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Der Dramaturgieschreibtisch

Nationaler Gedenktag für die Opfer von Terrorismus

Die Bundesregierung hat am 16.02.2022 die Einführung eines Nationalen Gedenktages für die Opfer terroristischer Gewalt sowie dessen jährliche Begehung ab dem 11. März 2022 beschlossen. Der 11. März knüpft an den Europäischen Gedenktag für die Opfer des Terrorismus an, der nach den Bombenanschlägen in Madrid vom 11. März 2004 eingeführt wurde. Die Europäische Union gedenkt seit 2005 jährlich den Opfern terroristischer Gräueltaten weltweit.

Der 11. März ist heute.

Streetart entlang der Saar erinnert an die Opfer des rechtsextremen Terroranschlags in Hanau. Foto © Bettina Schuster Gäb.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte dazu: »Auch in den letzten Jahren haben furchtbare terroristische Taten wie das islamistische Attentat am Berliner Breitscheidplatz und die rechtsterroristischen Anschläge in Halle und Hanau unser Land erschüttert. Islamistische, rechtsextremistische und linksextremistische Anschläge haben in der Nachkriegsgeschichte großes Leid verursacht.

Wir wollen, dass das Schicksal der Opfer und ihrer Angehörigen uns allen in Staat und Gesellschaft bewusster ist. Wir wollen, dass die Opfer nie vergessen werden. Wir denken auch an die Menschen, die verletzt und traumatisiert wurden. Die Anschläge haben das Leben vieler Menschen dramatisch verändert. Viele kämpfen sich mit großer Kraft zurück ins Leben. Wir dürfen sie dabei nicht alleinlassen. Wir wollen die Betroffenen und ihre Familien mit mehr Empathie und Sensibilität unterstützen – in allen staatlichen Stellen.

Für all dies steht der Nationale Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt, den wir ab diesem Jahr immer am 11. März begehen. Dieser Tag wird ein Tag der Erinnerung, des Mitgefühls, aber auch der Mahnung sein, mit aller Entschlossenheit gegen terroristische Bedrohungen vorzugehen.«

Die gesamte Pressemitteilung des Bundesministerium des Innern und für Heimat finden Sie hier: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2022/02/gedenktag-terroropfer.html

Die Namen der Opfer des rechtsextremen Terroranschlags in Hanau an einer Häuserwand entlang der Saar. Foto © Bettina Schuster Gäb.

Am 2. April 2022 hat die Uraufführung von Kathrin Rögglas Stück »Verfahren« Premiere. Die Schriftstellerin und Dramatikerin kondensiert den fünf Jahre währenden Prozess um den NSU als literarische Zeitzeugin für uns in einen Theaterabend, der vielstimmig den Prozess und mit ihm verbundene Ängste und Erfahrungen offenlegt. Es ist kein Dokumentartheater, sondern ganz klar eine fiktive Grundsituation unter zivilen Prozessbeobachter*innen, die ein Wunsch eint: zu verfolgen, dass Recht Gerechtigkeit schafft.

Im Anschluss an die Vorstellungen am 27.04. und 19.05. gibt es die Möglichkeit, über das Gesehene zu sprechen. Unter dem Titel »Im Gespräch bleiben: Rassismus und Rechtsextremismus heute« lädt Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb mit der Initiative Yalla! und dem Adolf-Bender-Zentrum zum Nachgespräch.

Bettina Schuster-Gäb und Frederike Krüger,
Dramaturginnen

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Der Dramaturgieschreibtisch Theaterblog

Wir feiern das Doppel-Jubiläum

125 Jahre Alte Feuerwache – 40 Jahre Spielstätte Alte Feuerwache

… mit einem Gastspiel der Theaterakademie München »Noch ist nicht aller Tage Abend«, der Premiere »Der Weg zurück«, dem Start einer Diskussionsreihe zum Spielzeitmotto IN GESELLSCHAFT! und im Sommer mit einem Theaterbrunch auf dem Landwehrplatz.

Anno 1897 wurde die Alte Feuerwahr nach Plänen des Architekten Wilhelm Franz als Städtische Turnhalle des Turnerbundes St. Johann sowie als Feuerwehrhaus im Erdgeschoss fertiggestellt. Nach Neugestaltung der Innenräume durch den Architekten Lu Kas entstand dann 1982 aus der Turnhalle die zweite Spielstätte des Saarländischen Staatstheaters. Mit der Kabarett-Revue »Von Kopf bis Fuss auf Deutschland eingestellt… « zusammengestellt von Herbert Hauck, Jürgen Kirchhoff und Gottfried Stramm wurde sie am 16. Januar 1982 als Raumbühne mit einer variablen Bestuhlung von maximal 240 Zuschauerplätzen eröffnet und zur künstlerischen Heimat des Sprechtheaters.

»Der Umbau der Feuerwache zur kulturellen Nutzung ist ein Versuch Schwellenängste abzubauen und einem eingefahrenen Kulturbetrieb neu Impulse zu geben, um damit das kulturelle Leben unserer Stadt reicher zu machen«. (Aus der Neujahrsansprache des damaligen Oberbürgermeister Oskar Lafontaine)

Der damalige Schauspieldirektor Lothar Trautmann verstand die neue Spielstätte als »Freiraum künstlerischer Phantasien« und als eine Einladung »in Sachen ‚Theater‘ auf Entdeckungsreise zu gehen“.

Diese Einladung gilt bis heute! So ist auch unter dem Intendanten Bodo Busse und der Schauspieldirektorin Bettina Bruinier die Alte Feuerwache ein Ort der unterschiedlichsten Theater-Erlebnisse aller Sparten des Saarländischen Staatstheaters, aber auch der Festivals LOOSTIK, PRIMEURS, PERSPECTIVES oder dem TANZFESTIVAL SAAR.

Die Alte Feuerwache im Jahr 2020 © Honkphoto

Schon im ersten Jahr der neuen Intendanz wurde die Alte Feuerwache beispielsweise in einen Werbe-Lichtkasten (LICHT IM KASTEN), in ein Live-Hörspiel-Studio (WINNETOU), in eine Raumstation (SOLARIS), in ein Wasserbecken (IPHIGENIE) oder in ein Schlachtfeld (DAS WUNDER UM VERDUN) verwandelt. Es folgten Rauminstallationen u.a. für DAS ACHTE LEBEN (FÜR BRILKA) von Nino Haratischwili, der Uraufführung WERWOLF von Rebekka Kricheldorf oder GAME OVER, eine Open-World-Simulation von Prinzip Gonzo.

»Das Wunder um Verdun« in der Spielzeit 2017/2018 © Martin Kaufhold

So blieb die Alte Feuerwache bis heute ein »Freiraum künstlerischer Phantasien« für Ausstattung und Regie, wenn auch die alte Zuschauer-Tribühne in die Jahre gekommen und leider nicht mehr variable ist. Eine Erneuerung steht dringend an!

In dieser und in der vorhergehenden Spielzeit brachte allerdings die Corona-Pandemie auch den Spielplan der Alten Feuerwache tüchtig durcheinander. Immer wieder mussten neue Wege des Spielens und Erzählens gefunden und auf die jeweiligen Vorgaben des Arbeits- und Infektionsschutzes reagiert werden. Doch Dank Impfungen und Testungen müssen auf der Bühne wenigstens die einschränkenden Abstandsregeln nicht mehr eingehalten werden.

Mit Beginn des neuen Jahres und unter Berücksichtigung der 2G+ Regeln freuen wir uns, endlich auch den regulären ABO-Spielbetrieb wieder aufnehmen und allen Theaterfans einen abwechslungsriechen Spielplan anbieten zu können.

»Puck träumt eine Sommernacht« ©Astrid Karger

So stehen im Schauspiel nicht nur die Produktionen »Puck träumt eine Sommernacht« – eine Stückentwicklung von Alice Buddeberg und Ensemble nach William Shakespeares Komödie »Ein Sommernachtstraum«, das Lustspiel »Trüffel Trüffel Trüffel« von Eugène Labiche in einer Inszenierung von Julia Prechsl und das Schauspiel »Gabriel« von George Sand als deutsche Erstaufführung in der Regie von Sébastien Jacobi, sondern auch die Wiederaufnahme und Neueinrichtung Bettina Bruiniers Inszenierung »Weh dem, der aus der Reihe tanzt. Sulzbach« nach dem Roman von Ludwig Harig und die erste Premiere im neuen Jahr »Der Weg zurück« des Engländers Dennis Kelly in der Regie von Christoph Mehler auf dem Programm.

»Der Weg zurück« © Martin Kaufhold

Außerdem kann man am 6. Januar das Gastspiel der Münchner Theaterakademie August Everding »Noch ist nicht aller Tage Abend – Eine Vision in vier Bildern nach Werner Schwabs ‚Volksvernichtung‘ mit Texten von Nietzsche, Lem und einer künstlichen Intelligenz« der Regieabsolventin Malena Große erleben.

»Noch ist nicht aller Tage Abend« ©Alvise Predieri

So wollen wir auch einer ganz jungen aber schon mit einem Preis für die beste Regie ausgezeichneten Regiehandschrift einen Raum geben und Sie einladen, sich auf das Spiel um die Frage: Wie verändert sich das Menschenbild in einer digitalisierten Welt? einzulassen.

Denn die Alte Feuerwache ist nicht nur eine wunderbare Raumbühne und zweite Spielstätte des Saarländischen Staatstheaters, sondern seit ihrer Eröffnung auch immer wieder eine Begegnungsstätte mit zahlreichen Sonderformaten wie Einführungen, Lesungen oder Gesprächen rund um das Theater. Und seit der Eröffnung des Weinbistro Hauck im Jahr 2011 hat die Alte Feuerwache auch einen geselligen Treffpunkt nicht nur vor und nach den Vorstellungen bekommen. Siehe auch www.hauck-weinbistro.de

Am 6. Februar starten wir dann mit einer Diskussionsreihe zu unserem aktuellen Spielzeitmotto IN GESELLSCHAFT! Unter dem Motto IN ZUKUNFT KUNST! sprechen wir mit der neuen Kulturdezernentin der Stadt Saarbrücken Dr. Sabine Dengel und der Leiterin der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz Dr. Andrea Jahn über Kunst und Kultur in der Stadtgesellschaft. Wie sieht heute – nach fast zwei Jahren Corona-Pandemie – gesellschaftliches Leben in Saarbrücken und Deutschland aus? Wo findet es (noch) statt? Wer bestimmt den Diskurs und welche Bedeutung können dabei Kunst und Kultur spielen?

Aber was wäre ein Jubiläum ohne Fest? Und so laden wir Sie zum Abschluss der Spielzeit zu einem geselligen Brunch mit künstlerischen Beiträgen auf dem Landwehrplatz vor der Alten Feuerwache im Rahmen des Kulturmeilenfestes 2022 ein.

SAVE THE DATE: Sonntag, 17. Juli, ab 11 Uhr!

Horst Busch,
Chefdramaturg
Künstlerischer Leiter Schauspiel

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Auf ein Wort Theaterblog

ÜBERSETZUNG BEDEUTET BEWUSSTSEIN

Über eine grundsätzliche Infragestellung binärer Welten im Stück GABRIEL von George Sand

Schauspieler, Regisseur, Übersetzer: Sébastien Jacobi.

B.S.-G.: Sébastien Jacobi, was ist das Besondere an George Sand, an ihrem Universum?

S.J.: George Sand deckt mit ihrem biographischen Hintergrund und erzählerischen Ausrichtung ein ganzes Jahrhundert ab. Im Stile des 19. Jahrhunderts ist sie philosophische Autorin und mit ihren Erzählungen zugleich eine Sozial-Reformistin. Das ergibt ein ganz eigenes Universum.

B.S.-G.: Was ist das für eine Zeit?

S.J.: Das ist eine Zeit, in der das Individuum, der individuelle Blick populär wird. Dennoch ist er angebunden an ein gesellschaftliches Gesamtgefüge. Ich persönlich habe ein ausgesprochenes Faible für diese Literatur. Bei den großen Autor*innen wie Sand, Proust, Balzac, Dostojewski, Hugo wird das Leben als Roman betrachtet und ist gesellschaftlich relevant auch im Profanen. Auch George Sand spült gewisse Perspektiven einmal durch das Individuum hindurch und erhält sehr subjektive Betrachtungen von Welt, die wiederum auf das Große-Ganze zurückwirken. Ihr geht es nicht um Bebilderung von Zuständen, sondern um den Menschen in seiner sozialen Dimension und seinen sozialen Forderungen.

B.S.-G.:Wenn du von der menschlichen Autorin sprichst, meinst du damit, dass sie individualistisch strebende Menschen beschreibt oder eher einer Art soziale Ausrichtung ihrer Stoffe?

S.J.: Letzteres, genau. Sie beobachtet hart, beschreibend, arbeitet autobiographisch, aber bleibt fiktiv, und fordert reelle gesellschaftliche Veränderungen ein. In GABRIEL ist es ein veränderter Status der Frau. Oder fast noch mehr die gänzliche Abschaffung der geschlechtlichen Kategorie, mit der sie sehr viel Ungleichheit verband. Nie sind ihre Geschichten privat, immer von gesamtgesellschaftlichem Belang.

B.S.-G.: Wie tut sie das?

S.J.: Über eine Art Ideendrama mit philosophischer Argumentation, die man sich als Publikum aber ganz psychologisch und emotional vorstellen muss. Und das ist sehr modern! Es gibt Ähnlichkeiten zu zeitgenössischen Textflächendramen, aber wiederum auch zu shakespearesker Komik oder auch Blutrünstigkeit. Auch eine Tarantino-Note sehe ich in ihr – sie liebt das absurd Dramatische, Mantel-Degen-Geschichten, das Aufs-Ganze-Gehen. Darin ist sie höchst realistisch und filmisch.

B.S.-G.: Du hast nun nicht das gesamte 200-seitige Drama auf die Bühne gebracht, sondern hast dich als Regisseur fokussiert: auf das Dramatische, das Vorantreibende, auf die Grundideen. Welches sind das?

S.J.: Was ich verschlankt habe, um stärker vom Heute zu erzählen, ist ein gewisses gesellschaftliches Machtgefüge, ein religiöses Machttableau. Das Herrschaftsgefüge, benannt mit dem alten Prinzen Jules, fand ich hingegen als Grundaufstellung sehr hilfreich, um den Sprung in die Gegenwart zu schaffen: die Distanz zu einer märchenhaften Handlung mit Schloss und Adel lässt sich ohne Weiteres auch auf den Abgesang des weißen alten Mannes lesen. Ich habe mich in meiner Fassung auf die Entwicklung von Gabriel konzentriert; auf seinen/ihren Bewusstseinsprozess und Anspruch auf Selbst- statt Fremdbestimmung. Sand nannte das »Freiheit«.

Dramaturgin Bettina Schuster-Gäb im Gespräch mit Sébastien Jacobi. Foto © Paul Gäb.

B.S.-G.: Macht es einen Unterschied im Übersetzen, wenn du weißt, was du auf der Bühne erzählen willst?

S.J.: Ich mache Regie aus dem Gefühl oder den Erfahrungen eines Schauspielers heraus, gehe sehr von der Logik des Spielers aus – wie ich zu einer Form, zu einer Aussage komme. Ähnlich gehe ich auch die Übersetzung an: Ich habe versucht die Sprache zu erhalten, mich bewusst gegen eine Modernisierung der Sprache entschieden, die Höflichkeitsform »Ihr/Euch« ist zudem genderneutral. Mein Anspruch war stets eine Gesamtübersetzung zu denken – genutzt habe ich die Übersetzungsarbeit am gesamten Stück letztlich, um zu einer Fassung zu gelangen, einen Ausschnitt zu wählen. Was interessiert mich konkret für ein szenisches Erzählen? Welche Situationen, Dialoge und Konflikte sehe ich mit welcher Personnage erzählt? Welche Figuren brauche ich? Wie rhythmisiere ich den Text für ein szenisches Geschehen?

B.S.-G.: Dient die Inszenierung der Sprache oder die Sprache der Inszenierung?

S.J.: Beides. Die »alte«, vielleicht fremdartig formulierende Sprache ist mir ein wichtiges inszenatorisches Mittel: Über Sprache eine gewisse Distanzhaltung beim Publikum zu erzeugen, erleichtert die Draufsicht und schafft Bereitschaft sich der Aktualität auszusetzen. Einen vermeintlichen Schritt weiter weg zu stehen, tut der Kunst also gut. Im Falle von GABRIEL können Genderfragen weitaus allgemeingültiger betrachtet werden. Sand war in der sozialen Debatte sehr weit – so wie ihre Zeit, wodurch sie auch so zeitgemäß wirkt, aber eben mit einer Begrifflichkeit von 1837. Das Aushandeln und Sich-Ausprobieren in diversen Rollen ist Gegenstand von GABRIEL, so auch von Theater an sich – Geschichte wie Form sprechen sich gegen starre Identitäten aus.

B.S.-G.: Die Figur Gabriel, die wir am Ende sehen, fordert ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Veränderbarkeit von Identitätsvorstellungen ein, und zwar unabhängig vom biologischen Geschlecht.

S.J.: Deshalb gehe ich in der Inszenierung auch sehr stark über das Bild der Kunst – Gabriel ist ein/e Künstler/in, die eben diese andere Logik, diese performative Sicht verfolgt. Gesellschaftliche Normen aus einer anderen Position heraus in Frage zu stellen ist ihr Bestreben. Das Stück geht nicht von befreiten Individuen aus, es geht nicht um diese permanente individualistische Selbstbestimmung, sondern um die grundsätzlichere Infragestellung binärer Welten.

Foto © Honkphoto

Sébastien Jacobi erhielt seine Ausbildung als Schauspieler an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt/Main. Festengagements führten ihn an das Theater Basel, Theater Dortmund, Schauspiel Köln und an das Schauspiel Frankfurt. Darüber hinaus gastierte er u.a in Mainz, Darmstadt oder Berlin und arbeitete immer wieder auch als Regisseur . So inszenierte er in Den Haag und Stockholm im Auftrag des Schauspiel Frankfurts für das Dramaten sowie am Schauspiel Frankfurt, dem Theater Bielefeld und dem Staatstheater Stuttgart. In Saarbrücken waren bisher seine Bio-Pics »Reise Reiser« über den Sänger Rio Reiser und »Mélodie! Maladie! Mélodrame!« über die Schauspielerin Ingrid Caven zu sehen.

Im Rahmen des Symposiums zu Theaterübersetzung »Primeurs Plus« wird Sébastien Jacobi Impulsgast sein und über sein Verhältnis zu Übersetzung, Sprache und Inszenierungsarbeit sprechen: www.festivalprimeurs.eu/primeurs-plus.

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin und Leitung Festival Primeurs

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Hinter dem Vorhang

DIE KRAFT DER PRÄSENZ

Vom digitalen Stattfinden der 14. Ausgabe des »Festival Primeurs« und Körper-Wünschen.

Was Theater ja ausmacht, ist die Bühne. Corona nimmt sie den Machern von Theaterkunst nicht gänzlich, aber doch die Möglichkeit, Theaterarbeit mit den bühneneigenen Mitteln zu erfahren. Die Pandemie nimmt der Theaterarbeit den Raum geteilter Erfahrung. Für das aktuell stattfindende – ja: stattfindende! – Autorentheaterfestival »Primeurs« ist die Bühne glücklicherweise nur die zweitwichtigste Etappe.

Denn hier geht es um den Text, genauer, um 6 Texte frankophoner Autoren, die von einer Fachjury in Form eines Autor*innen- & eines Übersetzer*innen-Preises, textbasiert, prämiert und in Werkstattarbeiten vorgestellt werden. In diesem Jahr findet die 14. Ausgabe des Festivals nicht öffentlich, sondern im Digitalen statt – zwei Monate lang, ab dem 19.11. wird wöchentlich frankophone, ins Deutsche übertragene Dramatik in Videoarbeiten gezeigt, begleitet von Autor*innenbotschaften.

Zu den beiden Erzählkünsten der Literatur und des Theaters gesellt sich nun also erstmalig auch der Film. Von Science Fiction über die zarte Liebesgeschichte, ein Jugendamtsdrama, eine Familienfarce bis hin zur Wut-Ode und zum antikapitalistischen Manifest in Dialogform ist alles vertreten, steht das politisierte Ich und die Gesellschaft als Gestaltungsprojekt im Zentrum des Schreibens (Näheres unter www.festivalprimeurs.eu).

Intern beschäftigt uns die Ästhetik der diesjährigen digitalen Formate aus diesem Grund noch stärker als sonst – auch im Hinblick auf die uns, unter Berücksichtigung des »digitale «, bestmögliche Präsentation der einzelnen Dramentexte. In den kommenden Wochen stellen wir Erfahrungen mit dieser ästhetischen Herausforderung sowie festivalbegleitend einige Perspektiven auf Text & Umsetzung, auf Übersetzung & Autorenschaft auf unserem Blog vor.

Raum mit (zuschauenden) Körpern teilen, Raum nicht mit (zuschauenden) Körpern teilen. Der Unterschied ist frappierend. Er ist groß und klein zugleich. Er wird von einem Kribbeln begleitet, das bedeutet »spannend, diese Distanz, dieses Filmische« und hinterlässt doch einen schlechten Bühnenkunst-Fußabdruck, ein Schuldgefühl unabgesprochen »fremd zu gehen« überkommt mich.

Es ist Tag 3 der Proben, der Tisch, die Probebühnen sind schon verlassen, das Dunkel der Alten Feuerwache umgibt mich, konzentrierter Aufbau des Bühnen-Filmsets vor mir: Stühle, Raummikros, Sprechmikros, Mikroports nummeriert von 1 – 4, dezente Beleuchtungseinrichtung, geschäftiges Wispern der technischen Mannschaften und bevor ich gedanklich endgültig in der Aufbauinstallation verschwinde, retten mich schon die hineinschneienden Ensemblekollegen mit ihrem figürlichen Entdeckungsdrang, ihrer Spielfreude, mit ihrer Vitalität, ihrer Präsenz. Da ist Wärme, Humor, Traurigkeit, Aggression, all das zwischen uns und nicht nur in mir als Zuschauer einer abgefilmten Szenerie, alleine in einem anderen Raum.

Angesichts möglicher kulturpolitischer Argumentationen einer nahen post-pandemischen Zukunft wünsche ich mir plötzlich, dass die Qualität des anwesenden Körpers, der affektiven Ergriffenheit, die durch anwesende Körper aufkommt und geteilt werden kann, dass das eben doch als etwas Anderes wahrgenommen wird. Dass Theater und abgefilmte Theaterarbeit, vermischt mit filmischen Techniken, als zwei verschiedene Paar Schuhe gehandhabt werden. Dass der Zuschauer sich an die Theater-Wirkung erinnert und weiß, dass Theatermittel in echt anders funktionieren.

Dennoch: die Freude mittels abgefilmter Bühnenarbeit – für das Netz gedachte Bühnen-Film-Arbeit – als Festival herauskommen zu können, ist groß. Mit dem spontan vollzogenen Schritt die aktuelle Festivalausgabe ins Digitale zu verlagern, wagen wir etwas Neues, wagen wir eine rettende Ausweichbewegung, angepasst an die derzeitige pandemische Situation. Es entsteht eine Chimäre aus Präsenzkunst und Videoregie. Es zeichnen sich bei den unterschiedlich aufgebauten Stücktexten schon jetzt sehr diverse Umsetzungsweisen an. Die verführen, zu Entdeckungen neuer Stimmen, neuer Erzähl- und Sichtweisen. Das genießen, wissend, dass es nicht an die Kraft geteilter Präsenz heranreicht, nicht im Theatersinne, ist die Aufgabe – intern wie auch fürs Publikum.

Bettina Schuster-Gäb,
Schauspieldramaturgin

Bisher dazu erschienen:
Besser als absagen! Blogbeitrag von Chefdramaturg Horst Busch

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Hinter dem Vorhang Theaterblog

Besser als absagen!

Das 14. Festival Primeurs flüchtet in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie in den digitalen Raum und sucht andere Wege der Präsentation frankophoner Gegenwartsdramatik.

Das 14. Festival Primeurs – in diesem Jahr digital aus der Alten Feuerwache.

Nach vielen Gesprächen mit den Kooperationspartnern »Le Carreau«, SR2 Kultur und dem Institut Français, aber auch intern zwischen der Festivalbeauftragten Bettina Schuster-Gäb, der Schauspielleitung und der Generalintendanz haben wir uns dazu entschlossen, das 14. Festival Primeurs nicht abzusagen, sondern im digitalen Raum stattfinden zu lassen.

Kultur »On Air«.

In diesem Jahr also keine Festival-Atmosphäre, keine persönlichen Begegnungen mit den Autorinnen und Autoren aus Frankreich, Kanada oder der französischsprechenden Schweiz.

Keine Zuschauer in der Alten Feuerwache, keine Nachgespräche, kein Austausch nach den Vorstellungen über das gerade Gesehene, Gehörte und Erlebte. Keine Diskussionen über die Inhalte, die Formen der neusten Stücke aus dem frankophonen Sprachraum. Kein Grenzverkehr, kein direkter Austausch mit den Nachbarn und Kollegen*innen aus Frankreich. Keine Möglichkeit für unser Publikum oder für die Studierenden der Universität und Hochschulen Theater zu erleben.

Doch wenn zurzeit Theater nicht möglich ist, so wollten wir doch die Auseinandersetzung mit den Texten nicht aufgeben. Also, wie die ausgesuchten Stücke präsentieren? Wie mit der Tradition der szenischen Lesungen umgehen? Schnell war klar, dass das Live-Hörspiel von SR2 Kultur auch in diesem Jahr aus der Alten Feuerwache gesendet werden kann.

Die Präsentation des Textes »Feuersturm« von David Paquet war gerettet und konnte am Freitag, den 27. November 2020, übertragen und in die Mediathek eingestellt werden.

Aber wie mit den weiteren Texten umgehen? Wissend, dass eine Aufzeichnung einer szenischen Lesung etwas ganz anderes ist als eine Live-Präsentation vor einem gespannten Theaterpublikum, traten wir die Flucht nach vorne an und planten Videoaufzeichnungen der Lesungen. Alles schien uns besser als absagen!

Der Text »Versagen« von Blandine Bonelli in einer Übersetzung von Corinna Popp sollte als erstes von vier Stücken, für die das Staatstheater Verantwortung übernommen hatte, vorgestellt werden.

Dabei hatten unsere Schauspieldirektorin Bettina Bruinier und der Videokünstler Grigory Shklyar die Idee, für die vielen Spielorte des Stückes „Versagen“ nicht nur den vorgesehenen Drehort Alte Feuerwache, sondern auch die Büros und Gänge des Saarländischen Staatstheaters zu nutzen. Das Experiment begann.

Eva Kammigan im Sucher des Camcorders.

Nach den ersten Leseproben am Tisch, um den Text zu analysieren und auf erste Sprechhaltungen zu überprüfen, begannen am Freitag, den 20. November, die »Dreharbeiten«. Zwischen Studentenproduktion, denn ich fühle mich an die Anfänge meines Studiums der Theater-, Film und Fernsehwissenschaften erinnert, und Experimentalfilm, schmissen sich Bettina Bruinier als Regisseurin und Grigory Shklyar als Video-Regisseur und Kameramann in das Abenteuer einer kurzfristigen und improvisierten Video-Aufzeichnung in den Büros oder auf den Gängen des Saarländischen Staatstheaters.

Nathalie Klimpel als Kamera-Assistentin mit Filmklappe.

Dabei machten alle fast alles: Aus der Regieassistentin Nathalie Klimpel wurde mal flugs die Kameraassistentin, aus der Ausstattungsassistentin die »Production Designerin« und aus mir, dem Dramaturgen, der »Casting-Direktor« oder einfach nur ein Statist auf dem Set.

Silvio Kretschmer als Damien im Sucher des Camcorders.

Was für mich ein Experiment oder ein Abenteuer war, war für unsere Schauspielerinnen und Schauspielern nur eine andere Profession. Denn sie alle haben schon Filmerfahrungen gemacht haben. Sei es nun Silvio Kretschmer, den man beispielsweise am Samstag, den 21. November auf 3sat in der Filmkomödie »Amen Saleikum – Fröhliche Weihnachten« in der Regie von Katalin Gödrös erleben konnte, oder Jan Hutter, der vor seinem Engagement am Saarländischen Staatstheater in diversen Film- und Fernsehproduktionen wie »Soko Kitzbühel« (ORF / ZDF), in der Fernsehserie »Braut wider Willen« (ARD) oder in dem Fernsehfilm »Die Toten Von Salzburg« (ORF/ZDF) zu sehen war. Aber auch Anne Rieckhof, die seit 2017/18 zum Schauspiel-Ensemble gehört, spielte schon in unterschiedlichen Filmproduktionen und auch die neu-engagierte Eva Kammigan konnte man schon in Film- und TV-Produktionen wie zuletzt im »Tatort Saarbrücken« erleben.

Jan Hutter als David in einer Nahaufnahme.

Jetzt galt es, in wenigen Probentagen eine szenische Lesung zu erarbeiten und vor zwei Video-Kameras zu agieren. Denn auch in diesem Jahr sollte das Improvisatorische der Textpräsentation den Reiz ausmachen. Schließlich geht es beim »Festival Primeurs« nicht um mustergültige Inszenierungen, sondern um einen ersten Versuch der Theatralisierung der Texte und ihre Bekanntmachung in der deutschen Theaterlandschaft.

Anne Rieckhof als Farida.

Doch die Arbeit an einem Text für einen Theaterabend ist grundverschieden von der Erarbeitung einer Videofilm-Realisation. Statt vor einem Live-Publikum mussten nun die Schauspieler*innen entweder in den leeren Saal der Alten Feuerwache oder in die »toten Augen« der Kameras ihre kleinen Film-Takes spielen. Kamera-Acting statt Theaterproben.

Das Büro der Schauspieldirektion wird zur Filmkulisse mit Silvio Kretschmer als Damien und Eva Kammigan als Jugendamtsleiterin.

Umso mehr kann man gespannt sein auf die Umsetzung und die Schnittkünste des Videokünstlers Grigory Shyklar. Übrigens auch er ist kein Unbekannter in Saarbrücken, denn schließlich war er nicht nur Regieassistent und Regisseur am Saarländischen Staatstheater, sondern unterrichtete auch an der Kunsthochschule Saarbrücken.

Gregory Shklyar an der Kamera.

Zum Glück sind die Wege im Saarland kurz und so gilt mein Dank nicht nur allen Beteiligten der Produktion, wie der Technik AFW, der Requisite, der Kostüm-, Ton- und Beleuchtungsabteilung sowie allen vor und hinter der Kamera, sondern auch der HBK für die freundliche Nachbarschaftshilfe.

Horst Busch,
Chefdramaturg

Fotos: Horst Busch.

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Der Dramaturgieschreibtisch Theaterblog

THEATERSPASS MIT »TRÜFFEL TRÜFFEL TRÜFFEL«

Sobald eine Komödie oder ein Lustspiel auf dem Programm stehen, erwarten alle gute Unterhaltung und Theaterspaß pur. Auf meinem Dramaturgie-Schreibtisch stapeln sich Bücher wie »Bürgerliches Lachtheater«, »Texte zur Theorie der Komik« oder »Das Lachen« und als Dramaturg der Produktion »Trüffel Trüffel Trüffel« habe ich, gute Laune verbreitend, »eine urkomische Geschichte« angekündigt und nenne den Autor Eugène Labiche »Meister des französischen Lustspiels«. Auch in einigen Presse-Vorberichten spricht man, wenn auch noch vorsichtig abwartend, von »Theaterspaß« mit einer gewissen »Amüsier-Garantie«.

Raimund Widra erklimmt als Monsieur Ratinois die Stufen der höheren Gesellschaft.

Doch im Arbeitsalltag des Theaters flößt jede Komödie, jedes Lustspiel, den Macherinnen und Machern den allergrößten Respekt ein. Heißt es doch in der Branche: Nichts ist schwieriger als eine Komödie! Nicht nur weil Regie wie Darsteller*innen gleichermaßen ein großes Gespür für Wortwitz, Timing und Situationskomik an den Tag legen müssen, sondern dabei auch noch anspielungsreich, intelligent, irrwitzig und voller Esprit sein sollen.

Aber eine Komödie ist auch deshalb nicht ohne, weil die Reaktionen des Publikums entscheidend für den erwarteten Theaterspaß sind. Dabei fühlen wir uns als Zuschauer selten so als Theater-Experten wie bei einer Komödie. Schließlich weiß man, ob man sich amüsiert hat oder nicht! Hat man gelacht, war es lustig, hat man nicht gelacht, war es nicht lustig! Die Lage scheint eindeutig.

Michael Wischniowski (Frédéric Ratinois) und Verena Bukal (Madame Ratinois).

Doch über was lachen wir, wenn wir in einer Komödie lachen? Was finden wir komisch? Was nicht? Wann sind wir bereit zu lachen? Und wie bewerten wir unser Lachen und das Lachen der anderen? Gibt es doch das böse Bonmot von Fritz Kortner: »Ich habe zwar gelacht, aber weit unter meinem Niveau.« Doch ist Lachen eine Frage des Niveaus? Lächerlich!

Anne Rieckhof und Verena Bukal in Spiellaune.

Schon der alte Literaturwissenschaftler und Theaterkritiker Volker Klotz reflektiert in seinem bekannten Werk »Bürgerliches Lachtheater« die Spielarten der »heiteren Dramatik«, spricht von einer »Neigung zum Lachen« und definiert Komik als »Entstellung gewohnter Abläufe und Verhaltensweise«.

Doch kann diese »Neigung zum Lachen« in Zeiten von Corona-Schutzmaßnahmen ausgelebt werden und das berühmte ansteckende Lachen entstehen, wenn alle sich durch einen 1,5 Meter Sicherheitsabstand vor jeder Ansteckung schützen?

Auch die Musik spielt bei Labiche eine wichtige Rolle. Barbara Krzoska muss als Tochter Emmeline Malingear beim Besuch der zukünftigen Schwiegereltern zeigen, was sie gelernt hat.

Es kann, denn Lachen bleibt »eines der Merkmale, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheiden« und die Gründe zum Lachen sind wie das Lachen selbst vielfältig. Der Mensch hebt sich als »Tier, das lachen kann«, hervor, aber der Mensch ist auch das »Tier, das lachen macht« – wie es in dem Essay »Das Lachen« von Henri Bergson heißt.

Gregor Trakis als Monsieur Malingear versucht sich im Yoga.

Und für Eugène Labiche wird dieses Tier zum Gegenstand seines komödiantischen Schreibens. »Ich habe mich fast ausschließlich dem Studium des Bourgeois, des Philisters gewidmet, dieses Tier bietet dem, der es sehen kann, zahllose Möglichketen; es ist unerschöpflich.«

Gregor Trakis mit Anne Rieckhof in Abstandsumarmung.

Doch wer ist bereit, diese unterschiedlichen Facetten des Seins im Spiegel- und Zerrbild der Komödie zu betrachten? Wer kann das gesellschaftliche, manchmal geradezu lächerliche oder sogar alberne Streben nach Anerkennung und Erfolg mit Humor und Selbstironie in Augenschein nehmen? Jeder der es möchte, denn die humorvolle Selbstreflexion ist ein Angebot, das die Lustspiele von Labiche einem Theaterpublikum machen.

Auch die Kostüme von Olivia Rosendorfer tragen dazu bei, die Abstandsregeln einzuhalten.

Aber wie vergnüglich kann es auch sein, über den anderen zu lachen. Doch was sind die Gründe, die uns zum Lachen bringen? Bergson führt die »komische Physiognomie«, den »lächerlichen Gesichtsausdruck«, aber auch die »Komik der Gebärden und Bewegung« an.

Verena Bukal, Anne Rieckhof, Gregor Trakis und Raimund Widra

Aber auch groteske Übertreibungen, burleske Szenen oder schräge Klamotten können uns in den glücklichen und befreienden Zustand des Lachens versetzen.

Wie das Lachen zum Menschen, so gehört die Komödie zur Geschichte des Theaters. Seit der Antike ist es den Künstlern ein Grundbedürfnis zu spotten, zu albern, zu scherzen und die Welt auf den Kopf zu stellen.

Was für eine wunderbare Perspektive!

Horst Busch,
Chefdramaturg

Michael Wischniowski als Frédéric Ratinois.

Die Probenfotos sind von Horst Busch.