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Auf ein Wort Im Gespräch mit … Theaterblog

Fragen an ULRICHSundGROSCHEN

In eurem Stück »Der lange Weg zum Wissen« geht es um Apollo 11 und die erste bemannte Mondlandung von 1969. Was interessiert euch an diesem Stoff?

Wir sind zwei dreißigjährige Frauen. Das bedeutet, dass wir mit diesem Ereignis, dass wir da ausgewählt haben, über etwas sprechen, was wir selbst nicht miterlebt haben. Wir greifen auf Erinnerungen zurück, die nicht unsere sind. Die Mondlandung ist ein historisches Ereignis und emotional sehr aufgeladen. Menschen, die wir kennen, die älter sind als wir, erzählen uns davon, wie sie die Mondlandung erlebt haben. Das hat uns interessiert und bildet schon den Kern der Frage, die uns überhaupt zum Schreiben dieses Stücks gebracht hat: Wie konstituiert sich Wissen?
Gerade die Mondlandung ist ja ein Ereignis, bei dem jeder auf der Welt hundertprozentig Mensch sein darf, auch die, denen man das sonst vielleicht abspricht, denn es heißt ja: Wir waren auf dem Mond. Der Mensch ist dazu in der Lage! Und die Freude und das Staunen darüber darf von allen Menschen auf der Welt geteilt werden. Das ist natürlich total zu hinterfragen, schließlich war die Mondlandung Teil der Dynamik des Kalten Kriegs aus Wettrüsten, Drohgebärden und vorgetäuschter Stärke. Aber uns hat interessiert, welche Rolle das kollektive Gedächtnis einnimmt, bei der Bereitstellung von Wissen.

Ihr geht das Thema sehr phantasievoll und spielerisch an. Die Astronauten sind fast kindliche Wesen, die mit ihrem eigenen Gehirn sprechen und versuchen, sich nicht von ihren Ängsten überrollen zu lassen. Gleichzeitig sind in den Text wissenschaftliche Erkenntnisse und Fakten eingeflochten.

Jaja, wir sind neugierige Frauen. Wir versuchen, uns selbst immerzu in Verbindung zu bringen mit dem Wissen, der Welt und dem Theater.

Foto@Timotheé Deliah Spiegelbach

Den Mythos der Mondlandung verbindet man vor allem mit dem Astronauten Neil Armstrong, der als erster Mensch den Mond betreten hat. Die Namen der beiden anderen Astronauten gerieten in Vergessenheit. Im Hintergrund der Mission agierten Personen, deren Namen heute kaum geläufig sind. Wird eurer Meinung nach das Narrativ, das zu Ereignissen im kollektiven Gedächtnis abgespeichert wird, gesellschaftlich gesteuert? 

Der Ausdruck „gesellschaftlich gesteuert“ ist etwas heimtückisch. Da vermutet man ja direkt eine Verschwörungstheorie oder -Praxis. Aber wir sind ja die Gesellschaft, auch. Wir sind eine Masse von kleinen Menschen mit fehlerhaften Gedächtnissen.
Und leider ist es so, dass sich das Wissen über Epochen und Ereignisse verengt, und bestimmte Ereignisse an einzelnen Personen festgemacht wird. Ein Narrativ entspringt ja aus einer Geschichte. Und beim weiter Erzählen der Geschichte gehen oft leider einige Details verloren. Stille Post sozusagen. Das ist natürlich ärgerlich, wenn man auf die sogenannte Wahrheit aus ist, aber zunächst steckt da kein böser, kleiner Mensch mit einer großen, bösen Absicht dahinter. Wir finden aber: Narrative hinterfragen ist eh eine gute Sache, wir hinterfragen im »Langen Weg zum Wissen«  aber nicht unbedingt das historische Narrativ, sondern das Narrativ im Zusammenhang von Glücklichsein und Fortschritt.
Es geht auch um das Vergessen, das ein natürlicher Prozess ist, den man natürlich trotzdem verfluchen und bedauern kann. Aber das Wissen geht ja nicht verloren, nur der Zugang zu den Informationen, der Weg zum Wissen bricht ab oder geht verschüttet. Aber früher oder später kommt irgendein Kamel und frisst das Gras herunter, das über die Sache gewachsen ist. In der Hinsicht hat das kollektive Gedächtnis auch utopisches Potenzial.

Ihr nennt euch »Kollektiv für angewandte Literatur«.  Was kann man sich darunter vorstellen?

Zwei Frauen, die ihre Gehirne aneinander reiben, daraus entstehen Texte und die streuen wir uns auf die Hände und daraus machen diese Hände dann was auf Papier Oft tragen wir das dann ins Theater, manchmal vertonen wir sie oder machen aus ihnen Film. Auf jeden Fall wenden wir es an, denn Literatur, und das wissen viele nicht, kann man wunderbar ANWENDEN.
Bald wollen wir sie auf Servietten drucken für Serviettentechnik.

Wie schreibt man gemeinsam Texte?

Man nehme zwei Frauen, die ganz viel reden. Und die in ihrem endlosen Diskurs dann an einen Punkt kommen, an dem sie absolut nicht mehr weiterkommen. Die dann nach Hause gehen müssen, in die Tasten hauen müssen, um diesen toten Punkt einzukreisen wie einen Punkt, der tot ist. Und dann findet man da Krümel in diesem toten Punkt und aus dem entsteht ein Kunststoffstab zum Hochsprungshochleistungssport.

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Der Dramaturgieschreibtisch politische, inhaltliche […] Diskurse

Die Forderungen der Mütter

Art 6 (4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. 

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

Was brauchen Mütter für eine bedingungslose Selbstbestimmung? Diskussionen über das Recht auf Abtreibung, Kommentare von Familienmitgliedern bei Kinderlosigkeit, Kommentare von Fremden an öffentlichen Orten wegen „zu vielen“ Kindern, all dies sind kleine Blitzlichter im persönlichen Erfahrungsfeld einer Frau und ja, manchmal auch in der öffentlichen Diskussion. Trotzdem muss das Thema noch mehr Sichtbarkeit bekommen.

Luca Pauer hat saarländische Frauen im Rahmen des Bürger- und Bürgerinnenensembles „Ensemble4“ befragt und ihre Ansichten, Freuden, Sorgen und Forderungen für eine größere Sichtbarkeit von Elternschaft zusammengetragen – politische Forderungen und Forderungen an eine Gesellschaft.

  • Maßnahmen gegen den Gender-Pay-Gap und Altersarmut, um finanzielle Abhängigkeit von Frauen, insbesondere aufgrund von Mutterschaft, zu vermeiden (Rentenpunkte und Rentensicherung)
  • Mehr Job-Sicherheit und Ahndungen von familienbedingter Kündigung
  • Mann und Frau verhüten gleichermaßen und kostenlos
  • Mehr Aufklärung über alternative Möglichkeiten zu gebären, verbunden mit ausreichend Platzkapazität in Geburtshäusern, genug (Beleg)Hebammen
  • Verbesserung des Gesundheitssystems, um sanfte Geburten ohne kommerziellen Hintergrund und Zeitdruck zu fördern
  • Doulas (Anm. d. Red.: Eine Doula hat keine staatlich anerkannte Ausbildung als Geburtshelferin. Sie begleitet Schwangerschaft und Geburt, übernimmt aber nicht die Leitung) sollten, zusätzlich zu Hebammen, krankenkassenfinanziert werden
  • Kinder-/ Elternfreundliche Stadtplanung (Barrierefreiheit und Aufenthaltsorte für Familien mitdenken
  • Freier Eintritt in öffentlichen Verkehrsmitteln, Schwimmbädern, Theatern, Museen, Bibliotheken für Kinder mit Begleitung)
  • Wo ist das Dorf, dass für die Erziehung eines Kindes nötig ist?: Solidarische Grundhaltung mit Familien als gesellschaftlichen Wert aufbauen und Netzwerke fördern, die es der Mutter / den Eltern ermöglicht Zeit für Weiterbildung, für persönliche Entwicklung oder individuelle Bedürfnisse freizulegen – u.a. als Präventivmaßnahme gegen soziale Exklusion der Mutter, wenn die Kinder aus dem Haus sind
  • Offenheit gegenüber Teilhabe von Kindern im öffentlichen Leben sowie im Arbeitsalltag
  • Kreative Ansätze, um Familien- und Berufsalltag flexibler miteinander zu vereinbaren
  • Mehr Aufklärung von jungen Menschen über Elternschaft – durch Schule, Solzialämter,  subventionierte Initiativen, Aufklärung, Netzwerkstellen
  • Bundesweit kostenlose Betreuungsplätze, flexiblere Betreuungszeiten, bessere Bedingungen für Betreuungspersonal und bessere Ausbildung des Betreuungspersonals
  • Respektieren, dass Frauen nicht nach Lebensentscheidungen zu befragen sind: weder nach Familienplanung, noch nach Gründen für Kinderlosigkeit. Jeder Frage ist in der Tendenz übergriffig und stigmatisierend
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Der Dramaturgieschreibtisch politische, inhaltliche […] Diskurse

Programmheft plus: Weitere Links zu Elternschaft heute

Lokale Expertise

Genderkompetenzzentrum Saar
https://gps-rps.de/standorte/saarbruecken/genderkompetenz-zentrum
FrauenGenderBibliothek Saar
https://frauengenderbibliothek-saar.de/
Schoenaker Institut Saar – Ermutigungstraining für Eltern
https://schoenaker-institut-saar.de/
Die Kinderflüsterei – systemisches Familiencoaching
https://kinderfluesterei.de/
Die Körperschule – Cantienica-Training
https://www.koerperschule.com/

Kampagnen & Vereine

#Gleiches Recht für Eltern
https://www.brigitte.de/aktuell/gleiches-recht-fuer-eltern/
Mehr Mütter für die Kunst
http://mehrmütterfürdiekunst.net/index.php?s=news
Wunschkind – bundesweiter gemeinnütziger Verein der
Selbsthilfegruppen für ungewollt Kinderlose
https://www.wunschkind.de/
Kinderfreilos – eine Plattform für Ohne-Kind-Menschen
https://kinderfreilos.ch/

Portale zur Erforschung der eigenen (weiblichen) Lust

OMGYes
https://www.omgyes.com/de/
Akademie der Weiblichkeit
https://akademie-der-weiblichkeit.de/
3D-Modell der Klitoris von Odile Fillod zum Ausdrucken:
https://carrefour-numerique.cite-sciences.fr/fablab/wiki/doku.php?id=projets:clitoris

Literatur zu Elternschaft heute

Teresa Bücker: Alle_Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit/2022, Ullstein
Donna J. Haraway: Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän/2018, Campus Verlag
Frigga Haug: Die Vier-in-einem-Perspektive – Politik von Frauen für eine neue Linke/2009, Argument Verlag
Mareice Kaiser: Das Unwohlsein der modernen Mutter/2021, Rowohlt
Barbara Peveling, Nikola Richter (Hg.): Kinder kriegen – Reproduktion Reloaded/2020, Edition Nautilus
Franziska Schutzbach: Die Erschöpfung der Frauen – Wider die weibliche Verfügbarkeit/2021, Droemer Knaur
Liv Strömquist: Der Ursprung der Welt/2018, Avant-Verlag
Alisa Tretau (Hg.): Nicht nur Mütter waren schwanger – Unerhörte Perspektiven auf die vermeintlich natürlichste Sache der Welt/2018, Edition Assemblage

Neunter Familienbericht. Eltern sein in Deutschland – Ansprüche, Anforderungen und Angebote bei wachsender Vielfalt mit Stellungnahme der Bundesregierung
https://www.bmfsfj.de/resource/blob/179392/195baf88f8c3ac7134347d2e19f1cdc0/neunter-familienbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf

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Auf ein Wort Theaterblog

Realität wird dekonstruiert und neu zusammengesetzt

Yannick Meisberger ist Mitarbeiter des Adolf-Bender-Zentrums für Demokratie und Menschenrechte in St. Wendel. Aus Anlass der Uraufführung von »Ich, Akira« sprach Simone Kranz mit ihm über die Entstehung von Verschwörungserzählungen. Am Mittwoch den 5. Oktober wird es vor der Vorstellung »Ich, Akira« um 19 Uhr einen Vortrag von Yannick Meisberger zum Thema »Fake News, Hate Speech und Verschwörungserzählungen« in der sparte4 geben. Der Eintritt zum Vortrag ist frei.

Collage des Regieteams (Lea Jansen, Lorenz Nolting, Martha Szymkowiak) zu »Ich, Akira«.

Laut einer Statistik des Bundeskriminalamtes stieg die Anzahl der politisch motivierten Straftaten im Kontext der Covid-19-Pandemie in Deutschland von 3559 in 2020 um 159% auf 9201 Fälle in 2021. Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?

Die Proteste gegen Politik und die Corona-Hygieneschutz-Maßnahmen brachten in den letzten zweieinhalb Jahren bundesweit viele Menschen auf die Straße. Menschen machten ihren Ängsten und Sorgen ― auch existentieller Art ― Luft und mobilisierten sich bis zuletzt zu Tausenden in vielen deutschen Städten. Die Demonstrationen und Kundgebungsveranstaltungen waren geprägt von Teilnehmer:innen unterschiedlichster Hintergründe und Szenen.
So sammelten sich von Menschen der bürgerlichen Mitte über Esoteriker:innen, Verschwörungsideolog:innen, rechtspopulistischen und -extremen Personen und Initiativen verschiedenste Motive auf der Straße. Dabei ist der Anstieg politisch motivierter Straftaten aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen.
Zunächst brachten Menschen auf diese Veranstaltungen vermehrt Symbole und Parolen, die antisemitische und volksverhetzende Inhalte propagierten oder auch den Holocaust verharmlosten oder gar leugneten. Hier wurden von kritischen Beobachter:innen der Demos vermehrt Strafanzeige gestellt auf Grundlage des §130 StGB. Ebenso potenzierten sich diese und ähnliche Straftaten auch im Internet.
Des Weiteren häuften sich in den letzten beiden Jahren die Angriffe auf staatliche Institutionen durch Feind:innen der Demokratie. Politisch motivierte Sachbeschädigungen, Beleidigungen im Netz (aber auch offline) und Angriffe auf Polizei oder Journalist:innen sind seit 2020 bei den Corona-Protesten allgegenwärtig.

Attila Hildmann wurde zunächst als Star der veganen Kochszene berühmt, bevor er sich ab 2020 an Demonstrationen des Querdenker-Milieus und der Corona-Leugner Szene beteiligte. Dabei kam es auch zu der im Stück zitierten Äußerung »Hitler war ein Segen im Vergleich zur Kommunistin Merkel, denn sie plant mit Gates einen globalen Völkermord von sieben Milliarden Menschen.« (Quelle: YouTube, Videotitel: Attila Hildmann verteidigt Hitler, greift Bundeskanzlerin und die Grünen auf seiner Kundgebung an, hochgeladen von: Jüdisches Forum, Link: https://www.youtube.com/watch?v=_lRFjPrwVFA ).
Ist diese Verquickung von Historie und politischen Vorgängen heute, typisch für die Thesen von Verschwörungserzählungen?

Collage von Thorsten Köhler zu »Ich, Akira«

Die Thesen der Verschwörungsideolog:innen sind keine neuen und auch wenig bis überhaupt nicht modern in ihren Inhalten. Sogenannte »Verschwörungserzählungen« erzählen seit Jahrhunderten altbekannte Inhalte weiter. In der extremen Rechten hält sich seit vielen Jahrzehnten die Verschwörungserzählung des »großen Austausches«, in dem behauptet wird, dass die Europäer:innen durch arabische Menschen ausgetauscht werden sollen – ein angeblicher Plan der »Elite«. Allein dieses Beispiel zeigt, wie sehr die Rechtsextreme mit Angst und Panik »arbeitet«, um politisch Stimmung zu machen. Verschwörungserzählungen beinhalten nicht zuletzt Narrative von »die da oben« gegen »uns hier unten«. Somit wird ein dichotomes Weltbild generiert und Menschen werden in Gut und Böse aufgeteilt.
Verschwörungsglaubende vermuten sich natürlich immer in der Gruppe der Guten und Aufgeweckten und sehen hinter allem staatlichem die Verschwörung gegen das Volk. Attila Hildmann ist ein spannendes und ebenso gefährliches Beispiel, wie sich Menschen radikalisieren und somit keine Gegenrede mehr zulassen wollen und können. In Krisenzeiten berufen sich Menschen nicht selten dann auch noch auf Zeiten in denen es »dem eigenen Volk« vermeintlich besser ging. Somit ist der Bezug Hildmanns auf den Nationalsozialismus mitunter zu erklären.

Inzwischen liegt ein Haftbefehl wegen Volksverhetzung, Beleidigung, Bedrohung und öffentlicher Aufforderung zu Straftaten gegen Attila Hildmann vor, der nicht vollstreckt werden kann, weil er sich in die Türkei abgesetzt hat und als türkischer Staatsbürger nicht ausgeliefert wird. Trotzdem ist er noch im Netz, vor allem über den Messenger Dienst Telegram aktiv. Kann man dagegen nicht vorgehen?

Telegram ist ein Messenger, der sehr strenge Datenschutzrichtlinien einhält und somit keine Informationen an Strafverfolgungsbehörden regulär rausgibt. Das macht Telegram zwar nicht zu einem rechtsfreien Ort, allerdings ist es für Polizei und Staatsanwaltschaft mehr als herausfordernd Straftäter:innen ausfindig zu machen.

Am 8. September 2021 wurde in Idar-Oberstein ein 20-jähriger Tankstellenmitarbeiter von einem 49-jährigen Mann erschossen, weil er ihn aufgefordert hatte, seine Maske korrekt zu tragen. Zu seiner Tat befragt, äußerte der Angeklagte im Prozess, er habe » er habe ein Zeichen setzen« müssen. Ähnlich hat sich auch der Andres Breivik geäußert, der in Norwegen 2011, 77 Menschen aus rechtsradikalen Motiven heraus, tötete. Woher kommt dieser Wahn?

Wie zuvor schon erwähnt, fühlen sich Verschwörungsglaubende in ihrer Krise der Gruppe der Guten und Auferweckten zugehörig. Sie vermuten die Verschwörung ausgehend von Staat und »Elite«, meinen damit nicht zuletzt eine angebliche jüdische Weltverschwörung. Je nachdem wie tief sich Menschen in die Maschinerie der Verschwörungserzählungen hineinsteigern, entwickelt sich einerseits eine Art Verfolgungswahn und andererseits die Idee aktiv werden zu müssen, wenn man sich in die Ecke getrieben fühlt. Das »Zeichen setzen wolle« richtet sich dann an den Staat. Verschwörungserzählungen funktionieren mitunter so, dass sie Menschen vermeintlich leichte Erklärungsansätze für hochkomplexe (soziale) Zusammenhänge bieten, in Momenten in denen Menschen auf Sinn- und Identitätssuche sind. So wird eine Realität dekonstruiert und eigene Wahrheiten zu einer neuen Wirklichkeit zusammengebaut. Daher klingen Verschwörungserzählungen auch nicht selten so wirr und wahnhaft.

Graphik von Eric Schwarz zu »Ich, Akira«

Im Stück erzählt Akira davon, dass es nicht nur ihm als Hund unmöglich sei, mit seinem Herrchen, einem Verschwörungstheoretiker zu sprechen, sondern dass Menschen oft keine gemeinsame Sprache mehr hätten, wenn einer von ihnen Anhänger von Verschwörungstheorien sei. Ist das auch ihre Beobachtung? Kann man Anhänger:innen von Verschwörungserzählungen in Gesprächen überzeugen?

Pauschal kann man das schwer beantworten. Grundsätzlich wird es schwieriger mit Menschen im Gespräch zu bleiben, wenn sie wirre und wahnhafte Gedanken und Ideen glauben und verbreiten. Wenn das Gespräch aber erstmal abgerissen ist, wird es natürlich nicht einfacher vor allem lieb gewonnene Menschen weiterhin in seiner Nähe zu halten.
Es kommt auch darauf an, wie sehr sich Personen in diese Verschwörungserzählungen verstricken und was sie noch zulassen. Mit manchen kommt man vielleicht an den Punkt, an dem man solche Gespräche nicht weiterführen möchte und sich eine Verbindung somit verflüchtigt. Mit anderen ist die Verbindung so stark oder stark genug, um miteinander diskutieren zu können. In Diskussionen muss es immer ums überzeugen wollen und überzeugen lassen gehen. Wenn das auf der Grundlage von Fakten und Empathie geschieht, ist noch nicht alles verloren.

Mehr Infos zum Stück und den Vorstellungsterminen unter:

https://www.staatstheater.saarland/stuecke/schauspiel/detail/ich-akira

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Hinter dem Vorhang

»Spartakel« – Das sparte4 Sommerfestival

Schon 2021 hatten die sparte4 des saarländischen Staatstheaters und Studierende des Masterstudiengangs »Angewandte Kulturwissenschaften« an einer Live-Veranstaltung auf dem Uni-Campus Saarbrücken gearbeitet. Die Corona-Situation machte dem Ganzen aber einen Strich durch die Rechnung und das geplante Live-Event musste virtuell umgesetzt werden.

Im Sommer 2022 war es dann aber so weit: das ersehnte Festival auf dem Campus konnte stattfinden. Die Studentinnen des neuen Semesters haben zusammen mit der sparte4 die ursprüngliche Idee aufgegriffen und ein Kulturfestival kreiert. Unter dem Titel »Spartakel« startete am 09. Juni das sparte4 Sommerfestival.

Um die sparte4 und ihre Formate den Studierenden am Campus näher zu bringen, verwandelte sich die Campuswiese in einen Festivalplatz voller Zelte, Bierbänke und einer Bühne. Neben Food-Trucks und einer Bar füllten verschiedene Stände den Platz. So gab es einen Infostand des Studiengangs »Historisch orientierte Kulturwissenschaften (HoK)«, zu dem »Angewandte Kulturwissenschaften« gehört, sowie einen Galeriestand, der mit Bildern aus diversen Theaterstücken der sparte4 dekoriert war und zudem Platz für den Austausch mit den Schauspieler:innen bot. Außerdem konnten sich die Besucher:innen Goodiebags abholen und an einem »Selfie Spot« Erinnerungsfotos mit echten Theaterrequisiten schießen. Neben den vielen Ständen zog die Bühne die größte Aufmerksamkeit auf sich.

Dort startete um 15 Uhr das eigentliche Programm des Festivals. Nach der Begrüßungsrede wurde zunächst das Format »Mondo Tasteless« der sparte4 vorgestellt.  Hierbei vertonten sechs Schauspielerinnen und Schauspieler in einem Live-Hörspiel den Trash-Film »Plan 9 aus dem Weltraum«. Aliens, Untote, Bürger und Polizisten, alles Rollen des Hörspiels, wurden von den nur sechs Darsteller:innen gespielt, darunter auch der Leiter der sparte4 Thorsten Köhler.

Alle mussten mehrfach ihre Rolle wechseln, sodass sie bspw. in einem Moment einen Soldaten und im nächsten einen Alien spielten. Um ihre Stimmen passend zu den Rollen zu verstellen, haben die Darsteller:innen auf einige Tricks zurückgegriffen: so haben sie sich die Nase zugehalten, in einen Metallbecher oder in eine Kaffeekanne gesprochen.  Spannende Musik und Soundeffekte bildeten die Atmosphäre des Hörspiels. Neben der Action war das Hörspiel vollgepackt mit Witzen, die für einige Lacher im Publikum sorgten.

Live-Hörspiel aus der sparte4: Trash-Film »Plan 9 aus dem Weltraum«.

Um 16 Uhr folgte eine Hommage an die bunten Liederabende in der sparte4, die unter dem Format »Melodien für Millionen« bekannt sind. Dabei performen Freiwillige auf der Bühne bekannte Songs. Das Besondere daran ist, dass die Gruppen nur 20 Minuten Zeit zum Proben haben. Als Freiwillige traten auf dem »Spartakel« Darsteller:innen des Theaters auf. Sie sangen Pop- und Rocklieder und eröffneten damit den musikalischen Teil des Festivals.

Um 17 Uhr ging es dann los mit der Live-Musik, die den krönenden Abschluss des Festivals bildete. Als erstes spielte »Geo«, eine Post-Punk Band aus den Niederlanden spielte als erste. Mit ihrem besonderen Sound, der sich aus den Musikrichtungen No Wave, Weird Funk und Dancepunk zusammensetzt, ernteten sie viel Applaus vom Publikum.

Als zweite Band des Abends rockte »Trickster’s Day« die Bühne. Die fünf Hardrocker präsentierten ihre selbstgeschriebenen Songs, darunter auch der gleichnamige Song »Trickster‘s Day«, den sie dem Gründer der Band widmeten, der vor wenigen Wochen verstorben ist. Außerdem haben sie eines ihrer Lieder in einer besonderen Version mit drei Gitarren gespielt, womit sie dem Wunsch eines verstorbenen Bandmitglieds nachkamen. Auch »Trickster’s Day« konnte das Publikum begeistern und wurde nach dem letzten Lied mit viel Applaus verabschiedet.

Das Ende des »Spartakels« gestaltete die Indie-Folk-Band »Aufnkaffeemitrauf« aus Idar-Oberstein. Ihre Cover-Songs und eigenen Lieder begeisterten die Besucher:innen des Festivals besonders. Die zuvor noch genutzten Sitzbänke vor der Bühne wurden weggeschoben und es wurde lebhaft mitgesungen und getanzt. Ganz nach ihrem Motto »Krach machen, Spaß haben und Bier/Kaffee trinken« brachte die Band somit alle nochmal vor der Bühne zum Feiern zusammen. Ein mehr als gelungener Abschluss des Abends.

Nicht nur die Verantwortlichen waren alle samt sehr zufrieden mit dem »Spartakel«, sondern vor allem auch das Publikum. Während des Tages wurden mehrere Besucher:innen befragt und jegliches Feedback fiel positiv aus. So sagten Einige, die die sparte4 schon zuvor kannten, das Festival würde das Theater gut vertreten und es würde die »vibes« der sparte4 gut einfangen. Außerdem sei es eine schöne Abwechslung zum sonst eher dunklen Ambiente des Theaters und insgesamt zu Indoor-Veranstaltungen.

Die Student:innen, die das Theater noch nicht kannten, freuten sich besonders über die Goodiebags. Sie sagten zu, sich nach dem Festival näher über die sparte4 zu informieren und auch mal einen Abend im Theater zu verbringen. Außerdem waren alle sehr glücklich darüber, dass auf dem Campus mal wieder etwas stattfindet.

Auch Uni-Externe Gäste amüsierten sich auf dem »Spartakel«. So besuchte der Jugendclub Brebach in Form eines Arbeitsausflugs das Festival und sowohl die Kinder, als auch ihre Begleiter:innen empfanden die Idee eines Theaterfestivals als sehr gut. Weiterhin haben sie angegeben, nochmal zu einem solchen Theaterfest der sparte4 zu gehen.

Insgesamt war das »Spartakel« also eine mehr als gelungene Veranstaltung, die ihr Ziel, nach zwei Jahren Pandemie wieder Leben auf den Campus zu bringen, erfolgreich umgesetzt hat. 

Annika Hornef,
Studierende des Masterstudiengangs »Angewandte Kulturwissenschaften«

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Auf ein Wort Theaterblog

DAS UNVERSÖHNLICHE VERSÖHNEN

In diesem Duett (oder Duell), das mit Sprache, Schweigen und allen verfügbaren Registern der Dramatik liebäugelt, erspielt sich der Spieler seine Lebenszeit, setzt sich mit dem Tod auf schier unerschöpfliche und humorvolle Weise auseinander; sie ringen miteinander, trösten und missverstehen sich wie zwei Vertraute. Leben und Tod – hinunter gebrochen auf die Theatersituation. Und wir, das Publikum, sind mit gemeint, tanzen den Totentanz mit. Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb im Gespräch mit dem Autor Björn SC Deigner – über Kunst, das Politische und den Tod.

Bettina Schuster-Gäb: Was macht einen guten Stoff aus?

Björn SC Deigner: Das ist eine große Frage. Ich kann sie auch insofern schlecht beantworten, weil meine Stücke sehr verschieden sind. Vielleicht so: ich glaube an das Politische im Schreiben. Ich glaube an die Musikalität von Sprache, an die verführerische Abgründigkeit von Figuren auf der Bühne und das politische Moment, wenn sich Menschen zu einer Gruppe versammeln, die sich Publikum nennt. Und bei »Spieler und Tod« war es auch die Lust am Spiel. Das Vertrauen darauf, dass ein großes Thema ganz klein angepackt werden kann. Dass uns zwei Schauspieler auf der Bühne dazu verführen können, doch einem Schrecken in den Schlund zu schauen, auch wenn man herzlich gelacht hat dabei. Ich glaube mittlerweile, dass man als Kunstschaffender es auf eine gewisse Weise nicht vermag, mit der Welt in einen Gleichklang zu kommen – irgendetwas fehlt immer oder ist gerade zu viel. Das interessiert mich an der Welt: das Unversöhnliche zu versöhnen und das Versöhnte wieder zu bezweifeln.

B. S.-G.: Der Tod – ein großes Thema. Wie und warum hast du dich ihm angenähert?

B.D.: Jeder Mensch, der sich mit Kunst beschäftigt, hat es mit dem Tod zu tun. Als Sujet eines Bildes wie bei Dürer; oder als auslösender Konflikt eines Stückes bei Schiller oder Shakespeare zum Beispiel. Wenn man durch die Künste geht, bemerkt man, wie präsent der Tod als Topos immer war – auch unabhängig von kirchlicher Prägung. Insofern ist es vielleicht eher fraglich, wie wenig der Tod, auch im gesellschaftlichen Miteinander, vorkommt (auch wenn es sich durch die Pandemie gerade anders gestaltet). Das professionalisierte Abschieben des Vorganges des Sterbens in Institutionen wie Hospize oder Altersheime wurde durch die Corona-Krise aufgerissen; ich denke aber, durch die systemischen Stellschrauben, die unser Zusammenleben fixieren, wird auch das bald wieder vergessen sein. Wir leben – noch – unter dem Leitsatz von Wachstum, Erweitern und Vergrößern. Da hat Verlust, Scheitern, Tod wenig Platz. Das war die Hintergrundstrahlung für die Idee, ein Stück über den und mit dem Tod zu schreiben. Um dann leicht zu werden: ein Abend, an dem wir dem Tod ins Gesicht lachen. Dass er uns trotzdem einholt, dass wissen wir ja ohnehin…

»Spieler und Tod«: Weitere Vorstellungstermine: 22.1., 29.1., 6.2., 18.2., sparte4 © Martin Kaufhold

B. S.-G.: Ist der Spieler ein guter Mensch?

B.D.: Was ist ein guter Mensch – oder noch schlimmer: was gar ein schlechter? Ich glaube, die Literatur ist ein Ort, wo alle Menschen gebraucht werden. Wir wollen sie dann lieben oder hassen, leiden mit ihnen oder wir lehnen sie ab. Aber wir verhalten uns doch zu ihnen. Ob sie dafür gute oder schlechte Menschen sind, ist beinahe zweitrangig, es zählt eher der Graubereich dazwischen. Eine gute Figur wäre der »Spieler«, wenn sie es schaffen würde, dass wir uns von ihr abgrenzen, darum über sie lächeln, zugleich aber wieder zu ihr finden dürfen und plötzlich getroffen sind davon, wie auch diese Figur verzweifelt sein kann, kindlich, voller Angst. Dann wäre vielleicht der »Spieler« nicht unbedingt ein guter Mensch, aber immerhin eine gute Figur.

B. S.-G.: Und die Figur des Todes?

B.D.: Der Tod, so wie er in meinem Stück vorkommt, hat mich aus zwei Gründen sehr gereizt: zum einen ist er ein recht schweigsamer Spielpartner. Das ist szenisch interessant, weil in jeder Szene ein grundsätzliches Missverhältnis zwischen den beiden Figuren besteht, zumal der »Spieler« sehr viel spricht. Dieses Missverhältnis ist grundlegende Bedingung für Humor, glaube ich. Und zugleich bildet es eine Grundspannung, mit der jede Szene umgehen kann. Zum anderen ist der Tod – auch auf unserer Bühne – immer nur eine kulturelle Repräsentation. Was könnte mehr Theater sein! Der Tod ist immer schon inszeniert und hat sich – oder wurde – über die Jahrtausende immer anders in Szene gesetzt. Das war mir wichtig für die Figur des Todes, die älter als das Christentum ist: sie fragt nicht nach Schuld, sie erlöst nicht, sie kann auch nicht drohen. Sie kommt einfach und macht keinen Unterschied.

B. S.-G.: Wie weltlich ist also der Tod?

B.D.: Das Nicht-Einverstanden-Sein mit der Welt, weil ein Mensch gehen musste, den man bei sich haben wollte: das ist eine Erfahrung, die vermutlich jeder Mensch schon einmal machen musste, oder die einem unweigerlich noch bevorsteht. Ich glaube, dass darin ganz fundamental eine politische Kraft liegt. Die Verhältnisse, wie sie scheinen, nicht zu akzeptieren, ist auch ein politisches Potential. Im alltäglichen Leben geht ein Bewusstsein dafür, dass Welt auch ganz anders sein könnte, ja immer verloren. Einschnitte wie der Tod, die in ihrer Andersartigkeit keine Rücksicht nehmen (ob es uns gerade passt zum Beispiel), zeigen uns auf, dass wir konfrontiert werden mit Welt und uns darin entweder abfinden müssen oder aufbegehren dagegen. Das empfinde ich sehr politisch. Abseits davon ist vor allem das Sterben politisch und zwar ganz profan: wer kann es sich leisten, wie zu sterben? Bei den Liebsten zuhause, mit einer privaten Pflegekraft – oder im Mehrzimmerbett, verpflegt und gesäubert durch wechselnde Schichten überarbeiteter Pflegekräfte.

Der Tod selbst – zumindest wir er uns im Stück erscheint –, macht keine Unterschiede. Und darin ist er wohl seltsam unpolitisch. Und das kann man ihm neiden: Menschen brauchen schließlich Politik, um sich über Fragen einig zu werden, auf die es kaum eine Antwort gibt. Der Tod scheint von diesen Fragen unberührt.

Björn SC Deigner, geboren 1983 in Heidelberg, studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Deigner ist Autor für Theater und Hörspiel, sowie Sounddesigner und Komponist an verschiedenen deutschen Stadttheatern (u. a. Thalia Theater Hamburg). Seine Texte wurden eingeladen zu den Autorentheatertagen 2018 am Deutschen Theater Berlin sowie 2019 zum Heidelberger Stückemarkt.

Das Interview führte Bettina Schuster-Gäb, Schauspieldramaturgin mit Sonderprojekt Festivalleitung und Programmdramaturgie »Festival Primeurs« & »Primeurs PLUS«