Kategorien
Der Dramaturgieschreibtisch Theaterblog

ANDERS! IN WELCHER WELT? – LESEN.

Und wieder liegt eine ereignisreiche (Spiel-)Zeit hinter uns. Auch in diesem Jahr stapelten sich die Bücher, Stücke, Libretti, Noten, Aufsätze, Zeitschriften und Zeitungen, die Liste unserer Lesezeichen im Browser wurde länger, Briefe, Postkarten, Postings … Das Lesen ist des Dramaturgen, ja was eigentlich? Die Grundlage des Berufes, ja. Aber Lesen kann und ist so viel mehr. Es ist das Eröffnen von Welten. Anderer Welten. Neuerer. Besserer. Manchmal auch Schlechterer. Das Eröffnen von Utopin. Dystopien. Ähnlich, aber doch ganz anders als das Theater, lädt das Lesen ein, neue Denk- und Spielräume zu betrachten, zu durchschreiten, zu beobachten, vielleicht sogar zu verändern.

Lesen verbindet, es verbindet uns als Gesellschaft, es gibt Anlass zum Diskurs, zur Diskussion, zum gemeinsamen Reden, Streiten, Lachen oder vielleicht auch Weinen. Und so habe ich auch in diesem Jahr meine Kolleginnen und Kollegen gefragt, was sich so auf ihrem Bücherstapel sammelt.

Den Anfang macht Chefdramaturg Horst Busch:

LUSTPRINZIP

Roman von Rebekka Kricheldorf

Als Theatergänger*in kennt man Sie. In Saarbrücken konnte man von ihr u.a. »Werwolf« oder »Der große Gatsby« auf der Bühne erleben. 2021 hat Rebekka Kricheldorf ihren ersten Roman geschrieben. Wer ihn noch nicht gelesen hat, kann sich auf eine rasante Reise in das Berlin der Neunziger Jahre freuen. Wahrhaftig, klug und wie immer witzig geschrieben. So lassen sich die Abgründe des Lebens ertragen.

Schauspieler Sébastien Jacobi meint zum Spielzeitmotto:

ANDERS – IN WELCHER WELT?

Wie Walter Benjamin richtig bemerkt: Um unser jetziges Jahrhundert zu verstehen, müssen wir das Vorherige genauer betrachten… Tauchen wir also in die 70er, 80er, 90er des letzten Jahrhunderts ein:

Und so empfiehlt er …

Ingrid Caven, Ein Gespräch mit Ute Cohen
»Chaos? Hinhören Singen«

Wer sich in unserer entzauberten Welt noch für die Poesie des Drecks interessiert – hier zu finden: in den Gedankenwelten der als Ingrid Schmidt in Saarbrücken geborenen großartigen Ingrid Caven. 

Der Empfehlung Horst Buschs schließt er sich ebenfalls an:

Rebekka Kricheldorf: »LUSTPRINZIP«

Auch dies für Alle, die einer Zeit der Verausgabung in Sehnsucht, des Exzesses und des glamourösen Scheiterns hinterher trauern. Beatgeneration goes 90er, als Berlin noch damit prahlte »arm aber sexy« zu sein. 

Von Rebekka Kricheldorf, die nicht nur schon einmal die Poetik Dozentur in Saarbrücken inne hatte, sondern auch die Autorin der am Saarländischen Staatstheater aufgeführten Stücke  »Werwolf« (2018/19) und »Der Große Gatsby« (2021/22) ist, hat ihren ersten Roman geschrieben. 

… zum Abtauchen in die philosophische Welt der 90er Jahre empfiehlt er …

Byung-Chul Han
»Infokratie. Digitalisierung und die Krise der Demokratie«

Wer das Thema der postfaktischen Informationsgesellschaft und dem Verlust des Pathos der Wahrheit auf hohem philosophischen Niveau, aber dennoch lesbar, vertiefen möchte- dem sei Byung-Chul Han empfohlen!

Ballettdramaturg und Compagnie-Manager Klaus Kieser empfiehlt in ungewissen Zeiten ein Plädoyer eben genau dafür:

Anne Dufourmantelle: »Lob des Risikos. Ein Plädoyer für das Ungewisse«

Nicht mehr ganz neu, doch in unserer bewegten Gegenwart nach wie vor lesenswert. 2011 im französischen Original und 2018 auf deutsch erschienen, verbindet die Autorin »auf vornehmste Art philosophisches Denken mit gesellschaftlicher Realität« (Süddeutsche Zeitung).

Luca Pauer, Leiterin des Jungen Staatstheaters und der Theaterpädagogin sowie Leiterin der sparte4, ergeht es so, wie vielen von uns, wenn der Bücherstapel wächst und wächst, die Zeit aber leider nicht mehr wird:

Meine Sommerlektüre ist »Stillleben« von Antonia Baum. Ehrlich gesagt liegt es schon seit Oktober 2021 auf meinem Schreibtisch. Es war die Initialzündung für unser neues Projekt »Oh Mama!« in der sparte4. Rebekka David wird Regie führen und ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit, auf Interviews, die wir mit Menschen aus Saarbrücken dafür führen werden und neue Perspektiven auf dieses Thema.

Maria Zakharine ist Souffleuse im Schauspiel, das Leben gehört auch für Sie zum Arbeitsalltag. Aber nicht nur. Ihr Literaturtipp ist ein richtiger Klassiker:

»Doktor Shiwago«, Teil 13 (1956) von Boris Pasternak ist eines der großartigsten Werke aus der russischen Literatur; ich interpretiere es natürlich in Bezug auf unser Spielzeitmotto und nicht zuletzt bewundere ich, wie aktuell dieser Roman heute immer noch ist.

Hier ist das wohl eindrücklichste Zitat daraus:

»Das größte Unglück, die Wurzel alles späteren Übels war der Verlust des Glaubens an den Wert der eigenen Meinung. Man ging davon aus, daß die Zeit, in der man den Eingebungen des sittlichen Gespürs folgte, vorüber sei, daß man jetzt mit der Stimme der Allgemeinheit zu singen und nach fremden, allen aufgezwungenen Vorstellungen zu leben habe. In wachsendem Maße begann die Herrschaft der Phrase, anfangs der monarchistischen, später der revolutionären Phrase. Diese Verirrung der Gesellschaft war allumfassend und ansteckend. Alles geriet unter ihren Einfluß. Auch unser Hauswesen hielt dem Verhängnis nicht stand. Es geriet ins Wanken. Statt der natürlichen Lebendigkeit, die stets bei uns geherrscht hatte, drang ein Teilchen der idiotischen Deklamiersucht auch in unsere Gespräche, es war ein zur Schau gestelltes, obligatorisches Herumklügeln über obligatorische Welthemmen…«

Claudia Reisinger ist Leiterin des Künstlerischen Betriebsbüros und Disponentin Schauspiel. Auf ihrem Bücherstapel liegen diesen Sommer drei Werke ganz weit oben:

»Die Geschichtensammlerin« von Jessica Kasper Kramer:

Ein Mädchen erhebt ihre Stimme, um die zu retten, die man zum Schweigen bringen will … Ein mitreißender und zugleich poetischer Roman für alle Leser von »Die Bücherdiebin« und »Der Schatten des Windes«.

»Das Gefährlichste, was man in unserem Land tun konnte, war: zu schreiben.«
Ileana sammelt Geschichten. Manche sind Märchen, andere handeln von der Vergangenheit, und die gefährlichsten erzählen die Wahrheit. Wie die Gedichte von Ileanas Onkel Andrei. Doch die Wahrheit kann tödlich sein im kommunistischen Rumänien des Jahres 1989, wo Lebensmittel, Strom oder warmes Wasser knapp sind und die Menschen in ständiger Angst leben. Als Andrei verschwindet, ist die ganze Familie in Gefahr. Ileanas Geschichtensammlung wird von ihrem Vater vernichtet, sie selbst zu den Großeltern aufs Land geschickt. Doch die Securitate folgt ihr bis in die Wälder der Karpaten. Nun braucht Ileana eine Geschichte, die Mörder aufhalten kann …

»Wo man im Meer nicht mehr stehen kann«  von Fabio Genovesi

Der 6jährige Fabio hat es nicht leicht: Seine »10 Großväter«, die vielen unverheirateten Brüder seines Opas, reißen sich nur darum, ihn zu den kuriosesten Unternehmungen mitzunehmen. Erst in der Schule merkt Fabio, dass man als Kind auch mit Gleichaltrige spielen kann – doch da ist seine Rolle als Außenseiter schon vorprogrammiert. Die Kindheit am (und über weite Teile auch im) Meer ist für den Jungen ein ebenso großes Abenteuer wie die Entdeckung des Lesens und Schreibens. Und als sein Vater nach einem tragischen Unfall regungslos im Krankenhaus liegt, sind es die selbst verfassten Texte des inzwischen 12jährigen, die bei seinem Vater eine Reaktion auslösen. »Wo man im Meer nicht mehr stehen kann« ist eine virtuos erzählte Familiengeschichte voller liebenswert-schrulliger Figuren und sommerlicher Italien-Atmosphäre. Mit seinen autobiografischen Zügen ist der Roman gleichzeitig eine Liebeserklärung an die (wortwörtlich lebensrettende) Kraft des Schreibens und der Fantasie.

Vielleicht nicht so unbedingt ein Sommer-Lesebuch….. aber soo schön:

»Marianengraben«  von  Jasmin Schreiber

»Ein Buch, das Geborgenheit bietet und Hoffnung schenkt« meint Yasmina Banaszczuk.

Paula braucht nicht viel zum Leben: ihre Wohnung, ein bisschen Geld für Essen und ihren kleinen Bruder Tim, den sie mehr liebt als alles auf der Welt. Doch dann geschieht ein schrecklicher Unfall, der sie in eine tiefe Depression stürzt. Erst die Begegnung mit Helmut, einem schrulligen alten Herrn, erweckt wieder Lebenswillen in ihr. Und schließlich begibt Paula sich zusammen mit Helmut auf eine abenteuerliche Reise, die sie beide zu sich selbst zurückbringt – auf die eine oder andere Weise

Und im Hinblick auf die Lesungen in der kommenden Spielzeit:

Dörte Hansen und Christian Berkel …

Bei Ballettdirektor Stijn Celis geht es diesen Sommer etwas punkiger zu mit »Helene Hegemann über Patti Smith, Christoph Schlingensief, Anarchie und Tradition«:

Der Funke, der die Gegenwart abfackelt.

Helene Hegemann trifft Patti Smith zum ersten Mal in einer Mehrzweckhalle in Wien, die als Probebühne für Christoph Schlingensiefs »Area 7« dient. Eine Begegnung, die der damals Dreizehnjährigen im weitesten Sinne das Leben rettet.

Gabriele Kops ist Verwaltungsangestellte am Saarländischen Staatstheater. Zwei ihrer Herzensbücher handeln von Freundschaft, Lebenslinien, skurillen Träumen und Geheimnissen:

Ich habe in letzter Zeit ein wunderschönes Buch gelesen.
Es ist schon alt aber immer aktuell:

»Gegenüber« von Erika Pluhar

Es handelt von der ungewöhnlichen Freundschaft zweier Frauen, von Lebenslinien und der Einsamkeit im Alter.

Einsamkeit in Zeiten von Corona sicherlich ein großes Thema.
Ich schätze den Schreibstil und die liebevolle Sprache von Erika Pluhar.

Einer meiner Lieblingsautoren ist Haruki Murakami.
Ein Buch von ihm:
»Tanz mit dem Schafsmann«

Die Bücher des japanischen Autors lesen sich immer wie skurrile Träume. Die Handlung: eine verführerische Geschichte in einem geheimnisvollen Hotel.
Mehr wird nicht verraten.

Christoph Foss, Leiter der Dekorationsabteilung am Saarländischen Staatstheater, empfiehlt eine literarische Reise an die Küste Kolumbiens:

»Kogi ― Wie ein Naturvolk unsere moderne Welt inspiriert« von Lucas Buchholz

Botschaften aus dem Herzen der Welt
Fast 6.000 m ragen die Berge der Sierra Nevada de Santa Marta empor, direkt an der Küste Kolumbiens. Hier leben die Kogi, heutige Vertreter einer über 4000 Jahre alten Hochkultur. Nach Jahrhunderten der Abgeschiedenheit, wenden sie sich jetzt mit ihrem Wissen an die Menschheit. Ihre Worte können unsere moderne Gesellschaft inspirieren. Und sie können uns bei vielen unserer Herausforderungen unterstützen: den ökologischen, gesellschaftlichen und individuellen – und zwar auf verblüffende Weise!

Christiane Ast ist Souffleuse im Schauspiel und empfiehlt drei ganz unterschiedliche Literatur-Welten:

»Monschau«
Roman von Steffen Kopetzky

Ein Buch über den Ausbruch einer Pockenepidemie in den 60ger Jahren in Deutschland/ Monschau/ Eifel.

Es handelt sich um eine wahre Begebenheit: die ersten Symptome/ Krankheitsausbrüche, deren Vertuschung durch die Kommunalpolitik; die engagierte Arbeit einiger Mediziner und der ehrenamtliche Einsatz von Teilen der Bevölkerung, allerdings in Romanform. Es ist überhaupt nicht trocken zu lesen, sondern ich konnte das Buch, einmal angefangen, nicht mehr weglegen.

»Abschied vom Frieden«
Roman von F.C. Weißkopf

Das letzte Jahr vor dem ersten Weltkrieg: der Protagonist lebt in Prag, damals noch K&K, erlebt, erleidet die Liebesgeschichte seines Lebens, und ringsum dräut sich das Gewitter zusammen, das schließlich in das Attentat von Sarajevo mündet.

Damit endet die persönliche Geschichte der Liaison des Protagonisten mit seiner jungen Geliebten sowie die friedliche Koexistenz des Vielvölkerreiches Österreich/ Ungarn. 

»Die kleine Stadt«
Roman von Heinrich Mann

Schon aussortiert, genau wie das vorhergehende Buch, ist dieser Roman wieder auf mich zugekommen. Nun lese ich ihn, bin also mittendrin, und weiß nur, dass ich schon Heinrich Mann’s 

»Die Jagd nach Liebe« sowie »Professor Unrat“« (Vorlage für den Film »Der blaue Engel« mit Marlene Dietrich) verschlungen habe.

In eine italienische Kleinstadt bricht die »große Welt« ein, es erscheint eine Theatertruppe. Und ihre Protagonisten, im doppelten Sinne, bringen die Provinzhonoratioren sowie die Kleinstadtbevölkerung in Unruhe. Der »junge Held«, von den Frauen begehrt, die »junge Liebende«, ein chaotisch anmutendes, gar nicht angesagtem weiblichen Erscheinungbild entsprechendes Wesen, emanzipiert und damit die Männer überfordernd oder provozierend oder begeisternd.

Sommerzeit ist aber gewiss nicht nur Lesezeit. Und so gibt es gleich zwei musikalische Tipps:

Alexander Reschke, Betriebsdirektor und Chefdisponent, hat es diesen Sommer zurück in die 80er geholt – if I only could be running up that hill …

Dank Netflix und der 4. Staffel von »Stranger things« ist der Song »Running up that hill« von Kate Bush aus dem Jahr 1985 aktuell wieder überall zu hören.

Mein Tip für diesen Sommer das dazugehörige Album »Hounds of Love« das im September 1985 erschienen ist.
Keine Musik für den Sofortverzehr und den Nebenbeigenuss.
Wer die Möglichkeit hat, sollte auf jeden Fall die Vinyl Version der CD oder Streaming Fassung vorziehen.
Mein Highlight neben der schon erwähnten Single »Running up that hill«und der zweiten Auskopplung »Cloudbusting« von der man sich auch das Video ansehen sollte, ist der vorletzte Song der B-Seite »Hello Earth«.

Auch Theaterpädagogin Anna Arnould-Chilloux hat einen Hörgenuss als Tipp:

Ich hätte ein Konzert, das ich sehr fesselnd und verzaubernd finde. 
Um Leichtigkeit bei warmem Wetter zu finden: Ein Konzert von Hania Ranihttps://youtu.be/sp3B97N67Cw

Zurück zur Literatur folgt nun wieder ein zeitloser Klassiker, dieses Mal von Maxine Theobald, die in dieser Spielzeit ihr FSJ-Kultur in der Dramaturgie des Saarländischen Staatstheaters absolvierte:

Jane Austen – Emma

»Emma« ist ein Roman der bekannten Schrifstellerin Jane Austen, welcher 1815 erstmals erschienen ist. Das Buch handelt von einer wohlhabenden, hübschen und intelligenten jungen Frau, namens Emma Woodhouse, die – und da ist sie sich der festen Überzeugung – sehr gut abschätzen kann, wer mit wem den Bund der Ehe eingehen sollte. Statt sich um ihr eigenes Liebesleben zu kümmern, versucht sie, ihre Freundin Harriet Smith bestmöglich zu verheiraten, doch dies lässt Missverständnisse und Liebeskummer aufkommen. Aber wer weiß… vielleicht findet Emma am Ende doch noch ihr Glück.

Ihre zweite Empfehlung hat auch Musikdramaturgin Anna Maria Jurisch während einer Zugfahrt verschlungen. Es geht um »Alte Sorten« von Ewald Arenz. Maxine Theobald schreibt dazu:

»Alte Sorten« – ein Roman von Ewald Arenz – handelt von zwei Frauen, Sally und Liss, die unterschiedlicher gar nicht sein könnten, aber ähnliche Vergangenheiten teilen. Die junge Sally  – gerade in ihrer Abiturphase – entflieht ihrem alltäglichen Leben, das aus Vorurteilen, Erwartungen, Pflichten und Erwachsenen besteht, und möchte ihre Ruhe haben. Auf dem Land begegnet sie Liss, einer starken, aber sehr verschlossenen Frau, die auf einem Bauernhof lebt. Sofort merkt Sally, dass Liss nicht wie andere Erwachsene ist. Sie übernachtet bei Liss, doch aus Stunden wurden Tage und aus Tage wurden Wochen. Für Sally ist Liss ein großes Geheimnis, denn ihr wird klar, dass sie das Haus nicht immer alleine bewohnt hat und ihr vieles verschweigt. Während sie zusammen die Hofarbeit erledigen und über die alten Birnensorten in Liss Garten reden, deren intensiven Geschmack Sally so gerne mag, erfahren die beiden gegenseitig von ihren Verletzungen, die ihnen zugefügt wurden.

Anna Maria Jurisch findet außerdem:

»Alte Sorten« ist ein Buch, das ich zufällig für meine letzte längere Zugreise gekauft und in einem Rutsch durchgelesen habe. Sehr klar, sehr bewegend, sehr poetisch und ein kleines bisschen die Sehnsucht nach endlosen (Spät-) Sommertagen befeuernd. Wer Gartenarbeit liebt, wird das Buch wahrscheinlich schätzen!

Aber auch andere Welten, in die es sich einzutauchen lohnt, kann Anna Maria Jurisch empfehlen:

Judith N. Shklar, »Über Ungerechtigkeit«

Keine klassische Sommerlektüre, aber wahnsinnig spannend, augenöffnend – Was bedeutet Schicksal und was bedeutet Veränderlichkeit? Wie viel Einfluss haben unsere Entscheidungen auf das, was in unseren Leben passiert? Eine faszinierende Betrachtung, die unsere fragile Gegenwart rahmt – auch wenn das Buch bereits aus den 1920er Jahren stammt.

Joan Didion, »Das Jahr magischen Denkens«

Die Kraft der Sehnsucht und die Kraft von Hoffnung – Joan Didions Essays sind immer lesenswert, aber dieses Buch ist kein Reisebericht, keine gesellschaftspolitische Analyse, sondern eine sehr intime Betrachtung von Zusammensein, Familien und Lebensperspektiven. Keine leichte Kost, aber inspirierend.

Gewandmeisterin Martina Lauer empfiehlt für einen wunderschönen Lese-Sommer die Begegnung mit dem Wasser:

Delia Owens‘ »Der Gesang der Flusskrebse«

… und:

Benjamin Myers‘ »Offene See«

In Valda Wilsons Buchempfehlung geht es um die wohl grundsätzlichsten Welten, nämlich die von Gut und Böse:

Einfach nur ein sehr persönlicher Tipp:

Neil Gaiman, »Good Omens« (»Ein gutes Omen«). Am besten auf Englisch lesen!

Schauspieler Bernd Geiling hat gleich zwei Leseempfehlungen:

Richard Powers »Die Wurzeln des Lebens«

Die Zerstörung der Natur und damit der Lebensgrundlagen der Menschen auf diesem Planeten schreitet unaufhaltsam voran.
Eine Gruppe ganz unterschiedlicher Individuen findet zusammen und beschließt zu handeln, aktiv zu werden, geht in den Widerstand.

Und zahlt einen hohen Preis…

… und:

Hanya Yanagihara  »Ein wenig Leben«

Selten hat mich ein Buch beim Lesen so erschüttert wie dieses.
Die Geschichte einer Gruppe von vier Männern, die in lebenslanger Freundschaft und Liebe miteinander verbunden sind, obwohl einer von ihnen, getrieben von seinen inneren Dämonen, sich immer wieder in Dunkelheit, Schmerz und Selbstzerstörung begibt.

Verena Bukal ist Schauspielerin und liest ihre Bücher gerne an ganz unterschiedlichen Orten. Und empfiehlt deswegen:

Park4night 

Eine App, um überall Campingplätze oder (kostenlose) Stellplätze zu finden. Preise, Informationen und Fotos inbegriffen. Sie ist gratis, außer man bucht die Pro-Version 😉 Viel Spaß damit!

Judith Fecher arbeitet in der Ausstattungsabteilung und mag es gerne spannend. Also hat sie zwei Empfehlungen für Fans des Nervenkitzels:

Ich lese am liebsten Psycho-Thriller, aber mich nervt an manchen Autoren, dass sie anscheinend der Meinung sind, je brutaler und ekliger der Mord (bzw die detaillierte Beschreibung davon), desto spannender wird das Buch. Meistens ist dem nicht so und deshalb liebe ich Bücher, die eher die psychologischen Aspekte in den Fokus nehmen und dadurch eine bedrohliche Spannung aufbauen.

»Klima« von David Klass
Ein selbsternannter Umwelt-Terrorist sprengt Ziele in die Luft, die die Umwelt zerstören und nimmt dabei auch den Tod von Unschuldigen in Kauf.
Das Buch ist sehr spannend geschrieben und man bekommt einen Einblick in die Psyche des Täters, der als liebender Familienvater und Umweltaktivist beschrieben wird. Man ertappt sich beim Lesen dabei, mit dem Terroristen zu sympathisieren und stellt sich zwangsläufig die Frage, wie weit man gehen darf, um ein höheres Ziel zu erreichen
.

»Todesmarsch« von Stephen King
1979 veröffentlicht unter dem Pseudonym Richard Bachmann

Früher war ich ein begeisterter Stephen-King-Leser. Er hat wirklich tolle spannende Bücher geschrieben. Aber dieses ist ein bisschen anders: subtiler, psychologischer, sein bestes Buch meiner Meinung nach.
Ja, der alte Schinken ist schon über 40 Jahre alt, aber die Geschichte absolut lesenswert.

In einem Amerika der Zukunft unter einer herrschenden Militärdiktatur brechen jedes Jahr 100 Jugendliche zu einem makabren „Todesmarsch“ auf, einem Wettbewerb, den 99 von ihnen nicht überleben werden. Dem Sieger winkt lebenslanger Luxus. Der Marsch geht so lange, bis nur noch ein Läufer übrig ist. Wer zu langsam ist oder sich nicht an die Regeln hält, wird erschossen.  Der Leser wird förmlich hineingezogen in diese düstere Geschichte, in die Psyche der jungen Läufer, in Freundschaften die entstehen, obgleich im Angersicht des Todes, in ihre Hoffnungen und Verzweiflung.
Es gibt noch ein Buch von »Richard Bachmann«, kurz danach geschrieben. Es heißt »Menschenjagd« und greift ein ähnliches Thema auf, was aber meiner Meinung nach die Qualität und die Spannung von „Todesmarsch“ nicht mehr erreicht.

Auch Schauspieldramaturgin Bettina Schuster-Gäb findet man nicht selten mit einem Buch in der Hand. Für den diesjährigen Lese-Sommer empfiehlt sie:

»RADIKALE ZÄRTLICHKEIT« von Seyda Kurt

Der politische Aspekt von Beziehung, Liebesbeziehung oder Beziehung, die einen intimen Austausch beinhaltet, habe ich nicht immer vor Augen. Schon gar nicht, wenn ich diese Beziehung Jahrzehnte kenne. Dass diese über den rein privaten Wert auch einen gesellschaftskonstituierenden hat, ist ein Gedanke, den man gar nicht oft genug ins Bewußtsein holen kann. Und wenn das so geschmeidig gelingt wie im Fall von Şeyda Kurt, ist das eine schöne Reise, die einen wieder eine utopische Kraft spüren lässt. Es hat auch nicht unwesentlich mit der Arbeit an BERENIKE von Jean Racine zutun…

… und:

WIE SPÄTER IHRE KINDER von Nicolas Mathieu

Dieser Autor kann nahbare Figuren beschreiben, deren Leben holzschnittartig erfasst werden und so reich wirken, im skizzierten. Die gesamte Stadt hat man vor Augen, die Hitze im Körper, plötzlich. Dann diese Jugend, diese Begegnungssehnsucht, dieses Abhängen, dieses Perspektivensuchen. Ganz sinnlicher Sozialrealismus. Und wer es nicht schafft, dem wird es nächste Spielzeit auch auf der Bühne der Alten Feuerwache erzählt (Psst!: Premiere ist am 23.3.23)!

Sänger Algirdas Drevinskas mag es humoristisch und empfiehlt:

»Abraham kann nichts dafür« von Ephraim Kishon

… eine Satire witziger als die andere. Viel Spaß beim Lachen!


Dem Lesetipp von Schauspieler Fabian Gröver kann sich eigentlich keiner entziehen:

»Eine kurze Geschichte der Menschheit« von Yuval Noah Harari

Warum ich das Buch empfehle?

Wir Homo sapiens blicken auf ein lange (Erfolgs-)geschichte zurück,
die uns sowohl an die Spitze der Nahrungskette als auch in die gottgleiche Position versetzt hat,
über Wohl und Wehe dieses Planeten entscheiden zu können/zu müssen.
Aber sind wir überhaupt clever genug, das nicht zu verbocken?
»Dieses Buch lässt Hirne wachsen.«, schreibt der Kritiker des Magazins »ZEIT Wissen«.

Insofern sollte jeder Homo sapiens es gelesen haben.

Martin Hennecke, Schlagwerker im Orchester des Saarländischen Staatstheaters, hat einen klangvollen Tipp in eigener Sache:

 »In welcher Welt leben wir gerade, und was können wir daraus machen?«

Das ist eine Frage, die meine Kollegen von Percussion Under Construction und mich während des ersten Lockdowns der Pandemie sehr beschäftigt hat. Was passiert gerade? Können wir diese Zwangspause irgendwie sinnvoll nutzen? Können wir uns künstlerisch mit der Situation auseinandersetzen und verschiedene Perspektiven einnehmen und beleuchten? Kann daraus möglicherweise ein positives Narrativ entstehen? Können wir – untereinander als Ensemble und auch mit unseren Freund*innen aus der ganzen Welt – trotz Isolation zusammen musizieren? Herausgekommen ist unser erstes Album »Locked Down?«, welches mittlerweile in vier Kategorien für den Opus Klassik nominiert ist, und auch im Post- (oder Zwischen-?) Coronasommer nichts von seiner Magie eingebüßt hat.

Orchestermanager Alfred Korn kann gleichermaßen privat wie beruflich eine besondere Empfehlung aussprechen für alle Schostakowitsch-Interessierten und die, die es noch werden wollen:

»Dmitri Schostakowitsch. Briefe an Iwan Sollertinski« herausgegeben von Dmitri Sollertinski und Ljudmila Kownazkaja. Aus dem Russischen von Ursula Keller.

In diesem Zusammenhang empfehle ich wärmstes Schostakowitsch-Aufnahmen mit Michail und / oder Vladimir Jurowski. Zu den Referenzaufnahme zählen sicherlich die unter der Leitung von Gennadi Roshdestwenskij…

Auch Meike Koch, Theaterpädagogin Musiktheater und Konzert & Koordinatorin Theater und Schule, hat einen einen Tipp für alle, die ihren musikalischen Horizont erweitern möchten:

Podcast »Klassik für Klugscheißer« von BR Klassik: Zugegeben, ein provokanter Titel, aber jede Woche wieder sauber recherchiert und unterhaltsam präsentiert. Laury und Ulli informieren uns mit ihrer lockeren und lustigen Art über klassische Musikgeschichte. Sollte man betrunken komponieren? Wie macht man am besten Schluss (musikalisch gesehen, natürlich)? Und welche Strukturen verhindern Diversität in den Orchestern?
Regelmäßig begrüßen die beiden spannende Gäste und erstellen zu jeder Podcast-Folge eine passende Playlist mit Musiktiteln. Eine absolute Hörempfehlung, auch für alle, die noch keine Klassik-Klugscheißer sind, sondern es noch werden wollen.

Aber auch einen Buchtipp hat sie auf Lager:

»Die Erde der Zukunft« von Eric Holthaus

Die Klimakrise ist nur eines von vielen schlimmen Themen, die wir momentan jeden Tag über die Medien aufnehmen und verarbeiten müssen. Wegschauen ist keine Option, Hinschauen aber oft schmerzhaft und verzweifelnd. Wie wäre es aber, einen optimistischen Blick in die Zukunft zu werfen? Eric Holthaus nimmt uns mit in das Jahr 2050 und erklärt, wie wir die Klimakrise verhindern und es uns gelingt, den Kollaps unserer Ökosysteme abzuwenden. Dabei zeigt er uns Szenarien, die Hoffnung machen.

»Es ist eines der schönsten Bücher, das ich je gelesen habe«, mit diesen Worten überreichte mir meine Kollegin Anna Maria Jurisch »Herzzeit«. Ein Buch, was den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan wiedergibt. Und damit ist es ein bewegendes Zeugnis zweier Menschen, die sich liebten und sich gegenseitig verletzten, die einander brauchten und doch miteinander nicht leben konnten. Und was soll ich sagen, meine Kollegin hatte Recht …

In den Spielzeitferien geht es für viele von uns nach Hause. Aber was bedeutet das eigentlich, »Zuhause«? Ein Ort? Ein Mensch? Ein Hund? Was macht uns aus, wo gehören wir hin? »Über eine Sehnsucht und die vielleicht wichtigste Suche unseres Lebens« schreibt Daniel Schreiber in seinem essayistischen Roman:

Wir wünschen Ihnen einen schönen Lese-Sommer, viel Freude beim Entdecken neuer (literarischer) Welten. Vielleicht finden Sie ja in der einen oder anderen ein neues Zuhause. Oder eben die Welt, die Sie gerade brauchen.

Frederike Krüger,
Dramaturgin für Musiktheater und Konzert

Kategorien
Hinter dem Vorhang Theaterblog

Wer bin ich? Wer war ich? Wer will ich, wer kann ich sein?

Im Wintersemester 2021/22 erarbeiteten fünf Studierende aus den Bereichen Kommunikationsdesign und freie Kunst der HBKsaar originalgrafischen Plakate zum Stück »Jedermann. Bliesgau/Monsieur Tout Le Monde«, das vom 4. – 19. Juni im Europäischen Kulturpark Bliesbruck-Reinheim gezeigt wird. Das Seminar fand unter Leitung von Dirk Rausch und Eva Walker statt. In loser Reihenfolge stellen die jungen Plakatkünstler sich und ihre Entwürfe an Hand eines Fragebogens, den Produktions- Dramaturgin Simone Kranz entwarf, vor. Hier die Antworten von Meret Maike Paul. Alle Entwürfe kann man bis zum Spielzeitende im Mittelfoyer des Staatstheaters sehen.

Maike Paul

Stellen Sie sich kurz vor.

Ich heiße Maike Paul, komme gebürtig aus Saarbrücken und studiere seit Oktober 2019 an der HBKsaar Kommunikationsdesign, was auch meinem späteren Berufswunsch entspricht.

Was hat Sie an der Aufgabenstellung gereizt, für ein Theaterstück ein Plakat zu entwerfen?

Die Aufgabenstellung hat mich insbesondere deswegen gereizt, weil die Aufgabe aus einem künstlerischen Schaffungsprozess kam, an dem wir während unseres Gestaltungsprozesses teilhaben durften. So wurde uns z.B. die Konzeption des Bühnenbildes vorgestellt, die mich wiederum in meiner Plakatgestaltung sehr inspirierte.

Erster Plakatentwurf von Maike Paul.

Wie sind Sie auf die Idee zu ihrem Entwurf gekommen?

Zunächst habe ich mich mit dem Theaterstück auseinandergesetzt und die für mich prägnanten Details herausgearbeitet. Hierbei war auch der Austausch mit dem Team vom Theater und der Gruppe an der HBKsaar maßgebend. Gleichzeitig habe ich mit den analogen Drucktechniken des Sieb- und Hochdrucks experimentiert.

Was war für Sie die besondere Herausforderung bei der Aufgabenstellung?

Eine besondere Herausforderung für mich war, dass wir zu Beginn des Entwurfs erst einmal nur wenige Informationen zum Theaterstück hatten und dass der Entwurf gezielt im Sieb– und Hochdruckverfahren umgesetzt werden sollte.

Möchten Sie ihren Entwurf kurz erläutern?

Mein Entwurf »Ellipse« bezieht sich vor allem auf das Rennen gegen die Zeit, das Jedermann antritt, als er dem Tod begegnet. Bin ich gut? Bin ich böse? Die Zeit läuft ab, der Abgrund ist nahe.

Mein zweiter Entwurf »Verzerrt« hingegen bezieht sich mehr auf den inneren Kampf, das Ringen Jedermanns um Gut und Böse. Wer bin ich? Wer war ich? Wer will ich, wer kann ich sein?

Ein Projekt in Unterstützung des:

Kategorien
Hinter dem Vorhang Theaterblog

Wer kontrolliert wen? Jedermann das Geld oder das Geld Jedermann?

Im Wintersemester 2021/22 erarbeiteten fünf Studierende aus den Bereichen Kommunikationsdesign und freie Kunst der HBKsaar originalgrafischen Plakate zum Stück »Jedermann. Bliesgau/Monsieur Tout Le Monde«, das vom 4. – 19. Juni im Europäischen Kulturpark Bliesbruck-Reinheim gezeigt wird. Das Seminar fand unter Leitung von Dirk Rausch und Eva Walker statt. In loser Reihenfolge stellen die jungen Plakatkünstler sich und ihre Entwürfe an Hand eines Fragebogens, den Produktions- Dramaturgin Simone Kranz entwarf, vor. Hier die Antworten von Maurice Brossette. Alle Entwürfe kann man bis zum Spielzeitende im Mittelfoyer des Staatstheaters sehen. Außerdem gibt es am 4. Juni um 19 Uhr eine Vernissage der Ausstellung im Raum auf der Grenze im Europäischen Kulturpark.

Stellen Sie sich kurz vor.

Ich bin Maurice Brossette, im Saarland geboren und studiere Kommunikationsdesign an der HBKsaar. Besonders interessieren mich Grafikdesign und die Anwendung verschiedener analoger Drucktechniken.

Wie sind Sie auf die Idee zu ihrem Entwurf gekommen?

Wer kontrolliert wen? Jedermann das Geld oder das Geld Jedermann? Die Idee für den ersten Entwurf war Schnüre aus Gold abzubilden, als Symbol für das Vermögen an dem Jedermann hängt … wie eine Marionette.

Für den zweiten Entwurf wollte ich eine Verbindung zur Klimakrise und deren Kipppunkte schaf­fen. Für diese Darstellung hatte ich die Idee einer Sanduhr. Gleichzeitig stellt die Sanduhr die ver­rinnende Zeit in Jedermanns Leben dar.

Was war für Sie die besondere Herausforderung bei der Aufgabenstellung?

Für mich war die Herausforderung Plakate zu gestalten, die durch ihr reduziertes Design anspre­chend sind und gleichzeitig das Thema des Stückes passend aufgreifen. Eine weitere Herausfor­derung beim Entwerfen war auf die jeweiligen Einschränkungen, die die verwendeten Drucktech­niken mit sich bringen, zu achten.

Möchten Sie ihren Entwurf kurz erläutern?

Das Schnüre-Plakat entstand in insgesamt vier Druckdurchgängen. Zuerst wurde der Titel im Hochdruckverfahren mit Holzlettern gedruckt. Danach wurden die Schnüre im Siebdruckverfahren in drei Durchgängen gedruckt. Die Schnüre wurden digital aufgerastert, um einen dreidimensiona­len Effekt zu erzeugen. Die fette Typografie spannt den Bogen zu dem ausladenden Lebensstil des Jedermann.

Das Sanduhr-Plakat wurde in zwei Durchgängen gedruckt. Die grüne Fläche, bei der die Typo­grafie ausgespart wurde, entstand im Siebdruckverfahren. Die Sanduhr selbst ist ein Linolschnitt. Der umlaufende Text erinnert an den Sand, der durch die Sanduhr fließt. Jedermann fällt durch die Sanduhr in eine Leere. Er ist als gesichtslose Spielfigur abgebildet.

Beide Plakate zeigen simple, aber ausdrucksstarke Elemente, wodurch Wiedererkennbarkeit er­zeugt wird. Sie haben einen gewollten Interpretationsspielraum und transportieren eine bestimmte Stimmung.

Wollen Sie sonst noch etwas zum Projekt anmerken?

Toll, dass eine Kooperation zwischen der HBKsaar und dem saarländischen Staatstheater möglich war.

Ein Projekt in Unterstützung des:

Kategorien
Hinter dem Vorhang Theaterblog

Tuschestriche, die Gruppen- und Einzeldynamiken festhalten

Im Wintersemester 2021/22 erarbeiteten fünf Studierende aus den Bereichen Kommunikationsdesign und freie Kunst der HBKsaar originalgrafischen Plakate zum Stück »Jedermann. Bliesgau/Monsieur Tout Le Monde«, das vom 4. – 19. Juni im Europäischen Kulturpark Bliesbruck-Reinheim gezeigt wird. Das Seminar fand unter Leitung von Dirk Rausch und Eva Walker statt. In loser Reihenfolge stellen die jungen Plakatkünstler sich und ihre Entwürfe an Hand eines Fragebogens, den Produktions- Dramaturgin Simone Kranz entwarf, vor. Hier die Antworten von Meret Sophie Preiß. Alle Entwürfe kann man bis zum Spielzeitende im Mittelfoyer des Staatstheaters sehen. Außerdem gibt es am 4. Juni um 19 Uhr eine Vernissage mit den Exponaten im Raum auf der Grenze im Europäischen Kulturpark.

Stellen Sie sich kurz vor.

Mein Name ist Meret Sophie Preiß, ich bin 2001 in Saarbrücken geboren und studiere seit dem WS 2019/20 an der HBKsaar Freie Kunst bei Prof. Katharina Hinsberg. Mein Hauptschwerpunkt liegt bei der Zeichnung, ich bin allerdings auch sehr interessiert an Text(-arbeit), was mich dazu gebracht hat, Ende 2020 ein zweites Studium an der Universität des Saarlandes zu beginnen, wo ich nun Kunst- und Bildwissenschaft im Hauptfach und Germanistik im Nebenfach studiere. Mein späterer Berufswunsch liegt definitiv im Kulturbereich – das Arbeiten als Freie Künstlerin möchte ich gerne kombinieren mit Kuratieren oder (kultur-) journalistischer Arbeit.

Was hat Sie an der Aufgabenstellung gereizt, für ein Theaterstück ein Plakat zu entwerfen?

Da ich selbst seit Jahren eine enge Verbindung zum Theater habe, Freude am Texte lesen und Interesse am Drucken, hat mich die Aussicht auf eine Kooperation mit dem Saarländischen Staatstheater, direkt angesprochen. Zwar hatte ich zuvor noch keine Erfahrung mit dem Entwerfen von Plakaten, wollte mich aber gerne der Herausforderung stellen.

Wie sind Sie auf die Idee zu ihrem Entwurf gekommen?

Nachdem ich am Anfang sehr unschlüssig war, wie ich an den Entwurf herangehen wollte, viel mit der Symbolik von Sand (Anm.: Sand ist Bestandteil des Bühnenbildes) herumprobiert hatte, aber zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis kam, machte mich Dirk Rausch auf die inhaltliche Parallele zu meiner aktuellen persönlichen künstlerischen Arbeit aufmerksam, bei der ich mit Tuschestrichen Gruppen- und Einzeldynamiken festhalte. Das einzelne Individuum verschwindet in der Homogenität der Masse; ein langer Schatten, der sich den einzelnen Gestalten anhängt, deutet auf eine sich außerhalb des Bildrandes befindende Lichtquelle hin, der sich die Menschen annähern, vielleicht aber auch davon fortbewegen. Damit war das Motiv gefunden, der darauffolgende Prozess beschäftigte sich dann mit der letztendlichen Anordnung der Schattenmenschen und des Designs.

Was war für Sie die besondere Herausforderung bei der Aufgabenstellung?

Besondere Herausforderung war für mich das Digitalisieren des Plakatentwurfs und das Arbeiten mit Schrift, da beides Bereiche sind, denen ich mich zuvor noch nicht unbedingt gewidmet hatte. Meine künstlerische Arbeit bewegt sich vor allem im analogen Bereich, weswegen ich mir hier und da Unterstützung meiner Kommiliton*innen aus dem Kommunikationsdesign holen musste, um meinen Entwurf umzusetzen.

Wollen Sie sonst noch etwas zum Projekt anmerken?

Alles in allem war es ein umfassend spannendes Projekt, da es sehr vielseitig war. Zum einen der Austausch mit dem Theater, wo wir beispielsweise via Zoom mit der Dramaturgin und der Bühnenbildnerin über die Ideen und geplanten Umsetzungen des Stückes redeten; einen Einblick in den Probenalltag erhielten oder eben Zuspruch und weitestgehend freie Hand über die Plakatentwürfe von Seiten der PR-Abteilung des Staatstheaters erhielten. Zum anderen aber auch die Arbeit in den Druckwerkstätten der HBKsaar, das Verwerfen und Erneuern von Entwürfen, die Umsetzung der Entwürfe mit zwei verschiedenen Drucktechniken (Siebdruck und Hochdruck) und die Begleitung durch Dirk und Eva, die wöchentlich mit uns an dem Projekt arbeiteten, sind Dinge, die ich aus dem Kurs bzw. der Kooperation mitnehmen konnte.

Weitere Informationen rund um Stück »Jedermann. Bliesgau/Monsieur Tout Le Monde« gibt es hier.

Kategorien
Auf ein Wort Theaterblog

iMove – Das Jugendtanzensemble stellt sich vor

Ist es nicht schön zu tanzen? –  und dann auch noch im Theater? Das Jugendtanzensemble iMove, welches 2009 gegründet wurde, besteht aus vielen tanzbegeisterten Jugendlichen, die regelmäßig im Staatstheater trainieren und auftreten. Bereits in der Vergangenheit haben die Tänzer*innen von iMove ihr Talent und ihre Leidenschaft zum Tanzen auf den Bühnen des Saarländischen Staatstheaters unter Beweis stellen können und Hunderte von Zuschauer*innen begeistert – oft sogar zu Tränen gerührt.

 Claudia Meystre, die Trainerin von iMove, erzählt in dem folgenden Interview mehr über die Gruppe, die Tänzer*innen und sich und berichtet über vergangene sowie zukünftige Projekte.

M.T.: Wann hast du angefangen das Jugendtanzensemble iMove hier am Theater zu trainieren?

C.M.: Seit September 2018 trainiere ich die Gruppe. In dieser Zeit habe ich einen Anruf von Klaus Kieser, dem Colmpanymanager des Saarländischen Staatsballetts und Dramaturg, erhalten, der mich gefragt hat, ob ich Interesse daran hätte, iMove zu übernehmen. Damals hatte die Gruppe kein regelmäßiges Training, wodurch sie auseinandergefallen ist. Das Theater brauchte einen neuen Trainer oder Trainerin, um iMove wieder aufzubauen und die Gruppe nochmal neu zusammenzubringen.

M.T.: Erzähl mehr über dich und deinen Beruf.

C.M.: Mit sechs Jahren habe ich begonnen zu tanzen. Ich war zu diesem Zeitpunkt im Kinderballett und habe in meiner Freizeit immer sehr gerne und sehr viel getanzt. Nach dem Abitur bin ich nach Braunschweig gegangen. Dort habe ich bei »T.A.N.Z.-Braunschweig!« – einer Modernen Tanzschule – ein Vorbereitungsjahr absolviert. Während dieser Zeit habe ich mich an der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden beworben und wurde nach zwei Vortanzen für den Studiengang Diplom Tanzpädagogik angenommen.
Das Studium dauert vier Jahre und beinhaltet einerseits eine fundierte Tanzausbildung, andererseits natürlich den Bereich Pädagogik, wozu auch sehr viel Theorie gehört sowie Choreographie. Nachdem ich mein Studium abgeschlossen habe, bin ich dann 2008 ins Saarland gezogen und unterrichte seitdem Tanz an diversen Tanzschulen und an Institutionen wie dem Saarländischen Staatstheater.
Des Weiteren bin ich Lehrbeauftragte an der Hochschule für Musik Saar im Bereich Rhythmik, Bewegung und Tanz für Schulmusiker*innen und führe viele Schulprojekte durch. Außerdem habe ich schon bei vielen Fortbildungen als Dozentin gearbeitet. Unterrichten tue ich vor allem modernen, zeitgenössischen Tanz und Ballett bzw. auch Kinderballett.

M.T.: Wer sind eigentlich die Tänzer*innen bei iMove? In welchem Alter sind sie?

C.M.: Die Tänzer*innen bei iMove sind Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 24 Jahren. Sie sind Schüler*innen, Studierende, Auszubildende etc., die Spaß daran haben, im Team zu tanzen und ihrem Hobby, ihrer Leidenschaft zum Tanz bei iMove nachzugehen.

M.T.: Gibt es irgendwelche Kriterien, um überhaupt bei iMove mitmachen zu können?  Brauch man bereits Tanzerfahrung oder gibt es eine bestimmte Altersbeschränkung?

C.M.: Die Altersgrenze liegt bei 14-21 Jahren. Manche Tänzer*innen bei iMove sind zur Zeit älter als 21. Das liegt daran, dass diese Tänzer*innen schon wirklich sehr lange ein Teil der Gruppe sind und ich wollte ihnen – gerade auch durch die lange Auszeit aufgrund der Pandemie – die Möglichkeit geben, in dieser Spielzeit nochmal dabei zu sein. Eine tänzerische Voraussetzung gibt es nicht und ich mache auch keine Vortanzen.
Natürlich sollte man die Lust am Tanzen und die Leidenschaft dafür mitbringen und es ist schon von Vorteil, wenn man eine rhythmische bzw. tänzerische Erfahrung mitbringt. Manche im Team haben z.B. schon rhythmische Sportgymnastik, Hip-Hop oder Ballett betrieben.
Unsere Choreographien sind relativ anspruchsvoll und dann kommt man dadurch auch schneller rein, aber ich setzte das nicht voraus, nein. Für jeden steht das Training offen und man kann das gerne ausprobieren. Ich habe schon oft mit Anfängern gearbeitet und versuche jede*n einzuarbeiten und miteinzubringen.

M.T.: Hat die Gruppe regelmäßige Trainingszeiten und wo trainiert iMove? Könntest du kurz erzählen, wie so ein Training abläuft und was das für ein Tanzstil ist?

C.M.: iMove trainiert in der Regel immer montags von 17:00-18:30 Uhr oder von 17:00-19:00 Uhr. Die Probenzeiten können aber variieren, vor allem wenn iMove an einer Produktion arbeitet. Wir trainieren dann auch mehrmals in der Woche und häufig drei Stunden am Stück, also das ist dann auch sehr viel intensiver. Die Tanzgruppe und ich choreographieren auch meist eher modernen Tanz. Je nachdem, welcher Tanzstil in den Produktionen gefragt ist, arbeiten wir auch mit anderen Elementen z.B. im Bereich Hip-Hop oder Ballett.
Ich arbeite aber auch viel mit Partnerringen, Flowwork, Improvisation und das Selbstgestalten von Choreos durch die Tänzer*innen. Montags trainieren wir in der Regel im großen oder auch kleinen Ballettsaal des Großen Hauses im Staatstheater.

M.T.: Die Projekte von iMove sind immer Theaterproduktionen, richtig? Man lernt dadurch auch sicherlich sehr viel über das Wesen des Theaters kennen? Die iMover*innen stehen viel auf der Bühne des Theaters und bekommen so auch einen Eindruck, wie es dort und hinter den Kulissen abläuft. Dieses Theatergeschehen selbst mitzuerleben ist bestimmt sehr aufregend und für viele eine tolle Erfahrung.

C.M.: Die Projekte des Jugendtanzensembles sind hauptsächlich Theaterproduktionen. Dazu gehören zum einen unser eigenes Stück, das wir alle zwei Jahre in der Alten Feuerwache beim Tanzfestival Saar vorstellen, zum anderen aber auch andere Projekte, die Teil von Theaterstücken sind, wie jetzt in dieser Spielzeit bei der Oper »Alcina« im Großen Haus. Auch in der sparte4 haben wir schon etwas gezeigt. Dadurch lernt man das Theater natürlich in all seinen Facetten kennen und bekommt Einblicke in alle Spielstätten – von der kleinen bis zur großen Bühne, wie auch dahinter.
iMove arbeitet aber auch an Projekten außerhalb des Theaters, wie in wenigen Monaten am Pfingstsonntag in der Johanniskirche bei der Nacht der Kirchen. Wir haben aber auch schonmal eine Modenschau am Theater am Ring in Saarlouis anlässlich des 60. Jubiläums choreographiert.

M.T.: Bei welchen Produktionen hat iMove in der Vergangenheit mitgewirkt und was waren das für Projekte? War die Gruppe dann Teil einer größeren Theaterproduktion oder waren das sogar eigene Projekte von iMove?

C.M.: Begonnen haben wir mit einer Werkschau in der sparte4 im März 2019 und das hieß »iMove – we move on« . Da ging es einfach darum, die Gruppe nochmal neu zu präsentieren und aufzuzeigen, dass iMove wieder da ist. Das Stück dauerte ca. 30 min.
Dann kam es zu der Modenschau im Theater am Ring Saarlouis. Dort haben wir die 50er/60er Jahre nachgestellt und die Kleidung aus dieser Zeit präsentiert. Das war aber mehr eine tänzerische Modenschau mit einer Liveband aus Saarlouis.
Anschließend waren wir auch beim Theater Überzwerg, wo wir am Theaterfest ein 15-minütiges Stück aufgeführt haben. Im März 2020 hat die Gruppe dann im Rahmen des Tanzfestival Saar ihre erste eigene Produktion von mir vorgestellt. Diese hieß »Zeitwärts«.
Danach kamen leider Corona und der Lockdown. Das Staatstheater hatte dann die Kampagne »Stay at home« aufgerufen und iMove hat dazu ein kleines Video erarbeitet, wo jede*r iMover*in einen eigenen kleinen Tanzabschnitt hatte und am Ende habe ich das dann zu einer Videocollage zusammengeschnitten.
Im September 2021 – nachdem sich die Situation wieder ein wenig auflockerte – konnten wir dann am Theaterfest an der Völklinger Hütte teilnehmen. Im Anschluss folgte die Opernproduktion »Alcina«, die im Dezember 2021 Premiere hatte und unser letztes Stück »InnerMOVEments« im März beim diesjährigen Tanzfestival Saar in der Alten Feuerwache.

M.T.: Und welche Produktionen sind für die Zukunft geplant?

C.M.: In Zukunft geplant sind, wie bereits kurz erwähnt, am Pfingstsonntag ein kleines Stück bei der Nacht der Kirchen in der Johanneskirche Saarbrücken, wo ein Teil der Gruppe in Mitten einer Kunstinstallation tanzen wird und im September der Spielzeit 2022/23 eine weitere Vorstellung von »InnerMOVEments«. Weiteres kann ich noch nicht sagen, denn das steht noch nicht fest, aber beim nächsten Tanzfestival in zwei Jahren werden wir dann nochmal ein eigenes Stück entwickeln.

M.T.: Die letze Produktion von iMove »InnerMOVEments«, die bereits am 13. März 2022 in der Alten Feuerwache des Saarländischen Staatstheaters uraufgeführt wurde, handelt von Gefühl, von Emotionen. Es geht darum, was die Jugendlichen fühlen, was sie von innen heraus bewegt, über was sie im Alltag nachdenken. Das Stück besteht demnach aus vielen verschiedenen Gefühlszuständen – Freude, Angst, Liebe, Einsamkeit, Trauer, Freundschaft, Zufriedenheit, Neid, Wut, Aggression und Hoffnung. Diese vielen Choreographien, das Licht, das Bühnenbild – alles, was zu solch einer Produktion gehört – sind das Ideen von dir, die du bereits vor dem ganzen Entwicklungsprozess erarbeitet hast oder sind die dir auch teilwese spontan in den Sinn gekommen? Wie gehst du bei solch einem großen Projekt als Choreographin vor?

C.M.: Es blieb uns zwischen der Premiere von »Alcina« und dem Tanzfestival nicht mehr viel Zeit, weshalb die Choreographie teilweise aus Bewegungsmaterial bestand, das ich schon aus vorherigen Tanzkombis entnahm, die ich entwickelt habe. Zum Teil habe ich das Material aber auch entsprechend der verschiedenen Emotionen direkt für das Stück erarbeitet.
Mir ist es aber auch  immer sehr wichtig, die Vorschläge der Jugendlichen zu berücksichtigen und mit einzubringen sowie die Stärken jedes Einzelnen herauszufiltern, sodass die Tänzer*innen ihr Talent auch auf der Bühne zeigen. So eine Stückentwicklung ist aber sehr prozessorientiert. Anfangs habe ich immer eine Idee und bringe Material mit. Aber wenn ich merke, das Material funktioniert nicht so gut, dann entwickelt sich das manchmal in eine ganz andere Richtung. Ich muss Dinge streichen, ergänzen, verändern und deshalb setzt sich das alles während des Entwicklungsprozesses immer mehr zusammen – auch dann schlussendlich mit meinen Ideen zum Licht, zum Bühnenbild usw.

M.T.: Wie kam es zu dem Thema dieser Produktion? Wie bist du auf diese Idee gekommen? Was möchten die Tänzer*innen und du mit diesem Stück bewirken?

C.M.: Gerade die Corona-Pandemie und der Klimawandel haben uns sehr mitgenommen und berührt. Aus diesem Grund hatte ich die Idee, das Thema »Was uns bewegt« in Bezug auf diese aktuellen Zustände aufzugreifen. Von Seiten der Tänzer*innen kam da aber immer weniger Interesse, da dieses Thema schon in diversen Bereichen thematisiert wurde.
Wir haben beschlossen, uns dann zusammenzusetzen und einfach mal darüber zu reden, wie es uns untereinander so geht, was uns beschäftigt, was die Jugendlichen im Hinblick auf ihre Zukunft denken und dazu habe ich mir viele Notizen gemacht. Am Schluss haben sich dann bestimmte Grundemotionen herauskristallisiert und auch ich fand das dann viel interessanter, so allgemein in das Themengebiet Emotionen zu gehen.  
In dem Stück geht es weniger darum, etwas aufzuzeigen, sondern dem Publikum einfach diese Emotionen, die unterschiedlichen Gefühle näherzubringen. Ich hatte das Gefühl, dass die Tänzer*innen, aufgrund ihres Ausdrucks an dem Abend, sich alle in diesen Emotionen wiederfinden konnten, weil natürlich auch jeder diese Emotion kennt und diese dann auch hervorgerufen hat.

Das Interview führte Maxine Theobald, die ein FSJ-Kultur in der Dramaturgie des Saarländischen Staatstheaters absolviert und selbst bei iMove tanzt.

Hast Lust bekommen, selbst Teil von iMove zu werden? Dann melde dich bei der Leiterin und Choreographin Claudia Meystre, claudiameystre@gmx.de.

Unser Angebot rund um Theater & Schule findet ihr außerdem hier. Lieber singen oder spielen statt tanzen? Kein Problem, alle unsere Mitmach-Angebote gibt es hier.

Kategorien
Der Dramaturgieschreibtisch Theaterblog

Politik und Musik

Über die Unfreiheit der Musik im Unpolitischen

»Es affiziert mich Alles, was in der Welt vorgeht: Politik, Literatur, Menschen – über Alles denke ich in meiner Weise nach; was sich dann durch Musik Luft machen, einen Ausweg suchen will.« Diese Worte Robert Schumanns, der mit wachem Geist die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfolgte, haben bis ins Heute nichts an ihrer Wirkkraft verloren. Verweisen sie doch auf das große Potenzial der Musik und die damit verbundene Wirkungsfähigkeit, durch ihre Performanz und das musikalische Erleben zur Verarbeitung und Spiegelung außermusikalischer Eindrücke und Prozesse beizutragen.

Dabei charakterisiert sich dieses Potenzial jedoch nicht nur als Kür, sondern auch als Pflicht, in dessen Bezugsrahmen sich auch eine Spaltung vollziehen kann: Nämlich die Trennung zwischen dem Anspruch der Musik als autonome Kunst und der Gefahr ihrer Instrumentalisierung zur gesellschaftlichen und staatlichen Repräsentation und Machtkonsolidierung bzw. Machterosion bis hin zum Missbrauch durch totalitäre Systeme.
Auch der Künstler oder die Künstlerin muss sich immer wieder der Frage nach ihrer eigenen Autonomie angesichts sozialer und politischer Konstellationen stellen; ein Umstand, der nur allzu oft mit äußeren Erwartungen, der Romantisierung des politischen (Wider-)Stands und der Rezeption dessen kollidiert.  Vor diesem Hintergrund charakterisiert sich die Musik als das, was sie ist: Ein Spannungs- und Inspirationsfeld zwischen Emotion und Ratio, zwischen Autonomie und (Sach-)Zwang, deren Betrachtung interdisziplinäre, intersektionale Perspektiven erfordert.
Dabei lässt sich der Mehrdimensionalität der Musik als historischem wie ästhetischem Phänomen nur Rechnung tragen, wenn man die vielfältigen Dynamiken von gesellschaftlichen und politischen Wandlungsprozessen, die von Musik eingeleitet oder begleitet werden, berücksichtigt. Dort ist die entscheidende Frage nicht, ob Musik politisch ist, sondern wie und mit welchen Mitteln sie als Instrument zur Konsolidierung oder auch zu Destabilisierung von Staats- und Gesellschaftsformen eingesetzt worden ist. Und wird.
Einhergehend mit den Fragen nach dem durchaus ambivalenten Abhängigkeitsverhältnis von Politik und Musik, drängen sich weitere auf … Wie frei ist die Kunst? Bedeutet Freiheit = neutral? Und behelfen wir der Kunst mit dem Anspruch, sie stehe über allem, wirklich zu einer Autonomie? Um welchen Preis? Ist die Musik also ein kunstvolles Spiel mit Tönen, Klängen, Harmonien, Rhythmen? Drückt sie immer etwas aus? Beschreibt sie einen Gegenstand, einen Sachverhalt, ein Gefühl? Dient sie gar einem Zweck? Ja. Und Nein. Welche politischen Dimensionen die Musik erfüllt, ist abhängig von den jeweiligen zeitgenössischen Verhältnissen und Visionen. Und der Streit über die Autonomie der Musik ist wohl so alt wie die Kunstform selbst, zu dem die Komponisten verschiedener Jahrhunderte ihren Beitrag beisteuerten, ob sie wollten oder nicht. Das Publikum übrigens genauso. Ob es will oder nicht.

Im 5. Sinfoniekonzert stehen zwei Komponisten auf dem Programm, deren Werden und Wirken als Kunstschaffende in besonderem Maße von der ambivalenten Abhängigkeit von Politik und Kunst geprägt war.
1946 wurde Pēteris Vasks in der lettischen Kleinstadt Alzpute als Sohn eines Pfarrers geboren – zu einer Zeit, in der das Land im Zuge des Zweiten Weltkriegs als Lettische Sozialistische Sowjetrepublik der Sowjetunion angegliedert worden war. Die Eindrücke seiner Kindheit wurden vom staatlichen Terror des sowjetischen Zentralregimes bestimmt: Massendeportationen und Zwangsumsiedlungen auf der einen Seite, gelenkter Zuzug von Menschen aus anderen Reginen der UDSSR auf der anderen Seite. Die Regierung der Sowjetunion verfolgte eine massive Politik der »Russifizierung« des Baltikums.

Vasks musste mit ansehen, wie Unschuldige aus ihren Häusern vertrieben und in sibirische Straflager verschleppt wurden. Stalins Tod 1956 sollte keineswegs so etwas wie Wiedergutmachung bedeuten – den Überlebenden des politischen Terrors wurde das strikte Verbot ausgesprochen, über das erlebte Unrecht zu reden. Schon früh sollte die Musik ein Weg Vasks sein, seinen erschütternd prägenden Erlebnissen einen künstlerischen Ausdruck zu verleihen.
Auch das Leben Schostakowitschs war geprägt von den Eindrücken des sowjetischen Terrorregimes. Ein Umstand, der sich in besonderer Weise auf die Betrachtung seiner Musik auswirkte. Vor dem Hintergrund der omnipräsenten existenziellen wie künstlerischen Gefahr, denen Schostakowitsch als Mensch und Musiker ausgesetzt war, ist die Rezeption seiner Musik nahezu ideologisch überfrachtet. Es scheint fast zur Gewohnheit geworden sein, in jedem seiner Töne nach Hinweisen auf eine Art der Auseinandersetzung mit den politischen Gegebenheiten seiner Zeit zu suchen. Kein Wunder, überlebte Schostakowitsch doch nicht nur zwei Weltkriege, sondern auch eine Diktatur, in der der Künstler den massiven Schikanen der Kulturbehörden ausgesetzt war und seine Genese als Komponist mit dem Aufstieg des totalitären Stalin-Regimes zusammenfiel. Propaganda und Sozialismus auf der einen Seite, Verbote und Verfolge auf der anderen bestimmten den Alltag. Und damit die Musik.

Denn die Musik ist Alltag. Sie ist artifiziell, sie ist hypothetisch, sie ist intellektuell, sie ist sinnlich, sie ist politisch oder gar polemisch. Sie spiegelt die Gesellschaft, genau so wie sie sie formt. Sie kann Identität stiften, genauso wie sie Identität abbilden kann. Und Identität ist immer politisch.

Nun ist angesichts des immer komplexer werdenden Weltgeschehens, einer Nachrichten- und Weltenlage, die mehr einer Dystopie denn Utopie gleicht, dieser Wunsch nach Eskapismus, der mit dem Bedürfnis der vermeintlich unpolitischen Freiheit der Kunst einhergeht, nur allzu verständlich. Doch ist es nicht eine der großen Qualitäten, der Musik, dass sie mit den Originären Mitteln der Kunst einen politischen Diskurs erzählt und damit sinnlich wirken lässt?

Wer also jederzeit und immer von der (politischen) Freiheit der Musik ausgeht, setzt damit aufs Spiel, dass es sie irgendwann nicht mehr geben kann. Die Freiheit. Der beraubt die Kunst nicht mehr nur ihrer Dimension und Relevanz, sondern auch ihrer Widerstandsfähigkeit.

Frederike Krüger,
Dramaturgin für Musiktheater und Konzert

Weitere Informationen sowie Karten für das 5. Sinfoniekonzert finden Sie hier.

 Als Informationsquelle für diesen Beitrag diente der Sammelband »Musik – Macht – Staat. Kulturelle, soziale und politische Wandlungsprozesse in der Moderne«, herausgegeben von Sabine Mecking und Yvonne Wasserloos. Erschienen bei V & R unipress, Düsseldorf 2012.