue Schimmern der Kristalllampe über mir hängen. Die einzelnen Kristalle klirren sanft aneinander und breiten ein Gefühl der Ruhe in mir aus. Das vor mir weit geöffnete Fenster lässt eine sanfte Meeresbriese hineinwehen. Dieser salzige Meeresgeruch ist alles was ich brauche, um mich wohl zu fühlen. Die weißen fast transparenten Vorhänge öffnen sich mit dem warmen Windstoß leicht und machen Platz für eine atemberaubende Aussicht. Meer, so weit das Auge reicht. Wer hätte gedacht, dass ich tatsächlich mal in Sardinien enden würde? Das sanfte Rauschen der Wellen wird durch das Klirren des von der Decke hängenden Windspiels neben mir unterbrochen. Ich drehe mich zur Seite und sehe, dass sich hinter meiner geöffneten Zimmertür meine Rutsche verbirgt. Entspannt gehe ich auf die Tür zu und an meinem Aquarium vorbei, an dem meine beiden Fische Winfried & Diane ungestört umherschwimmen. Dank meiner gestrigen Putzarbeit wirkt das tiefblaue Wasser heute klarer denn je. Im Wohnzimmer angekommen steht auch schon meine Rutsche. Viele, die mich bisher besuchten haben, sind vor dieser massiven und, zugegebenen, etwas absurd wirkenden Rutsche bei erstem Hereintreten oft zurückgeschreckt, aber was kann ich sagen? Niemand darf das Kind in sich vergessen.(Rebbeca)

Anna Arnould-Chilloux,
Theaterpädagogin

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Hinter dem Vorhang Theaterblog

EIN ANFANG IST GEMACHT, ABER THEATER WURDE NOCH NICHT GESPIELT!

Endlich wieder auf der Bühne stehen, spielen, singen und das live vor einem Publikum.

Ein Schritt zurück zu dem, was Theater ausmacht: Sich als Mensch vor Menschen zeigen und die Vielfalt des Menschseins spielen! Nicht digital, nicht zweidimensional, sondern live, gemeinsam mit dem Publikum in einem Raum und dreidimensional. Mit allen Sinnen kommunizieren! Von der Bühne über die Rampe in den Zuschauerraum und umgekehrt.

Erst in Anwesenheit des Publikums entsteht Theater! An diesem Sonntag treffen sich im Großen Haus des Saarländischen Staatstheater eine Sopranistin, zwei Schauspielerinnen, ein Schauspieler und zu Gast ein Pianist aus der freien Szene – Valda, Verena, Laura, Raimund, Rick-Henry – und 50 Zuschauer im Parkett verteilt mit großem Abstand. Mehr dürfen den großen Saal des Staatstheaters nicht betreten. So verlangen es die aktuellen Schutzmaßnahmen.

Plakataufsteller vor dem Eingang

Das Schild »Die heutige Vorstellung ist ausverkauft« mahnt, keine weiteren Gäste ins Haus zu lassen. Das Einlasspersonal mit Mund- und Nasenschutz, den man im Rheinland humorvoll »Schnüssläppchen« nennt, empfängt jeden einzelnen Zuschauer und weist ihm seinen Sitzplatz zu. Service pur. Große Freude aber auch leichtes Befremden über die surreale Situation.

Neben der Bühne sitzt der Inspizient hinter Sicherheitsfolien an seinem Pult, dahinter der Bühnenmeister, die Bühnentechniker und die Feuerwehrfrau immer mit Sicherheitsabstand und auch hier selbstverständlich alle mit Mund- und Nasenschutz. Die Ton- und Beleuchtungstechniker sind einsatzbereit, genauso wie die Künstler*innen, die sich unter Anleitung der Maskenbildnerinnen aus Sicherheitsgründen selbst schminken mussten.

Es ist 20 Uhr. Der Inspizient Andreas Tangermann gibt die Vorbühne frei und die Vorstellung beginnt. Rick-Henry Ginkel setzt sich an den großen schwarzen Flügel und spielt mit leichten Händen eine Romanze von Jean Sibelius. Erster Applaus. Verena Bukal, die wie alle Künstlerinnen engagiert in ihrer Freizeit an der Zusammenstellung des Abends beteiligt war, tritt auf, begrüßt das Publikum und spricht von der riesigen Freude, wieder auf der Bühne stehen zu dürfen. Doch bei allen Künstlerinnen und Künstlern ist es mehr als nur große Freude. Es ist die Möglichkeit, wieder ihren Beruf, ihrer Berufung nachgehen zu können. Verena beginnt mit ihrem ersten Lied: »Guten Abend, gut‘ Nacht« danach rezitiert Raimund Widra einen ersten Brecht-Text. Es folgt Laura Trapp mit einem weiteren Song. Darin die Zeilen: »…wenn du lachst ist der Krieg vorbei / in der schwärzesten Nacht / kommt ein Licht…«

Schattenriss auf der Seitenbühne

Alle sind sehr nervös und so ziehe ich als Dramaturg des Abends dem Geschehen lauschend wie ein Tier im Käfig meine Kreise durch noch nicht abgebaute Kulissen hinter dem Eisernen Vorhang. Das jähe Ende der Spielzeit hat sie erst einmal funktionslos gemacht. Nach wie vor keine Oper, kein Schauspiel und kein Ballett. Wir spielen auf der Vor-Bühne über dem Orchestergraben. Ein richtiger Bühnenbetrieb bedeutete bei einer solchen Zuschauerbelegung einen enormen finanziellen Verlust. So sind viele Kollegen weiterhin in Kurzarbeit und warten auf ihren Einsatz.

Auto aus der Produktion »Don Carlos«

Doch Valda Wilson ist wie wir alle anderen überglücklich wieder vor Publikum spielen zu können und überrascht mit einem ungewohnten Song für eine Opernsängerin: »Coin Operated Boy«, den sie mit Ukulele selbst begleitet. Raimund Widra zeigt dazu eine Pantomime. Das zweifelhafte Glück zwischen »münzbetriebenen Mann« und begehrende Sängerin ist komisch und traurig zugleich. Menschen sollten niemals bei Maschinen Trost suchen müssen.

Wie unbezahlbar und kostbar daneben ein Leben in Gesellschaft, in gelebter menschlicher Gemeinschaft. Was ist es für ein Glück, im Theater davon wieder erzählen zu können. Für diesen Augenblick scheinen die Ängste und Entbehrungen der letzten Monate überwunden.

Und so endet nach vielen weiteren Liedern und poetischen Texten von Liebe und Tod, um den kalten, scheinbar so sachlichen Corona-Zahlen etwas entgegen zu setzen, dieser sehr persönliche, anrührende, gleichermaßen melancholische wie fröhliche Abend mit roten Rosen für Künstler und Publikum. Ein Anfang ist gemacht, wenn auch noch nicht Theater gespielt wurde.

Zugabe: Verena Bukal, Laura Trapp, Valda Wilson, Raimund Widra, Rick-Henry Ginkel

Glücklich über das Wiedersehen trifft man sich am Bühneneingang, verabredet sich auf ein Getränk in einer nahen Kneipe und redet über die Zeit und den gemeinsamen erlebten Abend.

Horst Busch,
Chefdramaturg

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DEM RUDOLF SEINE FORTUNA

Zur Produktion: GLÜCK. EIN ABEND MIT 7 GEWINNERN UND DEN BESTEN MOMENTEN IN ZEITLUPE

Kennen Sie dieses Gemälde? Ein Pferd, kraftvoll im Sprung – hat es den Boden jemals berührt? Wird es ihn jemals wieder berühren? – das seinen Weg willensstark durchsetzt und auf eine Brücke aufspringt, hölzern, auf der bereits die Schicksalskugel einer mystischen Figur rollt. Nackt und üppig tanzt eine Frau auf ihr, auf diesem fragilen transparenten Ball. Nicht nur ihre Füße berühren den Sehnsuchtsball, auch die Hufen des Tieres werden ihn bald erreicht haben. Analog dazu streckt sich der Arm des Reiters züngelnd, sehnsüchtelnd nach der Frau. Ihr Haar und abgestreiftes Gewand wallt ihm verheißungsvoll entgegen, sein Schal und der Schweif des Pferdes wallen nicht minder (nur in die andere Richtung). Und da wallt noch etwas Anderes im Rücken des Reiters: es ist der rote Umhang eines gemeinhin als düster geltenden, aber hier lächelnden Gesellen. Ein Gerippe ist zu sehen. Gevatter Tod hetzt gewaltig mit auf dieser Jagd nach Fortuna. Eine lustige Partie!

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin

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WIR GLÜCKSRITTER. EINS

Zur Produktion: GLÜCK. EIN ABEND MIT 7 GEWINNERN UND DEN BESTEN MOMENTEN IN ZEITLUPE

Ein Eröffnungsprojekt für das große Haus. Wir basteln am Glück. Bauen. Es wird monumental und dann wiederum auch intim. Und: oh, Humor. Voll davon! Und manchmal leer und still und gesanglich. Fortuna tritt auf und macht vielleicht auch beim Flaschendrehen mit. Wenn die anderen sie lassen.

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgine

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MIT MITEINANDER IST SCHÖNER

Probenstarts

Vor zwei Monaten hielt die Kunstproduktion an.

Die Köpfe machten weiter.

Heute beginnen die Proben wieder. Das szenische Tun des Denkens und Fühlens. Sinnlichkeit zieht wieder ein. Freudemoment.

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin