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Auf ein Wort Theaterblog

Onomatopoesie – Die Proben haben angefangen!

Mittwoch, 7. Dezember 2022

8:30 – *Luca (Theaterpädagogin) , Anna (Theaterpädagogin) und Sonja (Dolmetscherin und Sprachanimationsleiterin) erwarten die 42 Jugendlichen an der Jugendherberge, um sie Willkommen zu heißen!

9 Uhr – *Ankommen an der Jugendherberge: Der Bus aus Freyming-Merlebach kommt an, die Jugendlichen aus Saarbrücken tröpfeln langsam ein

10 Uhr – *Erster Workshop und Kennenlernen:

Die französische Gruppe lernt Anna kennen. Sie spielen mit Stimme, Wörtern, veranstalten Slowmotion-Wettbewerbe und bilden einen Chor aus Fantasiesprache…

Die deutsche Gruppe arbeitet mit Luca und stellt einen Weltrekord im Klatschkreis-Klatschen auf. Sie unterhalten sich über ihre Stärken, erfinden Silbenwörter und bekommen Einblicke in den Verlauf des Projekts.

12 Uhr – *Erstes Essen zusammen in der Jugendherberge

13 Uhr – Mit Musikbox in der Hand und Lieblingsliedern der Jugendlichen spazieren wir Richtung Theater und zeigen dabei den französischen Jugendlichen Saarbrücken. Jeder Platz und jeder Park diente auf dem Weg für Übungen und Theaterspiele.

*Ankommen am Theater und kurz Zeit für ein Foto.

14 Uhr  – *Workshop auf der Probebühne mit Luca und Übersetzung und Sprachanimation mit Sonja.

*Wir experimentieren mit Bildern aus Romeo und Julia.

17 Uhr – *Müde laufen wir zurück in die Jugendherberge

*Nun ist Zeit für ein gemeinsames Abendbrot

20 Uhr – *abends frei Workshoparbeit: Die Teilnehmer*innen wählen einen Workshop, der sie interessiert: Schreibworkshop, Sprachanimation und Inspirationsbilder

22 Uhr – Ab ins Bett, gute Nacht! Allez vous coucher! Bonne nuit!

Donnerstag, 8. Dezember 2022

8:30 – *Frühstück/Petit déjeuner in der Jugendherberge

9 Uhr – *kurzes Warm Up draußen in der Dezember Kälte

9:30 – *frei Workshoparbeit: Schreibworkshop, Sprachanimation und Inspirationsbilder

12 Uhr – *Nochmal ein gemeinsames Essen

13 Uhr – *Tanzworkshop im großen Ballettsaal des Theaters mit Luca und Anna

14 Uhr – * Anna erarbeitet Heldenbilder mit den Teilnehmer*innen: Heldentanz  im Ballettsaal

 *Führung durch das Theater mit Luca, Sonja und Marc

*Hier die Gruppe auf der Bühne im Bühnenbild von Fledermaus:

19:30 Uhr – * kurze Pause auf dem Weihnachtsmarkt

*Alle laufen Richtung Alte Feuerwache. Dort besuchen sie die Tanzvorstellung AUFBRÜCHE/DEPART: Choreographien von Moritz Ostruschnjak und Marioenrico D’Angelo

22:00 Uhr – Im Anschluss an die Vorstellung  lernen die Jugendlichen die Tänzer*innen des Saarländischen Staatsballetts kennen. Sechs Tänzer*innen sind sogar für einen Nachgespräch da und beantworten die Fragen der Jugendlichen.

*Und wir machen natürlich noch Fotos mit den Tänzern.

Freitag, 9. Dezember 2022

8:30 Uhr – *ein letztes gemeinsames Frühstück in der Jugendherberge und Koffer packen

9:00 Uhr – *wir gehen wieder los Richtung Staatstheater

In einem Workshop werden alle Ergebnisse der letzten beiden Tage gesammelt und in Standbildern kreativ in Szene gesetzt.

12:00 Uhr – Picknick im Theater

12:30 Uhr – Austausch zwischen den Sprachen in der Gruppe

13 Uhr – Verbeugung und Applaus mit und für jeden

14 Uhr –  Abschluss und kollektive Umarmung – Calin collectif auf der Probebühne, Tschüss, Salut!

Bis Bald! On se revoit bientot !

Dieses Projekt wird gefördert vom Deutsch-Französischen Jugendwerk

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Der Dramaturgieschreibtisch Theaterblog

DER GROSSKOMPLEX MUTTERSCHAFT UND FRAUSEIN

Von nicht auslebbaren Zuschreibungen und echten Wünschen

Zumindest die Beschäftigung mit Mutterschaft sollte eine respektvolle öffentliche sein, die ein kollektives Bewusstsein über den sensiblen Umgang mit dem Großkomplex „Frau und Reproduktion“ schafft. Dass dies nicht der Fall ist, weiß jede Frau. Reproduktion, weibliche Lust, Rollenerwartungen, ökonomische Realität, Biologie – erschlagend dröhnen die Diskurse, folgen Zuschreibungen, nicht selten einhergehend mit Ausgrenzungen und resultierender Überforderung diesen Anforderungen „Frau sein zu müssen“. Hier durchzublicken, zu schauen, was den Komplex Frausein & Mutterschaft ausmacht und welche neuen Betrachtungen möglich sind, das wär’s. Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb spricht mit der Leiterin des Jungen Staatstheaters Luca Pauer, die dazu – innerhalb des Inszenierungsprojekts OH, MAMA! von Regisseurin Rebekka David – mit dem Bürger*innenensemble, dem Ensemble4, arbeitet.

Ein Kind reift in einer einzelnen Gebärmutter heran, aber in der gesellschaftlichen Realität gibt es seit jeher eine Übereinkunft, dass dieser individuelle Fakt eigentlich kollektiv behandelt wird und damit rechtmäßiger Gegenstand politischer Verhandlungen ist. Die äußeren Erwartungen einer Gesellschaft von den inneren, persönlichen Einstellungen der Mutter oder Eltern getrennt zu betrachten, ist in dieser wechselseitigen, sich bedingenden Dynamik unmöglich.

So oder so ähnlich sagt es Gaia in Rebekka Davids Rechercheprojekt und die Figur Aphrodite folgt mit folgender Aussage: „ich wollte, wollte wirklich, aber hätte nicht mit Klarheit sagen können, wie freiwillig ich wollte.“ Um dieses Ausloten der verschiedenen Positionen „der“ Frau in Bezug auf Mutterschaft (auch Nicht-Mutterschaft, auch Weder-Noch-Kategorisierung) geht es in der Arbeit OH, MAMA!.

Die Arbeitsweise von David ist eine unterhaltsame Mischung aus dokumentarischer Recherche im Öffentlichen wie Privaten, gepaart mit einer fiktionalen Ebene ihrer Figuren – in diesem Fall mit diversen Göttinnen der Antike. Mit dabei nebst dem Schauspielensemble aus Verena Bukal, Silvio Kretschmer, Johanna Lemke und Hannah Schutsch ist das Bürger*innenensemble Ensemble4 um Leiterin Luca Pauer. Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb befragt sie zu ihrer Motivation und ihrem Angang und wie die vertretenen Saarländerinnen über das Thema reden.

Du bist quasi die Initiatorin der Projektidee: was hat dich wann schon dazu bewegt dieses Thema theatral bearbeiten zu wollen?

Diese Frage bringt mich jetzt in einen Zwiespalt. Natürlich war es wahrscheinlich meine eigene Mutterschaft, die mir das Thema der Vereinbarkeit mit Kunst förmlich auf die Nase gebunden hat. Daneben gibt es aber auch ganz viele Bewegungen in der „Szene“, die spannend für mich waren in Bezug auf meine berufliche Aufgabe, Themen aus der Gesellschaft auf die Bühne zu bringen. Die Initiative „Mehr Mütter für die Kunst“ wurde 2018 ins Leben gerufen, es folgte die Gründung der „Bühnenmütter“. Es wurden Fragen gestellt: Fragen, die auch Kunstinstitutionen in die Pflicht nehmen Menschen mit Kindern zu fördern.

Sind die Forderungen auch über die Kunstinstitutionen hinaus auf andere Bereiche der Gesellschaft übertragbar?

Absolut. Nehmen wir nur als Beispiel dieses Zitat aus dem Manifest „Mehr Mütter für die Kunst“, das mich auch heute noch beschäftigt – „Kunst-“ ließen sich hier auch durchaus ersetzen:

„WOLLEN WIR IN EINER GESELLSCHAFT LEBEN, DIE FRAUEN IN DER KUNSTPRODUKTION IHRER MUTTERSCHAFT WEGEN DISQUALIFIZIERT?

WOLLEN WIR AUF DIE KÜNSTLERISCHEN ERZEUGNISSE JENER FRAUEN, DIE SICH DURCH IHRE MUTTERSCHAFT EIN WEITERES ERFAHRUNGSFELD ZUGÄNGLICH GEMACHT HABEN, VERZICHTEN?

IST DIE KUNSTWELT HEUTE NACH WIE VOR DERART MÄNNLICH DOMINERT? AKZEPTIEREN WIR DAS?

UND: WIE KÖNNTEN DIE FORDERUNGEN DER BETRACHTER*INNEN AN DIE SELEKTIONSMECHANISMEN INNERHALB DES KUNSTBETRIEBS LAUTEN?“

(www.mehrmütterfürdiekunst.net)

                                                                                                                

Wo stehen wir deiner Meinung nach heute?

Ich habe keine Ahnung… Es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun und der Redebedarf innerhalb der Produktion ist immens. Vielleicht machen wir mit unserer Arbeit zumindest einen Schritt in Richtung einer größeren Sichtbarkeit des Themas.

Wie wird das Ensemble4 diese Arbeit begleiten?

Normalerweise arbeitet das Ensemble4 mit mir auf der Bühne. Wenn sie nicht gerade als Bürger*innenchor im Schauspiel eingesetzt werden, erarbeiten wir eigene Stücke in der sparte4 oder Alten Feuerwache. Diesmal ist es etwas anders. Auf der Bühne stehen professionelle Spieler*innen, die mit Rebekka David zusammen ein Stück erarbeiten. Die Texte schreibt Rebekka David und extrahiert dafür feministische Literatur und Interviews mit Müttern, Nicht-Mütter und jenen, die Weder-noch sein wollen. Und hier komme ich ins Spiel. Die Perspektive auf dieses Thema in der Saarbrücker Stadtgesellschaft zu suchen und aufzuzeichnen ist meine Aufgabe. Ich suche Initiativen, die bereits engagiert sind auf diesem Gebiet. Ich suche Menschen, die möglichst unterschiedliche Standpunkte aufweisen: Mütter, die zuhause bleiben, die voll arbeiten; Eltern, die ein Kind adoptiert haben; queere Frauen, die ihre Familie gezielt planen müssen; Familien in gewollter und nicht-gewollter Kinderlosigkeit, usw.

Ich zeichne Videos mit ihnen auf und versuche während des Probenprozesses immer wieder mit ihnen ins Gespräch zu kommen über den aktuellen Stand. Das Produkt des Ensemble4 wäre auch eine Aufzeichnung aller Forderungen der Beteiligten, aller Perspektiven auf das Thema. So könnte es einen Ausblick geben auf das, was werden könnte. Hier, vor Ort. Und auch in Deutschland.

Gibt es schon eine bestimmte Richtung, eine Tendenz in den Aussagen, eine Beobachtung aus dem Ensemble4 heraus, die du teilen magst?

Dieses Thema interessiert alle auf eine sehr emotionale Art. Wenn man nicht über die eigene Mutterschaft spricht, dann kommt man ganz schnell ins Reflektieren über „die gute Mutter“ und wie die Beziehung zur eigenen Mutter war. Es geht jeden an und früher oder später hat man damit sehr persönlich zu tun. Vor allem als Frau sieht man sich mit dieser Entscheidung konfrontiert, da die Möglichkeit Kinder zu bekommen zeitlich begrenzt ist. Ich habe selten so viele wirklich intime Gespräche mit Unbekannten geführt. Man ist sofort in Verbindung und manchmal habe ich auch das Gefühl, dass endlich die Dämme brechen, dass die meisten darauf gewartet haben, endlich mal reden zu dürfen, endlich tiefe Zusammenhänge herzustellen. Das ist wunderbar. Ich bin sehr dankbar, dass ich in diesem Moment die Zuhörerin sein darf. Das ist auch etwas, das ich an Rebekka David so wahnsinnig beeindruckend finde: Sie lässt im Prozess diesen Raum der persönlichen Befindlichkeit und setzt es genial in einen theatralen Kontext um. Dass Rebekka David auch das Thema Mutterschaft in der Schublade hatte, war ein riesen Glück für mich. Jetzt gilt es, sich Forderungen zu erspielen, mit theatralen Mitteln, durch das Ensemble4; Forderungen, die Frauen in der Gesellschaft ein erweiteres Weiblichkeits-Spektrum und weniger Zuschreibung ermöglichen.

Wer sich aus dem Saarland angesprochen fühlt, sich dem Projekt anzuschließen, sei herzlich eingeladen sich zu melden – Luca Pauer, l.pauer@staatstheater.saarland.

OH, MAMA!

Manchmal sitze ich zuhause und google meine Kinder

Schauspiel von Rebekka David und Ensemble / In Zusammenarbeit mit dem Ensemble4Ab dem 21. Januar 2023 in der sparte4, www.sparte4.de

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Im Gespräch mit … Theaterblog

Schonungslose und entlarvende Musik

Vor der Premiere von Johann Strauss’ »Die Fledermaus« sprach Benjamin Wäntig mit Regisseur Aron Stiehl.

Aron Stiehl, Intendant des Stadttheaters Klagenfurt, ist für das Saarbrücker Publikum kein Unbekannter, er setzte bereits Erich Wolfgang Korngolds »Die tote Stadt« und Franz Lehárs »Die lustige Witwe« erfolgreich in Szene. Nun widmet er sich der »Königin der Operetten«.

Was bedeutet es für dich, Operette zu inszenieren?

Gute Operette muss natürlich in erster Linie unterhalten, aber ich merke bei jeder erneuten Beschäftigung mehr und mehr, wie sie mit Abgründen zu tun hat und wie einem dabei das Lachen auch im Hals stecken bleibt. Gerade in der heutigen Zeit, in der jeder auf seine Wahrheit pocht, sehen wir, dass absolute Wahrheiten – und da muss sich jeder an die eigene Nase fassen – nicht existieren. In der »Fledermaus« steckt letztendlich dieselbe Message wie in Verdis letzter Oper »Falstaff«, ebenfalls einer Komödie: »Tutto nel mondo è burla! Tutti gabbati!« – »Alles auf der Welt ist Scherz! Wir sind alle Betrogene!« Man muss über sich selbst lachen können, man muss einen ironischen Blick auf sich selbst werfen können.

Szene aus »Die Fledermaus«
Szene aus »Die Fledermaus« (Foto: Martin Kaufhold)

Wie steht es mit dieser Fähigkeit zur Selbsterkenntnis beim Personal der »Fledermaus«?

Gabriel von Eisenstein, der Protagonist, kann das nicht. Er ist ein Spießbürger, der sich für Weiß-Gott-Wen und anständig hält und seine festen Wahrheiten hat. Aber seine Ehe ist eine bürgerliche Fassade, hintenherum gehen er – wie auch seine Frau Rosalinde – auf geheime Partys wie die von Orlofsky und betrügen sich gegenseitig. Als Eisenstein scheinbar seine achttägige Haftstrafe antritt, spielen sie sich wortreich Abschiedsschmerz vor, während er weiß, dass er auf das Fest geht, und sie schon ihren Tenor erwartet – wie verlogen. Auch von der Musik wird diese Falschheit und Doppelbödigkeit unverhohlen herausgestellt. Nach pseudotragischen Tönen bricht im Terzett aus dem 1. Akt aus den Figuren plötzlich ein spritziger Polka-Rhythmus hervor. Die Musik von Johann Strauss ist sehr schonungslos und entlarvend, manchmal geradezu böse und immer sehr präzise.

Alles dreht sich in der »Fledermaus« also um Schein und Sein. Auf dem Fest im 2. Akt spielen sich alle eine andere Identität vor: Eisenstein, Rosaline, auch der Gefängnisdirektor. Nur Prinz Orlofsky ist echt.

Was steckt hinter diesem ominösen russischen Prinzen, der in der Operette als Hosenrolle angelegt ist, also von einem Mezzosopran gesungen wird?

In unserer Inszenierung changiert diese Figur zwischen Mann und Frau, angelehnt an die Berliner Kultfigur Chantal und ihr »House of Shame«. An Berliner Clubs wie dem »Berghain«, die für ihre Freiheiten, für ihre Authentizität legendär geworden sind, konnte man ja beobachten, wie sie immer touristischer wurden. Leute kamen zum Teil nicht mehr, um ihre Grenzen zu überschreiten, sondern nur, um sagen zu können: Ich war da.

Und so ergeht es Eisenstein auf besagter Party bei Orlofsky: Er trifft eine weltoffene Gemeinschaft, in der alle Standesunterschiede aufgehoben sind – weshalb das Stubenmädchen Adele in einer Robe ihrer Chefin ungestört Teil sein kann. Eisenstein, der Spießbürger, kann damit aber gar nicht umgehen und hat wohl auch etwas Angst davor, vor allem vor der queeren Seite von Orlofsky.

Worum geht es bei diesem Fest? Im Handlungsverlauf dient es ja eigentlich nur dazu, dass Eisenstein hauptsächlich von seinem Freund Falke, aber eigentlich von allen anderen auch, hereingelegt wird …

Sene aus »Die Fledermaus«
(Foto: Martin Kaufhold)

Neben dieser Operettenintrige und der Tatsache, dass alle Partygäste Eisenstein loswerden wollen, weil er wegen seiner bürgerlichen Scheuklappen nicht dazu passt, geht es um etwas, was man vermutlich schon im 19. Jahrhundert in Festen gesucht hat: Taumel und Rausch. Im Verlauf dieses Festes, in dem auch die anfangs musikalisch strenge Form sich immer mehr auflöst, kommt es zu einer allgemeinen Verbrüderung, zum einen transzendenten Moment der Kommunion: Alle sind so besoffen, dass sie zur Erkenntnis gelangen: Wir gehören zusammen, im Hier und Jetzt und denken nicht an morgen. Selbst Eisenstein, der sich zunächst sträubende Spießbürger, gibt sich dem ganz hin und entdeckt eine für ihn neue Welt. Doch danach kommt wie im echten Leben der Absturz und der Kater.

Szene aus »Die Fledermaus«
Szene aus »Die Fledermaus«

Die Inszenierung ist eine Koproduktion mit dem Theater Bonn, die Produktion entstand dort 2020. Wie blickst du heute, zweieinhalb Jahre später, darauf?

Wenige Tage nach der Premiere kam es zur pandemiebedingten Schließung aller Theater, ja zu Grenzschließungen etc., was zuvor undenkbar war. Nun können wir dankbar sein, dass das Publikum zurückkommt. So ist in der Zwischenzeit eine Menge passiert, was natürlich auch meinen Blick auf so ein Stück verändert hat.

Im Wesentlichen wird die Inszenierung bei solchen Koproduktionen unverändert neueinstudiert. Ich begreife das Regiebuch von damals aber nicht als Vorlage, die es sklavisch zu kopieren gilt. Es ist wichtig, dass alle neuen Darsteller*innen sich ihre Rollen ganz zu eigen machen und ihre eigenen Farben hineinbringen. Das ist hier in Saarbrücken auch allen wunderbar gelungen!

Das Gespräch führte Benjamin Wäntig.

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Im Gespräch mit … Theaterblog

PHANTASIE FUNKTIONIERT WIE EIN SCHLÜSSEL

Die Meisterin des Geschichtenerzählens Cornelia Funke beschwört mit dem modernen Advents-Klassiker HINTER VERZAUBERTEN FENSTERN den Glauben an eine Welt hinter den Dingen auf schönste Weise: durch Neugierde und Vorstellungskraft. Im folgenden Interview geben Regie und Schauspielende Einblicke in ihre Gedanken zur Geschichte – und was Theater mit dem Leben zutun hat.

Katharina Schmidt, du hast als Regisseurin dieses Theatertextes deine Idee dieser Geschichte auf die Bühne gebracht – was ist für dich denn diese Kalenderwelt?

KS: Im Gegensatz zu Ollis Schokokalender ist Julias Papierkalender ja zunächst sehr unscheinbar. Je mehr Julia sich aber für die Bilder zu interessieren beginnt, desto mehr beginnen die Bilder auch zu „leben“. Da wo die Schokolade schon längst aufgegessen ist, fängt ihr Abenteuer erst an. Die Kalenderwelt entblättert und entfaltet sich Stück für Stück und glänzt dann umso mehr. Sie steht für die Freiheit der Gedanken, die Fantasie und die Möglichkeit sich frei ausdrücken zu können, ohne Schranken und Grenzen.

Die Phantasie funktioniert also wie ein Schlüssel…?!

KS: Ja, sie ist eine große Kraft. Dass man mit dem Reindenken in Bilder und Situationen ganze Welten zum Leben erwecken kann, ist doch sehr besonders!

Solveig Eger und Salih Yarisli, was ist euch für eure Figuren besonders wichtig?

SE: Ganz klar ihre Fähigkeit eine Wirklichkeit zu träumen. Julia glaubt fest an die Welt, die sie in ihrer Phantasie erschafft und glaubt damit auch gleichzeitig sehr an sich selbst.

SY: Die Geschwisterbeziehung ist aber auch sehr zentral im Stück. Erzählt wird eine typische Hassliebe zwischen Bruder und Schwester – im Laufe der Geschichte merken beide aber, dass man nur zusammen vieles erreichen kann. Und durch Zusammenhalt entsteht richtige Freundschaft.

Die Reise in den Kalender ist also auch eine Reise zu sich selbst?

SE: In der Kalenderwelt erschafft sie sich Aufgaben, die es zu bewältigen gilt und wird somit zu einer kleinen Heldin.

SY: Durch diese magische Welt blicken Julia und Olli ja auch mit anderen Augen auf ihr Leben, ihre Familie, ihr wirkliches Haus. Das ist ein bisschen so wie Theater schauen (oder -machen): es zeigt den Alltag des Menschen – all unsere Bedürfnisse. Auch starke Gefühle, Streit und Konflikte. Und es zeigt Lösungen mit all dem umzugehen.

SE: Im Stück ist eine solche Lösung zum Beispiel, wie sie ihrem Wunsch nachgeht gebraucht zu werden und eine Bedeutung, einen Wert im eigenen Leben zu suchen. Das verstehe ich sehr gut, genauso ihren Wunsch eine Welt zu erhalten, die in ihrer Existenz bedroht ist. Das hat irgendwie auch etwas von der Revolte der jüngeren Generationen in unserer Welt.

KS: Diesen eben erwähnten Schlüssel, der die Phantasie ist, kann man gar nicht genug schätzen! Das heißt, durch Vorstellungsgabe öffnen sich konkret und in Bildern gesprochen immer mehr neue Türen, Fenster und damit Möglichkeiten. Mit Neugierde, was wohl hinter den Dingen – und im Falle von Julia hinter den Fenstern – stecken könnte, beginnt das Abenteuer! Entdeckergeist hat auch viel mit Theater zu tun…

Aha, ihr meint also alle Theater und Leben gehören irgendwie zusammen?

KS: Ganz eng sogar. Wir nehmen Geschichten, Situationen und Themen aus dem Leben, der Gesellschaft auf, filtern und kanalisieren sie, um sie dann letztendlich mit unseren Mitteln auf der Bühne zu erzählen. Auf diese Weise kann Theater auch wieder auf unser Leben zurückwirken – wie das Kalenderfenster, das immer wie ein Spaziergang wirkt und Julia Kraft gibt wieder frisch in ihre Welt, auf ihre Familie, zu blicken. In „hinter verzauberten Fenstern“ denkt Julia kleine Dinge wirklich groß, z.B. das Modellflugzeug, das sie in diese andere Welt zieht und zum Fliegen bringt. Vielleicht können Kinder und auch Erwachsene mit unserer Geschichte ermutigt werden, auch in ihrer Welt, ihrem Alltag groß, fantasievoll und visionär zu denken, denn ich glaube, nur so können wir unsere Welt verändern und verbessern.

Noch mehr Botschaften bitte!

SE: Im Theater lernt man Menschen, deren Handeln und die Motive dahinter zu begreifen. Somit ist das Theater für mich ein Ort, der Menschen näher zusammenbringen kann, wie unterschiedlich sie auch sein mögen.

SY: Entdeckt also die Menschen, das Leben, die Welt! Und verliert nie die Neugierde!

Das Gespräch führte Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb.

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Auf ein Wort Theaterblog

Realität wird dekonstruiert und neu zusammengesetzt

Yannick Meisberger ist Mitarbeiter des Adolf-Bender-Zentrums für Demokratie und Menschenrechte in St. Wendel. Aus Anlass der Uraufführung von »Ich, Akira« sprach Simone Kranz mit ihm über die Entstehung von Verschwörungserzählungen. Am Mittwoch den 5. Oktober wird es vor der Vorstellung »Ich, Akira« um 19 Uhr einen Vortrag von Yannick Meisberger zum Thema »Fake News, Hate Speech und Verschwörungserzählungen« in der sparte4 geben. Der Eintritt zum Vortrag ist frei.

Collage des Regieteams (Lea Jansen, Lorenz Nolting, Martha Szymkowiak) zu »Ich, Akira«.

Laut einer Statistik des Bundeskriminalamtes stieg die Anzahl der politisch motivierten Straftaten im Kontext der Covid-19-Pandemie in Deutschland von 3559 in 2020 um 159% auf 9201 Fälle in 2021. Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?

Die Proteste gegen Politik und die Corona-Hygieneschutz-Maßnahmen brachten in den letzten zweieinhalb Jahren bundesweit viele Menschen auf die Straße. Menschen machten ihren Ängsten und Sorgen ― auch existentieller Art ― Luft und mobilisierten sich bis zuletzt zu Tausenden in vielen deutschen Städten. Die Demonstrationen und Kundgebungsveranstaltungen waren geprägt von Teilnehmer:innen unterschiedlichster Hintergründe und Szenen.
So sammelten sich von Menschen der bürgerlichen Mitte über Esoteriker:innen, Verschwörungsideolog:innen, rechtspopulistischen und -extremen Personen und Initiativen verschiedenste Motive auf der Straße. Dabei ist der Anstieg politisch motivierter Straftaten aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen.
Zunächst brachten Menschen auf diese Veranstaltungen vermehrt Symbole und Parolen, die antisemitische und volksverhetzende Inhalte propagierten oder auch den Holocaust verharmlosten oder gar leugneten. Hier wurden von kritischen Beobachter:innen der Demos vermehrt Strafanzeige gestellt auf Grundlage des §130 StGB. Ebenso potenzierten sich diese und ähnliche Straftaten auch im Internet.
Des Weiteren häuften sich in den letzten beiden Jahren die Angriffe auf staatliche Institutionen durch Feind:innen der Demokratie. Politisch motivierte Sachbeschädigungen, Beleidigungen im Netz (aber auch offline) und Angriffe auf Polizei oder Journalist:innen sind seit 2020 bei den Corona-Protesten allgegenwärtig.

Attila Hildmann wurde zunächst als Star der veganen Kochszene berühmt, bevor er sich ab 2020 an Demonstrationen des Querdenker-Milieus und der Corona-Leugner Szene beteiligte. Dabei kam es auch zu der im Stück zitierten Äußerung »Hitler war ein Segen im Vergleich zur Kommunistin Merkel, denn sie plant mit Gates einen globalen Völkermord von sieben Milliarden Menschen.« (Quelle: YouTube, Videotitel: Attila Hildmann verteidigt Hitler, greift Bundeskanzlerin und die Grünen auf seiner Kundgebung an, hochgeladen von: Jüdisches Forum, Link: https://www.youtube.com/watch?v=_lRFjPrwVFA ).
Ist diese Verquickung von Historie und politischen Vorgängen heute, typisch für die Thesen von Verschwörungserzählungen?

Collage von Thorsten Köhler zu »Ich, Akira«

Die Thesen der Verschwörungsideolog:innen sind keine neuen und auch wenig bis überhaupt nicht modern in ihren Inhalten. Sogenannte »Verschwörungserzählungen« erzählen seit Jahrhunderten altbekannte Inhalte weiter. In der extremen Rechten hält sich seit vielen Jahrzehnten die Verschwörungserzählung des »großen Austausches«, in dem behauptet wird, dass die Europäer:innen durch arabische Menschen ausgetauscht werden sollen – ein angeblicher Plan der »Elite«. Allein dieses Beispiel zeigt, wie sehr die Rechtsextreme mit Angst und Panik »arbeitet«, um politisch Stimmung zu machen. Verschwörungserzählungen beinhalten nicht zuletzt Narrative von »die da oben« gegen »uns hier unten«. Somit wird ein dichotomes Weltbild generiert und Menschen werden in Gut und Böse aufgeteilt.
Verschwörungsglaubende vermuten sich natürlich immer in der Gruppe der Guten und Aufgeweckten und sehen hinter allem staatlichem die Verschwörung gegen das Volk. Attila Hildmann ist ein spannendes und ebenso gefährliches Beispiel, wie sich Menschen radikalisieren und somit keine Gegenrede mehr zulassen wollen und können. In Krisenzeiten berufen sich Menschen nicht selten dann auch noch auf Zeiten in denen es »dem eigenen Volk« vermeintlich besser ging. Somit ist der Bezug Hildmanns auf den Nationalsozialismus mitunter zu erklären.

Inzwischen liegt ein Haftbefehl wegen Volksverhetzung, Beleidigung, Bedrohung und öffentlicher Aufforderung zu Straftaten gegen Attila Hildmann vor, der nicht vollstreckt werden kann, weil er sich in die Türkei abgesetzt hat und als türkischer Staatsbürger nicht ausgeliefert wird. Trotzdem ist er noch im Netz, vor allem über den Messenger Dienst Telegram aktiv. Kann man dagegen nicht vorgehen?

Telegram ist ein Messenger, der sehr strenge Datenschutzrichtlinien einhält und somit keine Informationen an Strafverfolgungsbehörden regulär rausgibt. Das macht Telegram zwar nicht zu einem rechtsfreien Ort, allerdings ist es für Polizei und Staatsanwaltschaft mehr als herausfordernd Straftäter:innen ausfindig zu machen.

Am 8. September 2021 wurde in Idar-Oberstein ein 20-jähriger Tankstellenmitarbeiter von einem 49-jährigen Mann erschossen, weil er ihn aufgefordert hatte, seine Maske korrekt zu tragen. Zu seiner Tat befragt, äußerte der Angeklagte im Prozess, er habe » er habe ein Zeichen setzen« müssen. Ähnlich hat sich auch der Andres Breivik geäußert, der in Norwegen 2011, 77 Menschen aus rechtsradikalen Motiven heraus, tötete. Woher kommt dieser Wahn?

Wie zuvor schon erwähnt, fühlen sich Verschwörungsglaubende in ihrer Krise der Gruppe der Guten und Auferweckten zugehörig. Sie vermuten die Verschwörung ausgehend von Staat und »Elite«, meinen damit nicht zuletzt eine angebliche jüdische Weltverschwörung. Je nachdem wie tief sich Menschen in die Maschinerie der Verschwörungserzählungen hineinsteigern, entwickelt sich einerseits eine Art Verfolgungswahn und andererseits die Idee aktiv werden zu müssen, wenn man sich in die Ecke getrieben fühlt. Das »Zeichen setzen wolle« richtet sich dann an den Staat. Verschwörungserzählungen funktionieren mitunter so, dass sie Menschen vermeintlich leichte Erklärungsansätze für hochkomplexe (soziale) Zusammenhänge bieten, in Momenten in denen Menschen auf Sinn- und Identitätssuche sind. So wird eine Realität dekonstruiert und eigene Wahrheiten zu einer neuen Wirklichkeit zusammengebaut. Daher klingen Verschwörungserzählungen auch nicht selten so wirr und wahnhaft.

Graphik von Eric Schwarz zu »Ich, Akira«

Im Stück erzählt Akira davon, dass es nicht nur ihm als Hund unmöglich sei, mit seinem Herrchen, einem Verschwörungstheoretiker zu sprechen, sondern dass Menschen oft keine gemeinsame Sprache mehr hätten, wenn einer von ihnen Anhänger von Verschwörungstheorien sei. Ist das auch ihre Beobachtung? Kann man Anhänger:innen von Verschwörungserzählungen in Gesprächen überzeugen?

Pauschal kann man das schwer beantworten. Grundsätzlich wird es schwieriger mit Menschen im Gespräch zu bleiben, wenn sie wirre und wahnhafte Gedanken und Ideen glauben und verbreiten. Wenn das Gespräch aber erstmal abgerissen ist, wird es natürlich nicht einfacher vor allem lieb gewonnene Menschen weiterhin in seiner Nähe zu halten.
Es kommt auch darauf an, wie sehr sich Personen in diese Verschwörungserzählungen verstricken und was sie noch zulassen. Mit manchen kommt man vielleicht an den Punkt, an dem man solche Gespräche nicht weiterführen möchte und sich eine Verbindung somit verflüchtigt. Mit anderen ist die Verbindung so stark oder stark genug, um miteinander diskutieren zu können. In Diskussionen muss es immer ums überzeugen wollen und überzeugen lassen gehen. Wenn das auf der Grundlage von Fakten und Empathie geschieht, ist noch nicht alles verloren.

Mehr Infos zum Stück und den Vorstellungsterminen unter:

https://www.staatstheater.saarland/stuecke/schauspiel/detail/ich-akira

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Hinter dem Vorhang Theaterblog

KLARHEIT IN DER UNKLARHEIT

Einsichten einer Dramaturgiehospitantin, die den Probenprozess von BERENIKE begleitet hat

Es gibt offensichtlich einige Fragen, die ich mir im Probenprozess zur Tragödie BERENIKE von Jean Racine gestellt habe: Wer ist eigentlich diese Berenike und welche Ziele hat sie? Wie heutig ist die Figur? Welche Rolle spielt die Politik in ihrem Leben?
Der Text, 1670 uraufgeführt, spielt im Jahr 79 nach Christus. Titus (Jan Hutter) ist gerade römischer Kaiser geworden und ist mit Berenike verlobt. Da gibt es aber auch Antiochus (Sébastien Jacobi), ein Freund von beiden aus Judäa, der Berenike seit Jahren liebt. Beim Versuch, Antworten auf diese vielen Fragen zu finden, habe ich mit Laura Trapp (Schauspielerin der Berenike) und Alice Buddeberg (Regisseurin) gesprochen.

Schon bei meiner ersten Probe ist mir aufgefallen, dass es im Text keineswegs nur um eine tiefe Liebe geht, die durch äußere (und innere?) Umstände nicht in einem Happy End enden kann. Es geht vor allem auch darum, dass Frauen – egal in welchem Zeitalter – zu oft in Zwänge gebracht werden.
Dabei ist es irrelevant, ob diese Zwänge von Mitmenschen, Partner*innen oder äußeren Einflüssen begünstigt werden. In Berenikes Fall wird nie klar sein unter welchen Umständen und aus welchen Gründen sie – und auch Antiochus – nach Rom gekommen sind. Bei Racine ist die Liebe zu Titus der Grund, doch wir können uns nicht sicher sein, dass er das auch wirklich war. Doch wie damit umgehen? Sich der Menge beugen, die sie als Nicht-Römerin nie akzeptieren wird und ihren Weggang fordert? Einen Kompromiss finden? Der großen Liebe entsagen und mit dem zweitbesten gehen, der sie auch liebt? Einfach gehen – allein und ohne sichtbaren Plan? Im Stück werden verschiedene Optionen durchdacht und geplant.

Was interessiert uns aber an der Person Berenike? Erstmal vor allem der Konflikt in den sie im Krieg gerät: unter welchen Umständen und mit welchen Gründen kommt Berenike nach Rom? Welchen politischen Zwängen ist sie aufgrund des Krieges unterworfen? Ganz klar ist für Alice Buddeberg, dass sie in einer kaputten, kriegerischen Welt lebt, in der sie nicht anerkannt wird und die Beteiligten sich dann in Privatismen begeben, die natürlich vom Außen geprägt sind. Titus´ Vertrauter Paulinus (Fabian Gröver) vertritt die Menge des römischen Volkes, deren Ansichten und/oder seine eigenen Interessen.

Wie also eine so alte und doch so aktuelle Figur darstellen?

Laut Laura Trapp helfen vor allem die Kostüme mit Korsett und Pumphosen dabei den erhabenen, königlichen Aspekt darzustellen – nicht gerade etwas, was man heute häufig privat erlebt. Spannend ist auch, dass alle Schauspieler*innen das gleiche Grundkostüm tragen (Kostüm und Bühne Sandra Rosenstiel), was alle Genderfragen äußerlich irrelevant werden lässt. Ganz klar ist für sie aber auch, dass die Beziehungsgespräche, die im Stück geführt werden, auch heute noch so geführt werden. Die Sprache mag zwar eine andere sein, doch der Inhalt ist gleich. Auch in der Sozialisation von Frauen und Männern – Frauen suchen das Gespräch, trösten, unterstützen und Männer schweigen – gibt es eine Parallele. Auch Berenike erlebt das durch die Unwissenheit und Unklarheit, in der sie gelassen wird. »Sprich mit mir!« ist daher nicht ohne Grund einer der wichtigsten Sätze im Stück! Um ihre Zwänge und inneren Zustände darzustellen, hilft auch die Musik (Mirjam Beierle).

Jan Hutter (Titus) und Laura Trapp (Berenike). © Martin Kaufhold.

Der historische Hintergrund

Eine weitere spannende Frage ist die, was mit Berenike nach ihrer Zeit bei Titus in Rom passiert ist. Alle historischen Spuren verlieren sich kurz danach. Das Schöne an der Freiheit des Theaters ist in diesem Fall, dass jede*r ein eigenes persönliches Ende ihrer Geschichte finden kann. Ich bin sicher, jede*r Beteiligte*r hat seine eigene Version der Fortsetzung.

Berenike soll ganz klar keine wütende oder emotionale Furie sein, die typisch weiblich gelesen wird. Sie ist eine intelligente Frau, die wütend ist, doch der Auslöser dafür ist eine große zugrundeliegende Angst und Unsicherheit. Berenike ist ein Mensch der viel durchgemacht hat und versucht seine Gefühle zu ordnen und damit zu leben. Wie Alice Buddeberg schön beschreibt, ist sie radikal in ihrer Liebe aber sieht für sich nur einen Ausweg, den ich jetzt hier nicht vorwegnehmen will. So viel sei gesagt: sie wird gestärkt aus der Situation hinausgehen.

Über die Autorin dieses Artikels: Christina Schmidt (20) ist Studentin der Theaterwissenschaft und Germanistik an der JGU Mainz und hat in ihrer Dramaturgiehospitanz sowohl die Proben begleitet, als auch in der Dramaturgie gearbeitet. Ihre Aufgaben changierten von Bühneeinrichtung über Fassung aktualisieren zu Blogbeitrag schreiben. 

BERENIKE ab 17. September 2022 in der Alten Feuerwache des Staatstheaters.