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ÜBER SPIELERISCHE ERINNERUNG UND ERINNERTES SPIEL

Freie Gedanken zur Stückentwicklung »Puck träumt eine Sommernacht«

In Wirklichkeit gibt es im Erzählen und Erleben, im Erleben und Erzählen Entwicklungen. In der Regel gibt es Entscheidungen, gibt es Handlungen, gibt es Konsequenz, gibt es Wahrnehmung und Reaktion. Und in der Regel kennt man vor allem eine Perspektive. Die Eigene. Seit die sozialen Medien erfunden wurden und jede*r seinen eigenen Blog und social-media-Marketing betreibt, gibt es in unseren Köpfen häufig auch die Perspektive von außerhalb auf uns selbst, inklusive Bewertungsfleischwolf, sprich die Draufsicht, die gerne schizophren in einem zündelt. Aber eigentlich heißt das alles noch immer: das Selbst. Und: die eigene Perspektive, der eigene Weg durch das Weltgeschehen.

Anne Rieckhof.

In PUCK TRÄUMT EINE SOMMERNACHT erinnert sich jemand für andere. Die eine Perspektive auf Beziehungen ist absolut – niemand widerspricht ihr, niemand korrigiert, niemand relativiert, potenziert, boykottiert. Außer: das Gedächtnis. Die manipulierte Erinnerung. Puck (Anne Rieckhof) ist die einzige Figur, ist Haupt- und Nebenfiguren zugleich und völlig überrumpelt als ein weiterer Puck (Jan Hutter) auftaucht. Man teilt sich die Bühne, man teilt sich den Text, den Fokus, die Perspektive aber nicht. Die bleibt in Konkurrenz. Puck hat etwas von einem Menschen (sehr überraschend). Er ist sich sein eigener Nabel. Er ist anarchisch, er schafft sein eigenes Cool und gibt sich dem Gedankenfluss hin. Aber (und das sollte ihn von uns unterscheiden): er hat keine Moral im Leibe. Und das macht, dass er schonungslos auf uns Liebeskranke blicken kann. Und von uns und unseren Irrungen und Wirrungen berichten kann.

Die Stückentwicklung, die aus einem Work-in-Progress zwischen Regisseurin Alice Buddeberg und den Schauspielern Jan Hutter und Anne Rieckhof in einer 3-teiligen Probenphase entstand, bei der mit William Shakespeares »Ein Sommernachtstraum« als freie Erinnerungsmatrize gearbeitet wurde, ist ein Traum-Gewächs der Sehnsüchte: nach Begegnung, nach Spiel, nach veritabler Empfindung, geteilt mit einem anwesenden Gegenüber (einem Schauspieler, einem Produktionsteam des jeweiligen Abends und mit dem jeweiligen Publikum).

Es ist eine Etüde über Einsamkeit, wie es auch eine über Begegnung sein kann. Und über das Element des Erzählens. Darin steckt eigentlich auch eine Etüde über unser Erzählen in der Wirklichkeit – das Erzählen von Biografie zum Beispiel, von Gefühlen, von Welterleben.

Vielleicht einigen sich die Pucks unbewußt auf diese eine Sache: dass Erzählen subjektiv ist, je nach Autor*in unterschiedlich ausfällt, aber dass es sich lohnt seine Erzählungen zu teilen. Ja, auch der Reibung wegen. Es gilt auszuhalten, dass sich erinnertes Erleben reibt.

Davon handelt auch unser Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft. Aber auch mein ganz persönliches Glück kann darin liegen, die Vielheit an Erleben anzuerkennen. Eine Lust daran zu entwickeln. Ein FAIRY-QUEEN-Dasein wie die Pucks es führen, hat jedenfalls etwas damit zu tun, dem Moment und der Erzählung des Moments zu vertrauen. Und zu lauschen. Vielleicht würde sie jemand anderes anders erleben und anders davon berichten. Aber heute und jetzt, now, erzählt sich der Moment so. Oder – now! – so. Oder – now!: so…

Jan Hutter.

Nach langen Monaten des ausgebliebenen Erzählens (außer einseitig durch Serien, Tagesschau, Virologie-Podcast) sind die Sinne wieder gefragt und ist man als Publikum auch Energie füreinander im Zuschauersaal wie auch für das Ensemble auf der Bühne.

Dies und weitere drei Gewissheiten stehen fest:

Tempus fugit.

Carpe diem.

Puck we are.

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin

Szenen-Fotos © Astrid Karger.

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Orchester des Wandels

Veröffentlichung eines Handlungsleitfadens zum Tag der Umwelt.

Anlässlich des Welttags der Umwelt am 5. Juni hat die deutschlandweite Initiative »Orchester des Wandels« einen Leitfaden zur Nachhaltigkeit herausgegeben. Er soll Orchester motivieren, sich mit einer nachhaltigen Ausrichtung des eigenen Betriebes zu beschäftigen.

Angesprochen werden die einzelnen Musiker*innen, die Orchester als Kollektiv und das Management. Wichtig ist uns, den positiven und bereichernden Aspekt nachhaltigen Handelns durch einzelne Schritte in konkretes Handeln umzusetzen. Um das Potential unseres Netzwerks Orchester des Wandels zu nutzen, soll der Leitfaden durch die Erfahrungen der Mitgliedsorchester ständig aktualisiert und erweitert werden. Für das wichtige Thema Orchesterreisen folgt in Kürze ein eigener GreenTouring-Guide.

Anlässlich des Welttags der Umwelt am 5. Juni appellieren wir an die verantwortlichen Politiker*innen, sich noch viel stärker für Energieeffizienz einzusetzen. In vielen Opernhäusern, Theatern und Konzertsälen stehen unumgängliche Sanierungsmaßnahmen an.

Bei der Planung und Finanzierung muss nachhaltigen und energetischen Aspekten ausreichend Rechnung getragen werden, da hier maßgebliche CO2-Einsparungen möglich sind. In die Berechnungen muss einfließen, dass energetische Sanierung immer zu einer erheblichen Einsparung laufender Energieausgaben beiträgt. Höhere Kosten in der Bauphase amortisieren sich so in kurzer Zeit.

»Orchester des Wandels Deutschland e.V.«

Ist ein Zusammenschluss von deutschen Berufsorchestern und freischaffenden Musikerinnen, die sich für den Klimaschutz engagieren. Dabei werden sie von international anerkannten Wissenschaftlerinnen beraten.

Sie setzen sich für eine zukunftsfähige und nachhaltige Kulturlandschaft ein. Mit der visionären Kraft der Musik begeistern die Musiker*innen das Publikum für den Klima- und Naturschutz. Gemeinsam fördern die Orchester des Wandels außerdem ihr eigenes Projekt zur Wiederaufforstung von Regenwald auf Madagaskar.

Am 5.Juni, dem Weltumwelttag, jährt sich die Vereinsgründung der Initiative zum ersten Mal. Inzwischen haben sich 22 Orchester angeschlossen.

kontakt@orchester-des-wandels.de
www.orchester-des-wandels.de

Team Nachhaltigkeit: Veronika Zucker und Martin Möhler (Staatstheater Nürnberg), Benjamin Jupé (Saarländisches Staatsorchester), Ulrich Haider (Münchner Philharmoniker)

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Auf einen Crémant im virtuellen Foyer des Saarländischen Staatstheaters

Eine etwas andere Eröffnung

Technischer Aufbau und Probe in der Sparte4 mit Bodo Busse, Kadir Akgül und Leonard Koch (Video) und Faveola Kett (Ausstattung). Foto © Luca Pauer

Sehr verehrte Damen und Herren, herzlich willkommen im digitalen Foyer des Saarländischen Staatstheaters. Machen Sie es sich bequem, stellen Sie den Crémant bereit, ich möchte Ihnen ganz kurz zu erklären wie Sie sich in dieser Dimension bewegen und mit anderen Gästen unterhalten können.

Sie sehen vor sich einen rechteckigen Raum, zweidimensional, und sich selbst als kleinen Punkt mit Ihrem Foto. Diesen Punkt können Sie im Raum bewegen. Steuern Sie sich einfach mit der Maus durch das Rechteck. Die anderen Gäste werden Sie ebenfalls in Bewegung sehen. Sobald ein Punkt in die Nähe eines anderen Punkts kommt eröffnet sich ein Gesprächskreis. Buchstäblich. Denn nun erscheint eine Videokonferenz. Die Punkte im Gesprächskreis werden zu Menschen, die sich per Videoübertragung mit anderen Gästen unterhalten und kennen lernen können. 

Luca Pauer beim Technikcheck in der Sparte4. Foto © Luca Pauer

So ungefähr spielten sich die ersten Schritte anlässlich der Online-Premiere von »Im weißen Rössl« ab. Von Luca Pauer moderiert, begrüßte Bodo Busse, live aus dem sparte4-Videostudio, über 50 Gäste im virtuellen Foyer.

Nach aufgeregten Vorbereitungen im Staatstheater und vielen technischen Herausforderungen, denen sich der Live-Betrieb erstmal stellen musste, war dieses Format in den Augen der meisten Besucher eine wirklich unterhaltsame und abwechslungsreiche Möglichkeit mal wieder unter Menschen zu kommen.

Virtuelles Foyer des Saarländischen Staatstheaters auf der online Plattform wonder.me

Und tatsächlich sah man auch Valda Wilson im Dirndl durch das Foyer flanieren und viele Gäste miteinander ins Gespräch kommen. Und auch in der sparte4, aus der live zugeschaltet wurde, fühlte man sich wieder neuen Impulsen ausgesetzt. Wie erfrischend!

Nach der »Rössl«-Premiere dann noch das finale Nachgespräch: Frederike Krüger, Dramaturgin der Produktion, im Gespräch mit Regisseur Michael Schachermaier. Auch hier eine neue Plattform: zoom.

Nachgespräch: Musikdramaturgin Frederike Krüger mit Regisseur Michael Schachermaier.

Nicht ganz so auf kleine Gesprächskreise gemünzt, sondern vielmehr für eine Podiumsdiskussion geeignet. Trotzdem war auch hier Partizipation gefragt. Live per Videokamera oder im Chat konnten dem Regieteam Fragen gestellt werden und Glückwünsche ausgesprochen werden.

Nach diesem ersten »Pilotversuch« kann man zusammenfassend und sehr optimistisch feststellen: Es lohnt sich bei diesen beiden Formaten nochmal vorbei zu schauen. Das Staatstheater vermisst die Gespräche mit seinem Publikum. Solche Aktionen sind unglaublich wichtig für das künstlerische Tun.

Kommen Sie das nächste Mal vorbei. Und wenn Sie Hilfe brauchen, ist jemand dabei der erklären und sicher helfen kann. Diese Formate und auch die Ideen, die daraus entspringen geben Hoffnung auf noch mehr fruchtbaren Austausch.

Luca Pauer,
Leiterin Junges Staatstheater und Sparte4

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Neues Storytelling der Gegenwart in Saarbrücken

Eine Stadt betrachtet verbindende Momente unseres gelingenden Miteinanders – noch bis zum 14. April 2021 mit rund 65 Veranstaltungen und Aktionen.

Wenn eine Stadt sich geistig vernetzt, kommt Glück für alle heraus. Das hat die Initiative Insieme geschafft und zahlreiche soziale, kulturelle und kirchliche Akteure des Regionalverbandes aufgerufen sich einem unüblichen Thema anzuschließen:

»Auf der Suche nach dem Glück in besonderen Zeiten« – eine Befragung, deren Impulsgeber das Saarländische Staatstheater mit seinem Schauspielabend GLÜCK. EIN ABEND MIT 7 GEWINNERN UND DEN BESTEN MOMENTEN IN ZEITLUPE (in der Regie von Schauspieldirektorin Bettina Bruinier) aus dem September des vergangenen Jahres war.

Am Samstag flankierte eine gestreamte Veranstaltung aus dem Rathaus-Festsaal die laufende Aktionswoche – Göttin Fortuna (Juliane Lang) und der Utopist (Sébastien Jacobi) gaben mit ihrem Aufruf den Hygiene-Abstand in utopischen Raum umzuwidmen den Kernimpuls des Theaterabends weiter an uns Saarländer*innen.

Amei Scheib gestaltete zudem einen musikalischen Chorabend, der die vielschichtigen Lebenswelten der Region und freie musikalische Assoziationen zum Thema Glück aufgriff – ein aufgezeichneter Stream wird in Bälde online gestellt. In einer kurzen Zeitspanne fanden sich trotz unsicherer Pandemielage genügend Stadtakteure zusammen, die sich mit der Frage des Zusammenhalts und der Stärke – entgegen der Narration dieser Krise – beschäftigen wollten: dieses neue Storytelling brauchen wir heute mehr denn je und es kann uns alle beruhigen wie auch bestärken, dass wir mit diesem Bedürfnis und dieser Vision nicht alleine sind.

SST goes Rathaussaal: Göttin Fortuna (Juliane Lang) und der Utopist (Sébastien Jacobi) gaben mit ihrem Aufruf den Hygiene-Abstand in utopischen Raum umzuwidmen den Kernimpuls des Theaterabends weiter an uns Saarländer*innen. Foto © Bettina Schuster-Gäb

»Auch in Saarbrücken fällt es nach einem Jahr der entbehrungsreichen Pandemie vielen Menschen schwer, optimistisch nach vorne zu blicken. Ist das der richtige Zeitpunkt, um nachzudenken über das Glück? INSIEME sagt: Ja! Wann, wenn nicht jetzt?« Initiative Insieme

Noch bis Mitte der Woche laufen die vielfältigen Aktionen, in denen über das Glück nachgedacht, performt, geredet, getanzt, philosophiert und diskutiert wird. Es werden Geschichten erzählt, Briefe geschrieben, Videos gedreht, Lieblingsorte gezeigt, es wird aus Büchern gelesen, Erde umgegraben, miteinander gekocht, gespielt, gewandert, geturnt und gesungen. So viel wie möglich wird »in echt« stattfinden: in der Natur, auf den Straßen, in Parks und Gärten – alles natürlich coronakonform. Vieles andere wird sich digital abspielen, schreiben die Koordinator*innen.

Hochkarätige Impulsvorträge behandeln die gesellschaftliche, philosophische und politische Dimension von Glück in Zeiten der Pandemie – drei Online-Veranstaltungen gibt es zu entdecken:

  • In guten wie in schlechten Zeiten. Krisen gemeinsam meistern lautet der Titel des Vortrags von Dr. Raban Daniel Fuhrmann vom Weltethos-Institut Tübingen kann als Aufzeichnung angesehen werden – er fragt danach, wie eine Stadt die Krise gemeinsam aufarbeiten kann, um für künftige Krisen gestärkt zu sein.
  • Am 14. April um 19 Uhr diskutieren in der Stiftung Demokratie und im Livestream der bosnische Schriftsteller Dzevad Karahasan, der Musiker Oliver Strauch, Justin Hayo vom Chance Network, die Theologin Jutta Lehnert, Jean-Luc Ferstler von Emmaus Forbach und die Philosophieprofessorin Lena Kästner über das Thema Glück gibt zu denken.

Das ausführliche Programm mit Informationen zu Veranstaltungen und Mitwirkenden finden Sie hier:

www.saarbruecken.de/glueck

Unterstützt wird die Aktionswoche durch die Landeshauptstadt Saarbrücken, das Ministerium für Bildung und Kultur und die Saarland Sporttoto GmbH – sowie durch die vielen Mitveranstalter*innen, die sich von Anfang an engagiert, kreativ und mit eigenen Ressourcen in die Planung eingebracht haben. Danke dafür!

Glücksglitter zum Aufsaugen. Foto © Bettina Schuster-Gäb.

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin

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Früher gab es viele Theater in Venezuela

Der Kostümbildner Alexander Djurkov Hotter wurde in Venezuela geboren. Am Saarländischen Staatstheater gestaltete er in der Spielzeit 2019/20 die Kostüme für »Die kleine Meerjungfrau« und »Amadeus«, in der Spielzeit 2020/21 das Kostümbild für »Im weißen Rössl«. Christina Klein und Simone Kranz sprachen im Januar 2020, also noch vor der globalen Ausbreitung der Corona-Pandemie, mit ihm.

Kostümbildner Alexander Djurkov Hotter. Foto © Felix Grünschloß.

Nachdem du 2010 nach Deutschland gekommen bist, hast du zunächst Architektur an der TU in Berlin studiert. Wie bist du dann dazu gekommen, Kostümbildner zu werden?

Ich habe mich schon immer für Kleidung interessiert. Allerdings war es in Südamerika, wo ich geboren bin, für einen Mann nicht üblich, einen Beruf auszuüben, der feminin belegt ist, wie z.B. Modedesign oder Kostümbild.
Davon abgesehen wusste ich, bis ich vor 10 Jahren nach Europa gezogen bin, nicht, dass es den Beruf Kostümbildner/ Kostümbildnerin überhaupt gibt. Selbst Modedesign galt bei uns nicht wirklich als Beruf, sondern als Zeitvertreib bis zur Heirat für Töchter aus besseren Familien. Meine Eltern hätten eine Ausbildung in die Richtung damals wahrscheinlich auch gar nicht zugelassen. Somit blieb einem homosexuellen Jungen in Venezuela, der etwas mit Design machen möchte, nur noch ein Architekturstudium.
Obwohl ich eigentlich schon einen Studienplatz an der Zentraluniversität in Venezuela hatte, haben mir meine Eltern dann wegen der politischen Situation vorgeschlagen, in Deutschland zu studieren. Ich bin dann nach Deutschland gegangen, doch das Architekturstudium an der TU in Berlin war sehr technisch und nicht so künstlerisch ausgerichtet wie man es von Venezuela her kennt.
Nach einem Jahr wollte ich etwas anderes machen. Zuerst habe ich über Modedesign nachgedacht, deswegen kehrte ich nach Venezuela zurück, um 4 Monate lang bei einem Modedesigner ein Praktikum zu machen. Auf seine Empfehlung hin, entschied ich mich, erstmal eine Maßschneider Lehre zu absolvieren, um das Handwerk zu erlernen.
Gleich zu Beginn meiner Ausbildung im Atelier »das Gewand« in Düsseldorf erfuhr ich, vom Beruf des Kostümbildners/ der Kostümbildnerin. Dort kam ich mit dieser Welt zum ersten Mal in Berührung.
Nach meiner Ausbildung begann ich an diversen Theatern zu hospitieren und eine Bewerbung an der Universität der Künste in Berlin stand an. Aber irgendwann habe ich dann Moidele Bickel (Moidele Bickel (*1937 – † 2016) gilt als eine der wichtigsten Kostümbildnerinnen ihrer Zeit. Sie wurde besonders durch ihre Zusammenarbeit mit Peter Stein an der Berliner Schaubühne berühmt, arbeitete später aber auch international und stattete zahlreiche Filme aus.  Anm. d. Red.) getroffen, sie war der Meinung, ich würde mich an der Universität nur langweilen und versprach mir, dass ich alles, was ich dort lernen würde, von ihr lernen könnte. Währenddessen sollte ich weiterhin als Assistent arbeiten und so viel Berufserfahrung sammeln wie möglich, denn Berufserfahrung sei eine der wichtigsten Komponenten des Berufs.

Kostümentwurf von Alexander Djurkov Hotter für Catarina Cavallieri.

Gibt es denn überhaupt eine Theaterszene in Venezuela?

Vor 10-15 Jahren gab es eine relativ große Theaterszene in Venezuela, sogar ein sehr wichtiges internationales Theater Festival, die »Feria Internacional de Teatro de Caracas«. Allerdings sind heute die meisten Theater nicht mehr in Betrieb, einige wurden von der Chavez Regierung geschlossen, noch bevor ich nach Deutschland ging.
Private Theater mussten schließen, weil sie keine Möglichkeit mehr hatten, sich zu finanzieren. Die hohe Kriminalität im Lande hatte dazu geführt, dass immer weniger Leute nach Einbruch der Dunkelheit ihr Haus verlassen wollten, somit sanken die Besucherzahlen drastisch.
Kultur wird heute in Venezuela leider nur sehr wenig gefördert und wenn, dann nur Kultur, die der Propaganda der Regierung dient. Diejenigen, die inszenieren dürfen, sind Anhänger der Regierung, zum Teil auch Menschen ohne jeglicher Theatererfahrung.
Eine der letzten Produktionen, die ich vor einigen Jahren dort sah, war das romantische Ballett »Spartacus«. Das wurde mit roten Flaggen, ganz im Stil des chinesisch-kommunistischen Balletts »The Red Detachment of Women« (»The Red Detachment of Women« ist eine der 8 Modellinszenierungen, die während der chinesischen Kulturrevolution auf dem chinesischen Theater als Vorbild für alle weiteren Inszenierungen galt. Das Ballett wurde im Februar 1972, anlässlich des China Besuchs von U.S. Präsidenten Richard Nixon, gezeigt. Anm.d. Red.)  
Es war allerdings nicht so toll wie das Original, es war vollkommen lächerlich. Obwohl früher sehr viele klassische und moderne venezolanische Stücke gespielt wurden, ging man auch da schon hauptsächlich ins Theater, um die Telenovela Schauspieler auf einer Bühne live zu sehen. Man wollte sich entspannen, Abwechslung zum Alltag und der politischen Situation des Landes haben. Heute gibt es nicht mal mehr diese Art von Theater in Venezuela.  

 

Wolfgang Amadeus Mozart und …
… seine Frau Constanze Mozart.

Fühlst du dich dem Land noch verbunden?

Ja, mir ist es ganz wichtig, dass Venezuela als meine Heimat in meiner Vita vorkommt, obwohl ich schon seit zwölf Jahren hier lebe, integriert bin, muttersprachlich Deutsch spreche und einen deutschen Pass besitze. Venezuela ist durch Kolonisation entstanden, was zur Folge hatte, dass die Bevölkerung und die Kultur ein Gemisch aus unterschiedlichen Ethnien und Traditionen ist. Jeder Venezolaner hat Wurzeln in Afrika, auf dem Kontinent selbst oder in Europa.  Es gibt niemanden, der ursprünglich nur Venezolaner ist.
Ich selbst bin zwischen unterschiedlichen Traditionen und Sprachen aufgewachsen und die letzten 10 Jahre in Deutschland haben auch ihre Spuren hinterlassen aber Venezolaner zu sein, bedeutet für mich automatisch, multinational und multikulturell zu sein und darum hänge ich u.a. so stark an dieser Nationalität.  

Kaiser Josef II.

Sarastro und Königin der Nacht.

Orsini Rosenberg.

Die Kostüme von Alexander Djurkov Hotter können Sie ab dem 8. April »Im weißen Rössl« und ab dem 14. April in »Amadeus« erleben.

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»Das Fenster« – eine Uraufführung in der sparte4

»Das Fenster« – eine Uraufführung in der sparte4

oder

Der mühsame Weg eine grenzüberschreitende Theaterproduktion in Zeiten von Corona zu einem Abschluss zu bringen.

Am Anfang stand die Idee einer grenzüberschreitenden Produktion zwischen den Theatern Les Théâtres de la Ville de Luxembourg und dem Saarländischen Staatstheater. Und da Theatermacher auch immer auf der Suche nach Talenten sind, wollten wir der jungen luxemburgischen Autorin Mandy Thiery, in dem man ihr einen Schreibauftrag gab, die Möglichkeit eröffnen, den Theateralltag besser kennen zu lernen.

Im einem gemeinsamen Probenprozess sollte ein neues Stück mit dem Arbeitstitel »Das Fenster« und den Themen Grenzerfahrungen bzw. Ängste und Nöte der jungen Generation entstehen. Im Herbst 2020 dachten wir, könnte das Projekt in Workshops und Lesungen an beiden Theatern schon mal vorgestellt werden und die Proben dann am 2. Dezember 2020 in Saarbrücken beginnen.

Nach einer Reihe von Voraufführungen in der sparte4 sollte die Uraufführung am Freitag, den 26. Februar 2021 in Luxemburg sein. So wurde es im Spielzeitheft in Luxemburg angekündigt und auf einem Besetzungszettel in Saarbrücken verkündet. So weit der Plan.

Die Spielstätte Théâtre des Capucins in Luxemburg.

Doch dann kam alles anders. Zweiter Lockdown! Die Theater wurden im November erneut geschlossen und der Grenzverkehr zum Problem. Was tun? Wir durften zwar noch probieren, doch in der geplanten Produktion sollten je zwei Schauspieler*innen aus Luxemburg (Jil Devresse und Timo Wagner) und Saarbrücken (Christiane Motter und Thorsten Rodenberg) spielen.

Außerdem war die Autorin Mandy Thiery geladen, das Stück mit dem Team um Regisseur Thorsten Köhler auf den Proben zu entwickeln? Wie sollte das funktionieren, wenn die Kollegen*innen aus Luxemburg nach den neusten Corona-Schutzverordnungen sich nicht länger als 48 Stunden in Deutschland aufhalten durften?

Konzeptionsprobe mit den Schauspielerinnen Christiane Motter, Jil Devresse, dem Schauspieler Timo Wagner, der Regieassistentin Gesa Oetting, dem Schauspieler Thorsten Rodenberg und dem Videokünstler Grigory Shklyar.

 Und überhaupt, welche Verordnung galt gerade in welchem Teil Europas? Sollte man die Koproduktion nicht absagen oder auf einen späteren Zeitpunkt verschieben? Aber was dann?

Allein die Disposition eines großen Theaters ist äußert kompliziert, wie soll da eine kurzfristige Verschiebung mit zwei so unterschiedlichen Häusern wie den Les Théâtres de la Ville de Luxembourg und dem Saarländischen Staatstheater funktionieren? Und was sollte aus den abgeschlossenen Verträgen werden?

Denn neben den Schauspieler*innen gehören der Bühnen- und Kostümbildner Justus Saretz, der Videokünstler Grigory Shklyar und der Musiker Achim Schneider, die alle auch in anderen Verträgen gebunden sind, zum künstlerischen Team.

So hielt man an der Produktion fest und die Proben begannen mit täglich zwischen Luxemburg und Saarbrücken pendelnden Künstlern, die fast länger im Bus oder Auto sitzen mussten, als auf der Probe sein zu können. Doch langsam aber stetig entwickelte sich das Stück von Szene zu Szene und der Regisseur Thorsten Köhler wurde mehr und mehr zum Ko-Autor neben der jungen Autorin Mandy Thiery.

Konzeptionsprobe auf der Probebühne in Saarbrücken mit dem Ausstatter Justus Saretz, der Autorin Mandy Thiery, dem Regisseur Thorsten Köhler und dem Musiker Achim Schneider.

Doch weil sich die Corona-Zahlen nicht wirklich besserten und man nicht absehen konnte und leider auch immer noch nicht kann, wann das Saarländischen Staatstheater wieder spielt, verordnete – auch auf Bitten des Betriebsrates – die Theaterleitung einen Probenstopp rund um Weihnachten und Neujahr.

Die Probenzeit für die Produktion »Das Fenster« wurde langsam knapp und eine Premiere im Januar immer unrealistischer. Zumal in Deutschland weiterhin ein Spielverbot bestand, während die Theater in Luxemburg längst wieder geöffnet hatten. So musste man die Proben im Januar 2021 erst einmal beenden, in Kurzarbeit gehen und neue Zeitfenster für die Endproben und Vorstellungstermine in Saarbrücken und Luxemburg suchen.

Nach vielen Gesprächen und neuen Planungen für beide Theater entschlossen wir uns, die Proben schließlich am 19. März wiederaufzunehmen, in der Hoffnung Ostersamstag endlich eine Premiere in Saarbrücken feiern zu können. Leider wird es auch zu diesem Uraufführungstermin nach den neusten Entwicklungen nicht kommen und so gehen die Planungen für neue Öffnungsszenarien weiter.

»Ja; mach nur einen Plan
sei nur ein großes Licht!

Und mach dann noch´nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.«
(Bertolt Brecht)

Video-Dreh in den Saarwiesen mit dem Ensemble.

Doch mittlerweile ist der letzte Video-Dreh geschafft, das Stück vollendet und mit dem Untertitel »Eine Schauergeschichte für die letzten Generationen« versehen. Denn entstandenen ist eine Art Trash-Grusical mit viel Musik und nach Motiven aus »Peter Pan« von James Matthew Barries oder Horrorfilmen wie »Spuk im Hill House« nach dem gleichnamigen Roman von Shirley Jackson.

Anspielungsreich und lustvoll mit den Klischees und Phänomenen einer YouTube-, Instagram- und TikTok-Generation spielend, verweisen Stück und Inszenierung auf apokalyptische Vorstellungen und immer größer werdende Ängste vor einem gefährlichen und lebensbedrohlichem Draußen. Aber beginnt nicht erst jenseits der eigenen vier Wände und den ängstlich gezogenen Grenzen das aufregende Leben mit all seinen Abenteuern und spannenden Geschichten?

Horst Busch,
Chefdramaturg

Fotos © Horst Busch.